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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 11. Mai 2011 um 8:39 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Griechenland-Krise; Der Feind steht links; Wirtschaft brummt, Reallöhne sinken; Hohe Dividenden – Deutsche Firmen schütten 31 Milliarden Euro aus; China Handelsüberschuss steigt sprunghaft; »Die Daten sind hochgradig unblaubwürdig«; Zielgruppe Schüler; Ominöse Spenden bringen NRW-Innenminister in Bedrängnis; Uno: 750.000 Menschen auf der Flucht; Abschiebung aus Europa – Mit Scham zurück nach Togo; Ägyptens Religionskonflikt: Das Private wird religionspolitisch; Tod, Gerechtigkeit, Größe; Studie: Kinder reicher Eltern sind weniger einfühlsam; Projekt gelbe Tonne; Universität Heidelberg will Koch-Mehrin Doktortitel aberkennen; Scholz kriegt Ärger; Leserbeteiligung erwünscht – oder etwa nicht?; Eine Hartz-IV Posse in drei Akten; Die braunen Flecken des Aufdeckermagazins “Der Spiegel“ (JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Griechenland-Krise
  2. Der Feind steht links
  3. Wirtschaft brummt, Reallöhne sinken
  4. Hohe Dividenden – Deutsche Firmen schütten 31 Milliarden Euro aus
  5. China Handelsüberschuss steigt sprunghaft
  6. »Die Daten sind hochgradig unblaubwürdig«
  7. Zielgruppe Schüler
  8. Ominöse Spenden bringen NRW-Innenminister in Bedrängnis
  9. Uno: 750.000 Menschen auf der Flucht
  10. Abschiebung aus Europa – Mit Scham zurück nach Togo
  11. Ägyptens Religionskonflikt: Das Private wird religionspolitisch
  12. Tod, Gerechtigkeit, Größe
  13. Studie: Kinder reicher Eltern sind weniger einfühlsam
  14. Projekt gelbe Tonne
  15. Universität Heidelberg will Koch-Mehrin Doktortitel aberkennen
  16. Scholz kriegt Ärger
  17. Leserbeteiligung erwünscht – oder etwa nicht?
  18. Eine Hartz-IV Posse in drei Akten
  19. Die braunen Flecken des Aufdeckermagazins “Der Spiegel”

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Griechenland-Krise
    1. Juncker nach falschen Dementis in der Kritik
      Mit der Wahrheit darf man es im Umgang mit der Euro-Krise nicht immer ganz genau nehmen. Da sind sich Vertreter von Kommission und EU-Staaten einig. Nur offen lügen sollte man dann doch nicht.
      Der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker ist ein Meister darin, Sätze derart kompliziert zu formulieren, dass der Zuhörer am Ende alles oder nichts hineinlesen kann. Das hat ihm auch in der Euro-Krise viele Schlagzeilen eingebracht, denen sein Stab die Brisanz meist schlicht durch den Hinweis nehmen konnte, man möge den Satz doch einmal bis ans Ende lesen. Nun allerdings kursiert ein Satz Junckers in Brüssel, der an Klarheit kaum zu überbieten ist: „Wenn es ernst wird, muss man lügen.“ Gesagt haben soll Juncker das kurz vor Ostern bei einer Preisverleihung in der bayerischen Landesvertretung. Seit dem „Geheimtreffen“ der großen Euro-Staaten, Europäischer Zentralbank, Europäischer Kommission und Griechenlands am Freitagabend in Luxemburg aber hat dieser Satz ein ganz neues Gewicht bekommen.
      Quelle: FAZ
    2. Robert von Heusinger – Unser Euro
      Europas Währung muss gerade den Deutschen teuer sein. Wer keine höhere Arbeitslosigkeit riskieren will, hilft den Griechen – mit niedrigeren Zinsen und Investitionen. […]
      Zehn Jahre Lohnzurückhaltung und Restrukturierung auf der Unternehmensebene haben die hiesigen Firmen im Euroraum und auf den Weltmärkten immer unangreifbarer gemacht. Da die Produktivität steigt, das Lohnplus aber meist noch nicht einmal die Inflation wettmachen kann, sind deutsche Waren und Dienstleistungen relativ billig geworden – und werden es weiter.
      Innerhalb Eurolands betreibt Deutschland seit zehn Jahren nichts anderes als eine Politik der Abwertung. Gegenüber dem Rest der Welt konserviert der Euro die Wettbewerbsvorteile, die sich das Land innerhalb der Währungsunion erarbeitet hat.
