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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 22. März 2011 um 7:29 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Wahlen in Sachsen-Anhalt; Das gar nicht rätselhafte Yen-Rätsel; Perverse Prioritäten der Industrienationen; Deutschland hat die meisten Langzeitarbeitslosen; An der Charité droht Pflegerstreik; Helios-Kliniken: Sparen an der Heilung; Kernkraft-Debatte; Telekom räumt auf; Deutsche Bahn sucht Käufer für 900 Bahnhöfe; Korruption in Österreich – Politisches Aus für Ernst Strasser; Lebensmittelskandale: Fleischkontrolleur verklagt Baden-Württemberg; Italien: Nichts zu feiern; Libyen – Diese Intervention ist durch nichts zu rechtfertigen; Saudi-Arabien: Taumelnde Petrokraten; Referendum in Ägypten: Wählen in Festtagskleidung; Afghanistan: US-Armee entschuldigt sich für Gräuelfotos; Erziehung zum Glotzen; Im Internet und als “taz”-Beilage: Neue Zeitung berichtet kritisch aus dem Musterländle (MB/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Wahlen in Sachsen-Anhalt
  2. Heiner Flassbeck: Das gar nicht rätselhafte Yen-Rätsel
  3. Perverse Prioritäten der Industrienationen
  4. Deutschland hat die meisten Langzeitarbeitslosen
  5. An der Charité droht Pflegerstreik
  6. Helios-Kliniken: Sparen an der Heilung
  7. Kernkraft-Debatte
  8. Telekom räumt auf
  9. Deutsche Bahn sucht Käufer für 900 Bahnhöfe
  10. Korruption in Österreich – Politisches Aus für Ernst Strasser
  11. Lebensmittelskandale: Fleischkontrolleur verklagt Baden-Württemberg
  12. Italien: Nichts zu feiern
  13. Libyen – Diese Intervention ist durch nichts zu rechtfertigen
  14. Saudi-Arabien: Taumelnde Petrokraten
  15. Referendum in Ägypten: Wählen in Festtagskleidung
  16. Afghanistan: US-Armee entschuldigt sich für Gräuelfotos
  17. Erziehung zum Glotzen
  18. Im Internet und als “taz”-Beilage: Neue Zeitung berichtet kritisch aus dem Musterländle

