Verstoßen die Hochschulräte im „Hochschulfreiheitsgesetz“ NRW gegen die Wissenschaftsfreiheit?

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Am 16. Dezember 2011 findet im Düsseldorfer Landtag ein Sachverständigengespräch zur Novellierung des NRW „Hochschulfreiheitsgesetz“ statt. Dabei geht es vor allem um die Stellung der Hochschulräte an den Hochschulen. Ich bin zu diesem Gespräch geladen und wurde um eine schriftliche Stellungnahme gebeten. Diese möchte ich auch den Leserinnen Lesern der NachDenkSeiten anbieten. Interessierte bitte ich um Kritik, Ergänzungen, Hinweise und zusätzlichen Rat. Wolfgang Lieb

Stellungnahme für das Sachverständigengespräch des Ausschusses für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie
am 16. Dezember 2011 im Landtag Nordrhein-Westfalen

zu den Beratungsgegenständen
„Gesetz zur Abschaffung der Hochschulräte“, Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 15/2356 [PDF – 230 MB]
in Verbindung mit
„Keine Schnellschüsse auf Kosten der Hochschulen – Hochschulfreiheit erhalten und Hochschulfreiheitsgesetz wissenschaftliche evaluieren“, Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP – Drucksache 15/2366 [PDF – 140 KB]
Von Dr. Wolfgang Lieb

Das „Hochschulfreiheitsgesetz“ NRW, ein Paradigmenwechsel
Mit dem Hochschulgesetz NRW vom 31. Oktober 2006, dem sog.“Hochschulfreiheitsgesetz“ wurde ein Leitbildwechsel, ja geradezu ein „Systemwandel“ (Amrhein, Die Universität als Dienstleistungsunternehmen, S. 5 ff.; Rollmann, Die Universität als Wirtschaftsunternehmen; zur deregulierten Hochschule Smeddinck, DÖV 2007, 269 ff.) im Hochschulwesen vollzogen.

Von der sich selbstverwaltenden Gruppenuniversität zur „unternehmerischen“ Hochschule

  1. In der sich selbstverwalteten Gruppenuniversität entschieden (vor allem) die Gemeinschaft der Lehrenden und (in Studienangelegenheiten mit einer Drittelparität) auch die Studierenden – jedenfalls dem Anspruch nach – nach forschungs- und lehrrelevanten Maximen und Interessen über Forschung und Lehre und – mit zunehmend flexibilisierten Haushalten – auch über die Verteilung der Ressourcen innerhalb der Hochschulen.

    Der Staat legte den Finanzrahmen fest und führte im Wesentlichen nur eine Rechts- und Finanzaufsicht. (Nur in Verwaltungsangelegenheiten, z.B. beim Beamtenrecht oder bei Einhaltung des allgemeinen Verwaltungsrechts hatte der Staat Weisungsbefugnis.) Eine „Fachaufsicht“ durch die Hochschulräte wie de lege lata wäre gegenüber einer Selbstverwaltungskörperschaft bis dato nicht denkbar gewesen. Das Schreckbild eines „zentral gesteuerten staatlichen Dirigismus“ (so im Antrag der Fraktion der CDU und der FDP [PDF – 140 KB]) ist eher ein geschichtsklitterndes Horrorgemälde aus leicht durchschaubaren politischen Motiven. Es war allerdings so, dass die Hochschulen damals einen Sündenbock zur Verfügung hatten, wenn es zu Knappheiten oder auch zu Konflikten innerhalb der Hochschule kam; als Bock musste damals eben das Ministerium herhalten. Mit der Globalisierung der Haushalte wurden diese Verteilungskämpfe nur vom Staat und von der Politik weg nach unten in die Hochschulen hinein verlagert.

  2. In der neuen „unternehmerischen“ Hochschule soll nicht mehr aufgrund von „Entscheidungen in den Gremien“ (in denen nach einem weitverbreiteten Vorurteil natürlich nur „blockiert“ wurde und „demotivierende Bedingungen“ herrschten, so etwa der frühere Innovationsminister Pinkwart in „Hochschulen auf neuen Wegen“ [PDF – 1.5 MB]) gehandelt, sondern es muss nach den Gesetzen des „Wettbewerbs“ und der „Konkurrenz“ auf dem Wissenschafts- und Ausbildungsmarkt entschieden werden.

Nicht nur die Universität selbst soll „unternehmerisch“ agieren, sondern auch die Lehrenden und Forschenden sollen zu „Unternehmern innerhalb der unternehmerischen Hochschule“ (Pinkwart, a.a.O.)werden.
Bei Entscheidungen unter Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck sind ausgiebige Diskussionen in Selbstverwaltungsgremien nur „bürokratische Hürden“ und „Hemmnisse“, die es „aus dem Weg zu räumen“ gilt. (Pinkwart a.a.O.) Die Hochschule im Wettbewerb bedarf, so Pinkwart (a.a.O.) „klare, handlungsfähige und starke Leitungsstrukturen“ bzw. „ein modernes Management“, das rasche Entscheidungen treffen und umsetzen kann.
Horizontale, Bottom-up-Strukturen demokratischer oder kooperativer Interessenvertretung mussten in diesem neuen Leitbild der Hochschulen von vertikalen, Top-down-Entscheidungsbefugnissen abgelöst werden.

Während der Rektor einer Hochschule früher eher der „primus inter pares“ war, braucht die „unternehmerische“ Hochschule wie ein auf „den Zukunftsmärkten“ agierendes Unternehmen ein „professionelles Management“ mit effizienten Entscheidungsbefugnissen und rascher Entscheidungskraft. Die Hochschulleitungen sollten von der Spitze aus in alle Bereiche des Unternehmens – als „Arbeitgeber und Dienstherr“ des „Personals“ (ehemals Hochschullehrer genannt) und bis hinein in die „Ausbildungsverhältnisse“ (ehemals Studium genannt) – durchentscheiden können. Man braucht dazu sozusagen einen Chief Executive Officer als Präsidenten, gegen dessen Stimme keine Entscheidung getroffen werden kann. (So in § 15 Abs. 2 Ziff. 3 HFG geregelt.)

Die Qualität einer Hochschule bestimmt sich nicht mehr aus ihrer wissenschaftlichen Anerkennung innerhalb der Scientific Community – also aus ihrem ´kulturellen Kapital` (Pierre Bourdieu) -, sondern in der „unternehmerischen“ Hochschule erweist sich Qualität in der „Konkurrenz mit ihresgleichen“ (Pinkwart a.a.O.). Und die Qualität eines wissenschaftlichen Studiums lässt sich aus den Benchmarks von Hochschulrankings ableiten, die Qualität der Forschung aus der Höhe der Drittmitteleinwerbungen – also aus ganz handfestem Kapital.

