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Titel: Hinweise der Woche

Datum: 19. Juni 2022 um 9:00 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Am Wochenende präsentieren wir Ihnen einen Überblick über die lesenswertesten Beiträge, die wir im Laufe der vergangenen Woche in unseren Hinweisen des Tages für Sie gesammelt haben. Nehmen Sie sich ruhig auch die Zeit, unsere werktägliche Auswahl der Hinweise des Tages anzuschauen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (AT)

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Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Kommt jetzt die Sommerwelle?
  2. Fiasko mit Ansage: Krisensitzung der EZB
  3. Der soziale und ökologische Umbau braucht eine neue Wirtschaftspolitik und eine umfassende Reform der EU
  4. Mega-Deals: Indien kauft russisches Öl und verkauft es teuer nach Europa
  5. “Whataboutismus” und das Recht auf selektive Wahrnehmung
  6. Philosoph Sloterdijk vermisst Gegenstimmen in Ukraine-Debatte
  7. Bereit zur Abwehr
  8. Geht aus der Covid-19-Pandemie eine „Generation Corona“ hervor?
  9. Frankreich: Linksallianz Nupes bietet Macrons Ensemble erfolgreich Paroli
  10. Harald Schmidt: Wenn ich in Berlin zu tun habe, übernachte ich in Hannover

Vorbemerkung: Ursprünglich hatten wir geplant, in unserer Wochenübersicht auch auf die lohnenswertesten redaktionellen Beiträge der NachDenkSeiten zu verweisen. Wir haben jedoch schnell festgestellt, dass eine dafür nötige Vorauswahl immer damit verbunden ist, Ihnen wichtige Beiträge vorzuenthalten. Daher möchten wir Ihnen raten, am Wochenende doch einfach die Zeit zu nutzen, um sich unsere Beiträge der letzten Wochen (noch einmal) anzuschauen. Vielleicht finden Sie dabei ja noch den einen oder anderen Artikel, den es sich zu lesen lohnt. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Kommt jetzt die Sommerwelle?
    ZEIT: Sie beschäftigen sich auch mit den Nebenfolgen der Maßnahmen.
    Stöhr: Genau, mit den wirtschaftlichen Folgen zum Beispiel. Die gehören zum Gesamtbild. Auch die Frage: Wie sehr belasten die Maßnahmen unsere freiheitlich-demokratische Ordnung, das Leben in der Gesellschaft? Ohne diese Kenntnisse kann man keinen guten Kompromiss finden.
    ZEIT: Was ist dafür noch notwendig?
    Stöhr: Es fehlt an einem strategischen Ziel in der Pandemiepolitik. Wenn das Ziel ist, sämtliche Infektionen zu verhindern, egal, was es kostet und wie groß die sozialen Spannungen sind, wird man etwas anderes machen, als wenn man sagt, ich möchte die gesundheitlichen Auswirkungen minimieren zu einem wirtschaftlich und gesellschaftlich vertretbaren Preis.
    ZEIT: Gerade fürchten viele eine Sommerwelle. Wie blicken Sie auf die zweite Jahreshälfte?
    Stöhr: Positiv. Selbst dieses Frühjahr, bei sehr hohen Infektionszahlen, ist das Gesundheitswesen nie an die Belastungsgrenze gekommen. Seitdem ist die Zahl der natürlich Immunisierten und Geimpften gestiegen. Ich gehe fest davon aus, dass es auch im Herbst und Winter zu keiner flächendeckenden Überlastung im Gesundheitswesen kommen wird.
    ZEIT: Wie lange schützt die Impfung noch?
    Stöhr: Die Impfung bleibt zentral: Der jetzige Impfstoff schützt weiterhin ausgezeichnet gegen schwere Verläufe. Ein Booster für die Vulnerablen vor dem Winter ist sicherlich angezeigt. Aber: Der Immunschutz bleibt unvollständig ohne die natürliche Immunität durch Infektion.
    Quelle: Zeit Online

    dazu: Stöhr: Masken nehmen Möglichkeit, sich “langfristig mit Corona zu arrangieren”
    Den derzeitigen Anstieg der Corona-Fallzahlen in Deutschland sieht der Experte Klaus Stöhr gelassen. Im ZDF-“Morgenmagazin” sprach er am Donnerstag von “irrelevanten Meldeinzidenzen”. Man müsse auf die Entwicklung in den Krankenhäusern achten. “Und da sehen wir eigentlich gar keine Zunahme. Ganz im Gegenteil. Die Situation ist so entspannt, wie man es nur hoffen konnte für den Sommer. Und daran wird sich auch nichts dramatisch ändern”, sagte Stöhr, der Mitglied im Sachverständigenausschuss zur wissenschaftlichen Beurteilung der staatlichen Corona-Beschränkungen ist.
    Quelle: web.de