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Wahlen in Sachsen-Anhalt
    1. Bemerkenswertes Spiel
      Die SPD in Sachsen-Anhalt hat im Wahlkampf für ein neues Vergabegesetz, für faire Löhne, für längeres gemeinsames Lernen in der Schule gestritten. Die Linke in Sachsen-Anhalt hat im Wahlkampf für ein neues Vergabegesetz, für faire Löhne, für längeres gemeinsames Lernen gestritten. Die SPD in Sachsen-Anhalt ist so linken-nah, die Linke so SPD-nah, dass im Prinzip seit Jahren Verwechslungsgefahr besteht. Ihre Spitzenmänner Jens Bullerjahn und Wulf Gallert sind Freunde. Beide hätten keine Probleme damit, in Sachsen-Anhalt eine Koalition zu managen. Aber sie werden es nach Lage der Dinge nicht tun. Warum nicht? Weil Die Linke am Sonntag zwei Prozentpunkte mehr einheimste als die SPD. Wäre es umgekehrt, stünden die Zeichen längst auf Rot-Rot. Versteht das da draußen noch jemand?
      Es ist ein Eiertanz, den die SPD seit mindestens zwei Jahren auf offener Bühne aufführt. 2009 in Thüringen fing es an: Da signalisierten die Sozialdemokraten dem geneigten Wähler, wenn wir stärker werden als die, dann machen wir’s mit denen, wenn die stärker werden als wir, dann eben mit den anderen, also der CDU. So kam es dann auch. Inhalte? Egal. Dass die Schnittmengen zwischen Linken und SPD schon damals gewaltig waren, dass die Thüringer CDU nach dem Abgang des Extremsportlers Dieter Althaus im Grunde nur noch ein Club zum Machterhalt um jeden Preis war, dass Linken-Mann Bodo Ramelow zwischenzeitlich sogar mit einem Verzicht auf das Amt des Ministerpräsidenten liebäugelte – geschenkt. Mit denen nur, wenn wir stärker sind, so das Basta der SPD. Schlüssige Begründung? Wird wohl irgendwann nachgeliefert.
      Quelle: Frankfurter Rundschau
    2. Heribert Prantl: Depression im Herzen Deutschlands
      Diese Wahl war keine gute. Nur jeder Zweite ging hin, die Parteien erreichen immer weniger Menschen. Eine wichtige Lehre aus Sachsen-Anhalt ist: Für einen Wahlsieg in Deutschland reicht es, sehr wenige Stimmen aus der Gesamtbevölkerung zu bekommen. Wahlsieger in Deutschland siegen mit immer weniger Stimmen. Die Prozentergebnisse täuschen darüber hinweg, dass sie sich aus schmaler Basis errechnen. Diese Prozentzahlen, auf die am Wahlabend alle schauen, sind eine Potemkin’sche Fassade; dahinter schlummert die halbe Demokratie. Das muss ein Gemeinwesen mehr umtreiben als die Frage, ob der neue Ministerpräsident in Magdeburg Reiner Haseloff (CDU) oder Jens Bullerjahn (SPD) heißt. Eine Demokratie, in der nur zwei Drittel oder gar nur die Hälfte der Bürger wählen, ist eine defizitäre Demokratie. Mit einer halben Demokratie kann sich ein Demokrat nicht zufriedengeben, auch in Sachsen-Anhalt nicht.
      Quelle: Süddeutsche Zeitung
  2. Heiner Flassbeck: Das gar nicht rätselhafte Yen-Rätsel
    Wie wenig wir verstanden haben, dass eine von den Finanzmärkten durchdrungene Wirtschaft ganz anderen Regeln folgt als die Art von “Realwirtschaft”, mit der Ökonomen gedanklich groß geworden sind, kann man dieser Tage wieder beobachten. Dass nach der Mehrfachkatastrophe in Japan die Kurse an den japanischen Aktienmärkten fallen, verstehen sie noch, dass aber gleichzeitig der Kurs des japanischen Yen auf absolute Höchstmarken steigt, lässt sie in wirres Rätselraten verfallen. Die steile These, japanische Investoren horteten aus Solidarität mit ihrem Vaterland Gelder, um sie für den Wiederaufbau des Landes zu verwenden, gehört in diese Kategorie. Die Tatsache aber, dass kurz darauf die großen Industrieländer intervenieren, um eine weitere Aufwertung des Yen zu verhindern, müsste eigentlich jeden “Experten” in die Verzweiflung treiben. Dabei ist es ganz einfach, wenn man sich darüber im Klaren ist, dass über alle für die Wirtschaftspolitik relevanten Fristen weder Aktien- noch Währungskurse etwas mit den Fundamentaldaten von Volkswirtschaften zu tun haben, sondern ausschließlich mit den Dispositionen von Geldjongleuren, die man auch Spekulanten nennen darf.
    Wer im Lichte der Krisen der letzten Jahre und von Entwicklungen wie jetzt in Japan der Flexibilisierung der Wechselkurse das Wort redet, wie Jürgen Stark, Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, das kürzlich getan hat, statt den Versuch zum Aufbau eines neuen globalen Währungssystems zu unterstützen, hat weder feste noch flexible Wechselkurse verstanden. Umso mehr muss man diesmal die internationale Gemeinschaft loben: Angemessen und schnell reagierte sie mit abgestimmten Interventionen, um Japan gegenüber diesem Irrsinn zur Seite zu stehen. Auch zeigt sich, dass die von den G20 vor Kurzem begonnene Diskussion um ein neues internationales Währungssystem und um die Volatilität der Kapitalströme vollkommen zu Recht geführt wird.
    Quelle: FTD
  3. Perverse Prioritäten der Industrienationen
    Ob schärfere Regulierung der Banken oder der Atomwirtschaft, beide Branchen sträuben sich stets mit dem Verweis auf die Gefahr für das Wachstum dagegen. Dass dieses scheinbar der Systemsicherheit übergeordnet ist zeigt, wie blind der Fokus auf Wirtschaft macht.
    Hier gibt es doch kaum Erdbeben, Tsunamis schon gar nicht. Es handelte sich in Japan um eine Sondersituation, warum sollte man deswegen hier die AKW, deren Sicherheit geprüft und gewährleistet ist, abstellen?
    Das ist voreilig, kurzsichtig, verteuert die Strompreise und gefährdet das Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. So, kurz bevor der Brechreiz kommt, schnell noch überlegen, von wem man zuletzt Ähnliches hörte. Der Bankengilde im Nachklang der Krise, oder? Höheres Eigenkapital, höhere Besteuerung, Reglementierung der Boni und gewisser Derivate, Selbstbehalt bei Verbriefungen – all diese Forderungen wurden brüsk mit dem Hinweis auf die Gefahren zurückgewiesen, die dies für das Wirtschaftswachstum (dem armen Mittelständler drohten ja sonst Kreditengpässe) und den Standort haben könnte.
    Zusammengefasst warnen also Atom- und die Bankenlobby vor Schritten, die das systemische Risiko eindämmen sollen, da sie das Wachstum gefährden könnten. Zur Perversität dieser Prioritätensetzung später mehr. Erstaunlich ist zunächst, dass trotz bereits eingetretener Krisen es beide Branchen geschafft haben, dass die vollständigen Kosten ihres Tuns in der öffentlichen Debatte kaum je auftauchen. Vielleicht auch, weil sie geradezu abstrakt, unfassbar hoch sind.
    Quelle: FTD
  4. Deutschland hat die meisten Langzeitarbeitslosen
    Trotz des Aufschwungs: Noch immer sind in Deutschland laut einer Studie so viele Menschen langfristig arbeitslos wie in keinem anderen Industriestaat. Für ihre Krisenbewältigung bekommen die Deutschen dennoch viel Lob.
    Es ist der Schönheitsfehler in einer ansonsten positiven Bilanz: Deutschland hat immer noch die meisten Langzeitarbeitslosen aller Industriestaaten. Darauf verweist die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in einer am Montag veröffentlichten Studie. Nach wie vor suchten mehr als drei Millionen Menschen eine Arbeit. 1,4 Millionen von ihnen seien ein Jahr oder länger arbeitslos, gut 900.000 sogar mehr als zwei Jahre.
    Quelle: SPIEGEL Online

