Der frühere Bundesgesundheitsminister kannte bei der Besetzung lukrativer Posten keine Vermittlungshemmnisse: Ob gute Freunde, private Geschäftspartner oder Pharmaunternehmer, bei ihm kam jeder zum Zug, der den nötigen Willen und Eifer mitbrachte, die eigene und seine Karriere voranzubringen. Für den ganz großen Wurf, das Kanzleramt zu erobern, würde sich der Unionsfraktionschef ziemlich sicher auch die AfD ins Bett holen. Aber bevor es kuschelig wird, muss er noch kräftig netzwerkeln, gegen alle demokratischen Regeln und seinen Chef, Friedrich Merz. Von Ralf Wurzbacher.
Es gibt Bilder davon, wie sie, zu diversen Anlässen, gemeinsam feiern: Jens Spahn (CDU), sein Partner Daniel Funke, dazu Hendrik Streeck (CDU) und dessen Ehemann Paul Zubeil. Die vier kennen sich schon lange, Funke und Streeck seit der Studienzeit, Spahn und Zubeil haben später quasi eingeheiratet in die „Clique“, wie der Spiegel das Quartett vor einem Jahr in einem Beitrag (hinter Bezahlschranke) nannte. An der Feierei ist nichts auszusetzen, auch nichts an der Verbindung an sich – Privatsache. Nur sollten Politiker, zumal so hochgestellte wie ein Fraktionsvorsitzender im Bundestag, eine besondere Sorgfaltspflicht dabei erfüllen, Privates von Beruflichem zu trennen. Hier kommen, gerade bei Spahn, erhebliche Zweifel auf.
„Posten für Freunde“ titelte am Montag die sogenannte Rechercheplattform Correctiv und berichtete umfassend über Vergangenes in der Vita des 45-Jährigen, das ihm nun, Jahre später, noch einmal Ungemach bereiten könnte. Da ist etwa besagter Paul Zubeil. Der wechselte vor fünf Jahren ins Bundesgesundheitsministerium (BMG), auf die gut bezahlte Stelle des Unterabteilungsleiters für europäische und internationale Angelegenheiten. Damals führte Spahn das Ministerium an, behauptet heute aber, mit der Personalie nichts zu tun gehabt zu haben. Laut Spiegel brachte der 49-Jährige die „besten Qualifikationen“ mit. Das kann durchaus sein, ändert aber nichts an der offenkundigen Interessenkollision, dergestalt, dass hier ein schon damals guter Freund des BMG-Chefs in dessen Ministerium landete.
Vitamin-B-Missbrauch?
Der Vorgang hat mehrere Haken. Zubeil war bis dahin in der Entwicklungshilfe bei den Vereinten Nationen tätig. Die gemäß Ausschreibung verlangten Fachkenntnisse in europäischer und deutscher Gesundheitspolitik brachte er daher – zumindest auf dem Papier – eher nicht mit. Dazu ist es in Ministerien üblich, bei der Besetzung hochrangiger Ämter interne Kandidaten zu präferieren, wobei dafür in der Regel genügend Bewerber auf der Matte stehen. In diesem Fall soll es aber keinen einzigen Anwärter gegeben haben und die Stelle schon länger vakant gewesen sein, heißt es. Zubeil habe ausnahmslos wegen seiner Fähigkeiten unter einem guten Dutzend externer Interessenten das Rennen gemacht, und „Telefonate von Herrn Spahn im Zusammenhang mit der Besetzung der Unterabteilungsleitung Z 2 sind nicht bekannt“. Das ist freilich ein ziemlich löchriger Beweis dafür, dass die beiden sich in der Angelegenheit nicht ausgetauscht hätten. Spahn und Zubeil kennen sich bestens, und dass Ersterer nicht bestens informiert gewesen sein soll, dass sein guter Bekannter bei ihm anheuert, hat etwas von Märchenstunde.