Dabei soll die einzelne Hochschule „das Ziel Qualität auf unterschiedlichen Wegen zu verfolgen. Die eine Hochschule wird sich auf ihre Rolle als Ausbilder und F&E-Partner in ihrer Region konzentrieren. Eine andere Hochschule wird sich an starken europäischen Mitbewerbern um technologische Leitprojekte orientieren und mit dem Anspruch antreten, in der internationalen Liga der Spitzenforschung mitzuspielen“. (Pinkwart a.a.O)

Diese Zielvorstellung entspricht also in etwa dem amerikanischen Hochschulsystem mit einer hierarchisch tief gestaffelten Hochschullandschaft einiger weniger Spitzenuniversitäten mit hoher Forschungsreputation und Ausbildungsangeboten für den Nachwuchs der Upper Class und der großen Masse von Hochschulen ganz unterschiedlicher Qualität für die große Masse der Studierenden.

Damit den Gesetzen des Wettbewerbs gefolgt werden kann, müssen – dem Glaubensbekenntnis des Markt- und Wettbewerbsliberalismus entsprechend – der Staat oder die Politik aus dem Marktgeschehen möglichst weitgehend herausgehalten werden.
Das Parlament ist allenfalls noch der Zahlmeister, der „Zuschüsse“(!) gewährt und der Staat hat die „Finanzierungssicherheit bis zum Ende (!) der Legislaturperiode“ (Pinkwart a.a.O.) zu garantieren.

Die Hochschulen werden also statt den „Gesetzen“ des demokratischen Gesetzgebers, den anonymen „Gesetzen“ des Wettbewerbs unterstellt. Den angeblich objektiven Zwängen des Wettbewerbs kann und darf sich kein Mitglied der Hochschule, ob Forschender, Lehrender oder Studierender mehr entziehen.

Die Professorinnen und Professoren sollen sich quasi als Ich-AG begreifen und dementsprechend ein leistungsabhängiges Einkommen beziehen. Die Studierenden sollen den Status von „Kunden“ erhalten und Bildung als Dienstleistung einkaufen. Ein Studium gilt als eine Investition in das „Humankapital“, das eine persönliche Dividende abwerfen soll.

Die Forschungs-, Lehr- und Lernfreiheit wird als Freiheit zur Durchsetzung auf dem Ausbildungs- und Wissensmarkt umdefiniert. Denkt jeder Hochschullehrer und jede Hochschule an sich, so ist an alle gedacht. So lautet das markt- und betriebswirtschaftliche Credo.

Hochschulrat

An Stelle des Ministeriums oder des Parlaments als demokratische legitimierte rahmensetzende Organe wurde in der „unternehmerischen“ Hochschule, wie bei einem in Form einer Aktiengesellschaft konstituierten Wirtschaftsunternehmen, dem Management eine Art Aufsichtsrat als (so wörtlich) „Fachaufsicht“ mit weitgehenden Kompetenzen (§ 21 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 16 Abs. 4 S. 3, § 19 Abs. 2 S. 2, § 33 Abs. 2 S.3 HG NRW) vorgesetzt.

Das Problem der Legitimation

Es wird argumentiert, dass mit dem förmlichen Auswahlverfahren nach § 21 Abs. 4 HG NRW – bei dem die Vertreter der Hochschule allerdings in der Minderheit sind – „die demokratische Legitimation der Hochschulratsmitglieder gesichert“ sei (Pinkwart a.a.O.). Tatsächlich sind aber weder der Hochschulrat als Gremium noch die einzelnen Mitglieder eines Hochschulrats über die gesamte fünfjährige Amtszeit irgendeiner demokratisch legitimierten Instanz rechenschaftspflichtig.

Der Hochschulrat ist sozusagen „freischwebend“. Anders als bei einem Unternehmensaufsichtsrat sitzen in diesem Hochschul-Aufsichtsrat noch nicht einmal wie in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen die „Shareholder“, die dort ihre Einlageinteressen vertreten, dem „Vorstand“ gegenüber. Die Hochschulratsmitglieder entscheiden über das Geld der Steuerzahler nach ihren ganz persönlichen, ihren hochschulpolitischen oder ökonomischen Interessen und Einstellungen.

Die Mitglieder der Hochschulräte können bislang selbst bei einer persönlichen Verfehlung nicht einmal abberufen oder abgewählt werden.

Wenigstens einige dieser Defizite räumen inzwischen sogar die wichtigsten Protagonisten der Einrichtung von Hochschulräten – nämlich das bertelsmannsche Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft – ein. In einem im September 2010 herausgegebenen „Handbuch Hochschulräte“ [PDF – 2.8 MB] wird z.B. eine gesetzliche Regelung für eine Abberufung von Hochschulratsmitgliedern verlangt. Es wird weiter zugegeben, dass die Haftung der Mitglieder ungeklärt ist. Die Ehrenamtlichkeit konfligiere mit den zumeist weitreichenden Kompetenzen der Hochschulräte, deshalb sollten Hochschulratsmitglieder für einen „individuellen Versicherungsschutz“ Sorge tragen; etwa in Form einer „Directors and Officers Versicherung“, wie das für das Management von Unternehmen üblich ist. Die Hochschulen sollen die entsprechenden Versicherungsbeiträge übernehmen.
Und – weil in der neuen Hochschulwelt alles evaluiert werden muss – sollen sich die Hochschulräte einer „externen Evaluation“ stellen. Außerdem soll das Ministerium externen Hochschulratsmitgliedern zu Beginn ihrer Tätigkeit einen Leitfaden „in Form eines „Starter-Kits-für Hochschulräte“ (so wörtlich) zur Verfügung stellen.
Eine angemessene Vergütung soll die Hochschule den Hochschulratsmitgliedern auch noch anbieten.

Das Problem der Sachkompetenz

Die Hochschulratsmitglieder mögen zwar viel Engagement und Sympathie für „ihre“ jeweilige Hochschule haben, doch sie müssen keinerlei rechtlichen Kenntnisse besitzen, sie müssen noch nicht einmal mit dem Hochschulwesen vertraut sein, sie sind ehrenamtlich tätig und sollen sich nach den gesetzlichen Vorgaben lediglich vier Mal im Jahr treffen. In aller Regel haben Hochschulräte keinen eigenen planerischen Unterbau und keine weisungsgebundenen Mitarbeiter, sondern sie sind von den Vorlagen und Informationen der Hochschulleitungen abhängig. Theoretisch bestünde zwar die Möglichkeit sich in Abstimmung mit der Personal- und Wirtschaftsabteilung etwa der Rechtsabteilung zu bedienen (§ 21 Abs. 7 S. 1 HG NRW) oder den Rat einer (Hochschul-)Kommission (§ 12 Abs. 1 S. 3 HG NRW) einzuholen, doch das ist schon deshalb ziemlich unpraktikabel, weil damit die Bediensteten der Hochschulverwaltung in einen unlösbaren Treuekonflikt zwischen Hochschulleitung und Hochschulrat geraten könnten.