    Anmerkung Jens Berger: Inwiefern kann man anlässlich dieser desaströsen Zahlen überhaupt von einem „Aufschwung“ sprechen?

  5. An der Charité droht Pflegerstreik
    Die Tarifrunde für Europas größtes Universitätsklinikum ist gescheitert. Nach einem Warnstreik vor einer Woche könnte das Pflegepersonal der Charité im Mai die Arbeit länger niederlegen.
    Nach Informationen des Tagesspiegels wollen die zuständigen Verhandler der Gewerkschaft Verdi am Dienstag das vorläufige Ende der Tarifgespräche an der Charité erklären. Für Mai rechnen Arbeitnehmervertreter mit Streik. Verdi fordert für die fast 10.000 Pfleger, Schwestern, Reinigungskräfte und Techniker monatlich 300 Euro mehr pro Beschäftigtem, wie im Bundestarif vorgesehen. Das seit Jahren verschuldete landeseigene Krankenhaus ist vom Senat jedoch auf einen strikten Sparkurs verpflichtet worden.
    Quelle: Tagesspiegel
  6. Helios-Kliniken: Sparen an der Heilung
    Fast 700 Ärzte der Helios-Kliniken schlagen Alarm: Zugunsten der Konzernprofite würden die Bedürfnisse der Patienten hintangestellt.
    Quelle: Frankfurter Rundschau

    Anmerkung Jens Berger: Der Hilferuf der Ärzte ist bitter nötig. Der Pflegenotstand ist jedoch beileibe nicht nur bei den Helios-Kliniken traurige Realität, sondern betrifft nahezu alle privatisierten Krankenhäuser im Lande. Das ist der Politik sehr wohl bekannt. Es ist an der Zeit, die Öffentlichkeit für dieses Thema zu sensibilisieren, denn nur so wird die Politik endlich auf diese skandalösen Umstände reagieren.

