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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 19. Mai 2022 um 8:06 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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  1. Say’s Law und das fundamentale Versagen der Wirtschaftswissenschaften
  2. USA wollen die EU von ihrem bisherigen Plan eines Ölembargos gegen Russland abbringen
  3. NATO-Erweiterung
  4. Die Ukraine als umworbene und getäuschte Braut
  5. Siemtje Möller: Die rote Rakete
  6. Generation Corona
  7. Psyche im Homeoffice: neue Expertise zu „Risiken und Nebenwirkungen“
  8. Solidarität statt Grundeinkommen
  9. Mehr Großpleiten erwartet: “Wenn es kracht, dann richtig”
  10. Energiecharta-Vertrag: Drei Wirtschaftsanwälte bestimmen globale Klimapolitik
  11. Einflusssphären – der andere Maßstab im Hinterhof
  12. CIA-Veteran kritisiert US-Kurs gegenüber Russland: Wird nicht siegreich enden
  13. Der Mann, der die Welt vor einem Atomkrieg rettete
  14. Assange-Auslieferung: Däubler-Gmelin appelliert an Regierung

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Verantwortlich für die Richtigkeit der zitierten Texte sind die jeweiligen Quellen und nicht die NachDenkSeiten. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Say’s Law und das fundamentale Versagen der Wirtschaftswissenschaften
    In diesen Tagen nun holt der Bundesfinanzminister von der FDP, Christian Lindner, vermutlich angeleitet vom ehemaligen Vorsitzenden des SVR, Lars Feld, die Angebotspolitik aus der Rumpelkammer. Und siehe da, Lindner und Feld machen den gleichen Fehler, den der Sachverständigenrat schon vor mehr als 20 Jahren gemacht hat.
    Das zeigt erneut, wie schwer es für neoklassische Ökonomen offenbar ist, im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang und zugleich logisch zu denken. In einem Grundsatzpapier zur Finanz- und Wirtschaftspolitik schreiben Lindner und Feld:
    „Insbesondere Maßnahmen, welche die Arbeitsproduktivität erhöhen und den Lohn- und Preisauftrieb senken, tragen dazu bei, das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale und einer Entankerung der Inflationserwartungen zu reduzieren.“
    Das ist falsch. Maßnahmen, die dazu beitragen, dass die Arbeitsproduktivität steigt, tragen gerade nicht dazu bei, das Risiko einer Lohn-Preis-Lohn-Spirale zu reduzieren, von einer „Entankerung“ der Inflationserwartungen (was immer das sein mag, wie hier diskutiert) ganz zu schweigen. In normalen Zeiten, also in Zeiten ohne massive Importpreiserhöhungen (siehe die Diskussion hier) tragen solche Maßnahmen dazu bei, eine deflationäre Tendenz auszulösen. Gleichzeitig bringen sie die Gefahr mit sich, die Nachfrageseite der Wirtschaft zu schwächen und Arbeitslosigkeit zu erzeugen, wenn nämlich die Reallöhne – auch nur temporär – weniger als die Produktivität steigen.
    Einem ähnlichen Irrtum unterliegt die Europäische Kommission in einem anderem Zusammenhang. Sie schreibt in einem Papier über die Lage in Frankreich (hier verlinkt):
    „Das Wachstum der Arbeitsproduktivität bleibt jedoch sowohl unter den langfristigen Trends als auch unter dem Durchschnitt des Eurogebiets, was eine schnellere Erholung der Kostenwettbewerbsfähigkeit verhindert.“
    Auch dieser Satz ist mehr als problematisch. Eine höhere Arbeitsproduktivität darf in einer Währungsunion mit einem klar vorgegebenen Inflationsziel gerade nicht für Kostensenkung benutzt werden. Dieser Satz offenbart die fundamentale Ahnungslosigkeit der EU-Kommission in Sachen Funktionsweise einer Währungsunion und ihren mangelnden Mut, die deutschen Ungleichgewichte als solche anzusprechen und zu sanktionieren. Das intellektuelle Versagen kann man der Kommission aber eigentlich nicht vorwerfen, weil ihre Ahnungslosigkeit nur die Ahnungslosigkeit der großen Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler widerspiegelt.