      Andere Länder, allen voran die südeuropäischen Länder und Irland haben kräftig aufgewertet. Dort sind die Löhne zu rasch gestiegen und damit die Verschuldung im Ausland. Denn den Exportüberschüssen der Deutschen stehen Forderungen an die Handelspartner gegenüber.
      Diese Ungleichgewichte in der realen Wirtschaft sind die Hauptursache der Krise im Euroraum. Und die Sparauflagen an Griechenland und Co. speisen sich aus dem deutschen Geist der Abwertung. Mögen doch diese Länder dieselbe Rosskur vornehmen. Doch das ist einfacher gesagt als getan, vor allem weil Deutschland weiter Lohnzurückhaltung übt, weil es weiter höchste Handelsbilanzüberschüsse anhäuft. Der Stress ließe sich nur abmildern, wenn Deutschland steigende Löhne samt Handelsbilanzdefiziten in Kauf nähme.
      Quelle: Frankfurter Rundschau
    3. Wäre Deutschland Portugal
      Die “Rettungsmaßnahmen” für die Krisenländer Griechenland und Portugal sehen milliardenschwere Ausgabenkürzungen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte vor. Sinkende öffentliche Ausgaben – wie z.B. Kürzungen bei Sozialausgaben, Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst, Aussetzen von geplanten Infrastrukturinvestitionen – müssen sinkende Einnahmen bei privaten Haushalten und der privaten Wirtschaft nach sich ziehen. Die Ausgaben des einen, sind immer die Einnahmen des anderen. Die hierüber beeinträchtigte Wirtschaftsentwicklung muss sich wiederum negativ auf die Entwicklung der öffentlichen Haushalte auswirken: Bricht das Wirtschaftswachstum in Folge des über die Sparprogramme ausgelösten Nachfrageausfalls ein, steigen die Ausgaben zur Abfederung wachsender Arbeitslosigkeit und sinken die Steuereinnahmen aufgrund der rückläufigen wirtschaftlichen Aktivität.
      Quelle: Wirtschaft und Gesellschaft
  2. Der Feind steht links
    Der Fall Sarrazin zeigt, wie schwer es sich die SPD mit dem Ausschluss von Mitgliedern tut. Nur bei Sozialisten kennen die Sozialdemokraten keine Gnade.
    Sie wollten die unangenehme Affäre beerdigen, unbemerkt und kurz vor Ostern. Das hat nicht funktioniert. Im Gegenteil, der gescheiterte Parteiausschluss im Fall Sarrazin rührt an fast Vergessenes in der SPD. In Leserbriefen wird an die lange Geschichte der sozialdemokratischen Parteiausschlüsse erinnert. Und an das Muster, das sich auch im Falle Sarrazin bestätigt: Gefeuert wurden, vom Kaiserreich bis zu den WASG-Sympathisanten hundert Jahre später, stets linke Sozis.
    Nein, an einen Parteiausschluss aus dem Kreis der Rechten könne auch sie sich nicht erinnern, sagt die Historikerin Helga Grebing, Doyenne der SPD-Geschichtsschreibung, Mitglied der Historischen Kommission beim Parteivorstand, selbst eingetragene Genossin und bekanntermaßen keine Linke.
    Auf der anderen Seite habe es dagegen oft “ehrenwerte Sozialdemokraten” getroffen wie Wolfgang Abendroth und Ossip K. Flechtheim. […]
    Richtig in Fahrt kam die Ausschlussmaschinerie in den 70ern. 1977 katapultierte sie unter anderem den neugewählten Chef der Parteijugend Jusos, Klaus Uwe Benneter, und die Vorsitzende des Sozialistischen Hochschulbundes, Mechtild Jansen, aus der Partei. Ihre Vergehen: Der Berliner Benneter, der später wieder eintrat und es sogar zum Generalsekretär brachte, hielt Christdemokraten seinerzeit für politisch schlimmer als Kommunisten und hatte mit den Falschen, Kommunisten nämlich, zu einer Abrüstungsdemonstration aufgerufen. Jansen hatte bei den falschen Leuten einen Vortrag gehalten. Mit ihnen flogen Dutzende, die gegen den Rausschmiss protestierten.
