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Titel: Die Privatisierung der Politik – Markt und Wettbewerb steuern die Bildung

Datum: 8. November 2010 um 17:04 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Markt und Staat
Verantwortlich:

Vortrag im Rahmen der 66. Pädagogischen Woche des GEW-Bezirksverbandes Lüneburg in Cuxhaven-Duhnen, am 5. November 2010. Von Wolfgang Lieb

Ich möchte das mir gestellten Thema „Privatisierung“ unter zwei Aspekten behandeln:

Zuerst werde ich einen kritischen Blick auf die markt- und wettbewerbsgesteuerte „unternehmerische Hochschule“ werfen (I.).
Danach will ich in der gebotenen Knappheit versuchen, die Triebkräfte für den Paradigmenwechsel von der staatlich verantworteten, sich selbst verwaltenden Hochschule zur wettbewerbsgesteuerten „unternehmerischen“ Hochschule aufzuzeigen (II.) und dabei schließlich den Einfluss des bertelsmannschen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) beleuchten . (III.)

  1. Ich spreche also zunächst zum Paradigmenwechsel von der sich selbst verwaltenden zur „unternehmerischen Hochschule“. Und ich beginne mit einem Zitat eines der wichtigsten Vorreiters für die – wie ich das nenne – funktionelle Privatisierung der Hochschule.

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    Kein anderes Land mache „Freiheit mit dieser Konsequenz zur Grundlage seiner Hochschulpolitik“, so rühmte der frühere nordrhein-westfälische Innovationsminister Andreas Pinkwart in einer von seinem Ministerium herausgegebenen Broschüre

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    unter dem Titel „Hochschule auf neuen Wegen“ das nordrhein-westfälische Hochschul-„Freiheits“-Gesetz.

    Anmerkung: Wenn ich keine spezielle Quelle benenne, beziehe ich mich auf den Aufsatz Pinkwarts in der genannten Broschüre. Er ist zum Glück auch unter der neuen Ministerin immer noch im Internet abrufbar [PDF – 1.5 MB]

    (Ich habe einleitend schon darauf hingewiesen, dass ich mich in meinem Referat vor allem auf das NRW-Hochschulfreiheitsgesetz und auf die Begründung des dortigen Innovationsministers beziehe, weil ich dieses Gesetz nicht nur am besten kenne, sondern weil Pinkwart das Konzept der unternehmerischen Hochschule am klarsten beschrieben hat. )

    Nebenbei bemerkt:
    Pinkwart ist wohl der Auffassung, dass er mit der Abwahl er schwarz-gelben Koalition in NRW seine hochschulpolitische Mission erfüllt hat, denn vor wenigen Tagen hat er erklärt, dass er sich aus allen politischen Ämtern zurückziehen wolle und die Leitung der privaten Handelshochschule Leipzig (HHL), einer sich selbst so nennenden Graduate School of Management übernehmen wird.

    Auch bei Privatisierungstendenzen im Schulbereich wird Ihnen aufgefallen sein, dass der Begriff „Freiheit“ eine zentrale Rolle bei der Umwälzung des Bildungswesens einnimmt. Das Pathos der Freiheit ist geradezu das wichtigste Lockmittel für die Betroffenen.

    Nun ist es ist aber so, dass kaum ein anderer Begriff in der Menschheitsgeschichte so unterschiedlich gebraucht und auch so oft missbraucht wurde, wie der Begriff der Freiheit.

    Man tut also gut daran, wenn von „Freiheit“ die Rede ist, immer auch nach der schon von Immanuel Kant herausgearbeiteten Unterscheidung zwischen „positiver“ und „negativer“ Freiheit zu fragen.

    Einfacher ausgedrückt: Man sollte immer auch fragen:
    „Freiheit von was oder Freiheit von wem“.

    Stellt man die Kantsche Frage, gegenüber wem Freiheit gewonnen wurde, so wird man feststellen – so meine These –, dass die weit überwiegende Mehrheit der Lehrenden und Studierenden in der „unternehmerischen Hochschule“ – gemessen an ihren früheren Lehr-, Forschungs- und Lernfreiheiten – wesentlich „unfreier“ sein wird und schon ist, als zuvor.

    Nach der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes zum einen jedem, der wissenschaftlich tätig ist oder tätig werden will – also auch Studierenden – zunächst ein individuelles Freiheitsrecht.
    Zum anderen leitet das Gericht aus diesem subjektiven Grundrecht mittelbar eine institutionelle Garantie der Universität ab. Damit sich Forschung und Lehre ungehindert in dem Bemühen um Wahrheit entfalten können, ist die Wissenschaft selbst zu einem von staatlicher Bevormundung freien Bereich autonomer Verantwortung des einzelnen Wissenschaftlers erklärt worden.

    Was jedoch häufig unterschlagen wird: Das Bundesverfassungsgericht hat gleichzeitig klar gestellt, dass dem Staat auf dem Gefilde der Universitäten weder Untätigkeit gestattet, noch dass er sich damit begnügen kann, sie zu finanzieren und die Hochschulen im Übrigen sich selbst zu überlassen. Mit dem Instrument des Gesetzes muss er in den Hochschulen für Strukturen sorgen, die Wissenschaftsfreiheit, und die freiheitssichernde institutionelle Autonomie gewährleisten.

    1. Von der Autonomie der Wissenschaft zur Autonomie der Institution

      Das Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ wechselt diesen auf die individuelle Wissenschaftsfreiheit und nur mittelbar als „institutionelle Garantie“ auch auf die Hochschule bezogenen Autonomiebegriff und verengt ihn auf die Institution Hochschule, ja noch mehr auf die Hochschulleitung.

      Die Hochschule als „autonomes“ Unternehmen soll einerseits vom Staat weitgehend befreit sein, aber andererseits soll das individuelle Freiheitsrecht zu freier Forschung und Lehre der „Freiheit des Wettbewerbs“ überantwortet werden.
      Nämlich der Freiheit des Wettbewerbs um die Einwerbung von über die staatliche Grundfinanzierung hinausgehenden Drittmitteln und von privat aufgebrachten Studiengebühren. An der Einwerbung von Geld soll sich also künftig vor allem wissenschaftliche Qualität und gute Ausbildung messen.

      Damit kein Missverständnis aufkommt, ich wende mich nicht gegen einen Wettbewerb um die besten Forschungsleistungen. Einen solchen Wettbewerb unter Wissenschaftlern hat es immer gegeben. Wissenschaft – zumal an einer von der Allgemeinheit getragenen Hochschule – ist genuin auf den Wettstreit um die richtige Antwort – pathetisch gesagt – auf den Wettstreit um Wahrheit angelegt.

      Pinkwarts Bild vom Wettbewerb ist nicht das Bild vom Wettstreit um Wahrheit: Es ist das Bild einer Hochschule, die wie ein Unternehmen ihre „Produkte“ und „Waren“ – also ihre Forschungsleistungen sowie ihre Aus- und Weiterbildungsangebote – auf dem Markt an kaufkräftige Nachfrager abzusetzen hat: nämlich an zahlungskräftige Forschungsförderer und Auftraggeber, an Stifter und Sponsoren – und
      an Studierende, die nunmehr „Kunden“ sein sollen und deshalb für die eingekaufte „Ware“ namens Studium zur Kasse gebeten werden.

      So ist z.B. die Drittmittelquote von 2005 bis 2008 an den Hochschulen von 20,1 % auf über ein Viertel (25,1%) gestiegen.

    2. Management statt Selbstverwaltung

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      In der „unternehmerischen“ Hochschule soll nicht mehr aufgrund von „Entscheidungen in den Gremien“ (in denen nach Pinkwarts Urteil nur blockiert wurde und „demotivierende Bedingungen“ herrschten),
      sondern es soll von einem „modernen Management“ – so Pinkwart – nach den Gesetzen des „Wettbewerbs“ und der „Konkurrenz“ auf dem
      Wissenschafts- und Ausbildungsmarkt entschieden werden.