  7. Kernkraft-Debatte
    1. Tepco pfuschte bei Kontrollen
      Die Betreiberfirma von Fukushima-1 soll wichtige Inspektionen an der Atomanlage unterlassen haben – dies steht in einem Schreiben auf der Homepage von Tepco. In den Reaktorblöcken 2 und 3 gibt es nach wie vor Probleme mit der Stromversorgung.
      Knapp zwei Wochen vor dem schweren Erdbeben hat der japanische Energieriese Tepco in einem Schreiben an die Aufsichtsbehörde eingeräumt, am später havarierten Atomkraftwerk Fukushima-1 regelmäßige Kontrollen unterlassen zu haben.
      Insgesamt 33 Teile der Anlage seien nicht untersucht worden, teilte Tokyo Electric Power Co am 28. Februar in einem Bericht an die Aufseher mit, der auf der Internetseite des Unternehmens einzusehen ist. Zu den nicht inspizierten Teilen gehörten unter anderem ein Motor und ein Notstromaggregat im Reaktorblock 1 der Anlage, die nach dem Tsunami immer noch nicht unter Kontrolle ist. Der Ausfall der Notstromversorgung gilt als Ursache für das Reaktorunglück.
      Quelle: SPIEGEL Online
    2. Nie wieder Sushi
      Der renommierte Strahlenbiologe Edmund Lengfelder im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau über belasteten bayrischen Schweinsbraten, das schreckliche Schicksal der Männer in den Fukushima-Reaktoren und die Vergiftung der Fischbestände im Pazifik.
      Quelle: Frankfurter Rundschau
    3. Verführen Sie mich bitte nicht zum Nationalismus!
      Der japanische Philosoph Kenichi Mishima spricht im FR-Interview über die Situation in Japan, die verzerrte Wahrnehmung des Westens und die Fehlentwicklungen der Demokratie.
      Quelle: Frankfurter Rundschau

      Anmerkung Orlando Pascheit: Ein erfrischendes Interview, das nicht nur mit einigen Japanklischees aufräumt. Sehr schön z.B.: “Im Netzwerk von Vitamin-B wird der sprachlich feine, aber sachlich wichtige Unterschied zwischen dem Sich-auf-jemand-Verlassen und dem Sich-auf-das-Urteil-von diesem-jemand-Verlassen ignoriert. Einen solchen Club der „feinen Damen und Herren“ gibt es auch in Europa, je nach Land in unterschiedlichem Grad und in unterschiedlicher Gestaltungsweise.”

    4. Innovationsbremse Atomstrom
      Zentralistisch, großindustriell, subventionsbelastet, wettbewerbsfrei – die Atomindustrie ist ein Fossil. […]
      Die Romantiker des alten und überkommenen Industriekapitalismus zählen zur reaktionären Fraktion im Lande. Sie halten an einer Großtechnologie von vorgestern fest, um die liebgewonnenen Pfründe ihrer oligopolistischen Macht zu bewahren. Mit einer zentralistischen Energieversorgung lassen sich sattere Renditen einfahren. Wo käme man denn hin, wenn Städte und Kommunen auf dezentrale und hocheffiziente Konzepte setzen würden, sich abkoppeln von den Stromkonzernen und damit unabhängiger das Energiemanagement regeln. Das stinkt nach mehr Wettbewerb, schwächt die Möglichkeiten für politische Muskelspiele und verringert das Spielfeld für die Lobbyisten der zerbröselnden Deutschland AG. Wer von den Preisrisiken eines Atomausstiegs redet, sollte über das Abwälzen von Kosten und Risiken der Atomenergie auf die Steuerzahler nicht schweigen. Würde man die Gesamtkosten in den Strompreis einrechnen und die Milliarden Euros an Fördergeldern für AKWs raus rechnen – Ökonomen nennen das Internalisierung externer Effekte – müssten wir schon längst weitaus mehr für eine Kilowattstunde berappen.
      Quelle: Der Standard
    5. EU-Atomfans bremsen Berlin aus
      Deutschland ist mit seinem Vorstoß für EU-weite AKW-Sicherheitsstandards gescheitert. Zwar sagten die meisten der 14 Staaten mit Atomkraftwerken eine Beteiligung an den sogenannten Stresstests zu. Sie sollen aber nur freiwillig sein.
      Die formelle Entscheidung, ob es überhaupt solche Tests geben wird, überließen die Energieminister am Montag dem am Donnerstag beginnenden EU-Gipfel. Großbritannien erklärte in der Sitzung laut Teilnehmern, es lehne europäische Vorgaben ab.
      Quelle: FTD

