Journalisten-Morde in Gaza – die BILD sollte sich schämen

Journalisten-Morde in Gaza – die BILD sollte sich schämen

Journalisten-Morde in Gaza – die BILD sollte sich schämen

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Am Sonntag starben sechs Journalisten bei einem gezielten Angriff auf ein Journalistenzelt in Gaza-Stadt. Darunter der prominente Al-Jazeera-Korrespondent und Pulitzerpreisträger Anas al-Sharif. Gezielt Journalisten zu ermorden, ist ein schweres Kriegsverbrechen, die Kritik an Israels Kriegsführung fällt dementsprechend hart aus. Eine Ausnahme macht dabei einmal mehr die deutsche BILD-Zeitung, die ihren ermordeten Al-Jazeera-Kollegen kurzerhand zum „Terroristen“ erklärte und dabei die von Journalistenverbänden und der UNO kritisierte israelische Taktik, kritische Journalisten als „Terroristen“ für vogelfrei zu erklären, eins zu eins übernimmt. Die „Kollegen“ von der BILD sollten sich schämen, wenn sie noch einen kläglichen Rest von Berufsehre in sich tragen. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Anas al-Sharif wurde 28 Jahre alt. Er war einer der letzten Korrespondenten, die noch regelmäßig aus Gaza berichtet haben. Der Al-Jazeera-Journalist, der selbst im Flüchtlingslager von Dschabaliya geboren wurde, war sicher nicht das, was man in deutschen Journalistenschulen als neutralen Beobachter bezeichnen würde. Al-Sharif verstand sich selbst als Stimme der Palästinenser in Gaza und als solche war er spätestens seit Beginn der israelischen Bombardierungen vor allem ein Chronist des Schreckens, der das unbeschreibliche Leid und den tausendfachen Tod, den die israelische Kriegsführung für die Menschen vor Ort mit sich brachte, einer weltweiten Öffentlichkeit zugänglich machte. Damit erfüllte al-Sharif eine ungemein wichtige Aufgabe, da Israel keine Journalisten – egal welcher Herkunft – in den Gazastreifen hineinlässt und die wenigen – meist palästinensischen – Journalisten vor Ort immer wieder mit Vorsatz und oft gezielt tötet. Von den 253 getöteten und ermordeten Journalisten in Gaza, die in der Wikipedia aufgezählt sind, sind ganze 234 Palästinenser; nur vier sind Israelis, die von der Hamas bei den Angriffen am 7. Oktober 2023 ermordet wurden. Was in Gaza passiert, soll offenbar in Gaza bleiben und nicht die öffentliche Meinung in Israel oder anderen Staaten „verunsichern“.

Je nach Quelle wurden mehr als 230 Journalisten in den letzten beiden Jahren im Gazakrieg vom israelischen Militär getötet – das ist mehr als in beiden Weltkriegen, dem Vietnamkrieg und den Kriegen in Jugoslawien und Afghanistan zusammen! Seit Beginn des Krieges führt Israel nicht nur einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung, sondern auch gegen die Journalisten, die vor Ort über die Folgen der Kriegsführung berichten. Darauf hatten die NachDenkSeiten bereits wenige Wochen nach Kriegsbeginn kritisch hingewiesen. Teils handelte es sich dabei um das, was man heutzutage gerne bar jeder Menschlichkeit als „Kollateralschäden“ bezeichnet. Immer wieder kam es jedoch auch zu gezielten Angriffen auf Journalisten, die ihren Einsatz mit dem Leben bezahlen mussten. Um internationale Kritik an diesen gezielten Morden vorzubeugen, ist Israel im letzten Jahr dazu übergegangen, kritische Journalisten ohne nachvollziehbare Beweise einfach zu „Terroristen“ und damit für vogelfrei zu erklären.

Sara Qudah, die zuständige Regionaldirektorin des in New York ansässigen Komitees zum Schutz von Journalisten CPJ, findet dazu klare Worte: „Israel hat eine langjährige, dokumentierte Praxis, Journalisten ohne glaubwürdige Beweise als Terroristen zu beschuldigen. Israel ermordet die Boten“, so Qudah. Gegen Anas al-Sharif hatte das israelische Militär bereits vor einigen Monaten derartige Vorwürfe erhoben. Belegt hat man diese Vorwürfe jedoch nie, wie sowohl die UN als auch nahezu alle internationalen Journalisten- und Medienverbände klagen. Qudah sieht dahinter eine klare Methode: „Es ist kein Zufall, dass die Verleumdungen gegen al-Sharif – der seit Beginn des Krieges Tag und Nacht für Al Jazeera berichtet hat – jedes Mal auftauchten, wenn er über wichtige Entwicklungen im Krieg berichtete, zuletzt über die Hungersnot, die durch Israels Verweigerung ausreichender Hilfslieferungen in das Gebiet verursacht wurde.“ Al-Sharif selbst wusste, dass er von Israel wegen seiner Berichterstattung ins Visier genommen wurde und rechnete bereits mit seinem Tod. Zivilisten soll er geraten haben, seinem Journalistenzelt nicht zu nahe zu kommen. Dies sei zu gefährlich. Am Sonntag wurde er zusammen mit fünf Kollegen durch die gezielte Bombardierung ebenjenes klar gekennzeichneten Journalistenzelts von Israel ermordet.