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      Aber nicht nur die Universität selbst soll „unternehmerisch“ agieren, sondern auch die Lehrenden und Forschenden sollen zu (Zitat) „Unternehmern innerhalb der unternehmerischen Hochschule“ werden.

      Bei Entscheidungen unter Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck sind natürlich ausgiebige und oft langwierige Diskussionen in Selbstverwaltungsgremien, wie Pinkwart sagt, nur „bürokratische Hürden“ und „Hemmnisse“ die es „aus dem Weg zu räumen“ gelte. Die Hochschule im Wettbewerb bedarf vielmehr, so Pinkwart, „klare, handlungsfähige und starke Leitungsstrukturen“, oder – wie der frühere Minister weiter meint – „ein modernes Management“, das rasch Entscheidungen treffen und umsetzen kann.

      Horizontale oder „Bottom-up“- Strukturen demokratischer oder kooperativer Interessenvertretung müssen in diesem neuen Leitbild der Hochschulen konsequenterweise von vertikalen „Top-down“-Entscheidungsbefugnissen der Hochschulleitung abgelöst werden. Die „unternehmerische“ Hochschule braucht – laut Pinkwart – wie ein auf „den Zukunftsmärkten“ agierendes Unternehmen ein „professionelles Management“ mit effizienten Entscheidungsbefugnissen und rascher Entscheidungskraft.

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      Eine Hochschulleitung nämlich, die von der Spitze aus in alle Bereiche des Unternehmens – als (Zitat) „Arbeitgeber und Dienstherr“ des (Zitat) „Personals“ (ehemals Hochschullehrer genannt) und bis hinein in die (Zitat) „Ausbildungsverhältnisse“ (ehemals Studium genannt) – durchentscheiden kann.

      Die „unternehmerische Hochschule“ bedeutet also den Rückzug der staatlichen Verantwortung zugunsten von eher autokratischen, der einzelunternehmerischen Wettbewerbslogik unterworfenen Leitungsstrukturen und Aufsichtsräten.
      Die „Qualität“ der Forschung an einer Hochschule bestimmt sich nicht mehr aus ihrer wissenschaftlichen Anerkennung und ihrem Ruf innerhalb der Scientific Community.

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      Ein wissenschaftliches Studium bestimmt sich nicht mehr vor allem – wie das der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen zur Qualität der Lehre definiert hat – nach den „Prinzipien der Wissenschaftlichkeit“, nämlich einer fragenden, kritischen Haltung, einem Problem- und Methodenbewusstsein, der Strukturierungsfähigkeit, der Selbständigkeit und des forschungsorientierten Lernens. [PDF- 360 KB]

      Sondern in der „unternehmerischen“ Hochschule erweist sich deren Qualität in der (Zitat) „Konkurrenz mit ihresgleichen“.

    3. Differenzierung und Hierarchisierung des Hochschulsystems

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      Dabei sollen nach Pinkwart die einzelnen Hochschulen (Zitat)„das Ziel Qualität auf unterschiedlichen Wegen verfolgen. Die eine Hochschule wird sich auf ihre Rolle als Ausbilder und F&E-Partner in ihrer Region konzentrieren. Eine andere Hochschule wird sich an starken europäischen Mitbewerbern um technologische Leitprojekte orientieren und mit dem Anspruch antreten, in der internationalen Liga der Spitzenforschung mitzuspielen“. (Zitat Ende)

      Die Zielvorstellung von Innovationsminister Pinkwart entspricht also in etwa dem amerikanischen Hochschulsystem mit einer hierarchisch tief gestaffelten Hochschullandschaft – mit einigen wenigen Elitehochschulen mit Ausbildungsangeboten für den Nachwuchs der gesellschaftlichen „Elite“ und der großen Masse von Hochschulen ganz unterschiedlicher Qualität für die große Masse der Studierenden.

      Damit die Gesetze des Wettbewerbs auch wirken können, müssen – dem Glaubensbekenntnis des Markt- und Wettbewerbsliberalismus folgend – der Staat, die Politik, die Selbstverwaltungsgremien oder sonstige nicht marktgängige gesellschaftliche Anforderungen aus dem Wettbewerbsgeschehen möglichst weitgehend herausgehalten werden.
      So soll denn auch das Parlament künftig allenfalls noch der Zahlmeister für die Grundfinanzierung der Hochschulen sein, der (Zitat) „Zuschüsse“(!) gewährt, die durch zusätzliche Einnahmen der „unternehmerischen Hochschule“ ergänzt werden müssen.

    4. Hochschulrat mit „Fachaufsicht“

      An Stelle des demokratisch legitimierten Ministeriums oder des Parlaments als rahmensteuernde Aufsichtsorgane wird der „unternehmerischen“ Hochschule, wie bei einem in Form einer Aktiengesellschaft konstituierten Wirtschaftsunternehmen, eine Art Aufsichtsrat – die Hochschulräte – dem Management der Hochschule mit einer nie gekannten umfassenden „Fachaufsicht“ an die Seite gestellt.

      Pinkwart meint nun, mit dem im Gesetz vorgesehenen Auswahlverfahren für die Hochschulräte – bei dem die Vertreter der Hochschule allerdings in der Minderheit sind – sei „die demokratische Legitimation der Hochschulratsmitglieder gesichert“.

      Was Pinkwart allerdings verschweigt, das ist, dass die Mitglieder eines Hochschulrats in ihren Handlungen und Entscheidungen über ihre gesamte fünfjährige Amtszeit keiner irgendwie legitimierten Instanz rechenschaftspflichtig sind.

      Die Hochschulratsmitglieder entscheiden über das Geld der Steuerzahler und über dessen Verteilung an den Hochschulen nach ihren persönlichen oder ihren gesellschaftspolitischen Interessen und Grundhaltungen.

      Es besteht noch nicht einmal die Möglichkeit einer Abwahl oder einer Abberufung eines Hochschulratsmitgliedes bei einem Fehlverhalten.

      Inzwischen haben sogar die wichtigsten Propagandisten der Einrichtung von Hochschulräten – nämlich das bertelsmannsche CHE und der hochschulpolitische Arm der Unternehmerverbände, der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft – Defizite erkannt. In einem im September dieses Jahres herausgegebenen „Handbuch Hochschulräte [PDF – 2.8 MB]“ wird z.B. inzwischen die gesetzliche Regelung einer Abberufung von Hochschulratsmitgliedern verlangt. Es wird zugegeben, dass die Haftung der Mitglieder ungeklärt ist. Die Ehrenamtlichkeit konfligiere rechtlich mit den zumeist weitreichenden Kompetenzen der Hochschulräte, deshalb sollten diese für einen „individuellen Versicherungsschutz“, einer „Directors and Officers Versicherung“, wie das für das Management von Unternehmen üblich ist, Sorge tragen und die Hochschulen sollen die entsprechenden Versicherungsbeiträge übernehmen.
      Und – weil in der neuen Hochschulwelt natürlich alles evaluiert werden muss – sollten sich die Hochschulräte einer „externen Evaluation“ stellen. Außerdem soll das Ministerium externen Hochschulratsmitgliedern zu Beginn ihrer Tätigkeit einen Leitfaden (so wörtlich) „in Form eines „Starter-Kits-für Hochschulräte“ zur Verfügung stellen.
      Eine angemessene Vergütung soll die Hochschule den Hochschulratsmitgliedern auch anbieten.
      Bis auf solche eher kosmetischen Korrekturen, wird jedoch an Hochschulräten als zentrales Steuerungselement der Hochschulen festgehalten.

