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Titel: Ein Abend mit Bernd Raffelhüschen, Versicherungsvertreter mit Professorentitel – leibhaftig und in voller Länge

Datum: 25. Oktober 2011 um 13:50 Uhr
Rubrik: Demografische Entwicklung, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Riester-Rürup-Täuschung, Privatrente
Verantwortlich:

Professor Dr. Bernd Raffelhüschen ist als viel zitierter und viel gesendeter Finanzwissenschaftler, „Rentenexperte“, „Sozialexperte“ und als ehemaliges Mitglied der Rürup-Kommission bekannt. Weniger bekannt ist, dass Prof. Raffelhüschen Lobbyist der Arbeitgeberverbände und der Versicherungswirtschaft ist. Von Martin Betzwieser

Kürzlich bekam ich den Hinweis, dass Professor Dr. Bernd Raffelhüschen im Auftrag der dortigen Sparkasse einen Vortrag in Darmstadt hielt. Ich meldete mich an, war da und erlebte eine denkwürdige Veranstaltung.

Am Montag, den 17. Oktober geht es um 19:00 Uhr los. Rechtzeitig bin ich um kurz nach 18:00 Uhr da. Vor dem Veranstaltungsgebäude verteilt eine Gruppe aus Gewerkschaftern und Mitgliedern einer Darmstädter Initiative für Renten- und Generationengerechtigkeit Infomaterial. Einen kenne ich und wir kommen etwas ins Gespräch. Die Betreiber des Darmstadtiums wollten die Stände verhindern, aber die Darmstädter Stadtverwaltung erlaubte sie. Was da vorgeht, bekommen natürlich die Veranstalter bis ins Detail mit und das hat später Konsequenzen.
Vor dem Veranstaltungssaal gibt es ein reichhaltiges Sekt,- Wein- und Häppchenbuffet. Für die Zukunft muss ich mir angewöhnen, meine Digitalkamera immer mitzunehmen. Im Saal zähle ich 22 Sitzreihen mit bis zu 28 Stühlen. Vorsichtig geschätzt gibt es bis zu 600 Sitzplätze und diese sind bis auf wenige Einzelplätze belegt. Viel Fachpublikum mit Sparkassen-Namensschildchen ist da.

Um 19:00 Uhr sagt ein Vorstandssprecher der Darmstädter Sparkasse den prominenten Gastredner an und er ist an diesem Abend bis auf eine Ausnahme der Einzige, der etwas von privater Altersvorsorge ins Mikrophon sagt.
Raffelhüschen spricht fast 80 Minuten und ich gebe seine Show, so gut wie es geht, wieder.
Über das, was war müssen wir nicht reden, denn das war schon. Und wenn Sie denken, dass das, was ich Ihnen erklären werde noch kommt, dann liegen Sie falsch, denn, was Ihrer Meinung nach noch kommt, war auch schon alles.

Zusammenfassung der Präsentation:
Demographie ist komisches Zeug. (Eine Präsentation der Bevölkerungsentwicklung wird in mehreren Kapiteln abgespielt. Wir sehen die „Bevölkerungspyramide“.) Und es gibt nichts Stabileres als eine richtige Pyramide. Aber es ist eigentlich keine Pyramide, denn wären die Originalpyramiden so gebaut wie die deutsche Bevölkerungspyramide, dann wäre nicht mehr viel übrig. Denn bei der deutschen Bevölkerungspyramide ist die breiteste Stelle – der Knubbel – in der Mitte und diese Mitte sind wir. Und deswegen sprechen wir in Freiburg auch nicht von einer Pyramide sondern von einer Dönerspieß-Struktur und diese wird sich im Laufe der Jahre in eine Pilz- bzw. in eine Urnenstruktur entwickeln. (Quelle der Grafiken sind jeweils Daten von Rechenmodellen des Statistischen Bundesamtes).

Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber bei der Reproduktion waren Sie, die Sie hier Sitzen, ähnlich erfolgreich wie die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft. Das ist nicht persönlich gemeint, denn ich möchte ja nicht dauernd Anzeigen wegen Beleidigung bekommen. Aber in Ihrer Fertilität waren Sie der größte Rohrkrepierer in der Geschichte. Ihre Kinder sind so wenig wie noch nie – mit Ausnahme der Endjahre des Zweiten Weltkrieges; damals trieben sich allerdings die meisten Mitglieder der männlichen Bevölkerung irgendwo in Europa herum anstatt beim Kinderzeugen. Die haben alle eine gute Entschuldigung, Sie nicht. Und diese Kerbe konnten auch die paar Fremdarbeiter nicht ausgleichen. Aber Sie werden in die Geschichte eingehen als die Generation in der Geschichte, die über 40 Jahre die Fertilitätsrate deutscher Bombennächte hatte.