    Quelle: Relevante Ökonomik
  2. USA wollen die EU von ihrem bisherigen Plan eines Ölembargos gegen Russland abbringen
    Die USA sehen den Vorschlag der EU-Kommission für einen Boykott gegen russisches Öl skeptisch. Finanzministerin Yellen macht nun einen Gegenvorschlag, der in Berlin Sorgen auslöst.
    Die USA schalten sich in die Debatte über ein Ölembargo gegen Russland ein und versuchen, die EU von ihren bisherigen Sanktionsplänen abzubringen. Anlässlich der Europareise von US-Finanzministerin Janet Yellen schlugen hochrangige Vertreter der US-Regierung einen Strafzoll auf russische Öllieferungen als Übergangslösung vor.
    Hintergrund ist die Gefahr, dass die Bestrebungen der Europäer, russisches Öl vom Weltmarkt auszuschließen, zu erheblichen Preissteigerungen führen – und auch in den USA die Inflation weiter antreiben.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung unseres Lesers C.B.: Größtmögliche Blamage für die EU-Kommission und Bundesregierung – insbesondere Die Grünen. Die USA sagen ganz offen und im Konflikt mit der EU, dass sie ein Öl Embargo u.a. wegen der Inflationsgefahr nicht gut finden. Ggf. auch, weil Biden Sorge hat, dadurch endgültig die Mid-Term Wahlen im Herbst zu verlieren. Stattdessen favorisieren sie einen extra Zoll auf russisches Öl. Das soll das teurere Tanker Öl von anderswo konkurrenzfähiger machen, weil russisches Öl sich verteuern würde. Also quasi eine Markt-Lösung. Für Industrie und Verbraucher in Europa heißt das vermutlich dennoch dauerhaft erheblich teurere Energie. Wochenlange mediale und politische Diskussionen in der EU werden von US-Finanzministerin Yellen damit quasi per Handstreich als unsinnig und schädlich hingestellt. Was sie ja auch sind. Mal sehen, ob die EU dennoch weiter an einem Öl Embargo in bisheriger Form arbeiten wird. Vermutlich nicht, denn die USA zeigen hier mal wieder, wer Ross und wer Reiter ist. Außerdem wischt der US Vorschlag die hypermoralische pseudo Begründung, dass man mit dem Kauf russischen Öls, quasi Blutgeld an Putin zahle, weg, was man deswegen sofort beenden müsste. Denn auch bei einem Zoll würden vermutlich über Jahre weiter Gelder für Öl nach Russland fließen. Die USA zeigen, dass sie flexibel sind in der Form, ihre Interessen durchzusetzen. Mit Moral hat das überhaupt nichts zu tun. Nur die EU und insbesondere die Grünen in der Bundesregierung, wollen eigene Interessen hintan stellen und so viel leiden wie möglich über Europa bringen. Denn, wer mehr leidet ist moralischer und solidarischer mit der Ukraine. Wer jetzt noch für ein Öl Embargo redet, ist noch weniger als zuvor ernst zu nehmen.

  3. NATO-Erweiterung
    1. NATO-Mitgliedschaft erfordert verstärkte Abrüstungsbemühungen
      Anlässlich der Ankündigung der Sozialdemokraten, ihre Position in der Frage der schwedischen NATO-Mitgliedschaft zu ändern, stellen die Schwedischen Ärzt*innen gegen Atomwaffen (SLMK) klare Forderungen, um sicherzustellen, dass Schweden atomwaffenfrei bleibt – sowohl territorial als auch in der Politik. Die NATO stuft sich selbst als Atomwaffenbündnis ein. Ein NATO-Beitritt stellt daher große Anforderungen an Schweden. Bedingungen müssen aufgezeigt werden, um sich als Mitglied des Bündnisses von Atomwaffen zu distanzieren.
