Bundeskanzler Merz und Finanzminister Klingbeil eröffnen eine neue Epoche deutscher Politik: Weg vom „unsinnigen“ Sozialstaat hin zu einem Rüstungs- und Militärstaat, in dem die „Bundeswehr zur konventionell stärksten Armee Europas werden soll“. Die Armut in Deutschland wird erheblich anwachsen – nicht nur, weil die Gelder für den Sozialstaat in die Militarisierung umgeschichtet werden, sondern auch, weil Deutschland und EU-Europa politisch selbstverschuldet in eine massive strukturelle Wirtschaftskrise abgleiten, die sich nicht mal eben so wieder korrigieren lassen wird. So lässt sich beispielsweise der politisch motivierte Rückzug von eurasiatischen Absatzmärkten nicht so einfach wieder zurückgewinnen – andere Anbieter füllen rasch die Lücken. Wirtschaftlicher Niedergang plus Abbau des Sozialstaates sind ein bombenfestes Rezept für die Verarmung wachsender Teile der Bevölkerung bis weit in die Mittelschicht hinein. Von Alexander Neu.
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Bundeshaushalt 2025
Der erste Bundeshaushalt der neuen Bundesregierung wurde letzte Woche verabschiedet. Der verabschiedete Bundeshauhalt betrifft das laufende Jahr. Normalerweise wird im Zeitraum September bis Anfang Dezember der Bundeshaushalt für das künftige Jahr verhandelt und verabschiedet. Angesichts der zunehmenden Unfähigkeit der alten Ampelregierung, sich auf den Haushalt 2025 zu einigen, und den damit einhergehenden vorgezogenen Neuwahlen im Februar dieses Jahres musste die neue Bundesregierung diese Aufgabe „nachholen“. Nichtsdestotrotz laufen derweil die Verhandlungen bereits zum Bundeshaushaltsentwurf für 2026.
Der Bundeshaushalt 2025 beträgt 503 Milliarden Euro und wird damit um 26 Milliarden Euro im Vergleich zu 2024 (477 Milliarden Euro) erhöht. Hinzu kommt ein Anteil aus dem „Sondervermögen“ für die Bundeswehr in Höhe von rund 24 Milliarden Euro – sachlich korrekt Sonderschulden, da kreditiert –, die nicht im Bundeshaushalt als solches vermerkt sind.
Der Bundeshaushalt wird in sogenannte Einzelpläne hinsichtlich der bundesstaatlichen Ausgaben aufgeteilt. So beispielsweise der Einzelplan 11 für den Bereich „Arbeit und Soziales“. Dieser umfasst rund 190 Milliarden Euro und ist der größte Einzelhaushalt. Dahinter kommt der Einzelplan 14 für die Ausgaben des Militärs mit rund 62 Milliarden Euro. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit: Tatsächlich kommen weitere, in anderen Einzelplänen versteckte Ausgaben mit militärischem Bezug hinzu. Die Gesamtheit nennt man Militärausgaben nach „NATO-Kriterien“. Wir haben es also mit drei Ausgabenkomponenten zu tun: Erstens die Ausgaben des Einzelplans 14 (62 Milliarden Euro), zweitens die versteckten Ausgaben in anderen Einzelplänen (7 Milliarden Euro) und drittens die Ausgaben des „Sondervermögens“ (im Jahr 2025 also 24 Milliarden Euro). Das macht rund 93 Milliarden Euro Militärausgaben.
Graphik: Dr. Alexander Neu
Graphik: Sevim Dagdelen
Schaut man sich die Militärausgaben seit 2014 an, so ist festzustellen: Es geht nur in eine Richtung. Die Steigerungen werden insbesondere ab 2019 immer umfassender, nehmen fast einen exponentiellen Charakter an.
