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Titel: Der verzweifelte Versuch der neoliberalen Hilfstruppen Stimmung für das „Sparpaket“ zu machen

Datum: 16. Juni 2010 um 8:50 Uhr
Rubrik: Demoskopie/Umfragen, INSM, Manipulation des Monats
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Die Zustimmung zu Schwarz-Gelb sinkt auf einen Tiefpunkt (31% für die CDU, 6% für die FDP). Vier von fünf (79%) Bundesbürgern halten das „Sparpaket“ für sozial nicht ausgewogen. Da ist für die neoliberalen Propagandaagenturen höchste Alarmstufe angesagt. Da muss mit allen Mitteln der Meinungsmanipulation dagegengehalten werden. Im sogenannten „Deutschland Check“ der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zusammen mit der Wirtschaftswoche wird in die Welt gesetzt: „Die Sparpläne der Bundesregierung treffen in der Arbeitnehmerschaft allgemein auf breite Zustimmung.“(S. 11) [PDF – 158 KB]. Auch Bertelsmann verkündet 73% seien für größere Sparanstrengungen. Wenn Sie immer noch glauben sollten die INSM und die Bertelsmann Stiftung seien glaubwürdige Institutionen, dann können Sie sich an Hand der Auswertung dieser Umfragen endgültig vom Gegenteil überzeugen. Wolfgang Lieb

„Deutschland Check“, so nennt sich eine „Dauerstudie zur Beurteilung der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung in der 17. Legislaturperiode“. Der Check wird durchgeführt vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln im Auftrag der arbeitgeberfinanzierten PR-Agentur Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) und der marktliberalen WirtschaftsWoche. Dass die INSM mit Umfragen Stimmung macht und die öffentliche Meinung beeinflussen will, ist bekannt. Der „Deutschland Check“ ist wieder einmal so eine Propagandaschrift, diesmal für das „Sparpaket“ der Bundesregierung: „Unter Wachstumsaspekten sind die Schwerpunkte richtig gesetzt. Im Wesentlichen wird der Rotstift bei den konsumtiven Staatsausgaben angesetzt…Das Sparpaket ist auch nicht sozial unausgewogen, wie von Kritikern moniert. Die Sozialleistungen bringen zwar den größten Sparbeitrag, sie stellen aber auch im Bundeshaushalt mit 54 Prozent den größten Einzelposten.“ (S. 7)

Schon die Behauptung die Sozialleistungen machten mehr als die Hälfte im Bundeshaushalt aus, ist fragwürdig. Der Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ist 2010 auf 153 Milliarden angesetzt. Eine Steigerung um 20 Milliarden ergab sich aus Unterstützung der Bundesagentur für Arbeit, insbesondere durch die konjunkturbedingt höhere Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Die Ausgaben aus dem Gesamthaushalt 2010 sind auf 327,7 Milliarden Milliarden angesetzt. Der Sozialbereich macht also deutlich weniger als die Hälfte aus.

Im Übrigen ist die Kostenentwicklung der Sozialsysteme seit Jahren entgegen anderslautender Meldungen zum guten Teil schon extrem rückläufig. Während die gesamtwirtschaftliche Leistung zwischen 1995 und 2006 um 25,6% stieg, fielen die Ausgaben für Wohngeld um 60,4%, die Kosten für Arbeitslosigkeit um 34,8% und die Ausgaben für Sozialhilfe um 23,2%. Wenn man bedenkt, dass alleine 2009 die Bundesregierung zur Stützung der Banken sich 98,2 Milliarden geliehen hat (bei den Banken!), sieht man ziemlich klar, wer die Zeche einer verfehlten Steuer- und Wirtschaftspolitik zahlt.

Die WirtschaftsWoche veröffentlicht den „Deutschland Check“ unter der dramatisierenden Überschrift „Inflationsangst in der Bevölkerung“.

