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Titel: Wunschkonzert ohne Kapelle – der NRW-Koalitionsvertrag über die Hochschulpolitik

Datum: 21. Juni 2012 um 9:29 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft
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Der nordrhein-westfälischen rot-grünen Koalition fehlt ein eigenes Leitbild für eine demokratische und soziale Hochschule, das sie gegen das Paradigma der „unternehmerischen Hochschule“ stellen könnte. Deshalb sind all die schönen Wünsche und Forderungen im Koalitionsvertrag, das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt worden sind. Von Wolfgang Lieb

„Die Zukunft Nordrhein-Westfalens liegt in der Bildung“, so heißt es eingangs zum hochschul- und wissenschaftspolitischen Kapitel des NRW-Koalitionsvertrages (Zeilen 1019 ff.) [PDF – 6.4 MB] zwischen der neuen rot-grünen Landesregierung. Wie diese Zukunft allerdings konkret aussehen soll, bleibt im Nebel wohlklingender Formulierung von kaum greifbarer Substanz.

Die Übergänge von der Schule zur Hochschule sowie zwischen Bachelor und Master „müssen“ gut gelingen. Die Erfolge sollen nachprüfbar sichergestellt werden. Wer nun eine Antwort erwartete hätte, wie diese Ziele sichergestellt werden sollen, landet bei einem folgenlosen Appell an „die Verantwortung aller Akteure“.

Da liest man etwa,

  • dass der „Weg der sozialen Öffnung“ der Hochschulen konsequent weitergeführt werden soll,
  • dass die steigende Nachfrage nach Studienplätze befriedigt werden müsse,
  • dass man „individuelle, flexibel gestaltete Zu- und Übergänge und Strukturen an den Hochschulen, die die Vielfalt (Diversität) der Studierenden berücksichtigen, flexiblere Studienangebote für Teilzeitstudierende“ brauche.

Und so geht es mit durchaus wünschenswerten reformerischen Vorstellungen weiter.

Wie solche schönen Ziele um- und durchgesetzt werden sollen, bleibt aber völlig im Vagen. Man brauche dazu „eine Struktur, die den Interessen von autonomen Hochschulen und verfassungsrechtlichem Bildungsauftrag des Landes gerecht wird“. Auf eine Antwort, wie diese „Struktur“ aussehen könnte, wartet man allerdings vergeblich.

Dass es angesichts der geltenden Gesetzeslage – nach der der Staat und das Parlament allenfalls noch Zahlmeister und „Zuschussgeber“ sind, aber praktisch keinerlei Gestaltungsmöglichkeiten gegenüber den Hochschulen mehr haben – gerade an einer solchen „Struktur“ fehlt, mit der eine neue Balance zwischen „autonomen“ Hochschulen und dem verfassungsrechtlichem Bildungsauftrag hergestellt werden könnte, hat zur Konsequenz, dass die Koalitionsvereinbarung über die Hochschulpolitik im Wesentlichen nur ein Katalog mehr oder weniger schöner Wünsche ist. Es ist wie bei einem Wunschkonzert bei dem die Musikkapelle fehlt.

Da kann man sich also vielfältige Zugänge von der Schule oder aus der Berufstätigkeit in die Hochschulen wünschen, man kann dazu flexiblere und individuellere Begleitung fordern, man kann eine Senkung der Abbrecherquote auf 20 % erhoffen, man kann erbitten, dass die Hochschulen überfällige Korrekturen an den Bologna-„Reformen“ vornehmen und etwa die studentische Arbeitsbelastung oder die Prüfungsdichte reduzieren oder man kann sich wünschen, dass die Zugänge zum Master erweitert werden. Man kann erhoffen, verlangen, auffordern, erbitten, ersehnen, oder erträumen, aber ohne gesetzliche Ermächtigung fehlt jede auch nur rahmensetzende Gestaltungsmacht.

Letztlich hängen die allermeisten der schönen Wünsche dieses Koalitionsvertrages davon ab, dass und wie Rot-Grün das von Bertelsmann entworfene Hochschul-„Freiheits“-Gesetz des früheren FDP-Wissenschaftsministers Pinkwart mit der Einführung der vom Staat „entfesselten“ und der wettbewerbsgesteuerten „unternehmerischen Hochschule“ novelliert.

„Wir wollen das Hochschulgesetz novellieren“, heißt es in der Vereinbarung von SPD und Grünen und eben nicht „Wir werden das Hochschulgesetz novellieren“.

Schon daran kann man die politische Hasenfüßigkeit erkennen. Statt wie im Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg klar zu sagen „Das Leitbild der ´Unternehmerischen Hochschule`, das dem aktuellen Landeshochschulgesetz zugrunde liegt, hat noch nie zu den Hochschulen gepasst“, flüchtet sich die jetzt mit absoluter Mehrheit ausgestattete NRW-Landesregierung politisch ziemlich feige in die Fortsetzung des zu Zeiten der Minderheitenregierung „begonnen Dialogprozesses“ mit den Hochschulen.

Nach dem, was aus dem bisherigen Dialog vor allem mit den Hochschulleitungen herausgekommen ist, kann man den Wunschkatalog in der nunmehr beschlossenen Koalitionsvereinbarung getrost vergessen. Die Hochschulpräsidenten waren schon gegen die Abschaffung der Studiengebühren und sie werden sich in Zukunft auch mit allen Kräften (und mit passender publizistischer Begleitung) dagegen wehren, dass die ihnen im Hochschul-„Freiheits“-Gesetz zugestandene autokratische Machtfülle wieder an eine demokratische Legitimation gebunden wird.
(Hier trifft wirklich der Spruch zu, dass man die Frösche nicht fragen darf, ob der Sumpf trocken gelegt werden soll.)

Es ist ja schön und gut, dass die künftige NRW-Landesregierung mit den Hochschulleitungen über „mehr demokratische Beteiligung aller Gruppen innerhalb der Hochschulen“ oder über die „Zuständigkeiten“ zwischen Hochschulräten und Senaten verhandeln will, aber schon in dieser Herangehensweise zeigt sich, dass die NRW-Koalitionäre das Leitbild der zwar staatlich finanzierten aber funktionell privatisierten „unternehmerischen Hochschule“ voll und ganz übernommen haben: Sie wollen Verhandlungen wie mit privaten Unternehmen führen und hoffen, dass diese gegenüber den guten Argumenten der Politik einsichtig sind.

Man nimmt also nicht einmal den verfassungsrechtlichen Auftrag zur Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit wahr und schafft den verfassungswidrigen Zustand ab, dass die niemand rechenschaftspflichtigen Hochschulräte den Hochschulen ihre Hochschulleitungen aufzwingen können? Warum verschafft man nicht wenigstens der in der Landesverfassung verankerten Selbstverwaltungsgarantie der Hochschulen wieder Geltung? (Siehe dazu Verstoßen die Hochschulräte im „Hochschulfreiheitsgesetz“ NRW gegen die Wissenschaftsfreiheit?)

Der nordrhein-westfälischen rot-grünen Koalition fehlt ein eigenes Leitbild für eine demokratische und soziale Hochschule, das sie gegen das Paradigma der „unternehmerischen Hochschule“ stellen könnte. Deshalb sind all die schönen Wünsche und Forderungen im Koalitionsvertrag, das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden.


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