      dazu: Fünf EU-Länder fordern europaweiten Atomausstieg
      Atomkraft? Nein, danke! Nach der Katastrophe in Fukushima drängen offenbar fünf EU-Länder auf einen europaweiten Ausstieg aus der Kernenergie – darunter Österreich und Luxemburg. Heftigen Widerstand gibt es vor allem aus Frankreich und Deutschland.
      Quelle: SPIEGEL Online

  8. Telekom räumt auf
    Schlussstrich unter ein Abenteuer: AT&T übernimmt T-Mobile USA, die Telekom entledigt sich damit einer Fehlinvestition – Ex-Chef Ron Sommer hatte sich den Versuch in Übersee einst 51 Milliarden Dollar kosten lassen. Jetzt ist das Unternehmen 12 Milliarden Doller weniger wert.
    Als Ron Sommer vor elf Jahren vor die Presse tritt, muss er einiges erklären. Der damalige Chef der Deutschen Telekom hat gerade erst den Einstieg in den nordamerikanischen Mobilfunkmarkt angekündigt. Für 51 Milliarden Dollar hat Sommer die Mobilfunkgesellschaft Voicestream gekauft, seinerzeit die Nummer sechs der US-Anbieter und damit der kleinste. Viele Investoren halten den Kauf für viel zu teuer, die T-Aktie sackt ab. Doch Sommer sagt, die Übernahme biete “erhebliche und faszinierende Perspektiven”.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung

    Anmerkung Jens Berger: Das sind nun also die Vorteile für den deutschen Bürger, wenn sein Telekommunikationsanbieter ein Global Player wird. Den Verlust trägt natürlich nicht das Management des rosa Riesen, sondern der Kunde, der vor allem in ländlichen Gebieten immer noch vom Monopol der Telekom abhängig ist.

  9. Deutsche Bahn sucht Käufer für 900 Bahnhöfe
    Derzeit sucht das Unternehmen für rund 900 Gebäude einen Investor, vor allem an kleineren Stationen wie Bad Schwartau in Schleswig-Holstein, Eitorf in Nordrhein-Westfalen oder Rehau in Bayern. „Der Investor muss ein klares Konzept vorlegen, wie sich der Bahnhof weiter entwickeln kann“, sagt André Zeug, Chef der Konzerntochter DB Station&Service. Jeder Bahnhof sei „ein Unikat“. So will er verhindern, dass ein Bahnhof verkommt. „Außerdem verkaufen wir bevorzugt an Kommunen.“ Die Deutsche Bahn ändert damit ihre bisherige Verkaufsstrategie. Von den rund 2800 Bahnhöfen mit Empfangs- und Bürohäusern hat sie bereits 1300 Gebäude veräußert. Vor wenigen Jahren gab sie zwei Pakete mit jeweils rund 500 Bahnhöfen an private Investoren.
    Quelle: Wirtschaftswoche
  10. Korruption in Österreich – Politisches Aus für Ernst Strasser
    Österreichs ehemaliger Innenminister tritt als EU-Abgeordneter zurück. Gegen Zahlung von Schmiergeld hatte er angeboten, auf die Bankengesetzgebung Einfluss zu nehmen.
    Quelle: taz

    Anmerkung unseres Lesers V.B.: Dabei ist das allenfalls die Spitze des Eisbergs der “politischen Taten” für den Finanzsektor. Wieviel Geld aus der “Finanzindustrie” floss in welche Parteien, damit sie dieses Werk im Sinne der Banken “vollbrachten” – ohne dass es bisher deshalb Rücktritte gegeben hätte.