      Zuallererst sollte Schweden unverzüglich der UN-Konvention zum Verbot von Atomwaffen beitreten. Das Übereinkommen, das im Januar 2021 in Kraft getreten ist, beinhaltet ein umfassendes Verbot von Atomwaffen in vielerlei Hinsicht: Einsatz, Androhung des Einsatzes, Besitz, Herstellung, Erprobung, Stationierung und Unterstützung, Ermutigung oder Überredung anderer Staaten zu den verbotenen Aktivitäten. Durch den Beitritt Schwedens zum Übereinkommen werden viele der Bedenken, auf die die Zivilgesellschaft, die Öffentlichkeit, Politiker*innen und Expert*innen in der Debatte über die schwedische NATO-Mitgliedschaft hingewiesen haben, wirksam ausgeräumt. Schweden muss sich auch das Recht vorbehalten, sich nicht hinter die Erklärungen der NATO zu stellen, die das UN-Übereinkommen über das Verbot von Atomwaffen kritisieren. Neben dem Beitritt zum Übereinkommen sollten die folgenden Aspekte in Betracht gezogen und durch Gesetzgebung, formelle Politik usw. umgesetzt werden.
      Quelle: IPPNW
    2. NATO-Beitritt wäre fatal
      Aufnahme von Schweden und Finnland
      Im Blitztempo hat das Bundeskabinett am Mittwoch einem NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands zugestimmt. Im Juni bereits soll dieser fatale Schritt im Bundestag ratifiziert werden. Sollte der Beitritt in allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden, entgegen aller gegebener Zusagen aus dem Westen, dann wären nach 1990 zusätzlich insgesamt 16 Länder dem Militärpakt beigetreten. Die NATO würde sich ein weiteres Mal direkt an die Grenzen Russlands ausdehnen.
      Vor gut 30 Jahren klang das noch ganz anders: »Wir waren uns einig, dass nicht die Absicht besteht, das NATO-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt übrigens nicht nur in bezug auf die DDR, die wir nicht einverleiben wollen, sondern das gilt ganz generell«, so der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher 1990. Das, so heißt es heute, sei aber lediglich die persönliche Meinung des Ministers gewesen.
      Unübersehbar ist nunmehr auch für den letzten Zeitgenossen der expansive Charakter der NATO. Flankiert von der Kündigung von Rüstungskontrollverträgen durch die USA und einer Hochrüstungspolitik, die auf eine weitere Erhöhung des Verhältnisses der NATO-Militärausgaben gegenüber Russland zielt, aktuell 16 zu eins, wird klar, dass das Militärbündnis, dessen Selbstbild von der Verpflichtung auf Demokratie und friedliche Konfliktbeilegung geprägt ist, auf Russland zielt.
      Quelle: Sevim Dagdelen in junge Welt
    3. NATO oder Neutralität
      Parallel zum bevorstehenden NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens bereitet die Schweiz ihre weitere Annäherung an den westlichen Militärpakt vor. Man strebe „neue Formen der Zusammenarbeit“ zwischen der Schweiz und der NATO an, erklärt Verteidigungsministerin Viola Amherd; das sei trotz der offiziellen Neutralität des Landes ohne weiteres möglich. Konkrete Vorschläge für einen Ausbau der Kooperation sollen im September vorgelegt werden. Ungeachtet ihrer Neutralität arbeitet die Schweiz seit den 1950er Jahren mit der NATO zusammen, freilich zunächst vor allem informell und erst seit ihrem Beitritt zum Partnership for Peace-Programm des westlichen Bündnisses 1996 in aller Form. Anlässlich eines aktuellen Luftwaffenmanövers von NATO-Staaten, an dem eine Schweizer Fliegerstaffel teilnimmt, heißt es, man verfüge längst über „gemeinsame Taktiken, Techniken und Verfahren für Missionen“. Einer weiteren Annäherung an die NATO dient nicht zuletzt der Kauf von F-35-Kampfjets, den Bern im Sommer 2021 beschlossen hat, gegen den sich aber Protest erhebt. Der Ukraine-Krieg erleichtert es, die NATO-Annäherung zu legitimieren.
      Quelle: German Foreign Policy
    4. Unsicherheit in der Nato
      Eklat bei der Nato: Finnland und Schweden haben ihren Beitrittsantrag eingereicht. Doch die Türkei hat die anstehenden Gespräche sofort blockiert. Mit der Einheit im Bündnis ist es offenbar doch nicht so weit her – mit der Sicherheit auch nicht.