Und wenn Sie diese zukünftigen Erwerbstätigen und zukünftigen Rentner von ca. 2033 (auf der Grafik an der Leinwand) für zukünftig halten, dann muss ich Ihnen leider sagen, dass Sie falsch liegen. Die sind nicht zukünftig, die sind alle schon da. An Ihnen ist nichts Zukünftiges, Sie sind ja alle hier. Und die Kinder, die uns hier aus den letzten 40 Jahren als Beitragszahler fehlen, kriegen wir nicht mehr rein – auch nicht so, wie es das Statistische Bundesamt als Möglichkeit einplant, 150.000 Beitragszahler als Zuwanderer hinzuzurechnen, jedes Jahr. Das ist die offizielle Projektion, tja. Aber wir sind ein Auswanderungsland. Es wandern jedes Jahr mehr Menschen aus als ein. Hätten wir nur die 150.000 Einwanderer jedes Jahr – die Richtigen natürlich. Und das können Sie und wir nicht mehr ändern.

Wir werden in Zukunft doppelt so viele Rentner sein wie jetzt und das ist eine Tatsache, denn die sitzen schon alle hier. Die Frage ist nur, wie viele Erwerbstätige wir dann haben werden. Und Sie fühlen sich gesund, laufen am Wochenende mal einen halben Marathon, nicht wahr, glauben Sie mir, das wird sich ändern. Und wir werden auch in Zukunft doppelt so viele Kranke haben. Und diese Alten und Kranken werden immer länger leben und versorgt werden müssen wie heute. Und wir werden Pflegefälle und wir werden verdammt viele Pflegefälle. Jeder vierte von Ihnen, der hier sitzt, wird kein Pflegefall werden. Und wer wird das bezahlen? Na die gleichen Beitragszahler wie bei der Rente, die gar nicht geboren wurden. Und wenn Sie meinen, dass man das mit Steuergeld regeln könnte, muss ich Ihnen leider sagen, dass die Steuerzahler, die das bezahlen können, genau so wenig geboren wurden wie die Beitragszahler. Jede Generation wird vier Jahre länger leben als die Generation davor, sagt das statistische Bundesamt. Und die Anderen müssen das bezahlen und sind gar nicht erfreut darüber.

Und wenn Ihr Bürgermeister in Darmstadt im Jahr 2055 noch bei allen Hundertjährigen zum Gratulieren vorbei schaut mit Blumenstrauß und dort eine Tasse Kaffee trinkt, dann wird er einen Koffeinschock bekommen bei den vielen Hundertjährigen und bei dem vielen Kaffee.
Und wenn dann jedes Jahr mal ein paar Schlagzeilen in den großen deutschen Tageszeitungen kommen wie „Wir sterben aus.“ oder „Die Deutschen sterben aus.“ Woher wissen die das? Weiß ich nicht. Wir Wissenschaftler und wir Statistiker wissen so etwas nicht. Wir haben davon keine Ahnung. Denn das ist dann wirklich Zukunft. Und deshalb wissen wir nur, dass wir ein paar weniger sein werden als jetzt, aber nicht wie Viele. Wenn sie wissen möchten, wie die Zukunft 2075 aussehen wird, suchen Sie sich eine alte Frau mit Glaskugel. Aber aussterben werden wir nicht. Der sibirische Tiger ist bei 400. Das ist wirklich kritisch.

Und ein paar Probleme werden nur dann gelöst sein, wenn ein paar von Ihnen nicht in dieser Urne (der Bevölkerungsgrafik Marke Raffelhüschen in Urnenform) sondern in einer echten Urne sitzen werden.

Wenn Sie immer mehr Rentner immer länger versorgen wollen, dann gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder Sie behalten das Leistungsniveau bei und Ihnen explodieren die Beiträge und das macht Ihre Güter noch teuerer und wir haben irgendwann eine deindustrielle Zone. Und gegenseitig Haare Schneiden ist nicht bei allen von Ihnen lukrativ. Oder die Leistung muss sinken. Und Sie denken, das wird kommen. Ne, das haben wir alles schon gemacht. Sie werden in Zukunft länger arbeiten müssen und dafür kürzer weniger Rente bekommen.