  11. Lebensmittelskandale: Fleischkontrolleur verklagt Baden-Württemberg
    Die Vorwürfe wiegen schwer: Ein hochrangiger Lebensmittelprüfer will jahrelang Missstände aufgedeckt haben – nur wenige seiner Hinweise seien weiterverfolgt worden. Jetzt hat er nach SPIEGEL-Informationen das Land Baden-Württemberg verklagt.
    Quelle: SPIEGEL Online

    Anmerkung Martin Betzwieser: Hessen hat seine Finanzprüfer a.D., die zum Psychiater geschickt wurden. Dafür hat Baden Württemberg einen Lebensmittelprüfer, der im Kühlhaus „kalt gemacht“ werden sollte. Was ist nur mit “Arbeit muss sich wieder lohnen”?

  12. Italien: Nichts zu feiern
    Italien hat Geburtstag, doch der 150. Jahrestag der Staatsgründung liefert derzeit vorwiegend Anlass für Streit. Nach der offiziellen Geschichtsschreibung wird an diesem Jubiläum die Entstehung eines modernen Nationalstaates gefeiert. In der aktuellen politischen Debatte wird hingegen betont, dass mit der Einigung Italiens die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Unterschiede zwischen dem Norden und dem »mezzogiorno«, die bis heute das Land prägen, weiter festgeschrieben worden seien.
    Quelle: Jungle World

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die Erinnerung an die Einigung Italiens vermittelt uns eine Ahnung, welch glückliche Begleitumstände dazu gehören, einen erfolgreichen Prozess des “nation building” auf den Weg zu bringen. Auch wenn im heutigen Italien manches im Argen liegt, so war doch seine Geburt ein Meisterstück. Mitten im Faschismus schrieb der antifaschistische Historiker und Philosoph Benedetto Croce 1932 in seiner „Storia d’Europa dal 1815 al 1915“ anerkennend: „Bewundernswert war das Zusammenwirken der verschiedenen Elemente, die Ehrfurcht vor dem Alten, die tiefgehende Erneuerung, die weise Zurückhaltung der Staatsmänner und der Tatendrang der Revolutionäre und Freiwilligen, der Eifer, der zugleich mit Mäßigung verbunden war.“ Vermerkte doch Klemens Metternich, führender Kopf der Restaurationszeit noch 1847: „Italien ist ein geographischer Name. Die italienische Halbinsel ist aus souveränen, von einander unabhängigen Staaten zusammengesetzt.“
    Unsere Erwartungen an ähnliche Prozesse z.B. im Irak oder auch Libyen, geschweige denn in Afghanistan sollten deshalb nicht zu hoch sein. In Europa zeigt das Beispiel Jugoslawiens in bedrückender Weise wie sowohl das Königreich Jugoslawien wie auch die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien einen Prozess des “nation building” nicht nachhaltig betreiben konnten. Nachdem bereits 1850 serbische und kroatische Sprachwissenschaftler im Wiener Abkommen proklamierten, dass „dass ein Volk ein Schrifttum haben muss”, wird heute nicht nur politisch sondern auch sprachlich die Desintegration dieser Region befördert. Offiziell gelten jetzt Kroatisch, Serbisch, Bosnisch und Montenegrinisch als eigenständige Sprachen. Aber auch das Beispiel Italien zeigt in der Lega Nord, das selbst nach 150 Jahren desintegrative Kräfte entstehen können, obwohl hier wohl eher ein Wirtschaftschauvinismus am Wirken ist. Es ist Italien in dieser Zeit nicht gelungen, das Nord-Südgefälle zu überwinden, ja es war seinerzeit, wenn man z.B. an den Raum Neapel denkt, wirtschaftlich weniger ausgeprägt.
    Siehe auch zur Erfindung der italienischen Nation die NZZ.