      Im Niedersächsischen Hochschulgesetz gehen die Kompetenzen des Hochschulrates nach § 52 weniger weit als im nordrhein-westfälischen Hochschul-Freiheits-Gesetzes. Bei Ihnen haben die Hochschulräte im Wesentlichen nur Beratungsfunktion.
      § 52
      Hochschulrat

      1. Der Hochschulrat hat die Aufgabe,
        1. das Präsidium und den Senat zu beraten,
        2. Stellung zu nehmen zu
          1. den Entwicklungs- und Wirtschaftsplänen,
          2. der Gründung von oder der Beteiligung an Unternehmen,
          3. den Entwürfen von Zielvereinbarungen,
          4. den Vorschlägen des Senats zur Ernennung oder Bestellung vonPräsidiumsmitgliedern,
        3. den Vorschlag des Senats zur Entlassung von Präsidiumsmitgliedern zu bestätigen,
        4. bei Hochschulen, denen nach § 48 Abs. 2 das Berufungsrecht übertragen wurde, das Einvernehmen zu Berufungsvorschlägen zu erklären.
      2. Der Hochschulrat ist berechtigt, zu allen die Hochschule betreffenden Fragen Auskünfte vom Präsidium und vom Senat zu verlangen.
        1. Der Hochschulrat besteht aus sieben Mitgliedern, von denen mindestens drei Frauen sein sollen.
        2. Mitglieder sind
          1. fünf mit dem Hochschulwesen vertraute Personen vornehmlich aus Wirtschaft, Wissenschaft oder Kultur, die nicht Mitglieder der Hochschule sein dürfen und im Einvernehmen mit dem Senat der Hochschule vom Fachministerium bestellt werden,
          2. ein Mitglied der Hochschule, das vom Senat der Hochschule gewählt wird, und
          3. eine Vertreterin oder ein Vertreter des Fachministeriums.
      3. Der Hochschulrat bestimmt aus den Mitgliedern nach Satz 2 Nr. 1 ein vorsitzendes Mitglied und ein stellvertretendes vorsitzendes Mitglied.
        1. Die Mitglieder des Hochschulrats nach Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 sind Angehörige der Hochschulen.
        2. Sie sind ehrenamtlich tätig und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden.
        3. Den Mitgliedern nach Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 kann die Hochschule eine angemessene Aufwandsentschädigung nach Maßgabe einer Ordnung zahlen.
        4. Die Amtszeit der Mitglieder des Hochschulrats beträgt nach Maßgabe der Grundordnung bis zu fünf Jahre.
        5. Das Fachministerium kann ein Mitglied des Hochschulrats nach Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 aus wichtigem Grund abberufen. 6Das Präsidium nimmt an den Sitzungen des Hochschulrats mit beratender Stimme teil; die Gleichstellungsbeauftragte und die Mitglieder des Personalrats können beratend hinzugezogen werden.

      Quelle: NHD [PDF – 456 KB]

      Das NRW-Gesetz hat jedoch eine Vorreiterrolle, denn schließlich ist es in seinen wesentlichen Elementen am Schreibtisch des CHE in Gütersloh entworfen worden.

      Folie 8
      Laut § 21 HFG konzentrieren sich die wichtigsten Machtkompetenzen einer Hochschule im Hochschulrat:

      Er stimmt u.a. dem Hochschulentwicklungsplan zu, er stimmt dem Wirtschaftsplan und dem Plan zur unternehmerischen Hochschulbetätigung zu und er nimmt zum Rechenschaftsbericht
      des Präsidiums Stellung.
      Am Wichtigsten sind dabei die Wahl und die Entlastung der Hochschulleitung durch den Hochschulrat.

      Detlef Müller-Böling, der frühere Chef des Bertelsmann Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), hat die Bedeutung dieser Bestimmung in dankenswerter Offenheit begründet: Nur durch die Wahl des Präsidiums durch den Hochschulrat (Zitat) „erhält die Hochschulleitung gegenüber den hochschulinternen Gremien die Unabhängigkeit, die sie für ein effektives und effizientes Management benötigt.“ .

      Mit der Autonomie der Hochschulen ist also konkret die Autonomie der Hochschulleitungen gegenüber der staatlichen Verwaltung, aber auch gegenüber den Interessen der Professoren sowie gegenüber den demokratischen Ansprüchen von MitarbeiterInnen und Studierenden gemeint.

    5. Manager erobern die Unis

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      Pinkwarts Vorstellung ist: Der Hochschulrat „nimmt (Zitat) Impulse aus Wirtschaft und Gesellschaft auf und vermittelt in dieser Weise als „Transmissionsriemen“ das erforderliche Beratungswissen für die Entscheidungen der Hochschulleitungen“.

      Schaut man allerdings etwas genauer hin, woher diese gesellschaftlichen „Impulse“ tatsächlich kommen, so zeigt die bisherige Praxis, dass fast überall, wo sich Hochschulräte konstituiert haben, solche „Impulse“ vor allem von Repräsentanten aus der Wirtschaft, meist der Groß- und Finanzwirtschaft kommen. Das haben zwei Studien an der Universität Duisburg-Essen (Nienhüser/Jakob) und an der Uni Bochum erhoben.

      Nach der Studie der Ruhruniversität Bochum werden die Mitglieder externer Hochschulräte mit einem runden Drittel aus der Wirtschaft rekrutiert, wobei auf Seiten der Wirtschaft die Vertreter von Großunternehmen dominieren.

      Was aber noch signifikanter ist: Unter den Hochschulratsvorsitzenden liegt der Anteil der Wirtschaftsvertreter bei knapp der Hälfte, nämlich bei 47 Prozent. So auch Niehüser/Jakob in der schon erwähnten
      Studie
      .
      So ist an der hier nächstgelegenen Hochschule, der Uni Lüneburg der Vorsitzende des dort sog. Stiftungs- und Hochschulrat Dr. Volker Meyer-Guckel, stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft – einer „Gemeinschaftsaktion der deutschen Wirtschaft“ in der sich rund 3.000 Unternehmen, Unternehmensverbände, Stiftungen und Privatpersonen zusammengeschlossen haben.
      Dem Hochschulrat der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg sitzt der Vorstandsvorsitzende des Energie, IT und Telekommunikation-Konzerns EWE AG, Dr. Werner Brinker vor.

      Folie 10
      Kein Wunder, dass das Handelsblatt schon am 12. Oktober 2007 titelte: „Manager erobern die Kontrolle an den Unis“. (Powerpoint 11)

      Vertreter aus anderen gesellschaftlichen Gruppen sind im Vergleich zur Unternehmens- und Arbeitgeberseite in den neu geschaffenen Steuerungsgremien der bundesdeutschen Hochschulen nur marginal vertreten – so etwa die Gewerkschaften mit 3 %.

      Studierende, akademischer Mittelbau und nichtwissenschaftliche Angestellte sind nur zu jeweils zwischen 9 und 14 % (als interne Mitglieder) in Hochschulräten vertreten.

      Die Kompetenzen der Hochschulräte – so die Bochumer Studie – gingen zu Lasten der klassisch-parlamentarischen Repräsentation gesellschaftlicher Interessen durch die Landesparlamente und durch die Landesregierungen sowie (vor allem) zu Ungunsten der Selbstverwaltung der jeweiligen Hochschule. Es zeige sich darüber hinaus eine Erosion der klassischen Verbändebeteiligung – so die Studie weiter.

      „Man könnte auch von einer ‚Privatisierung‘ der Organisationsverantwortung sprechen“, so fasst die Studie zusammen. Ich sehe in der Funktion der Hochschulräte eine funktionelle Privatisierung der öffentlichen und überwiegend staatlich finanzierten Hochschulen.

      Für diese These habe ich unllängst endlich Unterstützung von einer Seite erhalten, der man gewiss keine Linkslastigkeit oder Distanz zur unternehmerischen Hochschule nachsagen kann.
      Eine im Oktober erschienenen Studie vom Stifterverband in Kooperation mit McKinsey & Company beschreibt die derzeitige Landschaft privater Hochschulen.
      Dort heißt es schon im Vorwort: (Zitat)

      Folie 11
      „Bund und Länder haben die staatlichen Hochschulen in die Freiheit entlassen und sie weitgehend in die Lage versetzt, sich nach ihren eigenen Vorstellungen weiterzuentwickeln. Damit hat sich auch das Verhältnis zwischen privaten und staatlichen Hochschulen verändert. Bisherige Alleinstellungsmerkmale, die den privaten Hochschulen vermeintliche Wettbewerbsvorteile ermöglichten, werden nun mit staatlichen Hochschulen geteilt.“

      Die These, die ich schon seit längerer Zeit vertrete und die mir bei den Befürwortern der „unternehmerischen Hochschule“ manche Kritik eingetragen hat, wird nun selbst von McKinsey bestätigt. Wenn auch – wie sollte es anders sein – als Erfolgsmeldung.