Das wurde vorgeschlagen von der Rürup-Kommission und da war ich dabei. Und Rürup müsste Ihnen ja ein Begriff sein. Der wohnt hier in der Gegend und müsste für seine Vorschläge eigentlich Ehrenbürger dieser Stadt werden. Die Rürup-Kommission schlug die Rente mit 67 vor. Und zeitgleich gab es die Kommission der damaligen Opposition unter Roman Herzog. Und als die den Vorschlag der Rürup-Kommission mit Rente 67 hörten, sagten die: Ja, stimmt. Und da hätten Sie stutzig werden müssen. Denn nicht nur Regierung und Opposition und sämtliche Wissenschaftler waren einer Meinung. Dann kann das gar nicht so falsch sein. Und wenn jede Generation länger leben muss und dafür zwei Jahre länger arbeiten muss, ist das umsonst, denn Sie zahlen ja nicht länger ein.
Umsonst ist hier nichts, auch nicht die Häppchen vorhin.

(Nach ca. einer ¾ Stunde geht ein älterer Herr der Darmstädter Initiative für Renten- und Generationengerechtigkeit an die Bühne und kritisiert Raffelhüschen. Der reagiert schlagfertig. „Ja glauben, Sie etwa, das ist eine Diskussionsveranstaltung?“ Der alte Herr ist akkustisch nicht zu verstehen und wird von Teilen des Publikums nieder gebrüllt und aufgefordert, auf seinen Platz zurück zu kehren oder zu gehen. Es hat keinen Zweck so. Diese Diskussion muss später direkt im Rahmen einer Fragerunde geführt müssen – falls es diese geben wird, abwarten. )

Es wird uns immer wieder vorgeworfen, wir würden eine verkappte Rentenkürzung machen. Wieso denn verkappt? Das ist natürlich eine Rentenkürzung, was soll das denn sonst sein. Das ist eine Rentenkürzung von 0,3% für jeden Monat, den Sie vorzeitig in Rente gehen. Und wenn Sie nicht vorzeitig in Rente gehen, sondern bis zum 67. Lebensjahr durchhalten, dann arbeiten Sie zwei Jahre länger und bekommen ihre ungekürzte Rente für zwei Jahre kürzer und das ist ebenfalls eine Rentenkürzung von 7,2%. Sie dürfen sich nun aussuchen, ob Sie Ihre Rentenkürzung monatlich oder am Stück haben wollen. Und das hat keiner kapiert und es wurde auch wirklich nicht gut erklärt. Und die Große Koalition hat das dann endlich geschafft, die Rente mit 67 zu beschließen. Aber Rot-grün schaffte 2003 noch viel mehr, nämlich den Nachhaltigkeitsfaktor. Aber das und die modifizierte Bruttorentenanpassung kann ich jetzt nicht erklären, weil das zu lange dauert. Und das ist auch sehr schwer zu erklären. Und Journalisten können das auch nicht erklären. Und weil sie das nicht verstehen und nicht erklären können, weil das ein Riesenbruch mit griechischen Buchstaben ist, schreiben sie meistens nichts darüber und die Rente mit 67 bleibt übrig.

Dabei war der Nachhaltigkeitsfaktor die größte Rentenkürzung aller Zeiten, doppelt so groß wie die Rente mit 67, 13 – 14%. Wir haben in Deutschland eine Basisrente eingeführt. Und diese Basisrente ist sicher, das sage ich ihnen ganz unverBLÜMt. (Applaus, Riesenlacher.)
Und Sie dachten, Sie bekommen hier etwas über Ihre Probleme erzählt. Sie haben keine Probleme, Sie sind das Problem, also nicht die Graumelierten. Die Graumelierten hier wollten Oma und Opa werden, aber wir haben es vermasselt und die Probleme verursacht. Und daher ist es fair und gerecht, wenn wir die Rente gekürzt bekommen. Es trifft immer die Richtigen.

