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Titel: Im Westen nicht viel Neues

Datum: 14. Mai 2012 um 9:12 Uhr
Rubrik: Wahlen
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Das Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen ist nicht überraschend, gemessen an den Umfragen vor der Wahl überrascht nur der Absturz der CDU. Die Wahl in NRW war vor allem eine Persönlichkeitswahl, Inhalte der Politik spielten im Wahlkampf eher eine nachgeordnete Rolle. Das erklärt am ehesten den Anstieg der SPD mit einem Plus von 4,7% auf über 39 Prozent der Stimmenanteile und das historisch schlechteste Ergebnis für die CDU mit einem Minus von 8,3% auf 26,2 Prozent. Das macht auch den Wiedereinzug der FDP mit einem leichten Plus von 1,9% auf 8,6% plausibel. Die Partei DIE LINKE konnte mit einem Verlust von 3,1 Prozentpunkten und nur noch 3,1% – zumal ihr Spitzenkandidat Wolfgang Zimmermann schwer erkrankt ist – mit Katharina Schwabedissen, obwohl sie im Wahlkampf sympathisch herüber kam, da nichts entgegensetzen. Und die Piratenpartei zehrte mit 7,8% zum vierten Mal in einer Landtagswahl hintereinander, von der Unzufriedenheit mit den anderen Parteien (88% der Befragten sind dieser Meinung). Von Wolfgang Lieb

Hannelore Kraft lag in den Popularitätswerten (59%) haushoch vor Norbert Röttgen (29%). 75% meinten, Kraft mache ihre Sache gut, sie galt mit weitem Abstand als glaubwürdiger, bürgernäher und sympathischer und ihr trauten die Menschen mehr zu als ihrem Herausforderer. Kraft lag in der Bewertung vor ihrer Partei und Röttgen noch unter seiner CDU. Kraft hat sich in ihrem Wahlkampf an die schon beim ehemaligen und langjährigen Ministerpräsidenten Johannes Rau erfolgreiche Strategie, den „Menschen in den Mittelpunkt“ zu stellen, angelehnt und sich als eine volksnahe „Kümmererin“ präsentiert.
Die bisherige Situation einer Minderheitenregierung hat der NRW-SPD in der letzten Zeit Flügelkämpfe erspart, so dass die Partei den Eindruck der Geschlossenheit bieten konnte.

Am deutlichsten war der Unterschied im Ansehen von Person und Partei bei der FDP, Linder erreichte positive Werte, während die FDP deutlich im Minus lag. Lindner hat neben einer geradezu kampagnenartigen medialen Werbung darüber hinaus im schwarz-gelben Lager vom schlechten Image des CDU Kandidaten profitiert. Röttgen galt beim harten (energie- und industriefreundlichen) Kern seiner Partei mit seiner Umweltpolitik (trotz all seiner Zaghaftigkeit) als ein unsicherer Kantonist, angeblich wanderten 13% ehemaliger CDU-Wähler zur FDP ab. Die NRW-CDU unterläge jedoch einer Selbsttäuschung, wenn sie ihr schlechtes Abschneiden ausschließlich auf Röttgen als Sündenbock abschieben würde. Der Landesverband hat sich von der Wahlniederlage von Jürgen Rüttgers vor zwei Jahren – wo sie ja auch schon um über 10 Prozentpunkte abgestürzt war – noch längst nicht erholt und ist in sich nach wie vor völlig zerstritten.

Obwohl stellvertretende Ministerpräsidentin und bei denjenigen, bei denen sie bekannt war durchaus populär, konnte die bodenständige Sylvia Löhrmann die Grünen nicht weiter nach oben ziehen. Das lag einerseits an der größeren Strahlkraft von Hannelore Kraft in der Minderheitenregierung und andererseits daran, dass die Grünen vor allem bei den jüngeren Wählern wohl Stimmen an die Piratenpartei abgeben musste. Man muss allerdings berücksichtigen, dass die Grünen bei der letzten Wahl ein ausgesprochen gutes Ergebnis erzielt hatten, so dass es durchaus ein Erfolg ist, dass sie dieses Niveau halten konnten.

Dass in diesem Wahlkampf nicht die Themen gezündet haben, erklärt wohl auch die nochmals um einen Prozentpunkt auf 58,3% gesunkene Wahlbeteiligung – und das obwohl in der letzten Wahlkampfwoche die Stimmung mit permanenten Meldungen über ein Kopf-an-Kopf-Rennen angeheizt worden ist. Angesichts dieser geringen Wahlbeteiligung sollte eigentlich der Jubel der Wahlgewinner deutlich gedämpfter ausfallen.