    und: Specht zu Corona-“Sommerwelle”: “Sehe überhaupt keinen Anlass für Panik”
    Nach einem zeitweisen Rückgang im Mai gehen die Corona-Infektionszahlen in Deutschland wieder massiv nach oben. Gesundheitsminister Lauterbach sagt: “Die angekündigte Sommerwelle ist leider Realität geworden”. Was das bedeutet, erläutert Arzt und ntv-Gesundheitsexperte Dr. Christoph Specht.
    Quelle: n-tv

  2. Fiasko mit Ansage: Krisensitzung der EZB
    Wer grundsätzliche Fehler macht, muss sich nicht wundern, dass er grundsätzliche Irritationen auslöst. Gerade hat die EZB entschieden, dass sie, um die »Inflation« zu bekämpfen, die Käufe von Staatsanleihen einstellen und die Zinsen erhöhen will, schon wird sie von der Wirklichkeit überholt. Am Mittwoch wurde der Rat der EZB zu einer Krisensitzung einberufen, um die Lage an den Märkten für Staatsanleihen zu diskutieren, weil dort die »Spreads«, das sind die Abstände zwischen den deutschen Anleihen und denen anderer Länder, deutlich zunehmen.
    Klar, wenn die Zinsen in der Euro-Zone steigen, wo die Konjunktur in Richtung Rezession am Kippen ist, fragt sich mancher Marktteilnehmer, was das wohl für den italienischen oder spanischen Staat und seine Staatsfinanzen bedeutet. Länder, die anders als Deutschland und die Niederlande, keine außenwirtschaftlichen Überschüsse aufweisen, müssen nämlich per Staat die Wirtschaft anregen, weil diese Aufgabe die privaten Unternehmen schon lange trotz Nullzinsen nirgendwo mehr übernehmen.
    Geht die Konjunktur in die Knie, werden die Zinsen angehoben und drohen die Finanzminister der Überschussländer – allen voran Christian Lindner – noch damit, dass zusätzliches Schuldenmachen für Staaten in den nächsten Jahren streng verboten ist, dann kann man sich vorstellen, in welche Bredouille die Defizitländer geraten können. Dass man in dieser Lage nicht auf steigende Kurse der Staatsanleihen der betroffenen Länder setzt, kann man niemandem verübeln.
    Quelle: Heiner Flassbeck in junge Welt

    dazu: Die Küchenpsychologie der Ökonomen
    Wieso Ökonomen an das Märchen der Inflationserwartungen glauben und höhere Zinsen abfeiern.
    So. Jetzt haben wir den Salat. Ab Juli steigt der Leitzins. Das hat die Europäische Zentralbank (EZB) vorgestern verkündet. Erst nur um 0,25 Prozentpunkte, bis zum Jahresende aber noch weiter. Ein Fehler! Und zwar einer, der auf falsche Theorie zurückgeht. Na ja, vielleicht ist “Theorie” sogar schon zu viel gesagt. Küchenpsychologie trifft es besser. Warum die Zinserhöhung aber gar nicht hilft, habe ich hier schon mal erklärt. Warum die EZB es trotzdem macht, klären wir in diesem Newsletter. […]
    Tatsächlich ist auch der Begriff Inflation schon völlig falsch. Damit ist nämlich eigentlich die sich selbst verstärkende Dynamik der Lohn-Preis-Spirale gemeint. Sprich: Gewerkschaften boxen Lohnzuwächse durch, das treibt die Kosten der Firmen, die wiederum mit Preisanstiegen reagieren und ihr Stück vom Kuchen so wieder zurückholen – und dann geht es wieder von vorn’ los. Diese Spirale gibt es aber gerade nicht. Wir haben einen externen und einmaligen Preisschock. Die Lohnentwicklung hingegen ist mickrig. Wenn die Gewerkschaften jetzt nicht große Lohnsteigerungen verhandelt bekommen, wovon wahrlich nicht auszugehen ist, dann ist die Inflationsrate nächstes Jahr automatisch wieder geringer. Zumindest wenn Öl und Gas nicht noch teurer werden. Das wäre dann aber wieder ein neuer, einmaliger Schock, keine sich selbst verstärkende Spirale – ein wichtiger Unterschied.
    Die Debatte um die Inflation leidet an falschen Definitionen und falscher Theorie.
    Quelle: Maurice Höfgen

