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Titel: Was heißt „Häuserkampf“?

Datum: 9. Juni 2005 um 14:29 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Gewerkschaften
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Der DGB-Vorsitzende Sommer wurde heftig kritisiert, weil er bei einer Abschaffung von Flächentarifverträgen einen tarifpolitischen „Häuserkampf“ in den Betrieben befürchtet. Einmal abgesehen davon, dass er dabei ausdrücklich auf einen Begriff des früheren Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt aus dem Jahre 2000 zurückgriff, hat Sommer in der Sache völlig Recht: Die Verlagerung der Tarifautonomie in die Betriebe bedeutet eine Streikermächtigung kleinster Spezialgewerkschaften, die zur Durchsetzung ihrer tarifpolitischen Forderungen ganze Betriebe oder Branchen bestreiken und damit lahm legen könnten. So sieht das jedenfalls das Bundesarbeitsgericht in einem erst kürzlich ergangenen Beschluss vom 14. Dezember 2004.

Wer, wie die Union und die FDP, in der Tarifpolitik zurück zur Natur will, also zur Verlagerung der Tarifautonomie von den Gewerkschaften weg in die Betriebe, der möge zuvor den jetzt im BDA – Nachrichtendienst veröffentlichten Beschluss des Bundesarbeitsgerichts 1 ABR 51/03 vom 14. Dezember 2004 nachlesen. Danach kann auch eine relativ kleine Arbeitnehmervereinigung eine Gewerkschaft sein. Auch wenn in ihr ausschließlich spezialisierte Arbeitnehmer organisiert wären, die vom Arbeitgeber im Falle von Arbeitskämpfen kurzfristig nur schwer ersetzbar wären.

Es wäre also nicht rechtswidrig, wenn sich Spezialisten in Schlüsselstellungen wie etwa Piloten, Flugbegleiter, Fluglotsen, Lokführer, Computerfachleute, Entwicklungsingenieure usw. zu einer eigenen Gewerkschaften zusammenschlössen, um sich mit eigenen Tarifverträgen ihre besondere Qualifikation entlohnen zu lassen.

Wenn das Prinzip richtig wäre, dass die Lohnfindung nicht mehr in der Fläche, sondern in engster Nähe zu den kleinsten Produktiveinheiten erfolgen soll, dass sich die Lohnhöhe also immer nach den jeweiligen betriebsbedingten Produktivitäten richten soll, dann endet die Richtigkeit dieses Prinzips nicht nur beim Unternehmen und beim Betrieb, dann wird seine Geltung auch beansprucht für einzelne Betriebsteile und Funktionen. Je allgemeiner und durchschnittlicher ein Tarifvertrag ist, desto geringer ist die Chance einzelner Berufsgruppen zu erpresserischen Alleingängen. Je umfassender eine Gewerkschaft organisiert und je breiter ein Tarifvertrag auch in der Fläche angelegt ist, desto geringer ist die Gefahr, dass sich kleine, kämpferische Berufsgruppen bilden, die den Rahm der Produktivität eines Unternehmens abschöpfen.

Die Verlagerung der Tarifautonomie nach unten bedeutet die Streikermächtigung kleiner, aber schlagkräftiger Spezialgewerkschaften, in denen sich die funktionell wichtigen Arbeitnehmergruppen organisieren, die im Arbeitskampf ganze Unternehmen oder gar Branchen lahm legen könnten.


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