  13. Libyen – Diese Intervention ist durch nichts zu rechtfertigen
    An der Intervention in Libyen stimmt so vieles nicht, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Hier nur die gröbsten Unstimmigkeiten:
    Erstens: Es ist völlig unklar, was mit dem Eingriff bezweckt werden soll. […] Zweitens haben die Angriffe keine signifikante Unterstützung seitens der arabischen Staaten. Quatar und die Emirate beteiligen sich zwar, repräsentieren aber nur ein Prozent der arabischen Gesamtbevölkerung. […] Drittens beschränkt sich die Opposion im UN-Sicherheitsrat nicht nur auf China und Russland, Auch Indien, Brasilien und Deutschland enthielten sich der Stimme, die Afrikanische Union ist ebenfalls gegen die Aktion und die arabischen Staaten, wie schon gesagt, erst recht. […] All das fiele nicht ins Gewicht, wenn es wirklich eine humanitäre Intervention wäre, um das Massaker zu stoppen. Aber genau dies geschieht in Libyen eben nicht.
    Quelle: Der Standard
  14. Saudi-Arabien: Taumelnde Petrokraten
    Manche Kommentatoren betrachten die Revolten und Revolutionen im Mittleren Osten als »arabisches 1848«. Sollte dieser Vergleich stimmen, dann spielt Saudi-Arabien heute dieselbe Rolle wie damals Rußland als wichtigste Bastion der Reaktion. Riad bildet nicht nur die sichere Zufluchtsstätte des mit internationalem Haftbefehl gesuchten ehemaligen tunesischen Diktator und Kleptokraten Ben Ali, sondern hatte durch die Entsendung von tausend Soldaten ins benachbarte Bahrein auch erheblichen Anteil an der Niederschlagung der dortigen Protestbewegung. In seinem Heimatland versucht es der 86 Jahre alte König Abdullah mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche. Ende Februar verfügte er eine 15prozentige Gehaltserhöhung für alle Staatsangestellten. Dazu kamen elf Milliarden Dollar für zinsfreie Kredite an Saudis die Häuser bauen, heiraten oder Kleinunternehmen gründen wollen. Ferner wurden höhere Stipendien für saudische Studenten im Ausland sowie höhere Zahlungen an Klubs, Sportvereine und Wohlfahrtsverbände angekündigt.
    Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, daß es auch im scheinbar märchenhaft reichen Saudi-Arabien gute Gründe für dieses ungewohnt starke Rumoren gibt. Zwar ist der Wüstenstaat weltgrößter Erdölproduzent und die größte Volkswirtschaft im arabischen Raum, doch hinter diesen Superlativen verbergen sich erhebliche sozio-ökonomische und politische Strukturprobleme. So sank das Bruttoinlandsprodukt im Krisenjahr 2009, aufgrund der Talfahrt in den westlichen Metropolen und dem damit verbundenen Rückgang des Energieverbrauchs, von 476,9 auf 376,3 Milliarden Dollar. Pro Kopf der 25 Millionen Bewohner berechnet, rangiert das BIP, laut Weltbank, mit 17700 Dollar deutlich hinter Kuwait (43930 $), den Vereinigten Arabischen Emiraten (26400 $) und selbst dem Oman (17890 $). Obendrein beläuft sich die offizielle Erwerbslosenquote für Einheimische auf 10,5 Prozent. Die gilt allerdings nur für männliche Saudis. Seriöse Schätzungen gehen bereits bei den Männern von 25 bis 30 Prozent Arbeitslosen aus. Unter den 15 bis 24jährigen sollen es laut BBC sogar 40 Prozent sein. Zugleich fehlt der eingeborenen Jugend häufig die notwendige Bildung für qualifiziertere Tätigkeiten. Angesichts eines Altersdurchschnitts, der mit 25 Jahren noch vier Jahre niedriger als der tunesische ist, besitzt eine derartige »No Future«-Perspektive enorme soziale Sprengkraft. Zumal den Betroffenen durchaus bekannt ist, daß es an Reichtum nicht mangelt.
    Quelle: Junge Welt
  15. Referendum in Ägypten: Wählen in Festtagskleidung
    Die Ägypter stimmen über eine neue Verfassung ab
    Die Änderungen sollen den Weg zu freien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ebnen. Sie begrenzen die Amtsperoide des Präsidenten auf maximal 2 vierjährige Amtsperioden , verpflichten den Präsidenten einen Vizepräsidenten zu ernennen und erleichtern die Kandidatur für die Präsidentschaft.
    Dies ist aber nur eine Übergangsverfassung, denn die Verfassungsänderungen enthalten den klaren Auftrag an das neue Parlament und den neuen Präsidenten , eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, die dann eine völlig neue Verfassung erarbeiten soll.
    Und 60 Prozent der 45 Millionen Wahlberechtigten in Ägypten gingen zu dieser Abstimmung – in Festtagskleidung. Es war die erste freie Abstimmung in Ägypten seit 1952.
    Quelle: taz
  16. Afghanistan: US-Armee entschuldigt sich für Gräuelfotos
    Eine Gruppe von US-Soldaten ist angeklagt, als “Kill Team” in Afghanistan systematisch Unschuldige getötet zu haben. Die Täter prahlten mit grausigen Fotos. Die US-Armee, die derzeit Militärtribunale gegen insgesamt zwölf mutmaßlich an den Verbrechen Beteiligte vorbereitet, entschuldigte sich am Montag in einer in Washington veröffentlichten Erklärung. Die Bilder seien “abstoßend” und widersprächen “den Standards und Werten der US-Armee”, hieß es darin. “Wir entschuldigen uns für das Leid, das diese Fotos verursachen.”
    Quelle: SPIEGEL Online

