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Titel: Finanziert durch Russland? Schande oder Spasiba?

Datum: 20. März 2024 um 11:00 Uhr
Rubrik: Kultur und Kulturpolitik
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Der neue Kalte Krieg hält sich in all seinen Facetten an die zehn Gebote der Kriegspropaganda, welche der britische Politiker Arthur Ponsonby vor fast 100 Jahren aus der Erforschung des Ersten Weltkrieges ermitteln konnte. Von Michael Klundt.

Sie lauten:

  1. Wir wollen keinen Krieg!
  2. Der Gegner ist allein für den Krieg verantwortlich!
  3. Der Führer des feindlichen Lagers ist ein Teufel!
  4. Wir verteidigen ein edles Ziel und keine besonderen Interessen!
  5. Der Feind begeht absichtlich Grausamkeiten, wenn wir Fehler machen, geschieht dies unbeabsichtigt.
  6. Der Feind benutzt unerlaubte Waffen.
  7. Wir erleiden geringe Verluste, die Verluste des Feindes sind erheblich.
  8. Anerkannte Kulturträger und Wissenschaftler unterstützen unser Anliegen.
  9. Unser Anliegen hat etwas Heiliges.
  10. Wer unsere Propaganda in Zweifel zieht, arbeitet für den Feind und ist damit ein Verräter.

Und jetzt finden Sie bitte eines der zehn Gebote, welches (noch) nicht in direkter oder indirekter Weise von Herrn Habeck und Frau Baerbock, den Herren Kiesewetter, Hofreiter, Röttgen, Frau Strack-Zimmermann und ihren medialen Begleitmaschinen Lanz, Miosga, Zamperoni und Slomka u.a. von „Radio Rheinmetall“ (ARD, ZDF, SPIEGEL, BILD usw.) vorgebracht wurde. Ehrlich gesagt, das fällt schwer.

Insofern ist es auch nicht erstaunlich, dass nun – wie weiland in den 1950ern „alle Wege des Marxismus führen nach Moskau (CDU)“ – allen Zweiflern am NATO-Narrativ Kreml-Nähe bzw. russische Finanzierung unterstellt wird. Da wir aber schon mal dabei sind, wäre es doch schön, an eine tatsächliche russische Finanzierung in der gemeinsamen europäischen Geschichte zu erinnern und dabei gleichzeitig besonders an Petersburg zu denken (oder, wie ich es liebevoll nenne: „St. Leningrad“, um auch an seine Opfer der deutschen Nazi-Vernichtungsblockade von 1941-1944 zu erinnern, einem in Deutschland bis heute verdrängten Völkermord an über einer Million Menschen).

Kommen wir zurück zum Erfreulichen:

Es handelt sich um die russische Finanzierung der europäischen resp. französischen Aufklärung.

Wie bitte?

Ja, genau. Es geht um die Finanzierung z.B. von Voltaire und Diderot (einer von Marx‘ „Lieblingsschriftstellern“) durch die russische Kaiserin Katharina die Große (1729-1796). Es geht darum, dass sich deshalb die Bibliotheken Voltaires und Diderots in Petersburg befinden (vgl. correspondance-voltaire.de/die-bibliothek-voltaires/ sowie Jacques Proust: La bibliothèque de Diderot. In: Revue des sciences humaines. 1958, S. 257–272 und Anthony R. Strugnell, Larissa L. Albina: Recherches nouvelles sur l’identification des volumes de la bibliothèque de Diderot. In: Recherches sur Diderot et sur l’Encyclopédie. 1990, Band 9, Nr. 9, S. 41–54). Diderots Bibliothek ging (wie auch die Voltaires) in die 1795 gegründete Russische Nationalbibliothek in Petersburg ein.

Es geht darum, dass z.B. Werke von Diderot wie „Rameaus Neffe“ zu Lebzeiten des großen Enzyklopädisten gar nicht auf Französisch oder auch sonstwie gedruckt wurden bzw. werden durften. Zur Zeit seiner Abfassung in den 1750er/1760ern war die „Enzyklopädie“ gerade mal wieder verboten und große Meisterwerke von Voltaire oder Rousseau wurden in Paris noch von der klerikalen “Cancel Culture” öffentlich verbrannt. Die Vorgeschichte der später erfolgreichen französischen Aufklärung und der Großen Französischen Revolution wird oft etwas verschämt verdrängt. Lange nach Diderots Tod (1784) fand der deutsche Dichter Friedrich Maximilian Klinger 1804 in der Petersburger Bibliothek ein französisches Manuskript von „Rameaus Neffe“, übergab es Schiller und der konnte noch kurz vor seinem eigenen Tode Goethe davon überzeugen, das Meisterwerk des dialektischen Denkens ins Deutsche zu übersetzen. Aus der Rückübersetzung dieser Goetheschen Version des Diderotschen Werkes wurde dann erst 1821 die erste französische Version von „Rameaus Neffe“/Neveu de Rameau“ in Frankreich gedruckt. Somit haben wir es hier mit einer französisch-russisch-deutschen Kulturgeschichte zu tun.

Und wem ist das also auch zu verdanken?

Der großen Zarin aus Stettin und Zerbst (bzw. Anhalt-Zerbst, heute: Sachsen-Anhalt).

In seinem Anekdotenband schreibt André Müller Sen.: „Katharina von Russland, die man die Semiramis des Nordens nannte, war viele Jahre Diderots Mäzenin. Sie kaufte seine Bibliothek auf, lieh sie ihm zur Nutzung auf Lebenszeit und zahlte ihm ein Gehalt als Bibliothekar, und zwar für fünfzig Jahre im Voraus. Diderot reiste nach Petersburg, um Katharina seinen Dank abzustatten. Die Zarin und Diderot verstanden sich gut, und er hatte jeden Tag drei Stunden freien Zutritt zu ihr, um über Philosophie zu diskutieren. Diderot ließ dabei nicht von seiner Gewohnheit ab, im erregten Gespräch seinen Partnern auf die Schenkel zu schlagen.

‚Der Besuch von Diderot war nach jeder Seite ein Gewinn‘, kommentierte Katharina später. ‚Ich habe gar nicht gewusst, wie schnell die Philosophie einem blaue Flecken einbringen kann.‘“ (André Müller Sen.: Über das Unglück geistreich zu sein. Eulenspiegel Verlag Berlin 2012, S. 72).

Die europäische Aufklärung also mit-finanziert durch Russland?

Igitt!

Igitt? Oder einer der gemeinsamen und gerade heute sehr erinnernswerten Höhepunkte europäischer Kultur?

Wenn das die NATO-Wissenschaftlerin Florence Gaub wüsste, die herausgefunden haben will, dass Russen zwar aussehen wie Europäer, aber in Wirklichkeit gar keine seien! Oder Frau Baerbock, die für vier Jahre gewählt wurde, aber „für immer“ keine Rohstoffe mehr aus Russland nach Deutschland zulassen möchte (vgl. welt.de).

Alle anderen könnten vielleicht auch einfach mal sagen:

Spasiba, Mir und ein langes Leben, liebes Mütterchen. 

Lass uns gute Nachbarn sein.

Titelbild: Pavel Sapozhnikov / Shutterstock


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