  3. Der soziale und ökologische Umbau braucht eine neue Wirtschaftspolitik und eine umfassende Reform der EU
    Der Ukraine-Krieg wirkt wie ein Brandbeschleuniger für die soziale und ökologische Krise. Es wird immer klarer: Für die gigantischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, braucht es eine handlungsfähige öffentliche Hand. Aufgrund des grenzüberschreitenden Charakters der Probleme gilt das gerade für die EU. Die Debatte um ihre Zukunft gilt es zu nutzen: Nur mit einer eingreifenden und demokratischen Wirtschaftspolitik und -verfassung der Union gelingt der notwendige sozial-ökologische Umbau.
    Der Angriffskrieg Russlands hat den Anstieg der Energiepreise und damit die Teuerung verschärft. Die öffentliche Hand hat es bisher verabsäumt, den Sozialstaat armutsfest zu machen. Die Übergewinne der Energiekonzerne werden in vielen Ländern nicht abgeschöpft und gerade nicht an jene verteilt, die sich Strom- und Gasrechnungen nicht mehr leisten können. Daher spitzt sich die soziale Frage in ganz Europa zu.
    Quelle: A&W blog
  4. Mega-Deals: Indien kauft russisches Öl und verkauft es teuer nach Europa
    Ein weiterer Gewinner des Ölembargos heißt nun: Indien. Denn wegen eines Überflusses auf dem heimischen Markt wird russisches Rohöl international gerade doch etwas billiger gehandelt als das Rohöl aus anderen Ländern. Schon Ende Mai wurde bekannt, dass Indien (wie die Türkei) seine Ölkäufe aus Russland deutlich erhöht hat.
    So hat Indien seit dem Kriegsausbruch allein bis Anfang Juni nach Reuters-Angaben rund 62,5 Millionen Barrel russisches Öl – dreimal so viel wie im gleichen Zeitraum im Jahre 2021. Der russische Anteil an indischen Ölimporten konnte dadurch auf fast 25 Prozent gesteigert werden, zeigt eine Analyse der Marktforschungsfirma Kpler.
    Mehr noch: Private indische Ölraffinerien, die gerade große Abnehmer von billigem Öl aus Russland sind, beliefern einer weiteren Recherche von The Wall Street Journal den Weltmarkt mit Benzin und Diesel, die teilweise russisches Rohöl, ohne dabei die Herkunft des Rohöls preiszugeben.
    Insgesamt sind die indischen Kraftstofflieferungen in die Welt in den vergangenen fünf Monaten wohl um 15 Prozent gestiegen. Die täglichen Lieferungen in die EU sollen sich im Quartalsvergleich um ein Drittel erhöht haben – und jene in die USA um 43 Prozent. Doch diese Lieferungen sind keineswegs günstig. […]
    Auch die spanische Zeitung El Mundo berichtete zuletzt über die „Instrumentalisierung“ der Russland-Sanktionen durch Indien: Die EU habe zwar die meisten russischen Ölimporte als Strafe für Putins Invasion in der Ukraine verboten, aber – und das ist die Überraschung – Indien kaufe den Quellen zufolge russisches Öl mit hohen Rabatten und verkaufe es dann als raffiniertes Produkt teurer nach Europa.
    Indien entwickele sich de facto zum Raffineriezentrum für Europa, zitiert die Zeitung aus einem Bericht von Analysten der Investmentbank RBC Capital Markets. Und Europa heize damit die Inflation für die eigenen Bürger an, weil Importe mit Schiffen viel teurer seien als jene per Pipeline.
    Quelle: Berliner Zeitung

    Anmerkung JK: Es ist einfach unglaublich gerade mitzuerleben, wie sich die EU gerade ökonomisch selbst ruiniert. Einer der Haupttreiber, die dümmste Regierung der Welt, die Bundesregierung.