Das Beratungsunternehmen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) befragte Ende Mai 1000 Arbeitnehmer (!), ob sie sich derzeit vor Inflation fürchteten:

Von den Befragten bejahten 41,9 Prozent diese Frage, 7,8 Prozent gaben sogar an, außerordentliche Angst vor Geldentwertung zu haben. Eine Minderheit (!) von 47,7 Prozent verneinte Inflationsängste…In dieser Situation befürwortet die überwältigende Mehrheit der Arbeitnehmer Sparmaßnahmen der Bundesregierung. Von den Befragten sind 80,1 Prozent der Meinung, dass der Staat sparen sollte, um Schulden abzubauen. Nur 11,8 Prozent sind dagegen. Bei 800 (!)der befragten Arbeitnehmer erhob IW Consult zusätzlich, ob sich die Akzeptanz von Ausgabenkürzungen ändert, sofern die Bürger persönlich von diesen betroffen sind.
Das Ergebnis: Auch wenn sie deshalb auf staatliche Leistungen verzichten müssten, befürworten immer noch knapp 60 Prozent der Arbeitnehmer einen Sparkurs der Bundesregierung. Von den Befragten sind allerdings 26,6 Prozent gegen Kürzungen, sofern sich diese auf sie selbst auswirken.

Bemerkenswert an dieser Umfrage ist schon, dass bei gegenwärtige einer der niedrigsten Inflationsraten von rd. 1% (2009: 0,4%) überhaupt nach Inflationsängsten gefragt wird. Darüber hinaus kann man die Repräsentativität dieser Umfrage bezweifeln: Bei der Frage nach der Akzeptanz von Ausgabenkürzungen, sofern die Befragten persönlich betroffen sein, wurden merkwürdigerweise nur 800 statt dem üblichen Sample von 1000 Arbeitnehmer befragt.

Das Verhältnis zwischen den eine Inflationsangst bejahenden und denjenigen, die diese Angst nicht umtreibt, liegt bei 49,7 zu 47,7 Prozent. Bei den nicht Verängstigten also von einer „Minderheit“ zu sprechen und dann noch „Inflationsangst in der Bevölkerung“ als Schlagzeile zu wählen, ist eigentlich schon Beleg genug, dass hier Stimmung gemacht werden soll.

Die Auswertung ist darüber hinaus ziemlich dubios. Da heißt es etwa: „Das Thema Inflation beschäftigt aktuell gut die Hälfte der Arbeitnehmerschaft. Jeder zweite Arbeitnehmer hat derzeit Inflationsangst. Dabei geben 8 Prozent der Befragten sogar an, außerordentlich Angst vor Inflation zu haben.“ Bedeutet das nun, dass nur von der Hälfte der Arbeitnehmer die das Thema Inflation überhaupt beschäftigt, nur jeder Zweite Inflationsangst angibt? Dann wären es nur ein Viertel, das Inflationsängste umtreibt.

Angeblich sorgten sich knapp zwei Drittel der Arbeitnehmerschaft um eine zukünftige Entwertung ihrer Ersparnisse. Das wirft die Frage auf, wer bei dieser Umfrage als „Arbeitnehmer“ gilt und wer unter den angeblichen Arbeitnehmern sich um seine Ersparnisse fürchtet bzw. überhaupt fürchten kann.

Nach Berechnung der Wissenschaftler am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) haben etwa zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung netto kein oder nur ein geringes Geld- oder Sachvermögen. 27 Prozent aller Erwachsenen besitzen netto gar kein Vermögen, oder sie haben unter dem Strich sogar mehr Schulden als Eigentum.

Hinzu kommt: Bis zu einem Monatseinkommen von rund 1.000 Euro sind im Durchschnitt alle verschuldet. Bei einem Verdienst zwischen 2.000 und 2.600 ist die Sparquote äußerst gering und liegt im Durchschnitt bei 4,5%. Dass zwei Drittel der Arbeitnehmerschaft sich um die Entwertung ihrer Ersparnisse sorgt, wo doch zwei Drittel bestenfalls ein geringes Geld- oder Sachvermögen haben, ist schon ziemlich merkwürdig.