    Quelle: ZEIT
  3. Wirtschaft brummt, Reallöhne sinken
    Trotz der wirtschaftlichen Erholung werden die Tarifgehälter in diesem Jahr nur geringfügig wachsen – während die Preise steigen. Die FR hat eine Auswertung von Experten erbeten. Das Ergebnis ist ernüchternd niedrig.
    Volkwirte staunen, Beschäftigte werden enttäuscht sein: Trotz der wirtschaftlichen Erholung werden die Tarifgehälter in diesem Jahr nur geringfügig wachsen. Weil gleichzeitig die Preise spürbar steigen, werden viele Beschäftigte sogar Reallohnverluste erleiden. Zu dieser Einschätzung kommen Volkswirte nach einer Zwischenbilanz der Lohnrunde 2011.
    Quelle: Frankfurter Rundschau
  4. Hohe Dividenden – Deutsche Firmen schütten 31 Milliarden Euro aus
    Die Wirtschaft boomt, die Firmen verbuchen Gewinne – und belohnen ihre Aktionäre: Insgesamt wurden dieses Jahr laut einer Studie deutlich mehr Dividenden ausgeschüttet als noch 2010. Fast alle DAX-Konzerne zahlten an ihre Anleger. Nur die Commerzbank fiel aus der Reihe.
    Aktionäre haben Grund zur Freude: Im Jahr 2011 geben die größten Unternehmen Deutschlands deutlich mehr von ihrem Gewinn an die Anleger ab als noch im Vorjahr. Die Summe aller Dividenden kletterte laut einer Studie auf 31,1 Milliarden Euro – 31,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) hatte alle 334 Unternehmen im sogenannten Prime-Standard-Segment der Deutschen Börse untersucht. Firmen im Prime Standard erfüllen ein hohes Transparenzniveau, was Voraussetzung ist, um in den Dax sowie in seine kleineren Aktienindex-Brüder MDax, SDax und TecDax aufgenommen zu werden. Der Löwenanteil der Dividenden wird von den 30 größten Firmen Deutschlands ausgeschüttet: Die im Dax notierten Konzerne zahlen 26,4 Milliarden Euro an ihre Aktionäre, also mehr als 80 Prozent der Gesamt-Ausschüttungen.
    Quelle: SPIEGEL Online

    Anmerkung Jens Berger: Man sollte sich diese Zahlen im Hinterkopf behalten, wenn Politik und Lobbys mal wieder behaupten, es sei kein Geld für bestimmte Dinge vorhanden. Dank der von Union und SPD eingeführten Abgeltungssteuer müssen die Einkünfte aus Dividenden übrigens nur noch mit maximal 25 Prozent versteuert werden.

  5. China Handelsüberschuss steigt sprunghaft
    Die Exporte der Volksrepublik sind auf Rekordniveau, die Einfuhren stockten stärker als prognostiziert. Experten lassen die Katastrophe von Japan nicht als alleinige Erklärung gelten. Sie halten eine Schwäche der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt für möglich.
    Schwache Einfuhren haben den Außenhandelsüberschuss Chinas im April auf fast das Vierfache der Analystenerwartungen anschwellen lassen. Der Wert der ausgeführten Waren und Dienstleistungen haben im vergangenen Monat um umgerechnet 11,4 Mrd. Dollar über dem der importierten gelegen, teilte die Zollbehörde des Landes mit. Experten hatten mit einem Überschuss von rund 3 Mrd. Dollar gerechnet. Die Exporte wuchsen demnach im Jahresvergleich um 30 Prozent, während die Einfuhren um 22 Prozent anzogen.
    Die Daten sorgen nicht nur für Gesprächsstoff in den Verhandlungen, die Washington und Peking einmal im Jahr über politische und wirtschaftliche Fragen führen. Sie alarmieren auch Fachleute. Denn die hatten zwar eine Abschwächung der Importe erwartet, zeigten sich über das Ausmaß der Verlangsamung allerdings erstaunt. Der Handelsüberschuss der Chinesen gilt als eines der wichtigsten Maßstäbe für die Ungleichgewichte im globalen Handel, die wiederum für die Finanzkrise zumindest mitverantwortlich gemacht werden. Die USA werfen der kommunistischen Führung regelmäßig vor, Exporte durch das Niedrighalten der Landeswährung Renminbi zum Dollar indirekt zu fördern.
