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Titel: Über den Niedergang von Satire, Kritik und Kabarett im öffentlich-rechtlichen Fernsehen

Datum: 27. Januar 2011 um 13:46 Uhr
Rubrik: Das kritische Tagebuch
Verantwortlich:

Klaus Ulrich Spiegel, NachDenkSeiten-Leser, Aktivist in Sachen Kultur und früher einmal in der Politik aktiv, hat uns auf die Entwicklung beim Satiregipfel aufmerksam gemacht und eine kurze Analyse der Entwicklung geschrieben. Interessant auch sein Hinweis auf die ungenierte Partnerschaft von öffentlich-rechtlichen Medien und den kommerziellen. Die öffentlich-rechtlichen als Steigbügelhalter des Kommerzes, würde ich sagen. (Unseren Beitrag zum letzten Satiregipfel finden Sie übrigens hier) Albrecht Müller.

KLAUS ULRICH SPIEGEL:
Ungeordnete Bemerkungen zur Programmtendenz in den Öffentlich-Rechtlichen

– am Beispiel „Kultur im Programm“ aus Anlass des sog. „Satiregipfels“

Kultur im Fernsehen, und als deren Nebenfeld: die TV-Satire: Vor langem waren das Lichtblicke im immer flacher werdenen Programm. Und heute ist sie in vollem Wandel zum nurmehr Unterhaltungs- und Seichtposten, also auf dem Weg ins weite Meer medialer Ärgernisse. Kultur war in den Öffentlich-Rechtlichen mal eine gesellschaftlich wirksame Bildungs- und Ermutigungsquelle – etwa als (um nur ein Beispiel zu nennen) allein im Bereich dramatische Literatur die Bevölkerung vor allem außerstädtischer Lebensbereiche mit Fernseh-Inszenierungen wichtiger Bühnenwerke „kulturiert“ wurde. Fernsehen nicht als endlose Talkquatschbude, sondern als vielfältige Anregung zu Aufklärung+Anspruch+Reflektion im Allgemeinen. Und öffentlich-rechtliches Fernsehen auch ein Mittel der Zugangsvermittlung und Verbreitung von Kultur, Kunst, Literatur, Musik, Diskurs, Aufklärung, Entzündung von Neugier und Impulsen.

Dazu zählten nicht zuletzt Satire, Kritik, Kabarett. Der Niedergang ist offenkundig. Seine Anfänge lassen sich recht genau datieren auf die Einführung der privaten Kommerz-Sender. Der kritische Medienbeobachter von heute braucht kaum weiterführende Darlegungen – weder dazu noch zu anderen inzwischen untergegangenen Formen einer TV+Radio-Kultur mit Informations-, Ermutigungs- und Bildungs-Auftrag/-Anspruch.

Es gibt ja durchaus noch Kultur im TV, und darauf verweisen die Verantwortlichen in jeder Debatte: die Literatur- und Kulturmagazine wie etwa „Lesezeichen“, „aspekte“, „ttt“, „druckfrisch“ etc. Die haben ihre Nischen, aber durchwegs erst gegen Mitternacht, zumeist auf 30-40 Minuten begrenzt, wenn nicht ohnehin in die Regional- oder Nachtprogramme verwiesen (wie “kulturzeit”, ein leider rechtslastiges, aber immerhin werktägliches 3sat-Magazin). Dagegen und davon überlagert steht aber längst der immer irrsinniger werdende Wahn, die marktbeherrschenden Privaten, vor allem RTL und SAT1, nachzuahmen, im Quotenrennen mitzulaufen – und so die Teller zu zerschlagen, von denen man auf lange Sicht noch speisen müsste, wenn man ans eigene Daseinsberechtigtsein dächte.

Diese Haltung und ihre Umsetzung – bestätigt soeben in einem nichts als taktisch-opportunistischen Interview der WDR-Intendantin als ARD-Vorsitzende in der Süddeutschen Zeitung – enthüllt sich in besonders abstoßender Weise in Person von Anpassern und Mittelmaß-Repräsentanten wie (unter vielen) etwa Herres und Baumann: Meine Güte, was für ein Personal gelangt auf solche wichtigen, einflussstarken, maßsetzenden Posten! In deren Folge Intendantenbesetzungen mit Parteigängern, demonstrativ auffindbar etwa im BR und HR, dazu Chefredakteure vom Zuschnitt Gottlieb. Und inhaltlich in zwei erschreckende Trends:

  1. Im Programm ausgedrückte Kooperation mit der Profitwirtschaft.
    Allüberall, doch am Offensichtlichsten mit den Medienriesen. In der ARD: Burda und Bertelsmann. Zum Beispiel mit der in mehreren Terminen abendfüllend und abfotografierten Bambi-Verleihung, das Burda-Logo stundenlang auf dem Bildschirm, Hubert Burda + Gattin (ihrerseits Tatort-Kommissarin) und das Paar Riekel-Markwort. Vorläufig noch (!) nicht ganz so aufdringlich Bertelsmann mit Zulieferungen von Sendematerial, Konzepten, “Formaten”, neuerdings ganz demonstrativ auch Personen. Im ZDF die Benefiz-Show “Ein Herz für Kinder”, mit Medienprominenz bis ins britische Königshaus überladen – eine Werbeveranstaltung für BILD und die sonstige Springer-Macht, dazu GiGi- und Neureich-Typen wie Maschmeier mit Groupies. In steter Folge Millionenshows zur Feier des Großkapitals und ihrer Käuflinge, gefüllt mit Firmen-PR per Party-Wohltätigkeit oder Preisverleihungen wie etwa Springers „Goldener Kamera“. Dazu immer neue so überflüssige wie zumeist peinliche “Entertainment”-Shows, “Event”-Quize, Hit-Präsentationen, voll mit “Prominenten” nicht zuletzt aus der Blödel-Comedy – und offenbar ohne alle Geschmacks-, Anstands- oder Selbstachtungsgrenzen: mit Personal aus den Kommerzsendern. ARD+ZDF als Verbreiter der Profit-Programme! Mittlerweile bilden sie ein nahezu flächendeckendes Mosaik.
  2. Ungenierte Partnerschaft mit Repräsentanzen des Kommerz-TV.
    Beispiele: Die Selbstpreisgabe und Selbstauslieferung an den Kirch-Sender PRO7 im “Neukonzept” des (ohnehin sinnfreien) Song-Contest “Grand-Prix de la Chanson” mit der Schöpfung einer deutschen Tralala-Biene, vor allem aber der Integration des dümmlich-frechen Kommerz-Moderators und Privatsender-Machthabers Stefan Raab als Programm-Macher der ARD. Oder, noch skandalöser, das Engagement des Quizmasters Jauch als angeblicher “Doyen des deutschen TV-Politikjournalismus” ins Prime-Program der ARD. Dies für unverantwortlich schamlose Gebührenmillionen und dazu noch Produktionsverträge mit dessen privat-eigenen Sub-Unternehmen – und dies bei weiterdauernder Top-Position des (in seiner drögen Provinzialität m.E. ohnehin unerklärlich hochgejubelten) Moderators als Star-Quizer bei Bertelsmanns RTL. Und das bedeutet: Ein langfristig substanzzerstörendes Go-In des Bertelsmann-Konzerns übers “Erste” in den Verbund der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten.

Ein empörter Nachdenkseiten-Leser hat dazu unlängst einen so berechtigten wie fruchtlosen Briefwechsel mit der ARD-Programmdirektion auf die Nachdenkseiten stellen können. Seine Argumente, von Zorn getränkt, kann man inhaltlich nur unterstreichen.

Diese Vorgänge verkörpern eine Tendenz, die längst zum Trend geworden ist. Wenn man sie auf die seit langem herrschende Veränderung des Gesamtprogramms bezieht, so etwa: in den Primetimes immer dümmer, immer primitiver, niedriger, erbärmlicher, niveuloser und meist ohne Zeitlimit sich ausbreitende Massen-“Formate”, registriert man eine erscheckende Abkehr vom Sinn, Auftrag und Konzept des Fernsehens in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft. Diese gekennzeichnet durch Sendeformen von Quiz bis Stadl, Zeit-Kürzungen der Politik-Magazine um ein Drittel, Inflation der sog. Talkshows = Bequatschereien des Immergleichen und der Vielfach-Verwurstung jeweiliger „Aktualitäten“ durch die immergleichen Dumm- und/oder Frechschwätzer (Henkel, Baring, Sinn, Jordan, Broder, Matussek & die ganze Neoliberal- wie auch Wendegewinner-Lobby, mit ein paar Minderheits-Alibis), rechtslastige Dokumentationen (à la “Die Akte Gysi”), nicht endende Schicksals-Schnulzenfabrikation und Denunziations-„Reports“ zum Dauerstoff DDR-SED-Stasi: Dann unterscheiden sich bereits heute weite Teile des öffentlich-rechtlichen Fernsehens (im Rundfunk sieht es etwas besser aus – Minderheitenprogramme längst) kaum noch von der Springer- + Bauer- + Burda-Presse.

Im Ganzen: Eine ständige Verletzung des gesetzlichen Auftrags der Öffentlich-Rechtlichen.

Dazu nun auch die Sparte Politisches Kabarett: In den hier beschriebenen Programmveränderungen scheint es mir kein Zufall, wenn der (m.E. unverständlich überschätzte) Kreischkasper Richling, auch er ein substanzarmer, lärmender Linkenverächter, im übrigen bloßer Perücken+Kleider-Clown, den ein Urban Priol mithilfe weniger Stimm-Umfärbungen als Parodist deklassiert (nicht zu reden von den politischen Aufklärern Schramm und Pispers) den Hildebrandtschen “Scheibenwischer” unter dem grotesk anspruchsverfehlenden Titel “Satiregipfel” zur Comedy-Klamotte herunterwirtschaften konnte – um ihm nun an einen RTL+SAT1-Comedian der zynisch-denunzierenden, also rechtsgelagerten Sorte übergeben zu dürfen. Bemerkenswert, dass dieser Herr Nuhr, genau wie Jauch mit ganzen Auftritts-Serien in den Privatsendern weitermachen kann. Auch hier also klare Vorzeichen einer weiter eskalierenden Abwärts-Entwicklung bei den Öffentlich-Rechtlichen.

Eine Flut von Eindrücken – und doch nur eine begrenzte Belegsammlung zu Zustand und Tendenz im Öffentlich-Rechtlichen, somit nur ein Ausschnitt des Gesamtgeschehens. Vielleicht zeigen sie aber eine Richtung auf, in der fundierte Kritik + Analyse anzusetzen hätten. Auf Abhilfe, Gegentrends, Hilfe mag man ohnehin kaum hoffen.


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