    6. Hochschulräte stärken die Durchgriffsgewalt der Hochschulleitungen

      Ich bin seit über fünf Jahren Mitglied in einem Hochschulrat und habe dabei eigene Erfahrungen sammeln können, die mir auch von Mitgliedern in anderen Hochschulräten bestätigt wurden: In der Regel ist es so, dass die Hochschulräte die ohnehin per Gesetz massiv gestärkte Durchgriffsgewalt der Hochschulleitungen noch verstärken. D.h. die Präsidenten oder Vorstandsvorsitzenden können mit ihrem Hochschulrat im Rücken jeden Widerstand der Hochschulangehörigen gegen ihre Top-down-Entscheidungen brechen.

      Von daher versteht sich auch die grundsätzlich positive Einstellung der Hochschulleitungen zu den Hochschulräten von selbst.

      Gegenüber den Hochschulräten, die in der großen Zahl der Hochschulen im besten Fall einmal vierteljährlich zusammentreten, um dann durchschnittlich allenfalls rund vier Stunden zu tagen, hat das hauptamtliche Präsidium einen nicht einholbaren Informationsvorsprung und kennt die möglichen Handlungsoptionen erheblich besser als jedenfalls die externen Mitglieder eines Hochschulrats.

      ( Hinzu kommt: Laut der Studie der Uni Bochum bieten in 63 % der Fälle ausschließlich die Rektorate die „Unterstützungsstrukturen“ für die Hochschulräte und nur ein Drittel verfügt über einen Apparat – der allerdings sehr klein sein dürfte. In meiner Hochschule haben wir noch nicht einmal einen Sachbearbeiter. )

      Im wirklichen Leben sieht das dann so aus, dass vor entscheidenden Sitzungen der Präsident versucht, den Vorsitzenden des Hochschulrats in Vorgesprächen auf seine Seite zu ziehen und der Vorschlag des Präsidenten wird anschließend im Hochschulrat „durchgewinkt“.

      So kann der Präsident in aller Regel jeden Widerstand der hochschulinternen Gremien aushebeln.

    7. Freiheit zum Verzicht auf Freiheit

      Die Eingangsfrage, für wen das „Hochschulfreiheitsgesetz“ mehr Freiheit bringt, lässt sich also ziemlich eindeutig beantworten:

      • Die Hochschulen werden statt den Gesetzen des demokratischen Gesetzgebers, den anonymen Gesetzen des Wettbewerbs unterstellt. Den angeblich objektiven Zwängen des Wettbewerbs kann und darf sich kein Mitglied der Hochschule, ob Forschender, Lehrender oder Studierender mehr entziehen.
      • Die Forschungs-, Lehr- und Lernfreiheit wird als die Freiheit zur Durchsetzung auf dem Ausbildungs- und Wissensmarkt umdefiniert.
      • Die horizontalen Strukturen akademischer Selbstverwaltung und kooperative Hochschulleitungen werden durch eine neuartige vertikale Aufsichtsrat-Managementstruktur ersetzt. Die Hochschulen gleichen sich so auch formal dem Leitbild gewerblicher Unternehmen an.
      • Die „unternehmerische“ Hochschule wird über den beaufsichtigenden Hochschulrat, vor allem durch dessen Zusammensetzung zur maßgeblich von Vertretern der Wirtschaft gesteuerten Hochschule mit dem Auftrag zur Kooperation und zur Zusammenführung von Wissenschaft und Wirtschaft.

      Mein Fazit lautet:
      Die nordrhein-westfälischen Hochschulen können ihre ihnen angeblich durch das „Hochschulfreiheitsgesetz“ zugestandene Freiheit vom Staat nur durch den (freiwilligen) Verzicht auf Freiheit durch Unterwerfung unter äußere Wettbewerbszwänge und unter der Kommandogewalt eines Chief Executive Officer wahrnehmen.

      Jean-Jacques Rousseau sagte schon vor fast 300 Jahren:
      „Keine Unterwerfung ist so vollkommen wie die, die den Anschein der Freiheit wahrt. Damit lässt sich selbst der Wille gefangen
      nehmen.“

      Zwei Hinweise und Schlussbemerkung zu diesem Kapitel:

      Erstens: Dieser Tage ist eine Dissertation an der Universität zu Köln veröffentlicht worden.

      Folie 12
      „Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des Hochschulgesetzes NRW über den Hochschulrat“
      Der Autor Thomas Horst prüft die Frage, ob die Regelungen des nordrhein-westfälischen „Hochschulfreiheitsgesetzes“ über den Hochschulrat mit dem Grundgesetz und der Landesverfassung vereinbar sind. Die Arbeit gelangt zum Ergebnis, dass die Tatsache, dass das Gesetz erlaube, bei der Wahl zur Hochschulleitung ein Präsidium „durchzuboxen“, das nicht das Vertrauen der Hochschule bzw. des Senats genießt gegen die Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG verstößt.

      Zeitens: Mit der Wettbewerbssteuerung der Hochschule sollte – wie der Name schon sagt – die „unternehmerische Hochschule“ vor allem unternehmerisch erfolgreicher werden.

      Folie 13
      In einer gerade erschienen Studie sind die Leipziger Soziologen Klaus Dörre und Matthias Neis dieser Hypothese empirisch nachgegangen. (Das Dilemma der unternehmerischen Universität) Ich zitiere die Schlussfolgerung:
      „Einseitig an messbaren Effizienz- und Wettbewerbskriterien ausgerichtete Steuerungssysteme, wie sie den Leitbildern der unternehmerischen Universität und eines academic capitalism entsprechen, laufen Gefahr, das Gegenteil von dem zu produzieren, was sie eigentlich beabsichtigen. Sie können Innovationen erschweren, ja geradezu blockieren.“
      Der Fetisch der Effizienz der Märkte, der ja gerade am Beispiel der Finanzmärkte in eine Katastrophe geführt hat, wird in dieser empirischen Studie auch für den Bereich der Wissenschaft vom Sockel gestoßen worden.
      Ich zitiere nochmals aus der Studie:
      „Das Regime von McKinsey und Co“ beeinträchtigt geradezu die Funktionsfähigkeit der „Herzkammer des Kapitalismus“, nämlich sein Innovationssystem.“

  2. Triebkräfte für den Paradigmenwechsel

    Ich möchte nun im zweiten Teil meines Referats versuchen, skizzenhaft herauszuarbeiten, wie es zu diesem Paradigmenwechsel von der öffentlich verantworteten und der ganzen Gesellschaft verantwortlichen, in Fragen der Forschung und Lehre jedoch sich selbst verwaltenden Hochschule hin zur „unternehmerischen Hochschule“ gekommen ist.

    Unsere Hochschulen waren im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert wahrlich nicht im besten Zustand. Es gab erheblichen Reformbedarf. Dazu könnte ich als ehemaliger Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerium ein langes Klagelied vorsingen.

    Ganz so schlecht konnten die staatlichen Hochschulen aber doch nicht sein, wenn die „als Stachel im Fleisch“ gegründeten privaten Hochschulen in Deutschland, jedenfalls in der Breite nie zu einer echten Konkurrenz aufsteigen konnten. Zwar existierten im Jahr 2010 nach der schon erwähnten Studie von McKinsey 90 private gegenüber 238 öffentlichen Hochschulen, doch studieren dort nur knapp 5 Prozent der mehr als 1,8 Millionen Studierenden an öffentlichen Hochschulen – dabei sind bei den Privaten die kirchlichen Hochschulen schon mit eingerechnet. 79 der privaten Hochschulen sind Fachhochschulen.