    Quelle: FTD

    Anmerkung Jens Berger: Das „Chermany-Problem“ ist wohl eines der größten Probleme des Weltwirtschaftssystems. Solange Deutschland und China ihre gigantischen Außenhandelsüberschüsse nicht abbauen, sieht die Zukunft düster aus.

  6. »Die Daten sind hochgradig unblaubwürdig«
    Institut korrigiert sich: Angeblich nur acht statt 16 Prozent der Kinder in der BRD arm. Ein Gespräch mit Gerd Bosbach […]
    jw: Das Ausmaß der Kindermut in Deutschland wurde angeblich deutlich zu hoch beziffert. 2005 soll die Quote nicht bei 16,3, sondern lediglich bei zehn Prozent gelegen haben, heute sollen es nur 8,3 Prozent sein. Die Korrektur erklärt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mit einer »verbesserten Methodik«. Wie plausibel erscheint Ihnen das?
    Bosbach: Für mich sind die Daten hochgradig unglaubwürdig. Vor allem besteht eine gewaltige Diskrepanz zwischen den behaupteten 8,3 Prozent und der Zahl derjenigen Kinder, die von Hartz IV leben müssen. Im September 2010 waren knapp 15 Prozent aller Kinder unter 18 Jahren auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen. Hier muß man fragen, wie das mit den DIW-Zahlen zusammenpaßt. […]
    Was mich stutzig macht, sind die Widersprüche zu anderen Erhebungen. Laut Mitteilung des Statistischen Bundesamtes vom Januar waren im Jahr 2009 nach einer EU-Stichprobe 15,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland armutsgefährdet. Nach einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung über Kommunen mit mehr als 5000 Einwohnern bezogen im Jahr 2008 in den Bundesländern zwischen 7,4 und 35,7 Prozent der unter 15jährigen SGB-II-Leistungen. Lediglich Bayern lag unter der 8,3-Prozent-Quote des DIW, Baden-Württemberg lag genau auf der Grenze, alle anderen zum Teil deutlich darüber. Wenn das DIW jetzt völlig andere Ergebnisse präsentiert, muß an den Zahlen gearbeitet worden und kann Absicht im Spiel gewesen sein.
    jw: Aus welchen Gründen?
    Es wird seit längerem spekuliert, daß sich das DIW den Regierungsinteressen mehr anpassen will, um demnächst beispielsweise wieder als Wirtschaftsgutachter im Regierungsauftrag zum Zuge zu kommen. Das Institut liefert schon seit längerem Ergebnisse, die der Regierung eher zupaß kommen.
    Das Gros der Medien hat das DIW-Zahlenwerk nicht in Frage gestellt…
    Quelle: Junge Welt

    dazu: Der Anstieg ist der Skandal
    Das DIW hat sich bei der Kinderarmutsquote verrechnet. Das ist peinlich. Viel schlimmer aber ist: Nach allen Statistiken ist Kinderarmut seit 2005 stark gewachsen
    Quelle: Der Freitag

  7. Zielgruppe Schüler
    Wie die Werbewirtschaft Schulen und Kindergärten ins Visier nimmt.
    Markenwerbung in Schulen ist in den meisten Bundesländern verboten. Doch eine ganze Branche versucht unter dem Deckmantel des Bildungsmarketings dieses Verbot zu umgehen.
    Quelle: SWR Report
  8. Ominöse Spenden bringen NRW-Innenminister in Bedrängnis
    Er ist einer der Aktivposten im nordrhein-westfälischen Kabinett: Innenminister Ralf Jäger inszeniert sich gerne als Garant für Sicherheit und Ordnung. Doch nun steckt der Duisburger Sozialdemokrat inmitten einer hässlichen Spendenaffäre. […]
    Demnach vermittelte Ralf Jäger der örtlichen Gesellschaft für Beschäftigungsförderung (GfB) den Anwalt V., der dieser daraufhin mehrere Gutachten erstellte und dafür kassierte. Anschließend flossen Ende 2008 von einem Konto der Kanzlei 6000 Euro an die klamme Duisburger SPD. Verwendungszweck: “Spende”. Von einer anderen Bankverbindung der Sozietät gingen noch einmal 3000 Euro an die Sozialdemokraten.
    Die Frage ist daher: Bediente sich die SPD über Umwege aus den knappen Mitteln einer gemeinnützigen Gesellschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, Arbeitslose wieder in Lohn und Brot zu bringen?