Die Haushaltsplanungen für das Jahr 2026 schreiben die Tendenz fort. Im Entwurf sind bereits 82,6 Milliarden Euro allein im Einzelplan 14 veranschlagt, mithin eine Steigerung um 20 Milliarden Euro im Vergleich zum Bundeshaushaltsplan 2025. Hinzu kommen die derweil noch nicht identifizierbaren Ausgaben aus den weiteren Einzelplänen sowie weitere 25,5 Milliarden Euro aus dem „Sondervermögen“. Veranschlagt man die Ausgaben aus anderen Einzelplänen – konservativ gerechnet – in gleicher Höhe, so wären es rund sieben Milliarden Euro. Das macht zusammen rund 115 Milliarden Euro Militärausgaben für 2026.
Graphik: Dr. Alexander Neu
Die „Eckwerte“-Planungen allein für den Einzelplan 14 für den Zeitraum 2026 bis 2029 sind noch betrüblicher für den Steuerzahler und wohl auch für den Empfänger sozialstaatlicher Leistungen:
Graphik: Dr. Alexander Neu
Es handelt sich wohlgemerkt nur um den Einzelplan 14. Hinzu kommen noch die militärischen Ausgaben aus den weiteren Einzelplänen, sodass bis zum Jahre 2029 die Ausgaben auf über 160 Milliarden Euro erhöht werden. Wenn bis 2035 der Fünf-Prozent-BIP-Anteil für die Bundeswehr verausgabt werden sollte, was nahezu alle im Bundestag vertretenen Parteien, inklusive der AfD, befürworten, so wären das bei einem BIP von 4,3 Billionen Euro (als Referenzgröße aus dem Jahr 2024 und somit konservativ berechnet) rund 215 Milliarden Euro allein aus dem Einzelplan 14. Hinzu kommen wie immer die zusätzlichen Ausgaben, die in anderen Einzelplänen versteckt sind, also insgesamt rund 225 Milliarden Euro.
Finanzierung des Rüstungsstaates?
Die Finanzierung dürfte durch Umschichtungen aus den zivilen Bereichen (Arbeit/Soziales, Gesundheit, Bildung, Umwelt etc.) sowie durch Kreditaufnahmen realisiert werden. Im ersten Fall dürfen sich die Menschen auf ihre bevorstehende Armut „freuen“, im zweiten Fall dann auch die gegenwärtigen sowie die künftigen Generationen. Die Verschuldung plus Zinszahlungen stehen jährlich an und werden aus dem Einzelplan 32 (Bundesschuld) finanziert. Dieser steht derweil auf Platz fünf der Ausgabenhöhen der Einzelpläne – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, die Karriereleiter auf Platz drei oder gar zwei zu erklimmen. Auch hier eine konservative Modellrechnung:
Sollte das BIP im Jahre 2035 bei 4,3 Billionen Euro (Referenzzahl aus 2024) liegen, so würden gemäß der veränderten verfassungsrechtlichen Grundlage (alles, was über einem Prozent des BIPs liegt, darf seit dem Verfassungscoup von Kanzler Merz – Ausschaltung der Schuldenbremse für sicherheitsrelevante Ausgaben – weiter nach oben kreditiert werden, Art. 109 Grundgesetz) die Militärausgaben mindestens 43 Milliarden Euro betragen. Da jedoch mit der „Selbstverpflichtung“ gegenüber US-Präsident Trump fünf Prozent vereinbart sind, kämen 172 Milliarden Euro Militärausgaben obendrauf (insgesamt also mindestens 215 Milliarden Euro). Derweil betragen im Bundeshaushalt 2025 (Einzelplan 32 Bundesschuld) die Tilgung und Zinszahlungen 34 Milliarden Euro.