      Kremlchef Putin hat sich getäuscht – die Nato ist stärker und entschlossener denn je: So lautet der offizielle Spin in Brüssel. Er mischt sich mit einer gehörigen Portion Schadenfreude. Statt die Nato von Russland fernzuhalten, rücke sie ihm nun, mit dem Beitritt Finnlands und Schwedens, noch mehr auf die Pelle.
      Tatsächlich weitet sich bald die Landgrenze zu Russland aus – um satte 1300 Kilometer, die Finnland mit seinem östlichen Nachbarn teilt. Doch das bedeutet nicht unbedingt einen Gewinn für die Nato. Im Gegenteil: Die neue Nordfront wird größer – und schwerer zu sichern.
      Auch sonst sieht es nicht gut aus mit dem Sicherheitsversprechen der weltgrößten Militärallianz. Der Ukraine hat sie nur Unglück gebracht. Ohne den Nato-Beitrittswunsch in Budapest 2008 wäre es womöglich nie zum Krieg mit Russland gekommen, wie eine Expertin sagt.
      Quelle: Lost in Europe
  4. Die Ukraine als umworbene und getäuschte Braut
    Die Ukraine ist seit dem Ende des Zarenreichs die umworbene Braut oder, wenn man so will, der Zankapfel, um den sich die jeweiligen Mächte streiten. Sie ist als Kornkammer und wegen ihres Reichtums an Bodenschätzen attraktiv, wenn auch Kohle langsam zum Ladenhüter wird, und sie ist begehrt als Brückenkopf zur Erschließung oder Eroberung des eurasischen Raums. […]
    Bis zum Krieg befand sich die Ukraine wirtschaftlich in einer Dauerkrise. „Wir sind am Scheideweg. Entweder wir bekommen finanzielle Hilfe oder uns droht die Staatspleite“, so Selenskyj 2020. Die finanzielle Hilfe wollte er sich vom IWF und der Weltbank holen, die ihre Kredite nicht ohne ein Strukturanpassungsprogramm geben. Zu den üblichen Grausamkeiten dieser Rezeptur gehören Haushaltskürzungen, die Privatisierung öffentlicher Dienste und, damit verbunden, die Erhöhung der Tarife öffentlicher Versorger. Die neoliberale Agenda hatte Selenskyj auf Empfehlung seiner westlichen Berater ohnehin als Heilsversprechen übernommen. Auch die Deregulierung von Arbeitsbeziehungen und die weitere Schwächung der Gewerkschaften standen auf der Tagesordnung. Man kann sich damit vorstellen, wem der „Marshallplan“ zugute kommen wird, den Selenskyj jetzt für den Wiederaufbau nach dem Krieg fordert. 2020 wurde von der Rada gegen breiten Widerstand auch eine „Landreform“ verabschiedet, die nichts anderes ist als die Öffnung des Bodenmarkts. Der fruchtbare Boden der Ukraine soll zum Land Grabbing frei gegeben werden. Der Krieg wird wie jeder Krieg seine Gewinner haben, darunter sicher auch Ukrainer. Die Ukrainer werden es nicht sein.
    Quelle: Hintergrund
  5. Siemtje Möller: Die rote Rakete
    Siemtje Möller hat in der SPD einen steilen Aufstieg geschafft. Wie tickt die Staatssekretärin im Verteidigungsministerium?
    Zahlreiche Kommentatoren arbeiten sich derzeit an der Frage ab, warum die SPD angesichts des Krieges in der Ukraine nicht endlich Abschied nimmt von ihrer „total verfehlten Entspannungspolitik“ und tätige Reue übt. Einige Analysten glauben sogar, den tieferen Grund für diese Verbohrtheit gefunden zu haben: Die Aufstiegsbiografien vieler Sozialdemokraten seien so untrennbar mit dem „Erfolgserlebnis Ostpolitik“ verbunden, dass ein Abrücken von überholten Positionen ihr ganzes politisches Leben in Frage stellen würde. Deshalb falle es älteren Sozis so schwer, die Friedensschalmei gegen die Kriegstrommel zu tauschen.