Auch die neueste Studie des bertelsmannschen CHE über das „strategische Management an den Hochschulen [PDF – 1.7 MB] kommt hinsichtlich der Hochschulräte zum Ergebnis, dass diese zwar kaum „fachlichen Impulse“ geben, aber dafür die Macht hätten, Strategien einzufordern. Im Hinblick auf die fachlichen Impulse ergab sich „ein klares negatives Urteil“ (S.90):

„Die große Mehrheit der Interviewten berichtete, dass die Hochschulräte (hier vor allem die externen Mitglieder) fachlich wenig zur Strategie der Hochschule beitragen (teils wollen, teils) können…Gleichzeitig herrschte weitgehende Einigkeit dahingehend, dass es gar nicht wünschenswert sei, dass die Hochschulräte sich inhaltlich in die Strategieentwicklung einschalten würden. Bei den Vertreter(inne)n aus anderen gesellschaftlichen Feldern bestehe ohnehin nur die Gefahr, dass sie Erfahrungen aus ihrem eigenen Umfeld oder ihrer eigenen Branche überbewerteten… Die hochschulinternen Mitglieder des Hochschulrats wiederum verfügen über den fachlichen Hintergrund, repräsentieren aber ebenfalls nur eine kleine Auswahl von Disziplinen und Bereichen. Daher sollte man auch von ihnen eher erwarten, dass sie sich mit inhaltlichen Beiträgen zur Strategie eher zurückhalten.“

Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, WissR 43 (2010), S.184ff.) hat mit Blick auf das niedersächsische Modell einer Stiftungshochschule, „durchgreifende Zweifel“ angemeldet, ob der dort eingeführte Stiftungsrat zu einer wirkungsvollen Aufsicht überhaupt in der Lage sei.

Nach meinen persönlichen Erfahrungen als Mitglied eines Hochschulrats sind viele Mitglieder sachlich und fachlich überfordert, eine Hochschulleitung sachgerecht und wirkungsvoll zu beaufsichtigen oder gar eine ihnen vom Gesetz eingeräumte „Fachaufsicht“ wahrzunehmen.

In der ganz überwiegenden Zahl der zu treffenden Entscheidungen hat das hauptamtliche Präsidium einen nicht einholbaren Informationsvorsprung und kennt die möglichen Handlungsoptionen erheblich besser als zumindest jedes externe Mitglied des Hochschulrates.

Es ist bekannt, dass die Hochschulratssitzungen in der Regel nicht allzu lange dauern. Zur Erarbeitung eigener Vorschläge fehlt in aller Regel schon ein notwendiger Unterbau an Mitarbeitern, bei externen Mitgliedern vor allem aber auch noch die konkrete Anschauung vor Ort. So ist es der Hochschulleitung möglich, jeden Widerstand oder jeden ihrer Position entgegenstehenden Beschluss hochschulinterner Gremien auszuhebeln. Manch eine Präsidentin und mancher Präsident hat sich so zu einer autokratisch agierenden „Unternehmerpersönlichkeit“ entwickelt.

Diese „Rückendeckung“ durch den Hochschulrat ist auch der Grund, warum die Hochschulleitungen zur Absicherung ihrer ohnehin per Gesetz massiv gestärkten Durchgriffsmacht gegenüber den Hochschulangehörigen und –gremien ganz gut mit den Hochschulräten leben können und sich nur allzu gerne an diese Aufsichtsrats-Struktur klammern. Deshalb ist es auch nur naheliegend, dass sich die befragten Hochschulleiter/innen von den Hochschulräten auch keineswegs „gegängelt oder unverhältnismäßig kontrolliert“ fühlen. (CHE a.a.O, S.91) Wenn man also nur die Hochschulleiter/innen befragt, wird man kaum ein negatives Echo auf die Hochschulräte hören. Es ist deshalb nicht weiter erstaunlich, dass (wie auch im Antrag der Fraktion der CDU und der FDP ausgeführt) es die Standesorganisationen der Hochschulleitungen, also die Rektorenkonferenzen, begrüßen, dass die staatlichen Kompetenzen an Hochschulräte delegiert wurden (Siehe etwa HRK-Entschließung “Strukturen und Funktionen von Hochschulräten” vom 22.11.2011) Die Hochschulrektorenkonferenzen sind in soweit Partei in eigener Sache, wer hat es schon gerne, dass einmal übertragene Macht wieder eingeschränkt werden könnte.

Das Problem der fehlenden Pluralität

Hinter den Einführung eines Hochschulrats steckt folgende Idee: er „nimmt Impulse aus Wirtschaft und Gesellschaft auf und vermittelt in dieser Weise als ´Transmissionsriemen` das erforderliche Beratungswissen für die Entscheidungen der Hochschulleitungen“ (Pinkwart a.a.O.).

De facto gibt es jedoch überwiegend, wo sich Hochschulräte konstituiert haben, „Impulse“ vor allem von Vertretern der Wirtschaft, genauer der Groß- und Finanzwirtschaft, aus den IHKs oder bestenfalls noch von örtlichen Unternehmern. Es sind besonders diejenigen Personen in Hochschulräten vertreten, die für die Hochschule wichtige Ressourcen kontrollieren bzw. denen man eine entsprechende Ressourcenkontrolle zuschreibt. (Bogumil, Heinze, Grohs, Gerbber Hochschulräte als neues Steuerungsinstrument? Hans Böckler Stiftung, Dezember 2007). Nach Angaben des NRW-Innovationsministeriums aus dem Jahre 2008 waren in Nordrhein-Westfalen 67 der 146 externen Hochschulratsmitglieder an allen öffentlich-rechtlichen Universitäten und Fachhochschulen „Führungspersönlichkeiten“ aus der Wirtschaft. Unter den Hochschulratsvorsitzenden an deutschen Hochschulen liegt der Anteil der Wirtschaftsvertreter/innen bei 47 Prozent, von diesen sind wiederum 80 Prozent Aufsichtsrats- oder Vorstandsmitglieder. (Vgl. Gesetzentwurf zur Abschaffung der Hochschulräte der Fraktion DIE LINKE [PDF – 230 KB])

Studierende, Nichtwissenschaftliche Mitarbeiter oder gar Vertreter der Arbeitnehmerschaft, sind nur marginal vertreten. (Nienhüser/Jakob, Wer besetzt die Hochschulräte deutscher Universitäten [PDF – 64.6 kb])

Aufgrund der beachtlichen Fluktuation der Hochschulräte mögen sich die Zahlen etwas verändert haben, doch das Übergewicht der Vertreter der Wirtschaft dürfte erhalten geblieben sein. Durch die fehlende Pluralität und die mangelnde Transparenz bleibt die Vernetzung nach Außen zwangläufig sehr selektiv und der gesellschaftliche Kompetenzeinfluss äußerst beschränkt [PDF – 481 KB].