Wenn nur die Hälfte der 215 Milliarden Euro Militärausgaben im Jahr 2035 kreditiert und die andere Hälfte über Umschichtungen finanziert werden würden, so müssten 107,5 Milliarden Euro getilgt und weitere Milliarden Zinszahlungen geleistet werden. Die Zinszahlung betrüge ungefähr drei Milliarden Euro (bei einem Zinssatz von rund drei Prozent). Somit wären allein für die militärischen Ausgaben 110,5 Milliarden Euro an Steuergeldern für ein Haushaltsjahr abzustottern. Die andere Hälfte (107,5 Milliarden Euro) der Finanzierung des Rüstungsstaates, durch haushaltsinterne Umschichtungen, bedeutete massive Einschnitte in den anderen Ressorts. Nach dem Rasenmäherprinzip (sogenannte „Globale Minderausgaben“) müsste jeder Einzelplan und somit jedes Ministerium – mit Ausnahme des Einzelplans 14 und somit des Verteidigungsministeriums – rund 30 Prozent einsparen.
Mit dieser wirklich rein finanziell unverantwortlichen Verschuldung zu Gunsten des Militärs wird Deutschland in eine Verschuldungsorgie getrieben, die ganz konkret außer Kontrolle zu geraten droht.
„Wenn wir jetzt nicht investieren, so würde der russische Angriff auf Europa noch viel teurer werden.“
So oder so ähnlich argumentieren die Protagonisten der obszönen Aufrüstungspolitik, um die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit der massiven Militärausgaben zu überzeugen. Das Motto lautet: Die Bürger müssen den Gürtel enger schnallen, ansonsten wird der noch viel enger werden, wenn der Russe – von „Experten“ als gesichert prognostiziert – bis 2029 einmarschieren wird.
Aber besteht tatsächlich ein sicherheitspolitisches Erfordernis, wie uns diese selbst- und medienernannten „Experten“ das mit tiefer Sorgenfalte um unser Wohlergehen stets suggerieren? Die Antwort lautet: NEIN!
Erstens: Hätten die NATO-Staaten die auch von ihnen unterzeichnete „Charta von Paris“ aus dem Jahre 1991, die das Ende des Kalten Krieges besiegelte, jemals ernst genommen, dann hätte ein System der kollektiven Sicherheit anstelle der NATO in Europa etabliert werden können. Stattdessen wurde die NATO gehätschelt und erweitert. Diese hemmungslose NATO-Osterweiterung bis in den postsowjetischen Raum hinein und damit die tatsächliche Schaffung einer neuen politischen und militärischen Trennlinie – 1.000 Kilometer weiter östlich – in Europa ist die Grundursache für den gegenwärtigen Krieg um die Ukraine. Die „Charta von Paris“ stand für den ungeteilten, den gemeinsamen Sicherheitsraum von Vancouver bis Wladiwostok. Die NATO-Osterweiterung hingegen steht für die geostrategische und militärische Ausdehnung von Vancouver bis Donezk.
Die Konsequenzen sehen wir nun: Vermeintliche Sicherheit gegeneinander (Aufrüstung, Manöver, Drohungen, Zwischenfälle etc.), statt gemeinsame Sicherheit. Nun jedoch liegt das Kind im Brunnen. „Die Charta von Paris“ und der ihr zugrunde liegende progressive und einzig vernünftige Ansatz der kollektiven Sicherheit sind bis auf Weiteres tot. Die Schuld hierfür tragen nicht nur die USA. Sie tun als imperiale Macht nur das, was Imperien machen: ihren Herrschaftsbereich konsolidieren oder ausbauen. Schuld tragen vor allem die europäischen Eliten, die nach 1991 das Zeitfenster für einen gesamteuropäischen Neuanfang unter Einschluss der Ukraine, Weißrusslands, Russlands sowie Jugoslawiens auch auf US-Druck hin nicht umgesetzt haben – obschon sie sich hätten emanzipieren können –, sondern die Möglichkeit eines gesamteuropäischen Neuanfangs vielmehr selbst verhinderten. Es ging nicht um ein visionäres, fortschrittliches und eigenständiges Gesamteuropa, sondern um NATO first, also darum, wie die NATO eine neue Legitimation erhalten könne, nachdem der Feind im Osten der NATO so unerwartet abhandenkam. Die Antworten waren „Out-of-area-Einsätze“ sowie die NATO-Erweiterung. Das waren die tatsächlichen Debatten der 1990er- und der 2000er-Jahre in der sicherheitspolitischen Community, die ich selbst genauso erlebt habe.