    All diese Küchenpsychologen mögen sich beruhigen! Auch unter jüngeren Genoss:innen wird an den sozialdemokratischen Schlüsselbegriffen „Aufstieg“ und „Frieden“ festgehalten. Die Ostfriesin Siemtje Möller, Jahrgang 1983, seit 2020 Sprecherin des Seeheimer Kreises in der SPD und seit Dezember Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium, möchten manche vielleicht weit rechts verorten, doch auch sie ist geprägt von einem Anti-Kriegs-Erlebnis: der größten Friedenskundgebung in der Geschichte der Bundesrepublik. […]
    Und obwohl die Abgeordnete Möller anfangs den linken Flügel der SPD-Fraktion als politische Heimat in Betracht zog, fädelte sie sich doch bei den super-pragmatischen Transatlantikern des Seeheimer Kreises ein. Dort war der verteidigungspolitische Nachwuchs nach fünf Unions-Ministern in Folge (Jung, zu Guttenberg, de Maiziére, von der Leyen, Kramp-Karrenbauer) derart ausgedünnt, dass Möller raketenschnell zur Expertin aufstieg.
    Eine glückliche Fügung kam hinzu: Bei den erfahrenen Sicherheitspolitikern der SPD – alles Männer, alles große Egos – begann 2020 überraschend ein Stühlerücken. Fritz Felgentreu, verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion, der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels sowie Johannes Kahrs, Fraktionssprecher im Haushaltsausschuss und einflussreicher Oberst der Reserve, warfen fast gleichzeitig die Brocken, weil sie nicht bekamen, was sie wollten. Das unterscheidet Siemtje Möller von ihren Kollegen. Sie bekommt, was sie will, weil sie erst mal das macht, was anliegt.
    Quelle: Wolfgang Michal in der Freitag
  6. Generation Corona
    Lockdowns und Kontaktbeschränkungen trafen die Jüngeren besonders hart. Über die Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche
    Am 18. Mai erscheint Christoph Butterwegges neues Buch »Die polarisierende Pandemie« im Beltz-Verlag. Wir dokumentieren daraus im folgenden mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag einen Auszug aus dem 4. Kapitel über die gesellschaftlichen Auswirkungen von Covid-19. (jW)
    Über zwei Jahre lang hat die Covid-19­Pandemie das Leben der Minderjährigen hierzulande mit wenigen Unterbrechungen beherrscht, und zwar von morgens bis abends ebenso wie nachts, weil viele Kinder und Jugendliche nicht (gut) ein- oder durchschlafen konnten. Zu den Existenzsorgen armutsgefährdeter Familien gesellte sich bei ihnen nun die für sensible Zeitgenoss(inn)en besonders unangenehme Infektionsangst. Außerdem beeinträchtigten Arbeitsplatzverluste, Phasen der Kurzarbeit sowie Quarantäne- und Isolationsmaßnahmen das Familienklima.
    Vornehmlich für kleine Kinder, die nichts über Virusinfektionen und Infektionskrankheiten wissen konnten, war das neuartige Coronavirus ein ebenso rätselhaftes wie unheimliches Phänomen, welches sie in Angst und Schrecken versetzte. Noch härter traf es Kinder mit Behinderungen, Einschränkungen und Assistenzbedarf, weil sie etwa in der Förderschule nun häufig ganz auf sich allein gestellt waren. Kinderpsychiatrien und Psychotherapeut(inn)en schlugen Alarm, weil die Verhaltensauffälligkeiten bei Minderjährigen signifikant zunahmen. Vermehrt beobachtet wurden Konzentrationsschwierigkeiten, extreme Stimmungsschwankungen, Angststörungen, depressive Verstimmungen, unkontrollierte Gefühlsausbrüche, Entwicklungsverzögerungen und Aggressionen verschiedener Art.
    Quelle: Christoph Butterwegge in junge Welt
  7. Psyche im Homeoffice: neue Expertise zu „Risiken und Nebenwirkungen“
    Arbeiten im Homeoffice hat sich mit der Corona-Pandemie weit verbreitet. Neben Chancen resultieren aus dieser Arbeitsform aber auch Risiken für unsere psychische Gesundheit. Eine neue Expertise der Universitäten Innsbruck und Graz liefert Informationen, Handlungsansätze sowie Checklisten und zeigt mögliche Gefahren auf. Viel zu wenig bekannt ist jedoch: Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, wirksame Maßnahmen zum Schutz vor psychischen Gefahren zu setzen – das gilt auch im Homeoffice.