Entweder sind diese Arbeitnehmer Opfer des allgemeinen Schürens von Inflationsangst oder sie unterliegen einer in Deutschland offenbar ausgeprägten und durch die Politik massiv unterstützten Selbsttäuschung, wonach egal, wie viel er verdient, sich nahezu jeder „fast reich“ fühlt.

Vier Fünftel der Arbeitnehmer geben nach dieser Umfrage an, dass die Bundesregierung Ausgaben kürzen sollte, um die Staatsschulden abzubauen (S.11). Und immer hin noch sechs von zehn Befürworter von Ausgabenkürzungen unter den Arbeitnehmern unterstützten die Einsparungen auch dann, wenn sie selbst auf staatliche Leistungen verzichten müssten (S.12).

Was haben die Ergebnisse auf solche Fragen für einen Aussagewert?

Es ist doch nur naheliegend, dass jemand der nach einem Schuldenabbau gefragt wird, (jedenfalls auch) Ausgabenkürzungen für richtig hält. Und das Umfrgeergebnis zeigt auch nicht mehr, als dass eine Mehrheit der angeblichen Arbeitnehmer (vom angestellten Manager bis zum Zeitarbeiter?) opferbereit wäre. Das Problem beginnt aber bekanntlich erst, wenn man konkret danach fragt, welche Ausgaben gekürzt werden sollten.

Und da kommen zwei seriösere Umfragen und sogar auch die Bertelsmann Stiftung in einer bei Allensbach in Auftrag gegebenen Befragung zu völlig anderen Ergebnissen, als dass „die Sparpläne der Bundesregierung … in der Arbeitnehmerschaft allgemein auf breite Zustimmung“ träfen, wie der „Deutschland Check“ behauptet.

Nach Infratest dimap halten 79% der Befragten das vorliegende „Sparpaket“ der Bundesregierung für sozial nicht ausgewogen http://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/umfragen/aktuell/zweifel-am-sparpaket/ . Auch die Bertelsmann Stiftung kommt nicht umhin, festzustellen, dass die Bevölkerung fehlende soziale Gerechtigkeit kritisiere (70%).

Auch das letzte ZDF Politbarometer widerlegt deutlich, die Forderung des „Deutschland Check“, dass eine weit überwiegende Mehrheit mit der Kürzung von Sozialleistungen einverstanden wäre: Kürzungen in den Bereichen Rente werden von 91 Prozent, Gesundheit von 86 Prozent und bei der Familienförderung von 84 Prozent abgelehnt.

Ähnlich wie beim „Deutschland Check“ entscheiden sich bei der von Bertelsmann in Auftrag gegebenen Umfrage „vor die Wahl gestellt, ob der Staat lieber sparen und seine Ausgaben einschränken oder – etwa durch Steuererhöhungen – mehr Geld einnehmen sollten“ 73 Prozent für größere Sparanstrengungen. Was bei dieser Alternative Sparen oder allgemeine Steuererhöhungen alles andere als erstaunlich ist. Aber immerhin wird dort eingeräumt, dass bei Steuererhöhungen die Anhebung des Spitzensteuersatzes oder die Einführung der Vermögensabgabe weit vorn liegen .

Nach der Einstellung zu solchen Steuererhöhungen hat das Beratungsunternehmen des Instituts der Deutschen Wirtschaft gar nicht erst gefragt, denn aus angeblich „vielen Studien“… „wissen wir, dass erfolgreiche Haushaltskonsolidierungen auf der Ausgabenseite des Budgets ansetzen müssen. Steuererhöhungen schwächen hingegen das Wachstum.“ Wenn man das alles schon weiß, braucht man ja danach auch nicht zu fragen.

Anders als bei früheren Umfragen der INSM oder der Bertelsmann Stiftung sind bisher nur wenige Medien darauf eingegangen. Vielleicht werden solche Propagandaaktionen allmählich doch durchschaut.
Warten wir`s ab.


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