    dazu auch: Soll Maduro die deutsche Wirtschaft retten? – Bundesregierung will plötzlich Öl aus Venezuela
    Nachdem die verheerenden Auswirkungen der antirussischen Sanktion die deutsche Wirtschaft immer stärker treffen, ist die Bundesregierung eilig auf der Suche nach einer Lösung aus dem selbstverschuldeten Dilemma – nun soll die Energie-Rettung ausgerechnet aus Venezuela kommen. […]
    Jetzt plant auch die Bundesregierung die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt mit Öl aus dem bis vor kurzem noch als Paria-Staat behandelten Venezuela zu versorgen.
    Quelle: RT DE

  5. “Whataboutismus” und das Recht auf selektive Wahrnehmung
    Dass Einzelpersonen ihr Mitgefühl nicht gerecht auf alle Kriegs- und Krisengebiete der Welt verteilen können, ist menschlich. Anders sieht es aus, wenn zweierlei Maß aggressiv von oben propagiert wird (…)
    Seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine ist es in wesentlichen Teilen der politischen Klasse und der Talkshow-Armada in Deutschland als “Whataboutismus” verpönt, Kriegsverbrechen und völkerrechtswidrige Handlungen von Nato-Armeen und deren Hilfstruppen überhaupt zu erwähnen. Direkt oder indirekt wird dann unterstellt, das geschehe nur, um Putins Angriffskrieg zu rechtfertigen oder zu relativieren. (…)
    Einzelpersonen können ihr Mitgefühl unmöglich gerecht verteilen, wenn es mehr als ein Lippenbekenntnis sein soll. Dazu gibt es einfach zu viel Elend auf der Welt.
    Wenn aber zweierlei Maß aggressiv von oben propagiert wird, indem Politiker und meinungsstarke Journalisten es moralisch ächten wollen, angesichts eines russischen Angriffskrieges überhaupt noch von Angriffskriegen der Nato zu reden, ist dies eiskalte Geopolitik. Ein Recht auf selektive Wahrnehmung kann es für Privatpersonen geben, aber nicht für das Auswärtige Amt.
    Quelle: Telepolis

    dazu auch: Kriegsberichterstattung: „Der Diskurs ist derzeit total verengt“
    Medien Medienpädagogin Sabine Fischer ist erschüttert, wenn sich Journalistenverbände mit gelb-blauen Fahnen zeigen
    Bei den verbreiteten Narrativen über die Kämpfe in der Ukraine kollidieren in Russland wie im Westen Parteilichkeit und Objektivität. Selten zuvor haben sich Medien derart instrumentalisieren lassen, dass differenzierte und verifizierte Informationen die absolute Ausnahme sind. (…)
    Trotzdem hat Russland einen Angriffskrieg begonnen. Ist eine Relativierung in dem Fall nicht eine Verharmlosung?
    Thomas Fischer, Ex-Präsident des Bundesgerichtshofs, spricht ja in einer Spiegel-Kolumne von der Relativierung als Gedankenverbrechen. Ich muss nach dem ersten Schreck sagen, da bringt er es auf den Punkt: Es geht doch ums Einordnen, nicht um das Relativieren. Relativierung ist ein Kampfbegriff.
    Was heißt für sie „einordnen“?
    In meinem Artikel Blaupausen für die Ukraine auf Telepolis schreibe ich, dass Russlands „Friedensmission“ das westliche Copyright auf Angriffskriege verletzt hat. Ich fühle mich unwillkürlich an den Kosovo- und Irak-Krieg erinnert. Die Nato-Doktrin von 1999 hat drei Begründungen für Kriegseinsätze festgelegt, die bis dato noch keinen Krieg rechtfertigten. Die humanitäre Intervention, wie sie Putin jetzt vorgibt, die Ressourcensicherung und starke Migrationsbewegungen, Frontex ist ein Beispiel dafür. Trotzdem beginnt mein Artikel mit einer klaren Verurteilung des Völkerrechtsbruchs durch Russland. Der Maßstab bleibt das Recht, da gibt es nichts zu diskutieren, Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen. Und dass die Ukraine das Opfer ist, ist vollkommen klar. Deswegen kann ich aber nicht aufhören, Fragen zu stellen. Die wichtigste ist: Warum jetzt? Putin und Lawrow sind in all den Jahren verhältnismäßig souverän mit der angespannten Lage umgegangen, warum haben sie sich jetzt für die Eskalation entschieden?
    Putin gibt ja vor, die Ukraine „entnazifizieren“ zu wollen. Ziemlich plumpe Kriegspropaganda?
    Absolut. Im Krieg muss man das so machen, damit Menschen bereit sind, andere Menschen zu töten. Die russische Bevölkerung dürfte für einen Angriff auf ihr sogenanntes Brudervolk schwer zu motivieren gewesen sein. Also packt man Nazi-Vergleiche aus. Das ist plumpe Propaganda – auch wenn es Nazi-Bataillone in der Ukraine gibt.
    Quelle: der Freitag