Die nordrhein-westfälischen Hochschulen wurden also vom Staat und dem Parlament weitgehend „befreit“ zugunsten einer Art Ständeherrschaft, in der vor allem ein „Stand“ einen starken Einfluss hat.

Funktionelle Privatisierung der Hochschulen

Bogumil et al. (a.a.O) sehen in ihrer Studie in den Hochschulräten eine „Zerfaserung von Staatlichkeit“ und eine Verschiebung der „Organisationsverantwortung“ zu Lasten der klassisch-parlamentarischen Repräsentation der gesellschaftlichen Interessen und vor allem zu Ungunsten der Selbstverwaltung der Hochschule. Sie sehen in der tatsächlichen Zusammensetzung der Hochschulräte eine „Erosion der klassischen Verbändebeteiligung“.

Ich sehe in der Funktion der Hochschulräte das Kernelement einer „funktionellen Privatisierung“ der öffentlichen und überwiegend staatlich finanzierten Hochschulen. Mit der „unternehmerischen Hochschule“ werden die staatlichen Hochschulen von innen heraus privatisiert. D.h. sie werden wie private Hochschulen organisiert und sollen auch wie private Unternehmen auf dem Ausbildungs- und Forschungsmarkt agieren. Der entscheidende Unterschied zu „echten“ privaten Hochschulen ist, dass diese staatlichen „unternehmerischen“ Hochschulen auch weiterhin zu 80 bis 90 Prozent vom Steuerzahler finanziert werden. Da jedoch der Wettbewerb und die Konkurrenz auf dem Wissenschafts- und Ausbildungsmarkt das neue Steuerungsinstrument sein soll, steuert vor allem die zusätzliche, also die staatliche Grundfinanzierung ergänzende Finanzierung das nach wie vor ganz überwiegend staatlich finanzierte Unternehmen. Kurz: Der Staat finanziert und zusätzlich eingeworbene Mittel (Studiengebühren und Drittmittel) steuern.

Im streng marktwirtschaftlichen Sinne ist dies eine unerlaubte Beihilfe und so ist es auch nur konsequent, wenn private Hochschulträger ebenfalls nach staatlichen Subventionen verlangen.

Die These von der „funktionellen Privatisierung“ der staatlichen Hochschulen wird in einer im Oktober 2010 erschienenen Studie über die Rolle privater Hochschulen vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft in Kooperation mit McKinsey & Company bestätigt.

Es heißt dort im Vorwort:

„Bund und Länder haben die staatlichen Hochschulen in die Freiheit entlassen und sie weitgehend in die Lage versetzt, sich nach ihren eigenen Vorstellungen weiterzuentwickeln. Damit hat sich auch das Verhältnis zwischen privaten und staatlichen Hochschulen verändert. Bisherige Alleinstellungsmerkmale, die den privaten Hochschulen vermeintliche Wettbewerbsvorteile ermöglichten, werden nun mit staatlichen Hochschulen geteilt.“

Auch eine im November 2010 veröffentlichte international vergleichende Untersuchung des Instituts für Hochschulforschung Wittenberg (HoF) mit dem Titel „Hochschulprivatisierung und akademische Freiheit“ kommt zum Ergebnis: dass „die Differenz zwischen staatlicher und privater Hochschulträgerschaft…an Bedeutung verliert“.

Autonomie

Die „Autonomie“ für die Hochschulen stelle die wichtigste Errungenschaft der neuen Hochschulfreiheit dar (so heißt es im Antrag der Fraktion der CDU und der FDP). Der bei den Hochschulangehörigen mit großer Sympathie aufgenommene Autonomiebegriff wurde geradezu zum strategischen Hebel für den größten Umbruch der Hochschulstrukturen seit den preußischen Universitätsreformen. Das Pathos der „Freiheit“ beherrschte den Paradigmenwechsel hin zur „unternehmerischen Hochschule“.

Meine These ist allerdings: Durch das nordrhein-westfälische Hochschul-„Freiheits“-Gesetz ist die überwiegende Mehrheit der Lehrenden und Studierenden gemessen an ihren früheren Forschungs- und Lernfreiheiten wesentlich „unfreier“ geworden. Die akademische Selbstverwaltung wurde durch eine zentralistische Management- und Aufsichtsratsstruktur ersetzt und die „unternehmerische“ Hochschule wird – jedenfalls de lege lata – von einem überwiegend mit externen besetzten, intransparent agierenden und nicht pluralistisch zusammengesetzten Hochschulrat gesteuert.

Umdeutung des Autonomiebegriffs tangiert die Wissenschaftsfreiheit

In der Konzeption der „unternehmerischen“ Hochschule wird „Autonomie“ durchgängig als „Hochschul“-Autonomie interpretiert. Das heißt, „Autonomie“ wird ausschließlich bezogen auf die Institution der Hochschule. Genauer müsste man sogar sagen: autonom ist vor allem die Leitungsebene. Das ist nicht nur eine unzulässige Verengung des grundgesetzlichen Autonomiebegriffs sondern diese Umdeutung tangiert die individuellen Freiheitsgrundrechte der Hochschulangehörigen als primäre Träger der Wissenschaftsfreiheit – wenn nicht gar diese Verkürzung das subjektive Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit und das Selbstverwaltungsrecht der Hochschule schon verletzt. (Siehe dazu unten die rechtliche Bewertung)

Nach der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes in der Tradition der Aufklärung zum einen jedem, der wissenschaftlich tätig ist (Wissenschaftler) oder werden will (Studierende), ein individuelles Freiheits- und Teilhaberecht. Zum anderen leitet das Gericht aus diesem (individuellen) Grundrecht eine institutionelle Garantie der Hochschule ab. (Doppelcharakter der Wissenschaftsfreiheit; die Hochschule selbst ist wohlgemerkt nicht Grundrechtsträger!) Damit sich Forschung und Lehre ungehindert in dem Bemühen um Wahrheit entfalten können, ist die (Hochschul-)Wissenschaft zu einem von staatlicher Bevormundung freien Bereich autonomer Verantwortung des einzelnen Wissenschaftlers und damit mittelbar auch der Institution Hochschule erklärt worden. Dem liegt (nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts) der Gedanke zu Grunde, dass “gerade eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft am besten dient” (BVerfGE 47, 327 (370)).