    Trotz aller bombastischen Namen wie „European School of Management and Technology” oder „International University“ und trotz allen Werbeaufwands gibt es offenbar keine große „Marktlücke“ für die Privaten, dazu war und ist das Studienangebot der staatlichen Universitäten und Fachhochschulen einfach (noch immer) zu gut. Trotz der Überfüllung der Hochschulen führte ein Studienabschluss jedenfalls in aller Regel zur Befähigung zur selbständigen Bearbeitung von neuen Problemen mit wissenschaftlichen Methoden.
    Wenigstens dem Anspruch nach galt das humboldtsche Prinzip „Bildung durch Wissenschaft“.

    Wie konnte es geschehen, dass der aufklärerische Kern der deutschen Hochschultradition durch ökonomische oder – genauer gesagt – durch pseudoökonomische Wahrheits- oder Geltungsansprüche ersetzt werden konnte?

    Wie kam es zum Paradigmenwechsel weg vom humboldtschen Bildungsideal hin zum hayekschen Glauben an die Überlegenheit der Markt- und Wettbewerbssteuerung auch in der Wissenschaft?

    1. Wandel des gesellschaftspolitischen Leitbildes

      Dieser Paradigmenwechsel kam nicht über Nacht, sondern ihm ging ein Wandel des gesellschaftspolitischen Leitbildes über mehr als einem viertel Jahrhundert voraus.
      Ausgehend von den USA – stark beeinflusst von der sog. Chicagoer Schule um Milton Friedman – ging der Ruf nach der „Befreiung“ der Märkte rund um den Globus. Vom Washingtoner Konsens, über die Welthandelsorganisation IWF oder der Weltbank setzte sich

      – in Abgrenzung zum seit der ersten Weltwirtschaftskrise vorherrschenden Keynesianismus – der dem Staat eine aktive Rolle im wirtschaftspolitischen Geschen zuschrieb –

      ein neues – man könnte auch sagen uraltes – wirtschaftsliberales Denken durch, das mit den Schlagworten Privatisierung, Deregulierung, Wettbewerb und drastischen Einschränkungen bei den Staatsausgaben und damit der Zurückdrängung des Staates aus der Wirtschaft und auch aus der Daseinsvorsorge zusammengefasst werden kann.

      In der praktischen Politik standen dafür die Begriffe Reaganomics bzw. in England der sog. Thatcherismus. In Deutschland könnte man die Wende am Scheidungsbrief an die sozial-liberale Koalition, dem sog. Lambsdorff-Papier im Jahre 1982 festmachen.

      Der Kampfparole der Reagonomics „starve the beast“ – also „hungert den Staat aus“ – folgend kam es auch in Deutschland vor allem nach Kohls „geistig moralischer Wende“ zu einer gezielten Verarmung des Staates.

      Der damit notwendig einhergehenden Verschlechterung der öffentlichen Leistungen auf vielen gesellschaftlichen Feldern folgten auf vielen Politikfeldern öffentliche Kampagnen der „Miesmache“ des staatlichen Angebots verbunden mit dem Versprechen der Markt und der Wettbewerb könnten alles besser als der Staat.

      So wurde etwa auf dem Feld der Hochschulpolitik die Phase des Hochschulausbaus der 60er und 70er Jahre durch eine zunehmende Sparpolitik gestoppt.

      Bund und Länder fassten schon 1977 den sog. „Öffnungsbeschluss“. Die Hochschulen sollten etwa ein Jahrzehnt lang eine „Überlast“ an Studierenden bei etwa gleich bleibendem Budget und stagnierendem Lehrpersonal akzeptieren.

      Diese sog. „Untertunnelungsstrategie“ gehörte zu den größten Lebenslügen in der Hochschulpolitik der Nachkriegszeit. Man kann die Fakten in den Empfehlungen des Wissenschaftsrats
      zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium [PDF – 360 KB] oder auch im Bildungsbericht 2008 von KMK und BMBF nachlesen:

      Über die ganze Spanne von 1972 bis 2005 betrachtet ist die Studierendenzahl um fast das 3-fache, die Professorenzahl dagegen nur um das 1,8-fache angestiegen. Die Betreuungsrelationen haben sich dementsprechend an beiden Hochschultypen über die Zeit hinweg dramatisch verschlechtert:

      Kamen 1972/73 40 Studierende an den Universitäten und weit unter 20 Studierende an den FHS auf einen hauptberuflichen Professor, so waren es 2005/2006 über 60 an den Unis und knapp 40 Studierende an den FHS. In den Wirtschaftswissenschaften sind es derzeit 93 Studierende, in den Sozialwissenschaften gar 104 Studierenden pro hauptberuflichem Professor. Laut Bildungsbericht 2010 haben sich die Betreuungsrelationen leicht verringert bzw. wenig verändert.
      Sie liegen jedenfalls weit unter dem internationalen Standard.

      Diese Sparpolitik dauert bis heute an.
      Jens Wernicke hat ja in seinem Vortrag vom Mittwoch die einschlägigen Zahlen und Grafiken vorgestellt. So dass ich Ihnen die Wiederholung dieses Trauerspiels ersparen kann.

      Laut dem „Bildungsbericht 2008“ ging der Anteil der gesamten Bildungsausgaben (also inklusive des Anteils der Wirtschaft) am BIP von 6,9% im Jahr 1995 auf 6,3% im Jahr 2005 und auf 6,2% im Jahr 2006 zurück. Wären auch im Jahr 2005 wie 1995 6,9% des BIP für Bildung aufgewendet worden, hätten dem Bildungsbereich rund 13 Milliarden Euro mehr zur Verfügung gestanden.

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      Der Anteil der (rein) öffentlichen Bildungsausgaben am BIP machte in Deutschland 2006 laut Bildungsbericht 2010 4,8 % des Bruttoinlandsproduktes aus und damit deutlich weniger als im OECD-Durchschnitt der bei 5,7 % des BIP lag.

      Um den OECD-Mittelwert zu erreichen, müsste Deutschland rund 21 Mrd. Euro mehr bereitstellen – jährlich! Um mit den Spitzenreitern in der OECD gleichzuziehen (Dänemark: 8,3 %; Norwegen und Schweden: 7,0 % Anteil am BIP) wären bis zu 91 Mrd. Euro erforderlich – jährlich! )

      Auf dem groß gefeierten Bildungsgipfel vor einem Jahr in Dresden wurde das „gemeinsame Bekenntnis“ abgegeben wurde, dass im Jahre 2015 10 % des Bruttosozialproduktes für Bildung eingesetzt werden sollen – 3 % für Forschung und 7 % für Bildung.

      Da hat nun die im Koalitionsvertrag von Union und Liberalen angekündigte Erhöhung der Ausgaben des Bundes für Bildung und Forschung um 12 Milliarden Schlagzeilen gemacht. Bei genauer Betrachtung sind das allerdings bestenfalls 3 Milliarden pro Jahr bis 2013 und dabei dürfte es sich zum allergrößten Teil ausschließlich um eine längst beschlossene Erhöhung für die Fortführung des Hochschulpaktes, der Exzellenzinitiative und des Pakts für Forschung und Innovation handeln.

      Die nach der Föderalismusreform für die Hochschulen allein zuständigen Länder haben bisher noch nicht einmal die sog. Demografie-Gewinne durch die rückläufigen Schülerzahlen zugesichert. Mit kreativer Statistikinterpretation gaben die Finanzminister der Länder auf ihrer Konferenz im letzten November Hoffnungen auf Milliardenhilfen für bessere Schulen und Hochschulen einen kräftigen Dämpfer.
      Die Finanzminister möchten fortan in der Statistik unter “Bildungsausgaben” auch die kompletten Aufwendungen etwa für das Kindergeld Volljähriger verbuchen. Ebenfalls als “Bildungsausgaben” wollen sie Steuererleichterungen deklarieren – etwa Ausbildungsfreibeträge. Auch die Pensionen von Lehrern und Professoren sollen künftig in der Statistik als Bildungsausgaben gelten.