Röttgen und Lindner haben nahezu ausschließlich auf das Schuldenthema gesetzt. Da sich aber beide eher blamierten, wenn sie danach gefragt wurden, an welcher Stelle sie denn konkret sparen würde, blieben sie bei diesem Thema ziemlich unglaubwürdig. Wenn man überhaupt ein politisches Signal aus dem Wahlergebnis ziehen möchte, dann das, dass die Menschen eine eindimensionale Sparpolitik nicht für zukunftsträchtig betrachten. Kraft konnte dabei mit ihrer „vorbeugenden Politik“, die auch auf Investitionen in die Zukunft setzt, also vor allem staatliche Mittel in Kinder und in Bildung und in die Unterstützung der Kommunen lenken will, sogar eher punkten.

Mitentscheidend für die Gewinne der SPD war sicherlich auch, dass sich Hannelore Kraft, anders als der saarländische SPD-Chef Maas im Saarland, deutlich gegen eine Große Koalition mit der CDU ausgesprochen hatte.

Die SPD kann zwar in der „Herzkammer der Sozialdemokratie“ bei weitem noch nicht, an die Erfolge der 80er und 90er Jahre anknüpfen, dazu haben zu viele Protestwähler ihren Denkzettel gegen die etablierten Parteien bei den Piraten abgeliefert, doch immerhin hat Rot-Grün bewiesen, dass das selbsternannte bürgerliche Lager zu schlagen ist. Trotz des vor kurzer Zeit kaum noch für denkbar gehaltenen Wiedereinzugs der FDP in den Düsseldorfer Landtag und trotz ihrer leichter Zugewinne, hat Schwarz-Gelb zusammen zum elften Mal hintereinander Stimmeneinbußen hinnehmen müssen und die CDU hat bis auf die Großen Koalitionen im Saarland und in Thüringen nacheinander sämtliche Regierungschefs verloren. Bei einem weitaus geringeren Stimmenverlust für die SPD in NRW hat Gerhard Schröder im Jahr 2005 die Nerven verloren und Neuwahlen erzwungen. Auf ein solches Hazardspiel wird sich Angela Merkel sicherlich nicht einlassen. Aber, obwohl die FDP in ihrem Überlebenskampf die letzten Kräfte zur Eigenprofilierung mobilisiert, obwohl ihr die CSU mit einer Absage an eine Koalitionsrunde die Pistole an die Brust setzt und obwohl ihrer Sparpolitik inzwischen in ganz Europa eine Abfuhr erteilt wird, kann sich Merkel nach wie vor hoher Zustimmungswerte erfreuen und die CDU steht im Bund immer noch besser da, als in den Ländern. Nach gegenwärtiger Lage ist jedoch Schwarz-Gelb auch bundesweit eine Regierungsmehrheit im Berliner Reichstag abhandengekommen und im Bundesrat ist eine Mehrheit ohnehin weg. Um Angela Merkel wird es in der CDU immer einsamer. Nach der Wahlklatsche (sogar in seinem eigenen Wahlkreis) und nach der Ankündigung des Rücktritts vom Landesvorsitz von Norbert Röttgen ist nun auch noch mit „Muttis Klügsten“ ein weiterer „Kronprinz“ abgestürzt. Merkel sieht sich wohl sogar einer Diskussion ausgesetzt, ob Röttgen als Umweltminister zu halten sein wird.

Es gehört zu den üblichen Ritualen, dass Sigmar Gabriel und Andrea Nahles aus dem Ergebnis in NRW Honig für eine rot-grüne Mehrheit im Jahre 2013 zu saugen versuchten.
Dabei sollte die Bundes-SPD aber keiner Selbsttäuschung unterliegen. Sie ist in allen bundesweiten Umfragen nicht im Aufwind und liegt deutlich unter 30 Prozent. Hannelore Kraft hat es bis auf die Debatte um das Betreuungsgeld klugerweise völlig vermieden bundespolitische Themen anzusprechen. Damit konnte sie sich das Image verschaffen, dass sie an die Wurzeln der Sozialdemokratie zurückkehren wolle, 84% meinen das. Gleichzeitig sind allerdings 60% der Meinung, dass die SPD sozialdemokratische Prinzipien aufgegeben habe und 52% meinen, dass man gar nicht wisse, welche Politik die Partei im Bund vertrete. Und Andrea Nahles bestätigte gestern Abend in der sog. Generalsekretärsrunde diesen Wackelkurs der Bundes-SPD beim Fiskalpakt. Allein „Geschlossenheit“, wie sie Gabriel forderte, wird der Bundes-SPD kein Profil geben können, mit dem sie erfolgreich gegen Merkel antreten und gegen den Verdacht ankämpfen könnte, dass es der SPD nur um die Beteiligung in einer Großen Koalition als Juniorpartner gehe.