Die institutionelle Autonomie gegenüber dem Staat hat ihre Begründung darin, dass die staatlich finanzierten Hochschulen einen Ort bieten sollten, an dem sich frei von staatlichen oder politischen Interessen die Gesellschaft selbst zum Gegenstand ihres kritischen Denkens macht. Hochschulen sollten, wie Parsons das ausdrückte, als „Treuhänder der Gesellschaft“ fungieren. Und um das leisten zu können sollten sich von den Verhältnissen und Interessen, die sie ja gerade aufklären sollen, unabhängig sein. Das ist der eigentliche Sinn der Hochschulautonomie.

Das Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ wechselt diesen auf die individuelle Wissenschaftsfreiheit und nur mittelbar als „institutionelle Garantie“ auch auf die Hochschule bezogenen Autonomiebegriff und verengt ihn auf die Institution Hochschule, ja noch mehr auf eine autokratische Hochschulleitung.

Die Hochschule als „autonomes“ Unternehmen soll einerseits vom Staat weitgehend befreit sein, aber andererseits soll das individuelle Freiheitsrecht zu freier Forschung und Lehre freiwillig den Zwängen des Wettbewerbs überantwortet werden.
Nämlich eben einer Freiheit des Wettbewerbs um die Einwerbung von über die staatliche Grundfinanzierung hinausgehenden Drittmitteln und von privat aufgebrachten Studiengebühren. An der Einwerbung von Geld soll sich also künftig vor allem wissenschaftliche Qualität und gute Ausbildung messen, vor allem aber auch die Entwicklung von wissenschaftlichen Fragestellungen bestimmt werden.

Damit kein Missverständnis aufkommt, ich wende mich nicht gegen einen Wettbewerb um die besten Forschungsleistungen. Einen solchen Wettbewerb unter Wissenschaftlern hat es immer gegeben. Wissenschaft – zumal an einer von der Allgemeinheit getragenen Hochschule – ist genuin auf den Wettstreit um die richtige Antwort – pathetisch gesagt – auf den Wettstreit um Wahrheit angelegt.

Das Bild vom Wettbewerb in der „unternehmerischen“ Hochschule ist aber nicht das Bild vom Wettstreit um Wahrheit: Es ist das Bild einer Hochschule, die wie ein Unternehmen ihre „Produkte“ und „Waren“ – also ihre Forschungsleistungen sowie ihre Aus- und Weiterbildungsangebote – auf dem Markt an kaufkräftige Nachfrager abzusetzen hat: nämlich an zahlungskräftige Forschungsförderer und Auftraggeber, an Stifter und Sponsoren – und an Studierende, die nunmehr „Kunden“ sein sollen und deshalb für die eingekaufte „Ware“ namens Studium zur Kasse gebeten werden.

So ist inzwischen z.B. die Drittmittelquote allein von 2005 bis 2008 an den Hochschulen von 20,1 % auf über ein Viertel (25,1%) gestiegen. Davon sollen an der TU München knapp die Hälfte (45%) direkt von der Wirtschaft kommen [PDF – 77 KB].
Nach Berechnungen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft sollen die Hochschulen in NRW 2008 annähernd 278 Millionen an Studiengebühren eingenommen haben, das entspräche rund 7 Prozent des Landes-Hochschulbudgets.

Hochschulautonomie zum Nutzen der gesamten Gesellschaft

Die Autonomie der Wissenschaft in der Hochschule ist nach der Wertung des Grundgesetzes nicht eine vom Staat und der Gesellschaft nischenhaft (in Einsamkeit und Freiheit) isolierte, sondern sie ist für „eine letztlich dem Wohle des einzelnen und der ganzen Gesellschaft dienende Wissenschaft verfassungsrechtlich garantiert“. Der („Kultur“-) Staat hat eine Förder- und Schutzaufgabe, ihm ist deshalb auf dem Feld der Hochschulen weder Untätigkeit gestattet, noch darf er sich damit begnügen, sie zu finanzieren und sie im Übrigen sich selbst zu überlassen oder sie gar gesellschaftlichen Einzelinteressen ausliefern. (Siehe dazu auch: Das Leitbild Demokratische und Soziale Hochschule [PDF – 788 KB], erarbeitet von einer Projektgruppe eingesetzt von der Hans-Böckler-Stiftung)

Die individuelle und die institutionelle Eigenständigkeit verlangt deshalb z.B. eine aufgabengerechte und wissenschaftsadäquate Grundfinanzierung der Hochschulen durch den Staat. Die Einwerbung von die staatliche Finanzierung aufstockenden Mitteln auf dem Forschungs- und Ausbildungs-„Markt“ ist jedenfalls kein dieser Ausformung des Grundrechts durch das Bundesverfassungsgericht adäquates Steuerungsinstrument für die Hochschulentwicklung.

„Autonomie“ und staatliche Verantwortung

„Autonomie“ der Hochschule bedeutet deshalb nicht den Rückzug der staatlichen Verantwortung zugunsten einer autokratischen und einer der einzelunternehmerischen Wettbewerbslogik unterworfenen Leitungsstruktur und auch nicht zugunsten von vordemokratischen, ständestaatlichen Aufsichtsorganen ohne (gesellschaftliche) Rechenschaftspflicht, wie sie mit den Hochschulräten eingerichtet wurden. Autonomie heißt vielmehr die Sicherung der Freiheit der Wissenschaft in einer demokratischen Hochschule zum Nutzen und Fortschritt der gesamten Gesellschaft und nicht nur von gesellschaftlichen Einzelinteressen.

„Autonomie“ der Hochschule heißt also weder die Rückkehr zum „Elfenbeinturm“ noch die Verlagerung der Verantwortung des Staates auf Aufsichtsräte mit unklarer demokratischer Legitimation, mangelnder Transparenz und fehlender Rechenschaftspflicht. Geboten wäre vielmehr ein demokratisch anschlussfähiges Autonomieverständnis (man könnte auch von einem emanzipatorischen Autonomieverständnis sprechen), das die Selbstbestimmung der Grundrechtsträger der Wissenschaftsfreiheit und gesellschaftliche Verantwortung miteinander vermittelt. Moderne Formen der Mitbestimmung und Partizipation der Wissenschaftler (und auch der Studierenden) als Grundrechtsträger sind dabei ein unverzichtbarer Bestandteil einer autonomen Hochschule. (Siehe etwa Köhler, Partizipation und Innovation, Universität Hamburg – Zentrum für Wissenschaftsmanagement Speyer „Partizipation als Element der Governance von Hochschulen“, Hamburg, 12./13. Oktober 2011)

Verantwortung der Hochschule gegenüber der Gesellschaft

Die Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit und nicht zuletzt die überwiegende Finanzierung durch die Allgemeinheit begründen nicht nur die Verantwortung der Hochschulen gegenüber der Gesellschaft und für deren demokratische und soziale Entwicklung, sondern auch die Pflicht der Wissenschaftler über die Ziele, Inhalte, Ergebnisse und die Folgen von Forschung und Lehre selbstkritisch gegenüber der Öffentlichkeit Rechenschaft abzulegen. Das verpflichtet die Hochschule zu Transparenz und Kommunikation („Open Access“).