Und ob die Rente am Kapitalmarkt hier (das Einzige mal, dass er dieses Wort an diesem Abend sagt) so viel bringt wie z.B. in Norwegen, kann ich nicht sagen, das ist der Wissenschaft egal. Und ob Sie Ihr Geld in eine betriebliche oder eine private Altersvorsorge stecken, in eine Riester-Rente oder einen „Wohn-Riester“, ist uns aus der Wissenschaft auch egal, uns war sicher, dass Sie die Beiträge von der Steuer absetzen können und die Rente nachhaltig besteuert wird. Und keine Angst – so hoch, dass Sie von Ihrer Rente Steuern zahlen müssen, wird die Rente in den meisten Fällen nicht sein.

Altersarmut wird deutlich übertrieben. Es ist statistisch nachweisbar: Es gibt keine Altersgruppe in Deutschland, die so wenig von Armut betroffen ist wie die Rentner. In den Talkshows bekommen Sie aber über Altersarmut immer die gleichen Tränen vorgeführt, die zusammen gesammelt werden, und es sind immer die Gleichen, weil es kaum welche gibt. (Lacher) Das wird in Zukunft anders sein, keine Frage.

Ach ja. Auch wenn sich zwei von drei Personen, die heute Abend anwesend sind, sich später im Alter zu Hause pflegen lassen sollten, wird das teuer – mangels Tochter, die Sie nicht zeugen werden oder gezeugt haben, bzw. mangels Sohn, der Ihnen eine Schwiegertochter gibt.

Nach ca. 80 Minuten ist die Show zu Ende. Eine Diskussion mit dem Publikum im Saal gibt es nicht. Natürlich nicht. Das wäre ja dumm. Da ein Grüppchen Demonstranten vor der Halle war, muss ja klar sein, was eine Diskussion bringt, nämlich unangenehme Fragen und Fakten. Das ist ja auch keine Diskussionsveranstaltung sondern eine Verkaufsveranstaltung und die Geschäfte mit bis zu 600 potentiellen Kunden lässt man sich nicht kaputt machen.
So viele Argumente und Fakten hatte ich, mit denen ich den Versicherungsvertreter mit Professorentitel konfrontieren wollte. Aber er nahm sie mir fast alle aus dem Mund. Sein Text vor Publikum unterscheidet sich nicht sehr von dem Text vor Versicherungsvertretern. Was er noch vor knapp über einem Jahr vermied, baut er inklusive dem Gag „unverBLÜMt“ in seine Reden ein, spricht ganz offen über Rentenkürzung und bekommt dafür noch Applaus. Dass sich Raffelhüschen an manchen Stellen selbst widerspricht, nämlich Modellrechnungen für die nächsten 50 bis 60 Jahre als unausweichlich darstellt, aber später selbst zu gibt, Wissenschaftler hätten keine Ahnung davon, scheint nur den Wenigsten aufzufallen. Damit, dass die erwerbfähige Bevölkerung immer die Teile der Bevölkerung ernähren müssen, die zu jung, zu alt oder zu krank zur Erwerbsarbeit sind – egal ob mit Umlageverfahren, kapitalgedeckten Systemen oder direkt von der Hand in den Mund, s. Mackenroth-Theorem – ist ein Argument, das nicht vorgetragen werden kann.
Von Raffelhüschens zahlreichen Lobby- und Aufsichtsratstätigkeiten dürften den meisten in der Halle kaum bekannt sein. Etwa dass er Aufsichtsratsmitglied bei der ERGO-Versicherungsgruppe und bei der Volksbank Freiburg eG, Berater des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft ist und so genannter „Botschafter“ der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, einer Lobbyorganisation des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall / Elektro, die 2011 über einen Gesamtetat von über 7 Millionen Euro verfügt. Sein Forschungszentrum Generationenverträge an der Universität Freiburg, dessen Logo wir auf den Vortragsfolien sehen, wird über einen Förderverein von der Industrie, Versicherungsbranche und eben von der Arbeitgeberlobby Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft finanziert. Der Vorstand des Fördervereins besteht aus Raffelhüschen selbst und Günther Knortz, einem ehemaligen Vorstandsmitglied der ERGO-Versicherungsgruppe.

Auch das mit der Einwanderung und Auswanderung ist eigentlich ganz anders.
In einem Punkt hat der Professor allerdings völlig Recht. Das Häppchen-Buffet und der Sekt draußen sind nicht umsonst. Genauso wenig sind die Kosten für die Halle oder das Honorar des Professors oder seine Reisekosten umsonst. Das zahlen wir alle doppelt oder dreifach. Wir zahlen das mit der Kürzung unseres Rentenniveaus und mit der Förderung für Riester-Renten. Und wer eine Riester-Rente hat oder noch abschließen wird, zahlt das mit seinen Versicherungsbeiträgen. Und dieses Geld kommt erst einmal nicht auf den Konten der Anleger/innen ankommen sondern bei den Banken und Versicherungen an, die davon Provisionen, Werbung und z.B. solche Veranstaltungen mit Riesenhalle, Buffet, Honorarprofessor und Reisekosten finanzieren.