  6. Philosoph Sloterdijk vermisst Gegenstimmen in Ukraine-Debatte
    Laut dem ukrainischen Botschafter Melnyk fühlten sich viele Ukrainer in Deutschland nicht willkommen. Dem widerspricht Peter Sloterdijk. „Sehr unwohl“ fühlt sich der Philosoph zudem bei der deutschen Berichterstattung über den Ukraine-Krieg.
    Der Philosoph Peter Sloterdijk hat dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk widersprochen, demzufolge sich viele Ukrainer in Deutschland nicht willkommen fühlen. „Das ist, glaube ich, ganz unrichtig“, sagte Sloterdijk der Deutschen Presse-Agentur. „Wir selber haben auch mehrfach Flüchtlinge aufgenommen, und wir kennen Leute, die es ebenfalls getan haben. Wir wissen aus erster Hand, dass Gefühle des Nichtwillkommenseins eher die Ausnahme als die Regel sind. Im Gegenteil, es existiert nach wie vor eine ganz große Welle der Freundlichkeit und der Hilfsbereitschaft.“
    Melnyk hatte bei „Bild“-TV gesagt, die meisten Ukrainer würden längst aus Deutschland zurückkehren. Es seien mehr Menschen, die abreisten als dazukämen. „Und ich glaube, dass Sie sich auch Gedanken machen sollten über die Gründe“, sagte er. „Ich glaube, das ist auch klar für viele Ukrainer, wieso sie keine Lust haben, hierzubleiben.“ Auf die Frage „Sie fühlen sich nicht willkommen?“ antwortete er: „Nein.“
    Quelle: Welt Online
  7. Bereit zur Abwehr
    Drohungen der Türkei: Damaskus und Moskau verstärken Militärpräsenz in Nordsyrien. SDK wollen im Verteidigungsfall Kooperation
    Um einen möglichen Angriff der türkischen Armee auf den Norden Syriens abzuwehren, haben syrische und russische Streitkräfte ihre Stützpunkte entlang der syrisch-türkischen Grenze verstärkt. Präsident Baschar Al-Assad erklärte am Donnerstag in einem Interview mit dem Sender RT, sein Land werde sich einem erneuten Angriff Ankaras entgegenstellen.
    Der russische Außenminister Sergej Lawrow, der am Mittwoch mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Ankara zusammengetroffen war, warnte die Türkei vor einem Einmarsch, der die Situation in Syrien weiter verschlechtern würde. Moskau habe gleichwohl Verständnis für die türkischen Sicherheitsinteressen, man suche nach einer Lösung. Gleichzeitig wurden die Patrouillen der russischen Militärpolizei entlang der Grenze verstärkt. Am Flughafen von Kamischli wurden Flugabwehrgeschütze installiert, berichtete die Agentur TASS.
    Die mehrheitlich kurdisch-arabischen Syrischen Demokratischen Kräfte (SDK) zeigten sich bereit, die Verteidigung im Falle einer Aggression der Türkei mit syrischen und russischen Einheiten zu koordinieren. In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters vom vergangenen Sonntag erklärte SDK-Kommandeur Mazlum Abdi, weitere Truppenverbände in den Norden des Landes zu schicken, sei nicht nötig. Zur Abwehr der Türkei würde es reichen, wenn die syrische Armee Flugabwehrgeschütze einsetze. (…)
    Fraglich ist, ob es Ankara mit einer fünften Invasion gelingen würde, seinen Einflussbereich weiter nach Syrien hinein auszudehnen. Sowohl der Iran, ein wichtiger Handelspartner der Türkei, als auch die US-Regierung haben Erdogan vor einer Invasion gewarnt. US-Außenminister Antony Blinken hatte bereits am 1. Juni erklärt, Washington unterstütze »den Erhalt der aktuellen Waffenstillstandslinien«. 900 US-Soldaten halten im Nordosten Syriens die Ölfelder besetzt.
    Die russischen Streitkräfte verstärkten derweil demonstrativ gemeinsame Beobachtungsflüge mit der syrischen Luftwaffe sowohl in Nordsyrien als auch entlang der von Israel besetzten Golanhöhen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Israel eine türkische Invasion nutzen würde, um selbst seine Angriffe auf Damaskus zu verstärken. Erst am Montag waren fünf Personen bei einem Angriff auf den Flughafen der syrischen Hauptstadt getötet worden. Infolge einer weiteren israelischen Attacke in der Nacht zu Freitag musste der Flugverkehr vorübergehend eingestellt werden.
