„Deutschland ist zurück auf der internationalen Bühne!“ – mit diesem forschen Satz ging Bundeskanzler Merz am Mittwoch in seiner Regierungserklärung „all in“, wie man es beim Poker nennen würde. Er rief die „Schicksalswoche“ für Europa aus. Beim EU-Gipfel in Brüssel werde er sich nun für die Nutzung der eingefrorenen russischen Gelder und die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens Mercosur starkmachen. Die Zukunft Europas sei untrennbar mit diesen beiden Entscheidungen verbunden. So gesehen hätte Europa dann wohl keine Zukunft mehr. In beiden Punkten konnten Merz und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen sich nämlich nicht durchsetzen; auch wenn Merz heute morgen sein Desaster als Erfolg verkauft. Deutschland ist zurück auf der internationalen Bühne? In einem Häuschen in der Uckermark wird heute morgen sicherlich jemand schadenfroh grinsen. Von Jens Berger.
Letztlich war es ein zweiseitiges belgisches Forderungspapier, das dem Plan, russische Gelder zur Finanzierung der Ukraine zu enteignen, den Todesstoß versetzt hat. Belgien forderte in diesem Papier einen „Blankocheck“. Mögliche Schadensersatzforderungen, die Russland vor Gericht im Falle einer Enteignung der größtenteils in Belgien verwahrten Devisenreserven der russischen Zentralbank zugesprochen bekäme, sollten „unbegrenzt“ von der EU bzw. den maßgeblichen EU-Staaten abgesichert werden. Diese Formulierung war für die Mehrheit der EU-Regierungschefs jedoch nicht konsensfähig. Im letzten Arbeitsentwurf der Enteignungsbefürworter rund um Merz und von der Leyen versicherte man Belgien seine „uneingeschränkte“, aber eben nicht „unbegrenzte“ Solidarität. Damit war der Plan, die russischen Gelder zu enteignen und über einen abstrusen Umweg an die Ukraine auszuzahlen, vom Tisch.
Um die Absatzprognosen der heimischen Rüstungsindustrie zu sichern, konnte man sich dann zumindest auf eine Brückenfinanzierung einigen, deren Details jedoch weitere Fragen aufwerfen. Geplant ist offenbar, dass alle EU-Länder außer Tschechien, Ungarn und der Slowakei gemeinsam im Zeitraum der kommenden zwei Jahre Kredite in Höhe von 90 Milliarden Euro aufnehmen, die der Ukraine formal als „zinsloses Darlehen“ zur Verfügung gestellt werden. Die Kredite sollen dann über den EU-Haushalt abgesichert sein – ein spannendes Detail, auf das man zu sprechen kommen wird.
Wie der französische Präsident Macron es heute morgen formulierte, habe dieser Kredit nichts mit dem Wiederaufbau des Landes zu tun, sondern soll von der Ukraine „für den Kauf von Waffen aus Europa“ verwendet werden. Parallel dazu verkündete Friedrich Merz jedoch interessanterweise, dass man dennoch die „eingefrorenen russischen Vermögenswerte“ für den Fall einsetzen wolle, dass diese Kredite von der Ukraine nicht zurückgezahlt werden. Davon ist jedoch in keinem anderen offiziellen Statement die Rede.
Wie sind Merz’ Äußerungen zu bewerten? Bemerkenswert ist zunächst, dass es offenbar nicht um Anleihen, sondern um Kredite geht. Vollkommen offen ist, wer diese Kredite überhaupt vergeben soll. Im Vorfeld der Debatte um die Enteignung der russischen Gelder wurde schließlich immer betont, dass die Ukraine die Kredite aus eigener Kraft niemals zurückbezahlen kann und dies auch gar nicht vorgesehen sei. Man klammere sich stattdessen an künftige Reparationszahlungen, die Russland der Ukraine im Rahmen eines Friedensvertrags zahlen müsse. Das Russland Reparationen an die Ukraine zahlen wird, ist jedoch vollkommen unrealistisch. Wir haben es also auch bei dem nun beschlossenen Kredit mit einem Kredit zu tun, dessen Rückzahlung mehr als unwahrscheinlich ist. Welche Bank würde einen solchen Kredit vergeben, ohne dass ein solventer Bürge die Rückzahlung garantiert?
Im konkreten Fall haben wir gleich zwei solvente Bürgen, die EU-Staaten, die die Kredite aufnehmen, und die EU selbst, die diese Kredite offenbar aus ihrem Haushalt garantiert. Dabei muss man aber auch anmerken, dass das Kreditvolumen i.H.v. 90 Milliarden Euro fast die Hälfte des EU-Haushalts ausmacht. Und wenn eine Rückzahlung entweder unwahrscheinlich oder gar nicht erst vorgesehen ist, sollte man doch eigentlich erwarten, dass die EU ihren Bürgern einmal sagt, woher dieses Geld dann konkret kommen soll. Will die EU diese Garantien ihrerseits durch Kredite finanzieren? Das würden Staaten wie Ungarn zweifelsohne ablehnen. Oder steht im Kleingedruckten, das am Ende gar nicht die EU, sondern die kreditaufnehmenden EU-Staaten letzten Endes selbst haften?