Eine echte Umsetzung der „Charta von Paris“ hätte meiner Meinung nach die Kriege in und um Jugoslawien sowie der Ukraine verhindert und vielen Millionen Menschen Leid und Tod erspart. Aber die Agenda war eine andere.
Zweitens: Auch die Behauptungen, Russland würde die NATO-Staaten angreifen, ist, rein auf der materiellen Ebene betrachtet, nicht belastbar. (Hierzu auch eine vertiefende Analyse in meinem Beitrag „EU im Aufrüstungsrausch – Die Notwendigkeit, die Debatte vom Kopf auf die Füße zu stellen“ auf den NachDenkSeiten.
Russland ist der NATO, ja, allein den europäischen NATO-Staaten konventionell signifikant unterlegen. Ein Angriff wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt. Sicherlich wäre die Eroberung des Suwalki-Gaps zwischen Polen und dem Baltikum durch Russland realisierbar. Ob sie es jedoch halten könnten, hinge letztlich von der Entschlossenheit der NATO ab. Weitergehende Territorialeroberungen würden tatsächlich keinen Sinn ergeben und den Widerstand der NATO erst recht erhöhen. Wenn der Krieg für Russland also nicht zu gewinnen, ja im Gegenteil eine Niederlage ziemlich sicher wäre, warum sollte Russland also diesen Schritt gehen? Eine rationale Erklärung gibt es nicht.
Und nein, dem Gegner immer eine Irrationalität zu unterstellen, ist infantil, ja definitiv unprofessionell. Und eine Kriegsführung mit der größten Nuklearmacht der Welt dahingehend zu diskutieren, dass dieser Krieg die atomare Schwelle schon nicht überschreiten werde, ist noch infantiler und unprofessioneller, ja geradezu verantwortungslos. Kurzum: Ein Krieg mit Russland bedeutet in letzter Instanz – und die kommt schneller, als man denkt – den Atomkrieg und somit die Auslöschung mindestens Europas. Das bedeutet wiederum, dass trotz bisheriger Überlegenheit eine weitere konventionelle Aufrüstung EU-Europas und Deutschlands, die ein Vielfaches an materiellen und personellen Fähigkeiten gegenüber Russland darstellen würde, auch keinen Sinn ergibt – im Ernstfall würden diese Fähigkeiten nuklear pulverisiert. Also, warum fordern Regierung und mediale Hofberichterstatter die totale Aufrüstung und damit die Verarmung der Gesellschaften in EU-Europa, wenn der Sinn einfach nicht erkennbar ist?
Ist es ein irrationale, eine ideologische Komponente? Oder ist es der Versuch, die gegenwärtige globale Machtverschiebung aufzuhalten, gar die Uhren zurückzudrehen? Dafür ist es zu spät. Der Prozess zur multipolaren Weltordnung lässt sich auch mit militärischen Mitteln nicht mehr aufhalten, es sei denn, man ist bereit, einen globalen Atomkrieg zu riskieren. Will man tatsächlich den großen Krieg herbeireden, will man das Phänomen der selbsterfüllenden Prophezeiung bis auf die Spitze treiben? Nur, dann müssen wir nicht mehr über Weltordnungskonzepte diskutieren. Es geht indessen nicht um das Leben einiger Politikentscheider und irgendwelcher Eliten, sondern es geht schlicht um das Leben von mindestens 500 Millionen Menschen in Europa – nur mal zur Erinnerung für die, die meinen, Schach auf dem Rücken der Menschen spielen zu müssen. Und die Mainstreammedien? Auffällig ist, dass Versuche, den Sinn der Aufrüstung, der sprachlichen und ideologischen Radikalisierung auf einer rationalen Ebene zu diskutieren, abgeblockt, ja bisweilen diffamiert werden. Unsere ach so pluralen Medien unterbinden durch gewisse Methoden eine pluralistische Diskussion. Es ist schlicht nicht gewollt.
Titelbild: Shutterstock / e-crow