    Mit der Corona-Pandemie hat das Arbeitsmodell Homeoffice großflächig in den Wohn- und Lebensbereich der Arbeitnehmer:innen Einzug gehalten. Gefühlt von einem Tag auf den anderen wurde der Küchentisch zum Schreibtisch, der Laptop zum virtuellen Meetingraum und das Handy zum unverzichtbar heißen Draht zu Kolleg:innen und Vorgesetzten. Mittlerweile ist für viele Beschäftigte Homeoffice zu einem Teil der Arbeitsroutine geworden – offensichtlich ist Homeoffice gekommen, um zu bleiben.
    Und ja: Homeoffice hat zweifellos Vorteile. Fahrtzeiten fallen zum Teil weg, woraus sich ein Plus an Freizeit ergibt. Manche Arbeitnehmer:innen schätzen zudem die größere Selbstbestimmung über den eigenen Arbeitstag – verbunden mit mehr Autonomie und Handlungsspielraum. Je nach individuellen Lebens- und Wohnverhältnissen kann Homeoffice auch die Vereinbarkeit zwischen Berufs- und Privatleben erleichtern oder zu einem konzentrierteren, störungsfreieren Arbeiten verhelfen.
    Quelle: A&W blog
  8. Solidarität statt Grundeinkommen
    Die Pandemie hat gezeigt, dass unser Sozialstaat im Krisenfall nicht allen hilft, die Hilfe benötigen. Er muss also umgebaut werden. Das bedingungslose Grundeinkommen allerdings ist kein geeignetes Mittel, mehr Gerechtigkeit zu schaffen, meint unser Autor. […]
    Ersetzen soll das Grundeinkommen die Sozialhilfe, das Arbeitslosengeld II, das Sozialgeld, die Grundsicherung im Alter, den Kinderzuschlag und das Wohngeld. Zu befürchten steht, dass über kurz oder lang alle genannten und zahlreiche weitere Transferleistungen abgeschafft würden, denn die Kosten des Grundeinkommens wären enorm. Meist werden die mit dem bedingungslosen Grundeinkommen verbundenen Kosten – zwischen mehreren hundert Milliarden und weit über einer Billion Euro jährlich – unterschätzt oder gar nicht erst thematisiert. Und wenn man es an Bedingungen wie einen hohen Bedarf knüpft, was die Kosten drastisch verringern würde, wäre es kein bedingungsloses Grundeinkommen mehr.
    Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würde Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip gemacht, statt ihre begrenzten Ressourcen im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit auf jene Personen zu konzentrieren, die sie wirklich brauchen. So dürften selbst in einer Pandemie nicht alle Künstler:innen und Kulturschaffenden unterstützt werden müssen. Dieter Bohlen, Helene Fischer und Roland Kaiser brauchten während der Pandemie ebenso wenig Staatshilfe wie Gerhard Richter, weil sie allesamt Multimillionäre sind. Hingegen könnten die scheinselbstständige Maskenbildnerin, der freiberuflich tätige Messebauer, die Honorarkraft in der Erwachsenenbildung und die prekär beschäftigte Grafikdesignerin vom Grundeinkommen vielleicht noch nicht einmal ihre Miete zahlen, wenn sie in einer begehrten Großstadtlage wohnen.
    Quelle: Christoph Butterwegge auf Kontext: Wochenzeitung
  9. Mehr Großpleiten erwartet: “Wenn es kracht, dann richtig”
    Staatliche Hilfen während der Corona-Pandemie haben die Firmenpleiten in Deutschland auf einem künstlich niedrigen Niveau gehalten. Doch für die kommenden Jahre rechnen Ökonomen wieder mit mehr großen Insolvenzen.
    Dank finanzieller Hilfen und Sonderregeln bei der Insolvenzantragspflicht haben deutsche Unternehmen die Coronakrise bislang weitgehend glimpflich überstanden. Doch das dürfte sich nun ändern: Laut einer Studie des Kreditversicherers Allianz Trade muss in den kommenden Jahren mit wieder anziehenden Pleitenzahlen gerechnet werden. Vor allem die Zahl der Großpleiten dürfte deutlich steigen.