    Quelle: SPIEGEL Online
  9. Uno: 750.000 Menschen auf der Flucht
    Seit Beginn der Kämpfe in Libyen haben nach Erkenntnissen der Uno bereits 746.000 Menschen das Land verlassen, etwa 5000 sitzen an den Grenzübergängen nach Ägypten, Tunesien und Niger fest, und 58.000 sind im Osten Libyens auf der Flucht. Uno-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos forderte in einer Botschaft an den UN-Sicherheitsrat eine Feuerpause, um humanitäre Hilfe zu ermöglichen.
    Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR richtete einen dramatischen Appell an EU und Nato. “Unsere klare Botschaft ist: Wartet nicht auf ein Notsignal, schaut, ob die Menschen Hilfe brauchen, und rettet sie” , sagte Hilfswerk-Sprecherin Melissa Fleming am Dienstag in Genf. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso forderte eine “lastgerechte” Verteilung der Flüchtlinge in der EU.
    Quelle: Der Standard
  10. Abschiebung aus Europa – Mit Scham zurück nach Togo
    Afrikanische Flüchtlinge, die in Europa scheitern und abgeschoben werden, stoßen in ihren Gesellschaften auf Unverständnis. Meist schwer traumatisiert, müssen sie Familie und Gesellschaft Rechenschaft ablegen. Der Mythos des afrikanischen Bruders, der in Europa Wohlstand und Glück gefunden hat, hält sich hartnäckig. Die Rückkehrer versuchten die Abschiebung zu verheimlichen. Aus einem angeblichen Besuch werden Wochen, dann Monate, schließlich ein Jahr. Oft sagen die Rückkehrer nichts, das nahe soziale Umfeld erkennt die Situation dann irgendwann von selbst. Sie sind nun selbst von der Unterstützung der Familie abhängig. Die prekäre Situation hat Folgen: psychische und körperliche Krankheiten, geschiedene Ehen, Kinder, die leiden. “Wir, die in Europa waren und gesehen haben, wie schwierig es ist, müssen unseren togolesischen Brüdern davon erzählen”, sagt Abdou Razak Aboubakar, Koordinator eines selbst organisierten Vereins der Abgeschobenen in der Zentralregion Tschaoudjo, voller Überzeugung.
    Quelle: taz

    Anmerkung unseres Lesers S.H.: Eine immer wieder notwendige und wichtige Betrachtung der Schicksale, die hinter den “bösen” Flüchtlingsströmen stehen.

  11. Ägyptens Religionskonflikt: Das Private wird religionspolitisch
    Am Wochenende ist es in Ägypten wieder zu schweren gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und christlichen Kopten gekommen. Die neue Eskalation, diesmal im Kairoer Stadtteil Imbaba, ist nicht isoliert von den allgemeinen Spannungen im Land zu betrachten. Die Ägypter wähnen sich gern in einer nachrevolutionären Aufbauphase, gleichwohl herrscht noch keine Gewissheit darüber, ob sie die demokratischen Früchte ihrer Volkserhebung auch tatsächlich ernten werden. Dabei wird die Religion immer mehr zum Politikum, auch wenn es sich derzeit noch um einen eher schleichenden Prozess handelt. Die Säkularen und mit ihnen auch Vertreter der koptischen Gemeinde befürchten, dass die Islamisten im Zuge der bevorstehenden Demokratisierung politisch an Einfluss gewinnen könnten. In den letzten Wochen sahen sich diese Kreise mehr und mehr bedroht von den nicht näher charakterisierten „Salafisten“, mit denen nicht die Muslimbrüder, sondern aktionistische muslimische Eiferer gemeint sind. Letzteren liefert die öffentliche Äußerung dieser Sorge einen Grund mehr, ihren Kontrahenten zu misstrauen; zumal die gemäßigteren Religiösen die Ängste der Weltlichen und der Kopten vor einem Erstarken der muslimischen Fundamentalisten für übertrieben halten. – Herauszufinden, wer als Erster dann zur Gewalt griff, dürfte im Gewirr von religiösem Hass und Verschwörungstheorien alles andere als leicht sein.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Ein kaum zu fassendes Phänomen ist die enorme Ungleichzeitigkeit gesellschaftlicher Entwicklungen im Ägypten aber auch im Nahen Osten überhaupt, wie das vergangene Wochenende in Erinnerung ruft. Da trafen sich auf der einen Seite im größten Konferenzzentrums Kairos neue Politikergeneration vom Tahrir-Platz, um ihre Vorstellungen von konkreter Demokratie zu diskutieren, und gleichzeitig prallten im Kairoer Stadtteil Imbaba fanatisierte Muslime auf nicht viel weniger kämpferische Kopten. Ergebnis: sechs tote Muslime und vier tote Christen. Vordergründig geht es in diesen Konflikten oft um gemischt religiöse Liebesbeziehungen, die von ultrakonservativen, militanten Wortführern beider Glaubensgemeinschaften zu einem grundsätzlichen, religiösen Konflikt hochstilisiert werden. Dabei geht es nicht nur um “Glaubensgrundsätze” der Muslime, z.B. um das Verbot der Konvertierung vom Islam zum Christentum, sondern auch um fundamentale Positionen des orthodoxen Koptentums. So ist konservativen Kopten eine Scheidung praktisch unmöglich. Einen Ausweg bietet dann für verheiratete koptische Frauen die Konvertierung zum Islam. In den konservativen Milieus beider Religionen entspricht die Rolle der Frau vormodernen Vorstellungen, während in der jungen Demokratiebewegung Frauen und Männer, Christen und Muslime sich auf gleicher Ebene begegnen.