Und Streeck? Der Virologe hatte in der Pandemie als Regierungs- und Maßnahmenkritiker bundesweite Prominenz erlangt. Er war so etwas wie der Gegenspieler von „Corona-Papst“ Christian Drosten und damit, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, auch Widersacher von Spahn, der nach anfänglichem Zögern voll auf Lockdownkurs einschwenkte. Was damals keiner ahnte und er, wie er dem Spiegel steckte, bewusst für sich behielt, war seine CDU-Mitgliedschaft. Zum Parteibuch nämlich kam er durch Spahn, der einmal in weinseliger Runde zu später Stunde einen Stapel Mitgliedsanträge auftischte. Und Streeck unterschrieb prompt und legte so den Grundstein zu einem steilen Aufstieg in die Politik. Seit Mai sitzt er für die Union im Bundestag und firmiert seither als Drogenbeauftragter der Bundesregierung. Dass er sich dabei dem Kampf gegen Vitamin-B-Missbrauch verschrieben hätte, ist nicht bekannt.
Viel zu verzeihen …
Correctiv zeichnet eine weitere Episode nach, die Fragen aufwirft. Streek initiierte 2020 die sogenannte Heinsberg-Studie zum Beleg, dass das Covid-19-Virus weniger gefährlich ist, als allseits behauptet wurde. Um seine Forschung bekannt zu machen, bediente er sich einer Werbeagentur namens Story Machine, die vom früheren Chefredakteur der Bild-Zeitung, Kai Diekmann, und dem Unternehmer Michael Mronz gegründet wurde. Mitfinanziert wurde die PR-Aktion außerdem von einer Firma mit Sitz in Borken in Nordrhein-Westfalen: die Deutsche Glasfaser. Borken ist der Wahlkreis von Jens Spahn.
Vor diesem Hintergrund ist auch dessen Rolle in der Pandemie noch einmal zu überdenken. Womöglich trug er die rigorose Maßnahmenpolitik nur widerwillig mit, um seine Karriere nicht zu gefährden. Zum Lager der vorsichtigen Skeptiker gehörte auch Armin Laschet (CDU), seinerzeit NRW-Ministerpräsident. In dessen landeseigenem Corona-Expertenrat saß auch Streeck. Man kann sicher sein, dass auch Spahn ein offenes Ohr für dessen Kritik am Pandemie-Management hatte. Von ihm ist aus der Zeit der Satz überliefert, „wir werden einander viel verzeihen müssen“. Der ließe sich nachträglich auch so interpretieren: „Ich mache den ganzen Mist nur mit, weil ich noch zu Höherem berufen bin.“ Dass er auf den Chefsessel im Kanzleramt schielt, ist ein offenes Geheimnis.
Schöner wohnen in Schöneberg
Nur über seine Methoden weiß nicht jeder Bescheid. Correctiv liefert noch mehr Kompromittierendes – etwa im Zusammenhang mit der Person Markus Leyck Dieken. Der übernahm vor rund sechs Jahren die Geschäftsführung bei der Gematik. Das unmittelbar davor in mehrheitlichen Bundesbesitz übergegangene Unternehmen erledigt die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen und wurde just zur fraglichen Zeit mit den Arbeiten zur Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) betraut. Nach außen hielt sich das BMG bei der Bestellung des Postens an die Regeln. Im April 2019 schaltete man eine Personalberatungsfirma ein und führte ein „Managementaudit“ durch. Gleichwohl fiel die Wahl ziemlich rasch und überraschend auf Dieken. Und einem BMG-Mitarbeiter soll Spahn schon vor der ganzen Prozedur gesteckt haben, jemanden für den Job zu haben.
Dieser Jemand hatte dem CDU-Mann nur Monate davor, als er noch kein Minister war, eine Fünf-Zimmer-Altbauwohnung in Berlin-Schöneberg für 980.000 Euro verkauft, wobei es Zweifel gibt, ob das ein marktüblicher Preis war. Erinnerungen werden wach: 2020 erwarb Spahn mit seinem Lebenspartner Daniel Funke eine Villa in Berlin Dahlem für über vier Millionen Euro, die sie drei Jahre später mit einem Aufschlag von einer Million Euro wieder veräußerten. Finanziert wurde der Kauf Medienberichten zufolge fast vollständig durch die Sparkasse Westmünsterland, also genau das Geldinstitut, bei dem Spahn bis 2015 im Verwaltungsrat saß. Auch das kennt man schon. Bei seiner wüsten Maskenbeschaffungsaktion in den ersten Corona-Monaten setzte er auf die Firma Fiege aus Münster im Nachbarwahlkreis. Diese scheiterte als Generallogistiker zwar auf ganzer Linie, aber Spahn dachte nicht daran, nach dem Milliardendebakel Schadenersatz geltend zu machen. Ist ja bloß Steuergeld!