Zu dieser Rechenschaftslegung könnten auch demokratisch legitimierte, die gesellschaftlichen Gruppen repräsentierende (plural zusammengesetzte) Hochschulräte (man könnte sie auch Gesellschaftsräte, Hochschulbeiräte oder einfach Kuratorien nennen) dienen, die die Hochschulen bei ihrer Entwicklung beraten und unterstützen, aber eben keine Letzt-Entscheidungskompetenzen haben. (Vgl. Koalitionsvertrag der grün-roten Regierung in Baden-Württemberg S. 12 [PDF – 904 KB]) So könnte man z.B. hinsichtlich des Abschlusses von Zielvereinbarungen, beim Hochschulentwicklungs- und beim Wirtschaftsplan bis hin zu einer Herstellung des Benehmens zwischen den Hochschulen und einer Beiratskonstruktion gehen. Das Argument, dass damit eine Mitgliedschaft in einem solchen Beirat unattraktiv würde, belegt nur, dass mit einer solchen Mitgliedschaft Interessen verbunden sind.

Die derzeitige Zusammensetzung der Hochschulräte und die fehlende Rechenschaftspflicht ihrer Mitglieder genügen dem Anspruch auf gesellschaftliche Pluralität nicht und sie gefährden deshalb die Unabhängigkeit der Hochschule. Die Verbindung von Wissenschaft und Forschung z.B. zur Arbeitswelt sollte den gleichen Stellenwert haben wie die Kooperation mit der Wirtschaft. Hochschulforschung sollte ihren Nutzen nicht nur in der wirtschaftlichen Verwertbarkeit haben, sondern auch Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen aller Gruppen der Gesellschaft aufzeigen.

Der aufklärerische Kern der Wissenschaftsfreiheit liegt in ihrem Beitrag zu einer humanen, toleranten und vernunftgeleiteten sozial gerechten und friedlichen Welt.

Demokratisierung statt Hierarchisierung der Hochschulorganisation

Das marktliberale Konzept einer „unternehmerischen“ Hochschule (als Dienstleistungsunternehmen) organisiert nach dem Modell des „New Public Managements“ erweist sich in der Praxis vor allem als Bevormundung der Träger des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit durch autokratisch strukturierte Hochschulleitungen. Statt mehr Hochschulfreiheit zu garantieren, schränkt das neue (privaten Kapitalgesellschaften nachgebildete) Organisationsmodell (im Namen der Effizienz) die sich aus dem individuellen Freiheitsrecht ergebenden Selbstverwaltungs- und Mitbestimmungsrechte der am Wissenschaftsprozess Beteiligten unangemessen ein und fördert weder deren Motivation noch deren Identifikation mit den Zielen Hochschule. Die neu eingeführten „Kommandostrukturen“ (bzw. die innere Hierarchisierung) werden überdies modernen Formen einer Mitbestimmung und Partizipation nicht gerecht und sie gefährden auf Dauer sowohl die Qualität von Wissenschaft als auch die Kreativität (Innovation) in Forschung und Lehre.

Das spricht nicht gegen eine Professionalisierung des Hochschulmanagements im Sinne effektiver (betriebswirtschaftlicher) Strukturen bei gleichzeitiger Respektierung (Wahrung) und Erweiterung der institutionellen und informellen Selbst- und Mitbestimmungsmöglichkeiten aller an der Hochschule tätigen Gruppen.

Die „unternehmerische“ Hochschule widerspricht den „professionskulturellen“ Verhältnissen einer freien Wissenschaft

Der Kritik an der „unternehmerischen Hochschule“ könnte man entgegengehalten, dass diese neue Organisationsstruktur zu mehr Effizienz, zu größerer Handlungsfähigkeit, zu mehr Wirtschaftlichkeit und letztlich zu mehr Qualität der Hochschule führe.
Diesem Einwand lässt sich auf theoretischer Ebene und inzwischen auch empirisch entgegentreten.
Die Frage ist zunächst, ob der Wettbewerb um zusätzliche Finanzmittel den Funktionsprinzipien oder den „professionskulturellen Verhältnissen“ [PDF – 157 KB] einer freien Wissenschaft gerecht wird:

  • Man wird wohl kaum bestreiten können, dass hinter dem Wettbewerb das Motiv des Eigennutzes steht, in einer weitgehend von der Gesellschaft finanzierten Wissenschaft sollte jedoch das Gemeinnützige im Vordergrund stehen. Das Grundgesetz garantiert die Freiheit der Wissenschaft nicht zur Mehrung des geldwerten Nutzens für den einzelnen Wissenschaftler oder für das Unternehmen Hochschule, sondern es gewährleistet – so das Bundesverfassungsgericht – „eine letztlich dem Wohle des einzelnen und der ganzen Gesellschaft dienende Wissenschaft“.
  • Wettbewerb lebt von der Konkurrenz, komplexe und teure Wissenschaft setzt aber gerade auch Kooperation voraus. Haben nicht gerade kleinkariertes Konkurrenzdenken und mangelnde vor allem auch interdisziplinäre Kooperation, die Tendenz verstärkt gerade eine solche Kooperation verlangende Wissenschaft aus der Hochschule heraus in Großforschungseinrichtungen zu verlagern?
  • Wettbewerb misst sich am Anderen. Seine Antriebskräfte sind also eher extrinsische Motive. Kommt aber bei einem Wettbewerb, zumal um Finanzmittel nicht gerade die intrinsische Motivation, also die Begeisterung für die Entdeckung des Neuen oder der Wahrheit zu kurz?
  • Wettbewerb schielt auf den kurzfristigen Erfolg. Schadet Wettbewerb also nicht einer ergebnisoffenen oder einer notwendig auf längere Frist und nicht auf kurzfristige Verwertungsbedürfnisse ausgerichteten Grundlagenforschung, auf die doch gerade eine öffentlich finanzierte Hochschulforschung angelegt sein sollte?
  • Wettbewerb schafft äußere, fremdbestimmte Zwänge. Die Wissenschaftsfreiheit als subjektives und individuelles Grundrecht an einer Hochschule garantiert aber gerade Selbstbestimmung oder wenigstens Mitbestimmung oder Selbstverwaltung innerhalb der in einer Hochschule organisierten Wissenschaft. Es geht in der Hochschule um professionelle wissenschaftliche Arbeitsbündnisse und nicht um tauschförmige Beziehungen.
  • Es wird geradezu als Kult gepflegt, dass im unternehmerischen Wettbewerb immer auch autoritäre Entscheidungen der „Unternehmensführer“ verlangt und erwartet werden. Beim Wettstreit in der Wissenschaft, wetteifern aber letztlich nicht ganze Hochschulen untereinander, sondern die einzelnen Forscher und Forschergruppen mit anderen Wissenschaftlern – und zwar weltweit, wenn es gute Forschung sein soll. (Unter diesem Widerspruch leidet übrigens auch die sog. „Exzellenzinitiative“.)
  • Wettbewerb hält Ungleichheit aus, er setzt geradezu Gewinner und Verlierer voraus. Die Stärkeren setzen sich gegen die Schwächeren durch, da hilft die schärfste Profilbildung nichts. Wettbewerb als Steuerungsprinzip zwischen den Hochschulen führt also notwendig zur Ungleichheit unter den Hochschulen und zu einer Hierarchisierung der Hochschullandschaft. Wenn dieser Trend mit „symbolischen Gewinnern“ und einer umgekehrten „Verliererdynamik“ (Dörre/Neis, Das Dilemma der unternehmerischen Universität) anhält, werden wir im Ergebnis in peripheren Regionen eben vornehmlich auch periphere Universitäten finden.
  • Der „akademische Kapitalismus“ betrifft aber nicht nur die Forschung, sondern vor allem auch den Wettbewerb um die Studierenden. Wir bekommen sozusagen einen „Bayern-München-Effekt“ unter den Hochschulen: Die „Bayern“ kaufen etwa den nicht so finanzkräftigen Freiburgern die „Stars“ ab, sie bauen damit ihre Spitzenposition in der Tabelle aus und die anderen steigen eben ab. Was man beim Fußball noch hinnehmen könnte, weil da nur private Vereine oder die Hoffnungen von Fußball-Fans betroffen sind, führt auf dem Feld der Hochschulen zu einem weiteren Verlust an Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland, zu einem Verlust an allgemeiner Studienqualität in der Breite und das zu Lasten von hunderttausenden von Studierenden, die aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht an einer Eliteuniversität studieren können.