Klärungsbedarf gibt es auch bei der Frage, wer denn eigentlich die Zinsen bezahlen soll. Die Ukraine kriegt das Geld als zinsloses Darlehen, die EU-Staaten, die den Kredit zur Finanzierung dieses Darlehens aufnehmen, müssen aber selbstverständlich Zinsen zahlen und es ist angesichts der dubiosen Finanzierung sehr wahrscheinlich, dass die kreditgebenden Banken sich das Risiko durch einen ordentlichen Zinsaufschlag bezahlen lassen. Oder plant man am Ende gar eine Kreditaufnahme bei der EZB? Dann könnte man Merz’ Verweis auf eine mögliche Option, doch noch auf die russischen Zentralbankgelder zurückzugreifen, vergessen. Christine Lagarde hat eine EZB-Finanzierung in diesem Kontext bereits kategorisch ausgeschlossen.
Kommen wir zu Friedrich Merz. Der verkauft seine Niederlage ja nun öffentlich als Sieg und behauptet faktenwidrig , dass man nach wie vor die Option in der Hinterhand habe, dass die russischen Zentralbankgelder herangezogen werden, wenn Russland keine Reparationen bezahlt. Zurück auf Los könnte man hier sagen. Genau diese Option wurde ja heute Nacht von den EU-Regierungschefs ausgeschlossen. Warum sich daran etwas ändern sollte, ist nicht ersichtlich. Das mag für deutsche Journalisten, die Merz in ihren Kommentaren voll auf den Leim gehen, zwar eine Petitesse sein – für die kreditvergebenden Banken gilt das aber nicht. Keine Bank vergibt einen Kredit, wenn die Rückzahlung auf rechtlich und politisch derart tönernen Füßen steht. Offenbar braucht Friedrich Merz einen Realitätscheck.
Berücksichtigt man die Realitäten, haben wir es nicht mit einem Kredit, sondern mit einem Geschenk zu tun. Die 24 zahlenden EU-Staaten finanzieren der Ukraine die Waffenkäufe für das laufende Jahr und die Rechnung werden entweder sie selbst oder die EU bezahlen müssen. Es bleibt also alles beim Alten. Für Merz und von der Leyen, die wie besessen von der Idee waren, nicht die deutschen oder europäischen Steuerzahler, sondern Russland zur Kasse zu bitten, ist das eine Niederlage auf ganzer Ebene. Wichtiger: Der eigentliche Zweck des Manövers, die Sanktionen bis in alle Ewigkeit fortzuführen und eine Verständigung mit Russland nach dem Krieg zu sabotieren, ist damit auch passé.
Wie geht es nun weiter? Macron kündigte bereits an, dass die Europäer nun aktiv in Friedensverhandlungen mit Russland gehen müssen. Die eingefrorenen Gelder sind dabei ein nicht zu unterschätzender Verhandlungsposten für die EU. Doch dieser Verhandlungsposten ist umstritten, sehen vor allem die USA doch überhaupt nicht ein, warum die Europäer, die die russischen Gelder ja nur „verwahren“, nun indirekte Besitzansprüche erheben. Man würde selbst gerne diese Gelder als Verhandlungsposten nutzen und daraus Kapital schlagen. Allein dieser Punkt zeigt schon, wie weit Merz’ Beharren auf die künftige Nutzung dieser Gelder von der Realität entfernt ist. Wenn es Verhandlungen gibt, werden die Gelder – von welcher Seite auch immer – Gegenstand der Verhandlungen sein. Wie das Ganze ausgeht, ist vollkommen offen und wenn Friedrich Merz meint, das Ergebnis kommender Verhandlungen bereits jetzt vorwegzunehmen, zeigt dies nur, dass er immer noch in seinem eigenen Paralleluniversum lebt.
Für Merz und von der Leyen war der gesamte EU-Gipfel ein einziges Desaster; ein Desaster mit Ansage! Sie konnten ihre großspurigen Forderungen bezüglich der Enteignung russischer Gelder nicht durchsetzen. Aber nicht nur das. Auch beim zweiten heiß debattierten Thema, der Unterzeichnung des Mercosur-Handelsabkommens zwischen der EU und den Mercosur-Staaten, sind Merz und von der Leyen krachend gescheitert. Eigentlich sollte Ursula von der Leyen gerade eben im Flieger nach Brasilien sitzen, wo heute das Abkommen feierlich unterzeichnet werden sollte. Daraus ist nichts geworden. Italien und Frankreich fürchten den Groll ihrer Bauern und wollen nun noch „offene Punkte“ klären. Das ist schon fast tragikomisch, wenn man bedenkt, dass seit 1999 an diesem Abkommen verhandelt wird und man somit 26 Jahre Zeit hatte, diese offenen Punkte zu klären. Wie dem auch sei: Deutschland konnte sich auch in diesem Punkt nicht durchsetzen.
„Deutschland ist zurück auf der internationalen Bühne!“ Das stimmt. Aber sonderlich erfolgreich scheint diese „Rückkehr“ ja nicht zu sein. „Noch viel Lernen Du musst, junger Kanzler“, würde wohl ein alter Jedi-Meister nun sagen. Es ist eine Sache, der willfährigen und stets regierungstreuen deutschen Presse jede Niederlage als Erfolg zu verkaufen. Auf internationaler Ebene klappt das nicht. Und das ist im konkreten Fall ja auch gut so.
Titelbild: Screencap ARD.de






