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Titel: Wenn sich Anbieter und Nachfrager suchen: Nobelpreis an ein Arbeitsmarktforscher-Trio

Datum: 14. Oktober 2010 um 9:45 Uhr
Rubrik: Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Hochschulen und Wissenschaft
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In diesem Jahr ist das Komitee zur Vergabe des durch die Schwedische Reichsbank 1968 gestifteten Preises für Ökonomik im Gedächtnis an Alfred Nobel seiner Linie in den letzten Jahren treu geblieben: Geehrt und damit gefördert wird die Grundlagenforschung zur Funktionsweise von Märkten unter allerdings realistischen Verhaltensannahmen und bei Berücksichtigung institutioneller Beziehungen. Die reine Marktlehre, die modellhaft auf die Preisbildung aus dem Zusammenspiel der von einander unabhängigen Nachfrage gegenüber dem Angebot setzt, ist nicht in der Lage, die Prozesse auf den heutigen Märkten zu erklären. Sind noch vor Jahren die Forschungsarbeiten zu ungleich verteilten Informationen (J.A. Stieglitz / George A. Ackerlof, geehrte 2001) belohnt worden, so geht es in diesem Jahr um Forscher mit dem Schwerpunkt: Akteure auf den Märkten befinden sich auf Suche nach der angemessenen Entscheidung und bringen dafür Kosten und Zeit auf. Wegen dieser Kritik der reinen Marktlehre lassen sich diese Theorien auch nicht als neoliberal abtun. Allerdings steht bei der Suche nach der Arbeitslosigkeit das Verhalten der Arbeitslosen bei der Suche nach einem Job im Vordergrund. Fehlverhalten der Arbeitgeber beispielsweise wegen zu geringer Ausbildungsangebote wird zu wenig thematisiert. Ausgeblendet wird vor allem der Einfluss der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, die eine aktive Finanzpolitik und expansive Lohnpolitik fordert. Dafür hatte Paul Krugman den Nobelpreis 2009 erhalten. Von Rudolf Hickel

Peter A. Diamond (70), der heute am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA lehrt, hat mit vielen Untersuchungen den Grundstein für die Berücksichtigung der Suchkosten auf unterschiedlichen Märkten gelegt. Mit dem nach ihm benannten Diamond- Modell konnte er zeigen, wie sich die Preisfindung selbst auf vollkommenen Märkten durch Suchkosten verändert. Neben der Forschung zur Innovations- und Wachstumstheorie hat er daraus auch Anforderungen an die Theorie der Sozialer Sicherungssysteme entwickelt. Als Berater für soziale Sicherheitssysteme war er in Chile und China im Einsatz. Demnächst erscheint sein zusammen mit A. Barro verfasstes Buch zu den Prinzipien der Rentenreform. Seine Anerkennung durch den US-Präsidenten zeigt sich darin, dass dieser ihn für den Vorstand der Notenbank vorgeschlagen hat.

Die beiden Preisträger Christopher A. Pissarides (in Zypern 1948 geboren und heute tätig an der London School of Economics) sowie Dale T. Mortensen (71) von der Northwestern University in den USA haben die durch Diamond vorgelegte Grundlagenforschung zur Erklärung der Arbeitsmärkte weiterentwickelt. Für ihre Arbeiten sind Beide bereits 2005 mit dem Preis für Arbeitsmarktforschung durch das „Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) geehrt worden. Die beiden Forscher können unter Berücksichtigung der Suchkosten der Anbieter und Nachfrager auf den Arbeitsmärkten das Verhalten der Akteure auch unter dem Einfluss des technologischen Fortschritts sowie der Globalisierung besser erklären. Mit den Modellen lassen sich die Auswirkungen der Arbeitslosenversicherung, der Mindestlöhne sowie der aktiven Arbeitsmarktvermittlung auf die Länge des Suchprozesses nach einem Job berücksichtigen. Allerdings stößt diese Theorie der „Sucharbeitslosigkeit“ auf Grenzen: Wenn gegenüber der Nachfrage zu wenig gute Arbeitsplätze angeboten werden, dann scheitert trotz größter Anstrengung die Suche nach einem Job. Dies wird oftmals übersehen.

Dass das Nobelpreiskomitee dieses Forscher-Trio ehrt, hat einen Grund. Denn in gemeinsamen Untersuchungen haben sie das Dale/Mortens/Pissarides-Arbeitsmarktmodell entwickelt. Mit dem DMP-Ansatz können sie eine scheinbare Paradoxie besser erklären: Auch in Deutschland war der Arbeitsmarkt oftmals durch eine hohe (registrierte) Arbeitslosigkeit zusammen mit einer hohen Quote offener Stellen verbunden (Beveridge Curve). Offensichtlich passt hier die Art des Angebots und der Nachfrage auf den Arbeitsmärkten nicht zusammen (Mismatch). Ein Grund dafür könnte auch der schnelle Strukturwandel bei den Unternehmen sein.