Auch wenn die sechs am Sonntag von Israel ermordeten Journalisten für sich genommen angesichts der langen schrecklichen Liste von in Gaza ermordeten Journalisten keine neue Entwicklung sind, so stellt die damit einhergehende Kommunikationslinie der israelischen Armee sehr wohl eine weitere Eskalation dar. Hat man zuvor stets abgestritten, gezielt Journalisten zu ermorden, so kommunizierte man nun den Sechsfachmord vom Sonntag sogar als „Erfolgsmeldung“. „Der Terrorist Anas al-Sharif war Anführer einer Zelle der Terrororganisation Hamas und trieb Pläne für Raketenbeschuss auf israelische Zivilisten und IDF-Streitkräfte voran“, so die IDF; Vorwürfe, die derart absurd sind, dass sie niemand, der sich mit dem Fall beschäftigt hat, auch nur im Ansatz ernst nimmt.

Sagte ich „niemand“? Das ist leider falsch. Die deutsche BILD-Zeitung hat sich einmal mehr als einziges internationales Medium damit hervorgetan, die absurden Äußerungen des israelischen Militärs nicht nur ungeprüft zu übernehmen, sondern sie in der Schlagzeile sogar als Fakten darzustellen und titelte „Als Journalist getarnter Terrorist in Gaza getötet“. Offenbar hagelte es Kritik und BILD änderte die Überschrift später in das etwas abgeschwächte „Getöteter Journalist soll Terrorist gewesen sein“. Die Originalversion ist noch über das Webarchiv abrufbar.

Das ist ein neuer Tiefpunkt der an Tiefpunkten so reichen Geschichte der BILD-Zeitung. Wie würden die BILD-Macher denn reagieren, wenn beispielsweise Russland den BILD-Frontmann Paul Ronzheimer, der sich ja gerne in der Ukraine als „Frontberichterstatter“ in Szene setzen lässt, als „Terroristen“ für vogelfrei erklären und dann zusammen mit seinen Kollegen gezielt ermorden würde? Würde BILD dann auch titeln: „Als Journalist getarnter Terrorist in Kiew getötet“? Natürlich nicht. Wobei ein Vergleich von al-Sharif und Ronzheimer natürlich absurd ist, war Ersterer doch ein echter Journalist.

Aber davon ab. Selbst wenn man einmal das Gedankenspiel durchspielt, dass an den absurden israelischen Vorwürfen wirklich etwas dran wäre und al-Sharif als ein „legitimes Ziel“ gelten konnte. Gilt das dann auch für die fünf weiteren Journalisten, die bei der gezielten Bombardierung des Journalistenzelts ermordet wurden? Auch wenn heute viel über den Tod von Anas al-Sharif berichtet wird – mit welcher Begründung hat Israel den Al-Jazeera-Korrespondenten Mohammed Qreiqeh, die Al-Jazeera-Kameramänner Ibrahim Zaher, Mohammed Noufal und Moamen Aliwa und den Freelancer Mohammad al-Khaldi ermordet, die neben Anas al-Sharif bei der Bombardierung des Journalistenzelts ihr Leben lassen mussten? Waren das auch alles „Terroristen“?

Die fünf ermordeten Journalisten von Al Jazeera. Quelle: Al Jazeera

„Israel hat ein ganzes Nachrichtenteam ausgelöscht. Es hat nicht behauptet, dass einer der anderen Journalisten Terroristen waren. Das ist Mord. Schlicht und einfach“, so Sara Qudah vom CPJ. Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht, dass die BILD diese „Kollateralschäden“ offenbar gerne in Kauf nimmt und es nicht einmal für nötig hält, darauf hinzuweisen.

Ja, Fritz Bauer hatte schon recht, als er sagte: „Ich glaube, es ist eine traurige Wahrheit, dass wir unserem Affenzustand noch sehr nahe sind und dass die Zivilisation nur eine sehr dünne Decke ist, die sehr schnell abblättert.“ Wie schnell diese sehr dünne Decke abblättert, zeigt einmal mehr die BILD. Jeder Mitarbeiter von Springer sollte sich schämen. Dennoch wünsche ich den „Kollegen“, dass ihnen ein Schicksal wie das des Anas al-Sharif erspart bleibt.

Anhang: Die herzzerreißenden letzten Worte von Anas al-Sharif vorgelesen in der BBC

Titelbild: Screenshot / Bild.de

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