Wir verlieren also eines der weltweit anerkannten Qualitätssiegel der deutschen Hochschullandschaft: eine zwar nicht gleichartige, aber eine qualitativ relativ hochwertige und gleichwertige Breite. Deutschland liegt zwar im – übrigens durchaus anzweifelbaren – Vergleich der Spitzenhochschulen nicht unter den ersten 50, aber in der Zahl der qualitativ hochstehenden Hochschulen auf den vordersten Rängen; unsere Stärke war – international anerkannt – die relativ hohe Qualität in der Breite.

Die „unternehmerische“ Hochschule blockiert Innovation

Das „Dilemma der unternehmerischen Universität“ wurde inzwischen auch empirisch belegt. Die Soziologen Klaus Dörre und Mathias Neis von der Friedrich-Schiller Universität Jena untersuchten die Gretchenfrage, ob die „unternehmerische Hochschule“ tatsächlich unternehmerisch erfolgreich ist. (Dörre/Neis, Das Dilemma der unternehmerischen Universität, Berlin 2010)

Das Ergebnis ist ernüchternd: Das Konzept der unternehmerischen Universität

„mag geeignet sein, das Personalmanagement an den Hochschulen zu verbessern und die Ressourcenverteilung transparenter zu gestalten. Doch angesichts der chronischen Unterfinanzierung des Hochschulsystems und aufgrund nicht intendierter Effekte für kollektive Arbeitsprozesse, die Innovation überhaupt erst ermöglichen, kann eine allzu nahtlose Umsetzung des Leitbildes der unternehmerischen Universität alte Innovationsblockaden verstärken oder ganz neue erzeugen.“

(Dörre/Neis a.a.O., S. 137)

Die Verfasser der Studie kommen zu folgendem Fazit:

„Einseitig an messbaren Effizienz- und Wettbewerbskriterien ausgerichtete Steuerungssysteme, wie sie den Leitbildern der unternehmerischen Universität und eines academic capitalism entsprechen, laufen Gefahr, das Gegenteil von dem zu produzieren, was sie eigentlich beabsichtigen. Sie können Innovationen erschweren, ja geradezu blockieren.“

(Dörre/Neis a.a.O., S. 153)
Denn Innovationen entstünden innerhalb der Universität als Ergebnis weitgehend ungeplanter Prozesse in Nischen, die sich einer direkten Kontrolle entzögen. Sie beruhten auf kollektivem Lernen, setzten Vertrauen und gegenseitige Anerkennung voraus.
„Das Regime von McKinsey und Co“ beeinträchtige geradezu die Funktionsfähigkeit der „Herzkammer des Kapitalismus“, nämlich sein Innovationssystem, stellt diese Studie zusammenfassend fest.

Rechtliche Bewertung

Im Urteil zum Brandenburgischen Hochschulgesetz (2004) hatte das Bundesverfassungsgericht die Stärkung der Hochschulleitung und die Einführung eines (Landes-)Hochschulrates für zulässig erklärt, sofern die Wissenschaftsfreiheit nicht „strukturell“ gefährdet sei. (BverfGE 111, 333ff.). Was „strukturelle“ Gefährdung bedeuten sollte, hat das BVerfG nicht näher erläutert. (Vgl. Krausnick, in Eppler, Böttcher (Hrsg.) Demokratische Wissenschaftseinrichtung, Juni 2011, S. 19ff.) Im Urteil zum Hamburgischen Hochschulgesetz (2010) hat das Gericht jedoch diesen weitgehenden „Freibrief“ wieder eingegrenzt (BVerfG, JZ 2011, S. 308ff.). In den Leitsätzen heißt es:

„Die Sicherung der Wissenschaftsfreiheit durch organisatorische Regelungen verlangt, dass die Träger der Wissenschaftsfreiheit durch ihre Vertreter in den Hochschulorganen Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit abwehren und ihre fachliche Kompetenz zur Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit in die Universität einbringen können. Der Gesetzgeber muss daher ein hinreichendes Niveau der Partizipation der Grundrechtsträger gewährleisten.“

Und weiter:

„Das Gesamtgefüge der Hochschulverfassung kann insbesondere dann verfassungswidrig sein, wenn dem Leitungsorgan substantielle (…) Entscheidungsbefugnisse im wissenschaftsrelevanten Bereich zugewiesen werden, dem mit Hochschullehrern besetzten Vertretungsgremium im Verhältnis hierzu jedoch kaum Kompetenzen und auch keine maßgeblichen Mitwirkungs- und Kontrollrechte verbleiben.“

Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG

In einer Dissertation kommt Thomas Horst (Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des Hochschulgesetzes NRW über den Hochschulrat, Hamburg 2010) zu dem verfassungsrechtlichen Befund, dass das nordrhein-westfälische Modell den Anforderungen, die nach Art. 5 Abs. 3 S. 1GG an eine wissenschaftsadäquate Teilhabe der betroffenen Hochschulangehörigen zu stellen sind, nicht genügt, weil dem Senat kein auschlaggebender Einfluss auf die Besetzung des Hochschulrats zukommt und vor allem auch weil dem Hochschulrat ein Letztentscheidungsrecht bei der Wahl der Hochschulleitung eingeräumt wird.