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      Die Botschaft der Länderfinanzminister an die schwarz-gelbe Koalition lautet: „Fünfjahresplan übererfüllt, die Kassen sind leer, höhere Ausgaben für Bildung unnötig.“ So schreibt der Spiegel.

      Die im Koalitionsvertrag versprochenen und teilweise schon umgesetzten Steuersenkungen werden es den Ländern gewiss nicht erleichtern ihren Anteil Beitrag zum 10 Prozent-Niveau zu leisten. Der Berliner Finanzsenator hat vorgerechnet, dass die Steuersenkungen bei voller Wirksamkeit für das Land 700 Millionen weniger Einnahmen bedeuten würden, das entspreche 50.000 Studienplätze oder 100.000 Kita-Plätze .

      Es gibt realistische Bedarfsberechnungen, die auf einen öffentlichen Investitionsbedarf pro Jahr auf bis zu 100 Milliarden kommen. (Diese Berechnungen addieren einen laufenden Ausgabenbereich von 30 Milliarden, zusätzlich erforderliche Sachinvestitionen (also etwa Sanierungen) auf 7 Milliarden, die Differenz an Investitionen in „Beton“ zum EU-15-Durchschnitt von gut 30 Milliarden.)

      Auf Beträge in dieser Größenordnung hat man zwischenzeitlich durch die Senkungen von Unternehmenssteuern locker verzichtet.

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      Die von der neuen Regierung schon in diesem Jahr umgesetzten Steuersenkungen, führen im Jahre 2010 zu den Haushalt belastenden Entlastungen von 6,8 Milliarden Euro.
      Käme es auch noch zu der im Koalitionsvertrag geplantenUmstellung des steuerlichen Stufentarifs, führte dies nach Berechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) im Jahre 2013 zu weiteren jährlichen Mindereinnahmen von insgesamt Minus 29,3 Milliarden – jährlich.

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      Vergleiche mit den Kapitalhilfen für die Banken von 60 Milliarden Euro, allein für die Commerzbank über 18 Milliarden oder die IKB von über 11 Milliarden oder mit den Kreditgarantien etwa für Hypo Real Estate in Höhe von inzwischen über 142 Milliarden oder den Kreditgarantien im Rahmen des Rettungspakets zur Stabilisierung des Finanzsystems in Höhe von fast 500 Milliarden Euro wollen wir gar nicht erst anstellen. Nach einer Studie der Bundesbank stieg die deutsche Bruttoneuverschuldung in den beiden Jahren bis Ende 2009 um 183 Mrd. Euro. Die Kosten der Stützung der Finanzinstitute lag in dieser Zeit bei weit über der Hälfte, nämlich bei rund 98 Mrd. Wenn man das Rettungspaket für die Banken mit den Ergebnissen des Bildungsgipfels vergleicht, ist man geneigt, den alten Slogan etwa so abzuwandeln: Bei den Banken sind sie fix, für die Bildung tun sie nix!

      Vom „systemischen“ Risiko kaputt gesparter Hochschulen spricht jedenfalls niemand.

    2. Unterfinanzierte Hochschule als Sündenbock

      An den real existierenden, jedoch politisch herbeigeführten Problemen der Hochschulen setzten die selbsternannten Reformer an und verkauften ihre Reformangebote als alternativlose Wege aus der Misere. Nicht mehr aus den Hochschulen heraus oder wenigstens mit den Hochschulen zusammen wurden die Reformvorstellungen entwickelt, sie wurden von außen an sie herangetragen.

      Zermürbt von Überlast, systematischer Unterfinanzierung und einer allgemeinen Professorenschelte hatten die Hochschulen der feindlichen Übernahme durch die „Reformer“ nichts mehr entgegenzusetzen.

      Wie bei der Begründung für den Abbau des Sozialstaats und seiner sozialen Sicherungssysteme wird das bewusst und vorsätzlich vernachlässigte staatliche Hochschulsystem zum Sündenbock erklärt.

    3. Bertelsmann als wirkungsmächtigster „Reform“-Motor

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      Der wirkungsmächtigste Motor für die Hochschul-„reform“-gesetze war die Bertelsmann Stiftung und das 1994 gegründete überwiegend von Bertelsmann finanzierte Centrum für Hochschulentwicklung (CHE).
      Die Bertelsmann Stiftung ist – entgegen dem Anschein, den sie zu erwecken versucht – keine gesellschaftspolitisch neutrale Einrichtung zu uneigennützigen Zwecken. Man kann dem Firmenpatriarchen Reinhard Mohn nicht einmal vorwerfen, dass er mit seiner „Mission“ hinter dem Berg hält. Jeder kann sie auf der Website der Bertelsmann Stiftung oder etwa in Mohns Buch „Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers“ nachlesen. Mohn und mit ihm die Bertelsmann Stiftung vertreten eine Art deutschen Sonderweg in die wirtschaftsliberal globalisierte Welt, sie setzen einerseits auf eine korporatistische Unternehmenskultur, betrachten aber andererseits den Sozialstaat als überdehnt oder gar überholt und sie bauen auf eine über den Wettbewerb hergestellte Effizienz als Steuerungsinstrument an Stelle von Mitbestimmung und demokratischer Gestaltung.
      Und immer geht es deshalb auch um ein Zurückdrängen des Staates, eine Verringerung der Staatsquote und – als Mittel dazu – um die Senkung der Steuerlast.

      Unter dem Pathos der „Gemeinwohlverpflichtung“ oder „Wir helfen der Politik, dem Staat und der Gesellschaft, Lösungen für die Zukunft zu finden“ (so Reinhard Mohn) gibt es kaum ein politisches Feld von Bedeutung, wo die Bertelsmann Stiftung mit ihren Handreichungen nicht ihre Lösungsangebote macht.

      Besonders engagiert ist die Bertelsmann Stiftung auf dem Feld der Hochschulpolitik. Hochschulen wurden von Reinhard Mohn – richtigerweise – als „Schlüssel zur Gesellschaftsreform“ angesehen.

      Mohn war einer der Gründungsväter und bis vor einigen Jahren der Hauptsponsor der 1983 gegründeten ersten deutschen Privaten Universität Witten-Herdecke. Sie sollte „Stachel im Fleisch“ der staatlichen Hochschulen sein.

      Witten-Herdecke schaffte es allerdings nie so richtig finanziell auf die Beine zu kommen und wäre der „privaten“ Uni der Staat nicht zur Seite gesprungen wäre sie schon längst Pleite gegangen. Im letzten Jahr stand sie wieder einmal mehr kurz vor der Insolvenz.

      Reinhard Mohn hat offenbar im Laufe der Zeit erkannt, dass der Weg zur Umwälzung des Hochschulsystems über die Gründung privater Konkurrenz-Hochschulen nicht erfolgversprechend ist, weil sich nicht ausreichend viele private Geldgeber und zahlungskräftige Studierende finden lassen. Viel effizienter erschien ihm daher der Weg, die weitgehend staatlich finanzierten Hochschulen wie private Unternehmen in den Wettbewerb zu schicken und über die Konkurrenz um die die staatlichen Mittel ergänzenden Studiengebühren und um private oder auch öffentliche Drittmittel das Hochschulsystem steuern zu lassen.

      Diese Erkenntnis haben Reinhard Mohn und seine Berater wohl veranlasst 1994 das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) zu gründen. Klugerweise nahm das CHE die damals ohne jeden Apparat und ohne großen institutionellen Einfluss auf die Hochschulpolitik agierende, aber umso standesbewusstere Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als Gesellschafter mit ins Boot.

      So veröffentlichten das CHE und die HRK ihre hochschulreformerischen Lösungskonzepte von nun an unter einem gemeinsamen Kopfbogen und vor allem über die Hochschulrektoren verschaffte sich Bertelsmann ein einigermaßen unverdächtiges Entree in die Hochschulen hinein.

    4. Konformitätsdruck durch CHE-Rankings

      Das CHE arbeitet – wie die anderen meist als gemeinnützige zivilgesellschaftliche Stiftungen organisierte PR-Agenturen wie etwa die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) – nach dem gleichen Stil.