    Quelle: tagesschau
  10. Energiecharta-Vertrag: Drei Wirtschaftsanwälte bestimmen globale Klimapolitik
    Steigt Deutschland endlich aus dem Energiecharta-Vertrag aus? Der schützt Konzerne vor demokratischer Klimapolitik. Im Juni wird entschieden
    Kaum war das vom slowenischen Parlament beschlossene Fracking-Verbot Anfang Mai in Kraft getreten, traf der Brief einer Londoner Anwaltskanzlei bei der Regierung in Ljubljana ein. Darin stand: Sollte das Verbot beibehalten werden, müsse sich das Land bald vor einem internationalen Schiedsgericht erklären und mit hohen Entschädigungszahlungen rechnen. Versandt wurde das Schreiben im Namen der britischen Öl- und Gasfirma Ascent Resources, die in Slowenien Konzessionen für ein Gasfeld besitzt. Tatsächlich stehen die Chancen von Ascent nicht schlecht, das Verfahren zu gewinnen. Denn es findet nicht vor einem ordentlichen Gericht statt, sondern vor einem geheimen Schiedsgericht.
    Dort können ausländische Investoren (und nur diese) hohe Entschädigungszahlungen fordern, wenn sie glauben, ein Staat habe sie ungerecht behandelt. Die Zahlungen sind nicht gedeckelt und schließen oft hypothetische zukünftige Gewinne ein. Berufungsmöglichkeiten gibt es kaum und die Urteile sind weltweit durchsetzbar. Geführt und entschieden werden die Verfahren von drei dafür berufenen Personen, oftmals private Wirtschaftsanwälte.
    Quelle: der Freitag
  11. Einflusssphären – der andere Maßstab im Hinterhof
    Jeder Staat kann sich frei für Bündnisse entscheiden. Theoretisch. Aber ist das praktisch sinnvoll, fragt sich unser Kolumnist. Eine Geschichte aus der Südsee. […]
    Die Salomonen sind ein völkerrechtlich selbstständiger Pazifik-Archipel. Das Land ist bettelarm. Seine Regierung wurde soeben durch das 5300 Kilometer entfernte China mit Kleingeld von einem „Sicherheitsabkommen“ überzeugt. Nachdem das kommende Imperium halb Afrika gekauft hat, jagt es in Ozeanien nach Schnäppchen. Vermutet wird, dass Peking die Inseln künftig auch als Marinebasis nutzen darf.
    Wo soll da jetzt die Spannung herkommen? Schließlich lernt doch derzeit jedes Kind, dass ein souveräner Staat über seine Bündnisse frei entscheiden können muss. Für die demokratische Wertegemeinschaft ist das selbstverständlich. Zuwiderhandlungen sind, so erklärte Angela Merkel einmal in anderem Zusammenhang, „altes Denken in Einflusssphären“ beziehungsweise, mit den Worten von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im selben anderen Zusammenhang: „Wir wollen nicht zu einer Welt zurückkehren, in der die Staaten durch die Einflusssphären der Großmächte begrenzt sind.“
    Jetzt wendet sich die Handlung im Kokospalmenmilieu. Es wird aufregend, auch in Australien. Das liegt satte 1500 Kilometer südlich, doch der dortige Regierungschef sieht mit besagtem Pakt eine „rote Linie“ überschritten. Seine Innenministerin sekundiert, die Salomonen seien „unser Hinterhof“. Aus nur 5000 Kilometern Distanz meldet das Weiße Haus „bedeutende Bedenken“ an. Die USA würden „entsprechend reagieren“. Der Salomonen-Premier fürchtet eine Invasion.
    Quelle: Berliner Zeitung
  12. CIA-Veteran kritisiert US-Kurs gegenüber Russland: Wird nicht siegreich enden
    „Die Vereinigten Staaten erklären praktisch einen neuen Kalten Krieg mit Russland“, schreibt Paul Pillar.