Ob die FDP auch im Bund wieder auf die Beine kommen wird, ist eine offene Frage. Lindners Abschneiden mit einem der besten Ergebnisse, das die FDP jemals in NRW erzielt hat, wird schon jetzt als sein größter Triumph gehandelt. Es zeigt, was Propaganda bewirken kann. Wer Ohren hatte zu hören, der konnte jedoch sehr gut erkennen, dass Lindner gestern Abend vor allen Mikrofonen immer nur von einen großen Ergebnis für die „FDP in NRW“ oder von der „NRW-FDP“ sprach. Er vertritt eben „seine“ FDP. Er habe den „Vertrauensverlust“ für die FDP gespürt bzw. die FDP müsse wieder „anknüpfen“ an ihre guten Traditionen. Da konnten die Röslers, die Brüderles oder die Dörings in Berlin noch so sehr einen großartigen Abend für die FDP insgesamt verkünden, Lindner und der Schleswig-Holsteiner Wolfgang Kubicki legen die Axt an ihre Führungsspitze in Berlin – und es ist nicht unwahrscheinlich, dass Lindner in einem Jahr nicht noch einmal als Zugpferd eingesetzt werden wird. Schon am Wahlabend tischte er noch einmal die Lüge auf, dass die FDP die Neuwahl in NRW aus „Prinzipienfestigkeit“ und als „Ausdruck von Tugend und Charakter“ herbeigeführt habe. Er konnte also schon wieder seine Show abziehen. Ob Lindner, sollte er an Einfluss in der FDP gewinnen, an der Treue zur CDU festhält oder ob er sich für eine Ampel bereithält, ist angesichts seines Opportunismus eine offene Frage. Andererseits weiß er, dass er von den sog. „Selbständigen“ mit 18% die meiste Zustimmung erfahren hat. Er wird also die Rolle der FDP als Klientelpartei nicht aufgeben können.

Auch für die weitere Zukunft der Linkspartei vor allem im Westen bedeutet das erneute Scheitern an der Fünf-Prozent-Grenze eine herbe Niederlage. In einem inhaltlich weitgehend unpolitischen und auf die Personen zugespitzten Wahlkampf konnte sie mit ihren sozialen Themen kein Gehör finden. Ihre Hilfestellungen für die Minderheitenregierungen gingen unter. Das Protestpotential unter den Wählerinnen und Wählern landete weitgehend bei der Piratenpartei. Nach dem Wagnis einer Minderheitenregierung konnten selbst CDU und FDP nicht mehr das Schreckbild einer rot-rot-grünen Regierung an die Wand malen und damit die Linkspartei im Gespräch halten. Die SPD und die Grünen haben die Linke einfach nur ignoriert. In der öffentlichen (medialen) Debatte war von der Linkspartei keine Rede mehr. Immer mehr Menschen, denen es schlecht geht, gehen wohl überhaupt nicht mehr wählen (siehe die schlechte Wahlbeteiligung). Sahra Wagenknecht, die in Düsseldorf ihren Wahlkreis hat, und Caren Ley, die Bundesgeschäftsführerin ihrer Partei, haben einmal mehr die Streitereien um die Führung für das schlechte Abschneiden mit verantwortlich gemacht.
Will die Partei zumindest im Westen wieder Fuß fassen, sollte sie mindestens die Führungsdebatte und die Flügelkämpfe beenden, wenn sie ihre Rolle als Bezugspol für eine alternative linke Politik behalten möchte. Erst dann wird DIE LINKE wieder eine Anlaufstelle für ein durchaus vorhandenes Wählerpotential und erst dann wird sie auch wieder Protestwähler binden, die in der Piratenpartei Zuflucht gesucht haben.

Der Wunschtraum der Piraten, nämlich dass es erneut zu einer Minderheitenregierung käme, bei der sie dann Zünglein an der Waage spielen hätten können, ist nicht in Erfüllung gegangen. Sie müssen nun nach Worten ihres Spitzenkandidaten Joachim Paul rasch lernen und man wird dann sehen können, was sie lernen.

Die wirklichen Probleme für eine erneute rot-grüne Regierung werden sich nun, da SPD und Grüne eine klare Mehrheit haben erst richtig stellen. Konnten Kraft und Löhrmann bislang viele wichtige Entscheidungen mit dem Verweis auf fehlende parlamentarische Mehrheiten vor sich her schieben, müssen sie nun Farbe bekennen. Und da gibt es zwischen diesen Regierungsparteien etwa in der Energie- und Wirtschaftspolitik viel Konfliktpotential.

(Anmerkung: Die Umfrageergebnisse und die Statistiken habe ich tagesschau.de und heute.de entnommen.)


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