      Man erstellt Studien oder macht Umfragen und schafft so Medien-Events und die Mainstream-Medien plappern die Ergebnisse zumeist unkritisch wie Papageien nach. So wird öffentliche Meinung gemacht.

      Überall dort, wo kein Markt besteht und damit das Steuerungsinstrument des Wettbewerbs nicht funktionieren kann, also vor allem im öffentlichen Sektor, also auch bei den Hochschulen, musste die Bertelsmann Stiftung wettbewerbliche Steuerungsinstrumente erst noch einführen.
      Als Fiktion für den Marktwettbewerb dienen die Rankings und Benchmarks.

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      Das CHE hat so in Deutschland die Hochschulrankings hoffähig gemacht. Inzwischen veranstaltet Bertelsmann das größte Hochschulranking im deutschsprachigen Raum (Österreich und die Schweiz sind allerdings inzwischen wieder ausgestiegen).
      Zusätzlich zum Hochschulranking gibt es noch ein CHE ForschungsRanking, ein CHE-LänderRanking und sogar noch ein CHE-AlumniRanking und neuerdings auch noch ein europaweites CHE-ExcellenceRanking.

      Die eigentliche Wirkung der Rankings ist, dass durch die Vergleiche ein Konformitäts- und Anpassungsdruck auf alle Hochschulen ausgeübt wird.
      Sie brauchen nur einmal bei google die Suchworte „CHE Ranking“ für irgendeine Hochschule eingeben und die zahlreichen Einträge studieren, dann können Sie sich überzeugen, wie diese Anpassung funktioniert.

      Geradezu ein Musterbeispiel für die „Verbetriebswirtschaftlichung“ des bildungspolitischen Denkens ist übrigens die seit weit über 10 Jahren andauernde Kampagne des CHE für die Einführung von Studiengebühren.

    5. Die Wirklichkeit holt die Verschwörungstheorie ein

      Wenn man so argumentiert wie ich, wird einem von Vielen, die die Bertelsmann Stiftung nach wie vor als ein dem Gemeinwohl verpflichtetes Unternehmen betrachten und die das eine oder andere Projekt für durchaus hilfreich halten, vorgehalten, man sei ein „Verschwörungstheoretiker“.

      Ich habe auf den NachDenkSeiten mit Textvergleichen schwarz auf weiß belegt, wie eine solche „Verschwörung“ abläuft.

      Das nordrhein-westfälische Hochschul-„Freiheits“- Gesetz wurde am Schreibtisch des CHE entworfen und bis zu seiner Umsetzung in die
      Hochschulen hinein vom CHE begleitet.
      Wenn es Sie interessiert und wenn wir später noch Zeit dafür haben, könnte ich die Belege an die Wand projizieren.
      Aus Zeitgründen muss ich mir an dieser Stelle die Beweisführung ersparen.
      Hier nur in aller Kürze:

      Folie 19 bis 21

      Ende 2005 veröffentlichte der Gütersloher Think-Tank – so wörtlich – „Zehn CHE-Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz für Nordrhein-Westfalen“.
      In diesen „Anforderungen“ finden sich teilweise sogar bis in den Wortlaut hinein die Formulierungen wieder, die der nordrhein-westfälische „Innovationsminister“ Pinkwart, ohne jede politische Debatte in seiner Partei, geschweige denn im Landtag kurze Zeit später auf einer Pressekonferenz am 25. Januar 2006 als seine eigenen „Eckpunkte des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes“ vorstellte…
      Quelle: innovation.nrw.de [PDF] (08.11.2010: Link nicht erreichbar)

      Nur wenige Tage nachdem Pinkwart seine Eckwerte vorgelegt hat, liefert ihm das CHE ein Zeugnis:

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      CHE begrüßt Eckpunkte für NRW- „Hochschulfreiheitsgesetz“, sieht aber noch Entwicklungspotenziale Das CHE bewertet die Eckpunkte überwiegend positiv, sieht aber noch weitere Potenziale. Die Bewertung erfolgte vor dem Hintergrund der vom CHE Ende 2005 vorgelegten „Zehn CHE-Anforderungen an ein Hoch-schulfreiheitsgesetz in NRW“.
      CHE-Leiter Detlef Müller-Böling erklärt: „Es ist zu wünschen, dass die allermeisten der von Minister Pinkwart angekündigten Regelungen tatsächlich Gesetz werden. In einigen Punkten erscheinen Modifikationen sinnvoll und der eine oder andere Punkt, der sich in den Eckpunkten bislang nicht findet, kann in dem Gesetz ja durchaus noch angesprochen werden. Mutige Ankündigungen müssen nun zu einem noch mutigeren Gesetz führen.“

      Weiter heißt es da:

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      Die Eckpunkte enthalten insoweit sehr gute Ansätze und Zielaussagen. Jetzt müssen sie in einigen Aspekten ergänzt und dann mutig und umsichtig in Gesetzesform gegossen werden.

    ———————
    Aber damit immer noch nicht genug:

    Nachdem das HFG verabschiedet worden ist, wird das CHE vom Ministerium beauftragt, die Hochschulen auch noch bei der Umsetzung zu begleiten:

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    Ministerium unterstützt Hochschulen auf Weg in die Eigenverantwortung – CHE mit Begleitung beauftragt Pressemitteilung v. 13.11.2006.

    „Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh wird über einen Zeitraum von 18 Monaten die Umsetzung des Hochschulfreiheitsgesetzes begleiten und auswerten“, heißt es in einer Pressemitteilung v. 13.11.2006 .

    Das gab Innovationsminister Prof. Andreas Pinkwart am heutigen Montag in Düsseldorf bekannt. “Staat und Hochschulen müssen ihre neuen Rollen finden und annehmen. Dies wollen wir von unabhängigen Experten begleiten lassen, damit alle von guten Beispielen lernen und mögliche Startschwierigkeiten schnell beheben können”, sagte Pinkwart.

    Das hätte ich mir früher einmal als Wissenschafts-Staatssekretär erlauben sollen, nämlich die Hochschulen bei der Umsetzung eines Gesetzes zum „Erfolg“ zu führen. An den Hochschulen wäre der Untergang der Freiheit von Wissenschaft und Forschung und das Ende der Epoche der Aufklärung beschworen worden.
    Aber wenn nun einer der mächtigsten und politisch einflussreichsten Konzerne den Hochschulen sagt, was sie zu tun haben, dann scheint das von den Hochschulen ganz selbstverständlich und ohne Murren hingenommen zu werden.

    Mit Verlaub, schon im Umgangston drückt sich eine Anmaßung einer durch nichts als durch das nötige Geld legitimierten privaten Interessensgruppe gegenüber dem Staat, der Regierung, dem Parlament und den Hochschulen aus, die nach demokratischen Maßstäben nicht mehr hinnehmbar sein sollte. Die Politik wird geradezu zum Befehlsempfänger von Bertelsmann degradiert.
    Wer nun meinen sollte, die enge Verflechtung zwischen Politik und CHE ergebe sich aus der räumlichen Nähe zwischen Gütersloh und Düsseldorf, der irrt. Das CHE ist mit seinen Vorschlägen omnipräsent bis in die Details. An der Hochschule, an der ich im Hochschulrat bin, moderierte einer der CHE-Chefs sogar die Aufstellung des Hochschulentwicklungsplans.

    Das geradezu paradoxe am Verhalten der Bertelsmann Stiftung ist, dass sie zwar überall nach Wettbewerb ruft, diesen Wettbewerb aber bei sich selbst konsequent verhindert.
    Das, nicht nur indem sie „ausschließlich operativ“ arbeitet, d.h. nur ihre von ihr selbst initiierten Projekte fördert und keine Projektanträge von außerhalb zulässt oder fördert, also wissenschaftlichen Pluralismus satzungsmäßig ausschließt, sondern indem sie darüber hinaus sich vor keinem Parlament und keinem Rechnungshof, ja nicht einmal vor einem Aufsichtsrat, der wenigstens unterschiedliche Interessen von Kapitalanlegern vertreten könnte, für den Einsatz ihrer Gelder und die damit verfolgten Ziele rechtfertigen muss.