    CIA-Veteran Paul Pillar hat in einem Beitrag für die US-amerikanische Fachzeitschrift The National Interest den Kurs seiner Regierung gegenüber Russland kritisiert und vor einem neuen Kalten Krieg gewarnt. Dieser werde nicht „mit einem unipolaren Moment“ siegreich enden.
    Erklärtes Ziel der USA sei es, Russland zu „schwächen“. Daraus resultierten jedoch zwei Probleme: Zum einen profitiere Putins Propaganda von der Tatsache, dass es sich nicht bloß um eine Reaktion auf den Krieg in der Ukraine, sondern auch um eine Bedrohung Russlands handele. Zum anderen verringere dieses Ziel das Vertrauen Russlands in den Westen zusätzlich. Eine Einigung im Russland-Ukraine-Krieg gestalte sich so schwieriger.
    „Die Vereinigten Staaten erklären praktisch einen neuen Kalten Krieg mit Russland“, schreibt Pillar. Es handele sich dabei nicht um eine Schuldzuweisung zwischen Ost und West, aber man müsse sich fragen, wie viel in offiziellen Kreisen darüber nachgedacht wurde, wohin ein neuer Kalter Krieg führen und wie er enden würde.
    Quelle: Berliner Zeitung
  13. Der Mann, der die Welt vor einem Atomkrieg rettete
    Vor genau fünf Jahren starb der russische Oberstleutnant Stanislaw Petrow unbemerkt von der Öffentlichkeit in einem Plattenbau.
    Im Herbst 1983 stand die Welt infolge eines Raketenalarms im sowjetischen Raketenabwehrzentrum unmittelbar vor einem Atomkrieg. Der diensthabende Offizier Stanislaw Petrow behielt die Nerven. Am 19.05.2017 starb er einsam in seiner Plattenbauwohnung bei Moskau.
    Nach jener dramatischen Nacht dauerte es fast zehn Jahre, bis die Nachricht von seiner Millionen Menschenleben rettenden Nicht-Tat allmählich in die Welt sickerte. Und dann dauerte es nochmals Jahre, bis er langsam wenigstens einen Bruchteil der Anerkennung erhielt, die er verdient: Der ehemalige Oberstleutnant der Sowjetarmee Stanislaw Petrow hatte im Herbst 1983 durch eine einsame mutige Entscheidung sehr wahrscheinlich einen Dritten Weltkrieg verhindert und damit das Leben von Millionen, gar Milliarden Menschen gerettet.
    Quelle: Infosperber
  14. Assange-Auslieferung: Däubler-Gmelin appelliert an Regierung
    Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) kritisiert die Bundesregierung für ihre Zurückhaltung im Fall des Wikileaks-Gründers Julian Assange. Ein Gericht in London hatte im April formell seine Auslieferung an die USA genehmigt.
    Die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) kämpft seit Jahren für die Freilassung von WikiLeaks-Gründer Julian Assange. Im Interview mit der radioWelt auf Bayern 2 bemängelte sie, dass sich Außenministerin Annalena Baerbock früher auch für Assange eingesetzt habe. Nun jedoch schweige Baerbock darüber.
    Ein Gericht in London hatte im April formell die Auslieferung an die USA genehmigt. Die endgültige Entscheidung darüber liegt allerdings nach wie vor bei der britischen Innenministerin Priti Patel. Assanges Anwälte hatten nun vier Wochen Zeit, Einwände bei der Regierung vorzulegen.
    Däubler-Gmelin appellierte deshalb im Interview an die Bundesregierung: “Man kann nicht nur einseitig, wenn es ins politische Konzept passt, Kriegsverbrechen aufdecken und kritisieren, sondern das muss man dann auch tun, wenn’s schmerzt.”
    Auf die Frage, warum sich ihre Partei, die SPD, weder in der Großen Koalition noch in der derzeitigen Ampel-Koalition für ein Asyl von Julian Assange eingesetzt hat, sagte Däubler-Gmelin, sie schließe sich dieser Rüge vollständig an. Sie wisse nicht, warum die SPD nichts unternehme. Sie fordere ihre Partei zum Handeln auf, sei aber “sehr skeptisch”, dass das etwas nütze.
    Quelle: BR24


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