Horst kommt weiter zu dem Ergebnis, dass die Regelungen zum Hochschulrat im HG NRW auch der Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 16 Abs. 1 der Landesverfassung NRW nicht genügen.

Ich schließe mich der Meinung von Thomas Horst (zusammengefasst nochmals in ZBR 9/2011, S. 289ff.) weitgehend an und stütze mich auf die genannten Veröffentlichungen und ergänzenden Gespräche.

Nach der bestehenden Rechtslage in NRW hat der Senat als originäres Selbstverwaltungsorgan z.B. keine Möglichkeit, einen ausschlaggebenden Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Hochschulrats auszuüben: der Senat ist im Auswahlgremium (§ 21 Abs. 4 HG NRW) lediglich zu einem Drittel vertreten, ein ausschlaggebender Einfluss auf die personelle Besetzung des Hochschulrats besteht nicht.

Zusammenfassend heißt es in der Dissertation von Thomas Horst:

„Die organisatorische Ausgestaltung der Rechte des Hochschulrats hält sich nicht im Rahmen der durch Art. 5 Abs. 3 Abs. 1 GG vorgegebenen Grenzen. Dies betrifft zum einen die in § 17 Abs. 3 S. 2 HG NRW normierte Möglichkeit des Hochschulrats, die vom Senat versagte Zustimmung für die Wahl der Hochschulleitung mit 2/3 bzw. 3/4-Mehrheit zu ersetzen. Daneben steht auch die erhebliche Verkürzung der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Kontrollmaßnahmen für ein rechtliches Hinwirken auf die Abwahl des Präsidiums bzw. Rektorats mit den Vorgaben aus dem Brandenburg- Beschluss (des BVerfG (WL)) nicht in Einklang. Die derzeitige Rechtslage in Nordrhein-Westfalen zum Abschluss der Zielvereinbarungen hält sich nicht innerhalb der von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gesteckten Grenzen. Sie garantiert der Gruppe der Hochschullehrer beim wissenschaftsrelevanten Prozess zum Abschluss der Zielvereinbarungen nicht den vom Bundesverfassungsgericht geforderten hinreichenden Einfluss. Das betrifft die Wahl und Abwahl der Hochschulleitung gem. § 17 Abs. 3 S. 2 HG NRW, § 21 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, § 17 Abs. 4 S. 1 HG NRW, die Verfahren der Abschlüsse der Zielvereinbarungen und des Hochschulentwicklungsplans.“

Verstoß gegen Artikel 16 Abs. 1 der Landesverfassung NRW

In Art. 16 Abs. 1 LV NRW wird den Hochschulen das Recht auf „einen ihrem besonderen Charakter entsprechende Selbstverwaltung“ garantiert. Der Hochschulrat ist jedoch entgegen dem Gesetzeswortlaut § 9 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1 HG NRW materiell kein Selbstverwaltungsorgan. Es fehlt ihm das Element der „Betroffenenteilnahme“ und der legitimatorische Bezug zu den Betroffenen, da insbesondere auch die Amtsbestellung des Hochschulrats nicht (allein) durch die Körperschaft Hochschule selbst erfolgt. Sowohl bei hälftiger Besetzung des Hochschulrats und schon gar bei seiner rein hochschulexterner Besetzung (§ 21 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 i.V.m. § 21 Abs. 6 S. 2 HG NRW) besteht kein „universitäres Gegengewicht“, welches einer Entscheidung der externen Hochschulratsmitglieder entgegengehalten werden könnte.

Über die verfassungsrechtliche Problematik der bestehenden Regelungen zum Hochschulrat hinaus verstößt u.a. auch dessen „Dienstherreneigenschaft“ (§ 33 Abs. 2 S. 3 HG NRW) gegen den Grundsatz einer funktionsgerechten Organstruktur. Als (ehrenamtliche) oberster Dienstbehörde kommen dem Hochschulrat zahlreiche wesentliche Entscheidungen z.B. in Bezug auf das Beamtenverhältnis zu – bis hin zu disziplinarrechtlichen Maßnahmen. Dass dies nicht funktionsgerecht sein kann, ist weitgehend anerkannt: Inzwischen haben sogar nahezu alle Hochschulräte versucht (Horst, ZBR 9/2011, S. 289ff.) diese Kompetenzen entgegen dem geltenden Recht auf die Rektorate zu delegieren.

Zusammenfassend lässt sich feststellen:

  • Das Wahlverfahren für die Hochschulleitung nach § 17 Abs. 3 S. 2 HG NRW verstößt gegen die grundgesetzliche garantierte Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
  • Sowohl die Wahl als auch die organisatorische Ausgestaltung des Hochschulrats im HG NRW verstoßen gleichfalls gegen Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG.
  • Die Dienstherreneigenschaft des (ehrenamtlichen) Hochschulrats gegenüber der hauptberuflichen Hochschulleitung widerspricht dem Grundsatz einer funktionsgerechten Organisationsstruktur.
  • Sowohl das Verfahren zur Zustimmung des Wirtschaftsplans als auch zum Abschluss von Zielvereinbarungen und zum Abschluss des Hochschulentwicklungsplans hält sich nicht innerhalb der durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gesteckten Grenzen.

Die Regelungen über den Hochschulrat im HG NRW lassen sich auch nicht verfassungskonform auslegen. Eine Gesetzesänderung ist daher geboten.

Die Verantwortung der staatlichen Hochschulen gegenüber der sie tragenden Gesellschaft könnte über eine neue Organisationsstruktur (Hochschulbeiräte, Gesellschaftsräte oder Kuratorien) gesetzlich verankert werden. In dieser Beratungsstruktur müssten die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen repräsentiert sein. Solche Beiräte könnten die Hochschulen bei ihrer strategischen Entwicklung aber auch im Hinblick auf ihre regionale Einbindung beraten und unterstützen, sie dürften aber gegenüber den Hochschulen keine Letzt-Entscheidungskompetenzen haben. Die Hochschulen könnten jedoch ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig sein. Diese Rechenschaftspflicht könnte bis zur Herstellung eines (rechtlichen) Benehmens zwischen den Hochschulen und einer solchen Beiratskonstruktion reichen, etwa hinsichtlich des Abschlusses von Zielvereinbarungen, bei der Verabschiedung des Hochschulentwicklungs- oder des Wirtschaftsplanes.

Zur Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit wären neue und moderne Formen der Mitbestimmung und der Partizipation aller Hochschulangehörigen erforderlich.

P.S.: Schicken Sie mir Ihre Anregungen an unserer Redaktionsadresse, [email protected]. Wenn möglich ab dem 13. Dezember.

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