    Die Netzwerkarbeit und Projektentwicklung der Bertelsmann Stiftung ist so angelegt, dass sich die Akteure gar nicht mehr mit Gegenmeinungen und Kritik auseinandersetzen, dass sie Kritik in einer Haltung der Selbstgewissheit an sich abprallen lassen und so auftreten, als hätten sie die Richtigkeit und Wahrheit ihrer Konzepte von vorneherein und zweifelsfrei erkannt. Dieses Ausmerzen von fachlichen Gegenstimmen, demokratischer Willensbildung und umfassender Bürgeraufklärung, das ist für mich das Gefährliche und der demokratiefeindliche Kern, dieser zugestandenermaßen perfekten Netzwerkarbeit.

    Nicht dass man die Argumente Andersdenkender übernehmen müsste, aber Kritik wahrzunehmen und sich damit auseinander zusetzen ist etwas anderes, als sie totzuschweigen bzw. über seinen Einfluss über die Medien einfach mundtot zu machen.
    Das Spektrum der Öffentlichen Meinung und der Politik wurde so nicht etwa erweitert, sondern im Gegenteil verengt und in einer Weise kanalisiert, wie es offen ausgewiesene Interessengruppen – wie z.B. Industrieverbände oder arbeitgeberfinanzierte PR-Organisationen, wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft – kaum zu erreichen vermögen.

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    Natürlich steht das CHE nicht allein. Wie der Privatisierungsreport 6 der GEW darstellt, gehören dazu etwa auch er Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, der Aktionsrat Bildung
    der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), das Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. (IW), die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft GmbH (INSM) oder die McKinsey & Company Inc., und viele andere mehr.
    Quelle: GEW [PDF – 339 KB]

    Und natürlich ist es nach wie vor richtig, dass Bertelsmann die Gesetze nicht selber verabschiedet, sondern dass diese meist von der Exekutive eingebracht und vom Parlament verabschiedet werden. Aber über die personellen Netzwerke und seine Medienmacht wird der Bertelsmannsche „Reformmotor“ zur eigenständigen politischen Antriebskraft, der auch außerhalb der Parlamente eine Art Eliten-Konsens schafft – und dabei nebenbei auch noch ein positives Image für den Bertelsmann-Konzern schafft.

    Kann es Sinn des Stiftergedankens sein, dass nicht der Stifter der Allgemeinheit eine Reformwerkstatt finanziert, sondern gerade umgekehrt die Allgemeinheit die Bertelsmann Stiftung subventioniert, die sich dann selbst zur Reformwerkstatt erklärt und nach der Mission des Stifters die Politik, die Gesetze und die öffentliche Meinung beeinflusst und prägt?

    Man liegt gewiss nicht falsch mit der Vermutung, dass Reinhard Mohn dadurch, dass er dieses Kapital „gestiftet“ hat, hohe Summen an Erbschafts- und/oder Schenkungssteuer „gespart“ hat. Zudem sind die jährlichen Dividendezahlungen des Konzerns an die „gemeinnützige“ Bertelsmann Stiftung steuerbegünstigt und die Vermutung dürfte nicht unbegründet sein, dass ein Gutteil des Etats der Stiftung über Steuerminderungen finanziert wird. Der Fiskus fördert also die Aktivitäten der Stiftung mit.

    Bei der Bertelsmann Stiftung handelt es sich nach vielen soziologischen Ansichten und Untersuchungen um eine Institution die vergleichbar ist mit einer ausgelagerten steuerbefreiten und sogar steuerbegünstigten Marktforschungs-, Marketing- und Vertriebsabteilung der Bertelsmann AG und Ihrer Tochterunternehmen, insbesondere der Arvato AG.

    Wenn der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Gunter Thielen sagt, die Stiftung arbeite unabhängig von den Interessen der Bertelsmann AG, so ist das vielleicht formal korrekt, allerdings ziemlich lebensfremd, denn neben seiner Funktion als Vorsitzender des Vorstands der Bertelsmann Stiftung ist er gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzende der Bertelsmann AG. Auch die Gattin des Stiftungsgründers Reinhard Mohn und Oberhaupt der Eigentümerfamilie, Liz Mohn, ist stellvertretende Vorsitzende des Vorstand und des Kuratoriums der Bertelsmann Stiftung und gleichzeitig – so testamentarisch verfügt – im Aufsichtsrat des Bertelsmann Konzerns, darüber hinaus ist Liz Mohn Vorsitzende der Gesellschaftsversammlung und Geschäftsführerin der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft mbH.
    Auch Dr. Brigitte Mohn ist Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung und gleichzeitig Aufsichtsratsmitglied der Bertelsmann AG und Gesellschafterin der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft mbH.

    Es ist lebensfremd, dass eine Stiftung, die mehr als drei Viertel der Kapitalanteile der AG hält und dabei gleichzeitig personell so eng verflochten ist, keinen Einfluss auf die AG ausüben würde.
    Nach dem Tod des Firmenpatriarchen titelte selbst die FAZ:
    „Alle Macht für Liz Mohn und ihre Kinder“

    Der verstorbene Firmenpatriarch Reinhard Mohn selbst sah in seiner Stiftung einen „Garanten der Unternehmenskontinuität des Hauses Bertelsmann“.

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    Unter dem Zwang der leeren öffentlichen Kassen und unter dem beschönigenden Etikett eines „zivilgesellschaftlichen Engagements“ greift der Staat die „gemeinnützigen“ Dienstleistungen der Bertelsmann Stiftung und anderer privater Think-Tanks nur allzu gerne auf. Ja noch mehr, er zog sich aus seiner Verantwortung immer mehr zurück und überlässt wichtige gesellschaftliche Bereiche wie etwa die Bildung oder die Hochschule gleich ganz den Selbsthilfekräften dieses sog. „bürgerschaftlichen Engagements“. Aus dieser Staats- und Gesellschaftsvorstellung speist sich die Idee von der „selbständigen Schule“ genauso wie die „Entlassung“ der Hochschule aus der staatlichen Verantwortung, wie das etwa mit dem „Hochschulfreiheitsgesetz“ in Nordrhein-Westfalen aber auch in vielen anderen Hochschulgesetzen geschehen ist.

    Die Rollenverteilung der zivilgesellschaftlichen Gruppen bei ihrem „Dienst an der Gemeinschaft“ ergibt sich dabei ziemlich naturwüchsig daraus, was eben jeder einzelne mit seinem bürgerschaftlichen Engagement zu leisten vermag. Diejenigen, die nicht so viel Geld und Vermögen haben, machen Sozialarbeit, also Altenpflege oder Übungsleiter im Sportverein,
    die Vermögenden vergeben Forschungsaufträge oder Stiftungslehrstühle oder sie stiften gleich ganze Denkfabriken und prägen damit den Gang der Wissenschaft oder den gesellschaftlichen Diskurs und bestimmen so die gesellschaftliche und die politische Weiterentwicklung.

    So hat sich inzwischen in unserem Lande eine private institutionelle Macht des Reichtums herausgebildet, die – wie bei Bertelsmann streng hierarchisch organisiert – ihren Einfluss über das gesamte politische System ausdehnt und die demokratisch legitimierte Machtverteilung zwischen Parteien, Parlamenten, Selbstverwaltungsgremien und Exekutive unterwandert und dazu hin gleichzeitig mit ihrer Medienmacht die öffentliche Meinung prägt.

    Diese „zivilgesellschaftliche“ Macht stützt sich ausschließlich auf Reichtum und Vermögen und die Mohns gehören nach der Rangliste der amerikanischen Zeitschrift Forbes zu den 250 reichsten Leuten auf der Welt. Sie stützt sich darauf, dass eben zum Beispiel der Bertelsmann- Konzern und seine Stiftung mehr Geld hat als jede andere private und staatliche Institution, Expertisen und Gutachten.

    Die Präsentation des Vortrags [PDF – 2.4 MB]


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