    Quelle: Karin Leukefeld in junge Welt
  8. Geht aus der Covid-19-Pandemie eine „Generation Corona“ hervor?
    Gut zwei Jahre lang hat die Covid-19-Pandemie das Leben der Minderjährigen mit wenigen Unterbrechungen beherrscht, und zwar selbst nachts, weil viele Kinder und Jugendliche nicht (gut) ein- oder durchschlafen konnten. Zu den Existenzsorgen armutsgefährdeter Familien gesellte sich häufig Infektionsangst. Arbeitsplatzverluste, Phasen der Kurzarbeit sowie Quarantäne- und Isolationsmaßnahmen belasteten das Familienklima. Für die meisten Minderjährigen bedeutete die Pandemie eine biografische Zäsur, die sich als kollektive Schlüsselerfahrung möglicherweise für Jahrzehnte ins Gedächtnis gebrannt hat. (…)
    Was in dieser Ausnahmesituation für Erwachsene vielleicht ein akuter Geld- und Zeitmangel war, erlebten Kinder in einer zu kleinen Wohnung hauptsächlich als Bewegungsmangel. Wenn die Familie auf engstem Raum zusammenlebte, stieg während des wiederholten Lockdowns oder einer Quarantäne- bzw. Isolationsmaßnahme das Risiko für Kinder und Jugendliche, Opfer gewaltsamer Übergriffe und sexuellen Missbrauchs durch ihre (Stief-)Väter zu werden. Die gereizte Stimmung mancher Familienmitglieder, die zu Hause „eingesperrt“ waren, entlud sich in Partnerschaftskonflikten und häuslicher Gewalt.
    Die betroffenen Kinder fühlten sich der Pandemie hilflos ausgeliefert, ohnmächtig und handlungsunfähig. Hatten sie schon vorher unter familiären Problemen gelitten, plagten sie nun vermehrt Zukunftssorgen. Psychosozial am meisten belastet waren Kinder und Jugendliche, die ohnehin unter großem Stress standen und Ess-, Schlaf- oder Zwangsstörungen hatten. Sie wurden teilweise noch ängstlicher, schweigsamer und lustloser. Viele gerieten völlig aus dem seelischen Gleichgewicht, was sich mit dem Ende der Pandemie nicht automatisch erledigt haben dürfte. Selbst wenn die Pandemie für immer überwunden sein sollte, hat sie zu einer Krise der Kindheit geführt und Kinder der Krise hinterlassen. Kinderrechte und Kinderschutz wurden in der Pandemie entweder vernachlässigt oder sogar ausgehebelt.
    Ob die für alle Gesellschaftsmitglieder schwierige „Coronazeit“ darüber hinaus ins kollektive Gedächtnis auch der übrigen Alterskohorten und damit der Bevölkerung insgesamt eingeht, dürfte im Wesentlichen davon abhängen, ob die Pandemie im historischen Rückblick als nicht bloß einschneidendes, sondern Wirtschaft, Staat und Gesellschaft auch tiefgreifend veränderndes Ereignis wahrgenommen wird.
    Quelle: Christoph Butterwegge in A&W blog
  9. Frankreich: Linksallianz Nupes bietet Macrons Ensemble erfolgreich Paroli
    Die Linksallianz Nupes geht aus der ersten Runde der Parlamentswahl als stärkster Gegner des Präsidenten hervor. Ob der große Coup gelingt, ist nicht vollends ausgeschlossen, dennoch eher zweifelhaft
    Das ist schon eine beinahe tragikomische Situation, um nicht gleich das Reizwort „tragisch“ zu bemühen. Für Frankreich steht eine mehr als gravierende Weichenstellung an, aber gerade einmal die Hälfte der Gesellschaft will daran teilhaben. Bei knapp 48 Millionen Wahlberechtigten ist es nicht gelungen, gut 23 Millionen aus Politikverdrossenheit, Wahlabstinenz und -lethargie zu reißen.