    Anmerkung Orlando Pascheit: Dass die Bestie Mensch im Krieg geweckt wird ist allen bekannt. Da helfen Entschuldigungen wenig, da das Grauen vorprogrammiert ist. Völlig unverständlich ist allerdings, warum die USA sich für die Veröffentlichung von Fotos entschuldigt, die das Grauen nur abbilden. Warum entschuldigt sie sich nicht für das, was den Menschen auf den Fotos angetan wurde.

  17. Erziehung zum Glotzen
    Das Talkshow-Sedativ – Wer vor der Wunderlampe döst, stört die Reichen nicht beim Geldzählen.
    Zuerst die gute Nachricht: Es bleibt dabei, dass Anne Will im Herbst von ihrem Sendeplatz im „Ersten“ weichen muss. Jetzt mehrere schlechte: Es bleibt dabei, dass statt ihrer Günther Jauch die lästige sonntägliche Politquasselei moderieren wird. Will bekommt einen anderen Talktag. Die Zahl der Sendungen im „Gesprächsformat“, mit denen die ARD nervt, wird auf fünf pro Woche erhöht. Die übrigen „Moderatoren“, die dafür zu sorgen haben, daß die Gespräche moderat, das heißt seicht und unergiebig bleiben: Reinhold Beckmann, Frank Plasberg und Sandra Maischberger.
    Quelle: Steinberg Recherche

    dazu: Lammert kritisiert Talkshow-Schwemme
    Der Bundestagspräsident gerät wegen der Talkshow-Schwemme im Fernsehen in Rage: “Sie simulieren nur politische Debatten”, kritisierte Norbert Lammert im Interview mit dem SPIEGEL. Er wünsche sich ein Programm, “das nicht auf eine möglichst hohe Quote zielt”.
    Quelle: SPIEGEL Online

  18. Im Internet und als “taz”-Beilage: Neue Zeitung berichtet kritisch aus dem Musterländle
    Josef-Otto Freudenreich, 60, Ex-Chefreporter der “Stuttgarter Zeitung”, und fünf Mitstreiter planen ein der kritischen und investigativen Berichterstattung verpflichtetes Medium für Baden-Württemberg: Sie starten am 6. April “Kontext”, eine Internet-Zeitung, aus der einmal pro Woche auch eine vierseitige “taz”-Regionalbeilage entstehen soll.
    Zum Start darf man sich u.a. auf Berichte über die Lage nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg sowie die Atompolitik im Ländle gefasst machen. Die Rubrik “Überm Kesselrand” führt weit über die Landesgrenzen hinaus: “Kontext” dokumentiert etwa das Leben von Jugendlichen in südafrikanischen Townships in Bildern. “Wir sind aber nicht nur bierernst, sondern haben, bei Gott, auch etwas zum Schmunzeln”, verspricht Freudenreich. So beschäftigt sich “Kontext” etwa mit dem Stuttgarter “Weinberghäusle”, wo sich auf Einladung der örtlichen IHK gerne Wirtschaftsgrößen oder auch Chefredakteure zum Plausch treffen.
    Quelle: Kress


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