  12. Tod, Gerechtigkeit, Größe
    In den USA sind kritische Stimmen zur Tötung Osama bin Ladens in diesen Tagen selten. Bürger, Dozenten, Soldaten und Linke – alle loben Obamas Mut. […]
    Tötung, Gerechtigkeit, Größe – außerhalb der USA ist das ein fremder Dreiklang. Aber die 56 Millionen Zuschauer in den USA verstehen, was gemeint ist. Einige von ihnen laufen noch vor dem Ende der präsidenziellen Ansprache auf die Strasse, um die Tötung zu feiern. Binnen weniger Minuten kommt es zu spontanen Jubelfeiern vor dem Weißen Haus in Washington, an Ground Zero in New York, wo bis zum 11. September 2001 die beiden Türme des World Trade Centers standen, an zahlreichen Universitäten des Landes und in Dearborn, eine Gemeinde nahe der Autostadt Detroit, mit einem besonders großen muslimischen Bevölkerungsanteil.
    Quelle: taz

    Anmerkung Jens Berger: Die Reaktionen der Amerikaner sind für deutsche Beobachter in der Tat mehr als befremdlich. Laut einer aktuellen Umfrage begrüßen 93% der Amerikaner die gezielte Tötung Bin Ladens – mehr als die Hälfte der Befragten fühlt sich nun sicherer. Die jahrelange Propaganda scheint voll eingeschlagen zu haben.

  13. Studie: Kinder reicher Eltern sind weniger einfühlsam
    Kinder von reichen Eltern haben weniger Einfühlungsvermögen als andere. Das haben Forscher an der University of California in den USA herausgefunden.
    Die sozialen Schichten, in denen man aufwächst, beeinflussen die eigene Empathie. Das ist das Ergebnis der US-Studie. Personen aus mittleren und niedrigeren sozialen Schichten seien im Alltag viel stärker auf die Kooperation mit anderen angewiesen. Deshalb entwickelten sie ein besseres Gespür für die Emotionen ihrer Mitmenschen, berichtet die Zeitschrift «Psychologie heute».
    Quelle 1: Südkurier
    Quelle 2: Abstract zur Studie (engl.)
  14. Projekt gelbe Tonne
    Kabarett war gestern, die FDP ist heute. Und die erledigt sich selbst. Eine Auto-Demontage in solchem Tempo haben bislang in Deutschland nur Oppositionsparteien vollbracht.
    Sehr geehrte Damen und Herren vom politischen Kabarett, Sie müssen jetzt stark sein. Ihre Mission ist am Ende, sie hat sich überlebt. Gehen Sie schon mal vorsorglich zum Arbeitsamt, Stütze beantragen. Die Realität nämlich ist viel komischer, als Sie es jemals sein könnten. Die Realität ist gelb. Kabarett war gestern, die FDP ist heute.
    Und die ist irrsinnig komisch. Guido Westerwelle will wegen nachgewiesener Erfolglosigkeit in Innen- und Außenpolitik nicht mehr Parteichef bleiben. Philipp Rösler muss das jetzt machen. Birgit Homburger darf, weil ihre Leistungsbilanz dürftig ist und sie auch sonst irgendwie im Weg ist, nicht mehr Fraktionschefin der Liberalen im Bundestag bleiben. Weswegen Rainer Brüderle das jetzt machen muss, dessen Erfolge zwar ein gut gehütetes Geheimnis sind, der aber zumindest eine ehrliche Haut ist. Es sei an dieser Stelle an den von Brüderle geäußerten inhaltlichen Zusammenhang zwischen dem Atommoratorium und den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erinnert. Das war ein großer Auftritt.