„MehrWerte für Gesundheit“
Jedenfalls ließ sich das BMG Diekens Berufung einiges kosten. Verglichen mit seinem Vorgänger wurde dessen Gehalt auf knapp 390.000 Euro praktisch verdoppelt – und dies, obwohl er mit IT-Management und Behördenkram bis dahin beruflich nichts am Hut hatte. Vielmehr war er vor seiner Anstellung für etliche Pharmaunternehmen aktiv, womit ausgerechnet einem Profilobbyisten die Aufgabe zuteil wurde, eine ePA mit hochsensiblen Patientendaten zu konzipieren. Inzwischen wurde diese bekanntlich bundesweit „für alle“, eigentlich zwangsweise und als riesiges Einfallstor für Pharmainteressen, ausgerollt. Die in ihr abgelegten Informationen können der Forschung grundsätzlich zur Verfügung gestellt werden, egal ob in öffentlicher oder privater Hand, und das bei löchrigem Datenschutz.
Das alles passt ins Bild. Vor seiner politischen Karriere war Jens Spahn selbst Pharmalobbyist, und als Bundesminister legte er sich mit Vehemenz für die Belange der kommerziellen Gesundheitswirtschaft ins Zeug. Sein Hauptaugenmerk lag, wie das seines Nachfolgers Karl Lauterbach (SPD), darauf, die Verwertung von Patienten- und Versichertendaten zu Profitzwecken voranzutreiben, und mit der Etablierung der ePA strebt das Projekt „gläserner Patient“ auf seine Vollendung zu. Dieken war dafür der richtige Mann, wenngleich ihm nicht alles gelang und er Mitte 2023 von Lauterbach vor die Tür gesetzt wurde. Das schmerzte nicht, für ihn ging es umgehend zurück in vertraute Gefilde. Heute arbeitet er als „Executive Partner“ für „Die BrückenKöpfe“, eine „Schaltstelle für politischen Einfluss auf die Gesundheitspolitik“, die schon früher regen Austausch mit Spahn pflegte. Die selbsternannte „Denkboutique“ agiert als Netzwerker für Krankenversicherungen, Kliniken und die Arzneimittelindustrie, und ihr Leitspruch lautet: „MehrWerte für Gesundheit schaffen“.
Spenden vom Techmilliardär
Über seine Verwicklungen mit Dieken und die Berufung seines Kumpans Zubeil schweigen sich Spahn und sein Sprecher heute weitgehend aus. Zupass kommt ihnen dabei, dass es in Bundesministerien entgegen den Bestimmungen des Bundesarchivs mittlerweile gang und gäbe ist, nach einem Regierungswechsel alle Arten schriftlicher Kommunikation des scheidenden Hausherrn zu löschen. Unter Kriminellen läuft das unter Spurenvernichten, unter engen Freunden vielleicht unter Liebesdienst oder Karrieremachen. Correctiv zitiert einen Parteigenossen: „Es gibt Leute, die sagen: Jens Spahn hat nur ein Programm, und das heißt Ich.“ Ein anderer befand: „Das Talent ist da. Und er setzt es ein, um voranzukommen – ohne Rücksicht auf Verluste.“
Aber warum haut ein an sich streng regierungstreues Medium Spahn so in die Pfanne? Zumal sich der Angriff gegen seine Person mit dem bisher Geschilderten nicht erledigt hat. Das Onlineportal hatte erst vor wenigen Wochen einen großen Zweiteiler über die „Netzwerke des Fraktionschefs“ gebracht, der noch viel mehr Stoff über Spezis, Klüngeleien und Schiebereien im Wirkungskreis des Machtpolitikers liefert.
Da wäre zum Beispiel der deutsche Techmilliardär Christian Angermayer, der der CDU über ein Firmengeflecht in wenigen Jahren 300.000 Euro zukommen ließ. Dabei soll der edle Spender zuvor kräftig an Spahns millionenschwerer Bestellung des vermeintlichen Corona-Medikaments Bamlanivimab mitverdient haben. Nur wenig später widerrief die US-Gesundheitsbehörde FDA die fragliche Notfallzulassung, da die Risiken des teuren Medikaments höher seien als sein Nutzen. Von den 190.000 georderten Dosen wurden hierzulande bis dahin lediglich 1.560 genutzt, der große Rest musste aus dem Verkehr gezogen werden. Heute reden alle über Spahns windige Maskendeals, von der Bamlanivimab-Affäre hat kaum einer gehört.