Vielleicht hätte ein Argument gewirkt. Der von Raffelhüschen angemahnte Ehrenbürger der Stadt Darmstadt Hans Adalbert (Bert) Rürup sagte bei einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung am Frankfurter Campus Westend zum Thema Beratung für Regierungen und Regierungsorganisationen Anfang 2009 vor ca. 300 Besuchern/innen, dass es keine „unabhängigen“ Experten gebe. Das Ergebnis einer Studie oder das Ergebnis der Arbeit einer Kommision käme immer dem sehr nahe, was die Auftraggeber einer Studie oder Kommission als Ergebnis wünschten; also seien Berater immer abhängig. Das wussten wir schon vorher, aber es war sehr wertvoll, diese Aussage aus dem Mund eines ehemaligen Regierungsberaters und immer noch Versicherungsvertreters mit Professorentitel zu hören.

Eines muss man dem Professor aus Freiburg bei aller Ablehnung der meisten seiner Argumente lassen. Er ist ein perfekter Rhetoriker, der sein Publikum langsam weich kaut. Anders, als Sie es aus dem Fernsehen kennen, reichert der Professor seinen Vortragsstil mit pausenlosem Geplapper und Satzwiederholungen an und bewegt sich dabei sehr oft auf der Bühne hin und her. Ja, nicht wahr, nun, Sie sehen, sehen Sie, Sie verstehen doch, verstehen Sie, Ja, oder, dann ist das so, dann ist das doch so, oder etwa nicht, das muss ich Ihnen sagen, leider muss ich Ihnen das sagen, ja nicht wahr, usw. usf. Er benutzt einen Sprachstil, der improvisiert wirken soll und so, als ob es dem Mann tatsächlich unangenehm ist, dass er Ihnen seine angeblichen Wahrheiten erklären muss, deren Wahrheitsgehalt wir großteils gar nicht nachprüfen können. Dabei ist hier nichts improvisiert sondern genau einstudiert.

Die Show ist zu Ende und die Publikumsdiskussion bleibt aus. Ein Grüppchen bildet sich um den Professor und der alte Herr von vorhin versucht, ihn bloß zu stellen, ist ihm aber rhetorisch hoffnungslos unterlegen.

Schließlich verteile ich Infomaterial, das ich mir für einen eigentlich geplanten Redebeitrag aufgehoben hatte und informiere Gäste im Saal über die weiter oben zusammengestellten Lobbyverflechtungen des Professors. Dabei bekomme ich als Antworten auf seine Interessensverflechtungen mit der Versicherungsbranche Sprüche wie „Und was ist daran so schlimm? Wir sollten froh und dankbar sein, dass es jemand macht, der sich so gut auskennt.“ Zwei junge Männer nehmen Teile der Veranstaltung mit einem Videotelefon auf. Als ich sie darüber informiere, dass dieses Forschungsinstitut von der Versicherungsbranche finanziert bekommen, antworten sie, dass sie das wissen, denn sie kommen von dort. Ein Phänomen, das ich sonst nur von besonderen Filmfestivals kenne, erlebe ich nun hier. Ein Vortragsprofessor nimmt seine Studenten zum Jubeln und zur Dokumentation mit und wir bezahlen alles.

Das war ein sehr ernüchternder Abend, aber eine lehrreiche Information über das Vorgehen und den Auftritt von Lobbyisten.

Anbei noch ein bescheidener Artikel aus dem Darmstädter Echo. Die Autorin hielt offensichtlich nur die Hälfte des Vortrags durch – wenn sie überhaupt anwesend war – und ersparte sich bei ihrem vermutlich nicht sehr üppigen Zeilenhonorar, die oben beschriebenen Lobbytätigkeiten des Professors zu erwähnen. Um einem Professor Raffelhüschen etwas entgegen zu setzen, sind schon Meister ihres Fachs auf dem Gebiet des Journalismus oder der Wissenschaft nötig und diese fehlten hier natürlich.


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