    Dafür darf Brüderle aber nun nicht mehr Wirtschaftsminister bleiben, weswegen Rösler das machen kann, obwohl er das bislang offiziell gar nicht machen wollte, sich aber davon einen Imagegewinn verspricht. Und so kann Daniel Bahr jetzt Gesundheitsminister werden, was ihm viel Ärger einbringen wird, aber zumindest eine echte Beförderung darstellt. Und deswegen soll Homburger an seiner Stelle stellvertretende Parteichefin werden, was sie auch nicht wollte, aber jetzt darf, weil es keinen anderen Platz mehr für sie gegeben hat.
    Quelle: Frankfurter Rundschau
  15. Universität Heidelberg will Koch-Mehrin Doktortitel aberkennen
    Mehrere Plagiatsvorwürfe werden gegen die FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin erhoben. Jetzt droht ihr die Aberkennung ihres Doktortitels.
    Die Universität Heidelberg will der FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin offenbar ihren Doktortitel aberkennen und hat sie vor wenigen Tagen zu einer Stellungnahme aufgefordert. Dies erfuhr der Tagesspiegel am Dienstag aus Kreisen der Universität Heidelberg, an der Koch-Mehrin promoviert hatte. Der Verdacht auf mehrere Plagiate in ihrer Dissertation zum Fach Wirtschaftsgeschichte habe sich erhärtet. Dies könnte als erheblicher Regelverstoß gewertet werden. Die Verleihung der Doktorwürde könne damit rechtswidrig gewesen sein und zurückgenommen werden. Derzeit erwarte der zuständige Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät eine Stellungnahme Koch-Mehrins zu den Vorwürfen, hieß es aus der Universität.
    Quelle 1: Tagesspiegel
    Quelle 2: Koch-Mehrin-Bericht auf „Vroniplag“
  16. Scholz kriegt Ärger
    Bis 2020 will die SPD 2500 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst abbauen. Scholz setzt so die Haushaltspolitik seines Amtsvorgängers Christoph Ahlhaus (CDU) fort. Finanzsenator Tschentscher hatte zu Beginn der Woche zugesagt, bei Lehrern, Polizisten und Feuerwehrleuten auf Personalkürzungen zu verzichten. In anderen Ressorts hingegen sollen jährlich 250 Arbeitsplätze nicht mehr neu besetzt werden. Wenn die Personalkosten durch Tariferhöhungen um mehr als ein Prozent pro Jahr steigen sollten, drohte der Sozialdemokrat, werde der Stellenabbau größer ausfallen. »In beispielloser Weise bedroht eine SPD-Regierung damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt und ihre Gewerkschaften«, warnte CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich in einer Stellungnahme. Auch beim Weihnachtsgeld will der sozialdemokratische Senat hart bleiben. CDU und Grüne hatten einst geplant, die Sonderzahlung für Beamte in den hohen Besoldungsstufen zu streichen und in den niedrigen zu kürzen. Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes lehnen das ab. Ende April unterbreitete der Erste Bürgermeister ihnen ein Angebot, nachdem nur noch ein einheitlicher Satz von 840 Euro jährlich plus 300 Euro pro Kind ausbezahlt werden soll. »Daß wir die ganze Kürzung zurücknehmen, ist nicht realistisch«, so Scholz. Mit den Einschnitten beim Personal und weiteren Etatkürzungen wollen Hamburgs Sozialdemokraten ihre Wahlversprechen finanzieren. So wird die schrittweise Rücknahme der Kita-Gebühren allein im Jahr 2012 46 Millionen Euro kosten. Völlig offen bleibt deshalb, woher die SPD-Alleinregierung die Mittel nehmen will, um die Studiengebühren ab dem Wintersemester 2012/13 abzuschaffen.
    Quelle: Junge Welt
  17. Leserbeteiligung erwünscht – oder etwa nicht?
    Journalistik-Professorin Fengler über angebliche Medien-Volksnähe
    Wir lassen unsere Leser mitschreiben und mitentscheiden. So werben einige Blätter der WAZ-Gruppe oder die Bild-Zeitung beispielsweise mit Leserbeiräten, um zu beweisen, wie volksnah und offen sie sind. Und das nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern.