Mit diesem Trio der diesjährigen Träger des Nobelpreises für Ökonomik wird die hoch relevante Forschung allgemein über Märkte unter Berücksichtigung der zeit- und kostenaufwendigen Suche nach angemessen Entscheidungen sowie speziell auf den Arbeitsmärkten zu Recht geehrt. Es handelt sich um eine wenig spektakuläre, jedoch wichtige Forschung auch zur Reform der Arbeitsmärkte. Allerdings wird viel zu stark das (Fehl-)Verhalten von Arbeitslosen bei der Suche nach einem Job betont. Wenn die Situation einer unzureichenden gesamtwirtschaftlichen Nachfrage vorliegt, dann nützt auch die Suche nach einem Job nichts. Dann droht die „Lösung“ des Problems zu Lasten der Erwerbslosen – etwa durch Hartz IV – durchgesetzt zu werden.

Anmerkung WL: Eine kollegial freundliche Würdigung durch Rudolf Hickel. Man wüsste zu gerne, welche Ratschläge Peter A. Diamond als Berater für soziale Sicherheitssysteme in Chile und China gegeben hat. Die chilenischen Arbeitnehmer wurden 1981 gezwungen, ihre solidarische Rentenversicherung aufzugeben und Privatversicherungen abzuschließen (Polizei und Militär durften sinnigerweise beim Staat bleiben).

Das Privatvorsorge-System erwies sich als ausgesprochen schlecht, teuer und risikoreich. Im Jahre 2005 sagte der damalige chilenische Präsident Lagos der Frankfurter Rundschau: Die Hälfte der Rentner wird nicht das garantierte Mindestrentenniveau erhalten. Wir bringen ein Gesetz zur Verbesserung der Einkommenssituation alter Menschen ein, weil sich das individuelle Kapitaldeckungsverfahren als unzureichend erweist. Das ist die Lehre, die wir ziehen, und die auch in der deutschen Reformdebatte zu bedenken wäre: Die Privatisierung der Alterssicherung bedeutet für den Staat enorme finanzielle Belastungen.” Auch auf das demnächst erscheinende Buch zu den Prinzipien der Rentenreform darf man gespannt sein.

Auch dass die beiden anderen Nobelpreisträger Christopher A. Pissarides sowie Dale T. Mortensen für ihre Arbeiten 2005 mit dem Preis für Arbeitsmarktforschung durch das „Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) geehrt worden sind, ist aus meiner Sicht auch nicht gerade ein Zeichen dafür, dass die beiden Forscher dem ökonomischen Mainstream, den dieses Institut vertritt, allzu sehr widersprechen würden. So will das IZA Arbeitszwang für erwerbslose Hartz IV-Bezieher (Süddeutsche Zeitung v. 23.03.07); der IZA-Direktor für Arbeitsmarktpolitik, Dr. Hilmar Schneider, hatte im Frühjahr 2006 auf einer Veranstaltung der Hanns Martin Schleyer Stiftung eine Versteigerung der Arbeitskraft von Hartz-IV-Empfängern vorgeschlagen. IZA-Präsident Klaus Zimmermann unterzeichnete den Aufruf der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft “Nein zum Reform-Rückschritt!”, in dem jede Korrektur der Hartz-„Reformen“ zurückgewiesen wurde.

Interessant wäre auch zu erfahren, wie die Nobelpreisträger mit dem Mindestlohn umgehen, der immerhin eine Mindestbedingung auf dem „Suchmarkt“ Arbeitsmarkt klarstellen würde.

Der Kern von Hickels kritischen Anmerkungen trifft zu: Das Modell der Preisträger ist mikroökonomisch und führt Arbeitslosigkeit auf das Fehlverhalten individueller Akteure zurück. Arbeitslosigkeit etwa durch Konjunktureinbrüche gibt es in dieser Modellwelt nicht. Immerhin solch sich Diamond für die USA für ein weiteres Konjunkturprogramm ausgesprochen haben, aber diese Einsicht kann er wohl nicht von seinem Modell gewonnen haben.

Warum hat sich die Jury eigentlich wieder einmal für ein begrenztes und eigentlich schon seit Jahrzehnten behandeltes Thema gestürzt und sich beim Wirtschaftsnobelpreis nicht auf Ökonomen besonnen, die vernünftige Analysen zum gravierendsten Versagen der Wirtschaftswissenschaften, nämlich gegenüber der Finanzkrise geliefert hätte? Also etwa Robert Shiller oder Kenneth Rogoff oder andere.

Aber entweder traute sich die Jury nicht oder es gibt keine Ökonomen, die dafür einen Preis verdient hätten. Dann könnte man den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften aber auch gleich abschaffen.


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