Trumpublik Deutschland
Dann sind da noch die Herren Julian Reichelt und Frank Gotthardt, der mit seiner CompuGroup Medical (CGM) Milliardenumsätze eingefahren und dabei im Speziellen vom Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) aus dem Hause Spahn profitieren konnte. Auch hier liegen die Dinge ziemlich klar, oder wie Correctiv im zweiten Teil seiner Serie schreibt: „Die Parallele zwischen politischen Entscheidungen im Bundesministerium für Gesundheit und dem wirtschaftlichen Aufstieg der CompuGroup ist auffällig.“ Ferner offenbart die Recherche Einblicke in das persönliche Geflecht zwischen Spahn, seiner Partei und dem Unternehmer. So wurde kurz vor der Bundestagswahl im Februar publik, dass Gotthardt und seine Gattin CDU und FDP mit mehreren Großspenden in Höhe von insgesamt rund 380.000 Euro bedacht hatten.
Eine Hand wäscht die andere, und wohl kaum einer im politischen Berlin setzt so auf „Reinlichkeit“ wie Spahn. Dabei verbindet ihn mit Gestalten wie Gotthardt und Angermayer neben Macht- und Geldgier ein erzkonservatives bis reaktionäres Weltbild. Es geht ihnen, glaubt Correctiv, um nicht weniger als darum, den US-Trumpismus nach Deutschland zu importieren und die AfD im politischen Parteienspektrum als kommende Regierungspartei hoffähig zu machen. Tatsächlich steht Gotthard als Geldgeber hinter der stark rechtslastigen Onlineplattform Nius, die notorisch gegen Flüchtlinge und Ausländer hetzt und sich an einem angeblich weichgespülten Kanzler Friedrich Merz (CDU) abarbeitet, der sich scheuen würde, die „Brandmauer nach rechts“ einzureißen. Chefredakteur ist der im Herbst 2021 bei Bild geschasste Julian Reichelt, der sich seither als Hassprediger in Nadelstreifen betätigt.
Korrumpierter Politikbetrieb
Nius gilt auch als der zentrale Antreiber der Kampagne gegen die Kandidatur der von der SPD nominierten Frauke Brosius-Gersdorf bei der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts und Spahn als politischer Verhinderer der Personalie. Die Juristin sollte planmäßig in den zweiten Senat in Karlsruhe einziehen, der potenziell für die Prüfung eines AfD-Verbots zuständig wäre, das nahezu parteiübergreifend, auch in den Reihen der Union, angestrebt wird. Für den rechtskonservativen Flügel der Union wäre das ein verhängnisvoller Vorgang, weil dies eine aus ihrer Sicht dauerhafte Machtperspektive verbauen würde. Passend hatte sich Spahn nach der Bundestagswahl dafür ausgesprochen, die AfD im Parlament „wie jede andere Oppositionspartei“ zu behandeln.
Diese Hintergründe sind höchst spannend und die Correctiv-Stücke äußerst lesenswert. Sie lassen erahnen, welche Grabenkämpfe hinter den Kulissen, insbesondere innerhalb der Union, um die ideologische Ausrichtung der Parteien und der Republik insgesamt im Zeichen von „Zeitenwende“, Trump-Dämmerung und einer ungebremst reüssierenden AfD wüten. Correctiv hat sich festgelegt, wo es dabei stehen will, sprich auf den Fundamenten der „westlichen Wertegemeinschaft“. Dafür lässt es auch einen Jens Spahn hängen, den es noch zu Corona-Zeiten gegen alle berechtigten Widerstände in Schutz genommen hatte – und zeichnet dazu dankenswerterweise das Bild eines verkommenen, korrumpierten Politikbetriebs, wie er für Deutschland längst typisch ist.
Und was ist mit den deutschen Leitmedien? Stürzen die sich auf die journalistische Vorlage, mit der sich der CDU-Fraktionschef mithin sogar stürzen ließe, von wegen Spezi-Spahn als klandestiner Eiferer für rechts? Nix da! Bloß ein großes Schweigen im Blätterwald. Wer hat da wohl das Sagen in den Redaktionen?
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