    Aber wie viel Einblick bekommt das Publikum bei den Medien tatsächlich, das fragte sich ein Forscherteam am Erich-Brost-Institut für Internationalen Journalismus an der TU Dortmund. Und die wissenschaftliche Leiterin, Professor Susanne Fengler, antwortete.
    Quelle 1: Deutschlandfunk
    Quelle 2: Die Studie „Mogelpackung im WWW? Wie europäische Medien ihr Publikum online an redaktionellen Prozessen teilhaben lassen – Ergebnisse einer international vergleichenden Studie“ [PDF – 71.8 KB]
  18. Eine Hartz-IV Posse in drei Akten
    Hamburg-Irgendwo. So hat sich Arno Dübel (53) sein dreißigjähriges Dienstjubiläum als “Deutschlands glücklichster Langzeitarbeitsloser” nicht vorgestellt: Es ist später Vormittag. Dübel und eine Schar erwerbsloser Gratulanten sitzen im Wohnzimmer, um die ersten Bierbüchsen auf Kosten des Steuerzahlers knallen zu lassen, da macht es plötzlich Piep: Und kuck mal, wer da spricht: “Mitten aus dem Leben”, das grandiose Lifestyle-Format aus dem Hause Bertelsmann-RTL, blendet sich ein. Das RTL-Team, eine Art selbsternannte Sozialpolizei, ist darauf spezialisiert, arbeitsscheue Elemente wie Arno Dübel in flagranti bei asozialen Missetaten aufzuscheuchen…
    Quelle: gegen-stimmen.de
  19. Die braunen Flecken des Aufdeckermagazins “Der Spiegel”
    “Der Spiegel“ konfrontiert Deutschland seit mehr als 60 Jahren mit dessen dunkler Vergangenheit. Von den braunen Flecken in der eigenen Geschichte will das Nachrichtenmagazin aber nichts wissen. […]
    Dass der deutsche Bundesnachrichtendienst BND nun endlich die Zusammenarbeit mit Nazi-Tätern und Kriegsverbrechern in seinen Anfangsjahren von einem Historikerkollektiv aufarbeiten lässt, findet auch der “Spiegel“ gut. Denn, so schrieb das deutsche Nachrichtenmagazin in einem Artikel vor einigen Wochen, die früheren Behauptungen des Dienstes, man habe von der NS-Verstrickung vieler einstiger Mitarbeiter keine Ahnung gehabt, seien Ausreden. “Wenn es Unwissenheit gab, dann nur, weil man nicht wissen wollte.“ So richtig Bescheid wissen will aber auch der “Spiegel“ selbst nicht darüber, wie eng das eigene Magazin in seinen Anfangsjahren mit Nazi-Tätern kooperierte.
    In dem nun im Salzburger Ecowin-Verlag erschienenen Buch “Enttarnt“ von Peter Ferdinand Koch lässt sich etwa nachlesen, dass die Redaktion in den fünfziger Jahren ehemalige SS-Offiziere an prominenter Stelle beschäftigte oder sie als Informanten und Auslandskorrespondenten nutzte. Der “Spiegel“ hat solche Vorwürfe, die nicht neu sind, immer wieder an sich abprallen lassen.
    Tatsächlich hat das in seinem 64. Erscheinungsjahr stehende Flaggschiff des deutschsprachigen investigativen Journalismus auf einem Gebiet bis heute versagt – der kritischen Selbstreflexion. Über Jahrzehnte hinweg hat sich das Magazin zwar mit zahllosen Enthüllungsgeschichten über Korruption und Politaffären, mit unzähligen Hintergrundberichten und Analysen über politische Zusammenhänge weltweit einen führenden Platz unter den internationalen Nachrichtenmagazinen erkämpft. Immer wieder veröffentlichte das Magazin, das sich selbst einmal als ein “antifaschistisches Geschütz von Anbeginn“ bezeichnete, auch Artikel über den Nazi-Staat und die deutschen Verbrechen während des Weltkriegs sowie über die Karrieren einstiger NS-Täter in der Bundesrepublik. Nur die Karrieren, die einige dieser braunen Täter in der Redaktion des “Spiegel“ machten, bleiben bis heute ausgespart.
    Quelle: Profil


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