    Auch der neuen Linksallianz Nupes blieb das bei ihrem respektablen Ergebnis in der ersten Runde der Parlamentswahl verwehrt. Immerhin gab es diesmal im Vergleich zum Votum von 2017 eine Beteiligung von 53 statt 48 Prozent. Leider ist das für den Macron-Herausforderer Jean-Luc Mélenchon von der Mobilisierung her nicht genug. Die erzielten gut 26 Prozent für die Linke sind zwar eine Kampfansage an den Macron-Zusammenschluss „Ensemble!“, der etwa gleichauf liegt, aber sie bescheren nicht jenen Durchbruch, auf den das Bündnis aus der Partei La France Insoumise, aus Sozialisten, Kommunisten und Grünen gehofft hat.
    Quelle: Lutz Herden in der Freitag
  10. Harald Schmidt: Wenn ich in Berlin zu tun habe, übernachte ich in Hannover
    Harald Schmidt schießt seine verbalen Pfeile jetzt in Interviews ab. Wir sprachen mit ihm über Berlin, Sahra Wagenknecht und das Robert-Habeck-Modul. […]
    Kommen Print-Journalisten auf Sie zu, weil Sie Orientierung brauchen in einer sich immer schneller verändernden Welt? Früher haben Sie die ja allabendlich gegeben.
    Ich würde nicht behaupten, dass ich jemand bin, der Orientierung gibt. Ich lerne sehr schnell aktuelle Sprachmodule und die geb ich dann zusammengefasst oder leicht geändert wieder. Aktuell ist es das Robert-Habeck-Modul, das heißt „Man weint, bevor man jemanden feuert“, und wird als neuer Politikstil gefeiert. Das kenne ich aber schon aus NRW: Wenn Industrie-Produktionen nach Rumänien verlagert wurden, kam am Nachmittag der aktuelle Ministerpräsident mit einem roten Schal und eine Stunde später gingen die Mitarbeiter mit einer Rose in der Hand vom Hof – statt Abfindung. […]
    Glauben Sie, es ist, wie Sahra Wagenknecht es in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ sagt, dass die Diskurse um Identitätspolitik, Intersektionalität und so weiter nur von einer kleinen Gruppe akademischer Linker geführt wird?
    Selbstverständlich. Ich würde sagen: Berlin-Mitte plus die davon abhängigen Online-Medien. Ich fahre viel durch Deutschland – Tankstellen, Supermärkte und so weiter. Die Leute wissen gar nicht, dass es diese Diskussionen überhaupt gibt. Beispiel Wahl in Nordrhein-Westfalen: Wir haben rund 60 Prozent für SPD und CDU. Jetzt haben die Grünen allerdings phänomenal zugelegt, also haben wir weiterhin eine konservative Politik mit dem neuen Wohlfühl-Konservatismus, den die Grünen verkörpern – ganz klar eine Besser- und Topverdiener-Partei. Das bedeutet: Wir fahren jetzt mit dem E-Bike zu Alnatura.
    Sind Sie Wagenknecht-Fan?
    Ich kenne niemanden, der begeisterter von Sahra Wagenknecht ist als deutsche Investment-Banker, die wissen: Es ist alles richtig, was sie sagt, zum Glück kann sie es nicht umsetzen. […]
    Das nicht, aber von Luisa Neubauer, die Olaf Scholz vorwirft, er habe Klima-Aktivisten mit Nazis verglichen. Der Shitstorm funktioniert aber nicht.
    Ein Shitstorm von Luisa Neubauer ist angesichts der momentanen Weltlage bedeutungslos. Das liegt auch daran, dass die Information darüber, wer die Nazis eigentlich waren, verblasst. Die Generation „Opa erzählt vom Krieg“ stirbt weg und jetzt hört man Sätze – ich glaube, es war von unserer Außenministerin – die besagen, man fürchte eine „Kriegsmüdigkeit“. Der Begriff fiel auf jeden Fall aus grünem Munde und hat mich sehr irritiert. Für mich als Zivildienstleistenden war das immer klar, dass man kriegsmüde ist. Da hat sich einiges getan und ich verfolge mit großem Interesse, wie das weitergeht.
    Quelle: Berliner Zeitung

    Anmerkung unseres Lesers C.K.: Es ist erfrischend wohltuend, einem der letzten Intellektuellen des öffentlichen Lebens zuzuhören und sich an seinem bissigen Humor zu erfreuen.

    Anmerkung JK: Harald Schmidt bringt es immer noch auf den Punkt.


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