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Titel: Die Deutschen ticken dramatisch falsch – darauf macht wieder einmal Heiner Flassbeck aufmerksam

Datum: 30. November 2011 um 15:06 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Strategien der Meinungsmache, Wettbewerbsfähigkeit
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Mit den „Deutschen“ gemeint ist die Bundesregierung und die dogmatisch neoliberal eingefärbte Mehrheit der Meinungsführer in Wissenschaft, Wirtschaft und Medien. Die Dogmatik dieser Kreise kann ausgesprochen gefährlich für uns werden. Das skizziert Heiner Flassbeck im folgenden Beitrag für das Hamburger Abendblatt [PDF – 69.2 KB]. Der Text ist gut nutzbar zur Verbreitung über Ihren persönlichen Email-Verteiler. Es lohnt sich. Heiner Flassbeck sagte mir gerade am Telefon, seine Leser und Zuhörer würden zunehmend aufgeschlossen, er habe letzthin in Frankfurt einen großen Kreis von Bankern nachdenklich gestimmt. Das ist möglich, weil die herrschende Lehre nur noch Dogmen verbreitet. – Ich ergänze seinen Text, weil er meines Erachtens an einem Punkt unnötig defensiv ist. Er bezeichnet die deutsche Seite als „Gewinner“. Das sind wir schon lange nicht mehr. Albrecht Müller.

Zunächst noch eine Anmerkung zur Dogmatik:

Die Vertreter der herrschenden Lehre verhalten sich wie kommunistische Kader

Sie predigen ihre angelernten Glaubenssätze: Sparen ist gut. Exportüberschüsse sind gut. Die Stagnation der Löhne ist gut. Wir haben es mit einer Staatsschuldenkrise zu tun. Die Schuldnerländer müssen reformieren. Usw.

Die große Problematik, die daraus folgt, dass sich die Lohnstückkosten in einzelnen Euro Ländern und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit diametral auseinander entwickelt haben, wird nicht gesehen und/oder verschwiegen. Selbst die Wirtschaftsteile großer Blätter wie der Süddeutschen Zeitung verschließen die Augen vor dieser Problematik, obwohl diese ungemein gefährlich werden kann. Sie verschließen auch die Augen vor den Folgen eines Auseinanderbrechens des Euro.

Woher dieser uneinsichtige Dogmatismus kommt, kann ich nicht verstehen. Sind diese Menschen alle falsch geschult? Sind sie psychisch seltsam veranlagt, fühlen sie sich nur wohl in der Nestwärme eines Kaders? Ist für sie eigenständiges Denken von Natur aus blockiert? Oder steckt hinter der Ignoranz bei manchen das zynische Kalkül, dass die verfolgte Schockstrategie manchem ihrer Freunde wieder ein neues Feld für Spekulationsgeschäfte und den Raub von Vermögen eröffnet? Die Politik und Wissenschaft als Sekundanten internationaler Schnäppchenjäger? Oder handeln sie im Interesse und Auftrag jener, die ein großes Interesse am Scheitern der kontinentaleuropäischen Einigung haben? – Verschwörungstheoretiker! Das Etikett kenne ich und dennoch wird man angesichts der dramatischen Situation alle notwendigen Fragen stellen müssen.

Nun noch die Ergänzung zu Heiner Flassbecks Anmerkungen über die „Gewinner“ der jetzigen gefährlichen Entwicklung:

Er schreibt in seinem Beitrag:

„Wer aber nach dem Spiel einfach festlegt, der Gewinner habe alles richtig gemacht, weil er ja der Gewinner ist, zerstört die Grundlagen für zukünftiges gemeinsames Handeln und des gegenseitigen Handels, weil er das Minimum an Fairness, das jedes kooperative Verhalten voraussetzt, mit Füßen tritt.“

Ich störe mich nur an der darin enthaltenen Wertung, die Deutschen und die deutsche Volkswirtschaft seien die Gewinner der jetzigen Entwicklung mit hohen und andauernden Leistungsbilanzüberschüssen. Wer auf Dauer Leistungsbilanzüberschüsse hat und auf diese Weise Forderungen gegenüber anderen Volkswirtschaften ansammelt ist kein Gewinner. Das erkennt man sofort, wenn man sich eine an realen Größen orientierte Betrachtungsweise angewöhnt. Dann weiß man, dass in einem solchen Fall mehr Güter und Dienstleistungen nach draußen transportiert worden sind, als von dort hierher eingeführt wurden. Es steht uns also für Konsum und Investitionen der hier lebenden Menschen und Unternehmen wie auch für Staatsaufgaben weniger zur Verfügung, als wir erwirtschaftet haben. Teile unserer Wertschöpfung werden nach draußen abgegeben. Ein Dummkopf, wer darin einen Gewinn sieht. Damit meine ich nicht Heiner Flassbeck. Er hat mir im Gespräch sofort recht gegeben.

Aber die Mehrheit der handelnden Personen und die Mehrheit der so genannten Wissenschaftler in Deutschland denkt in monetären Größen und nicht in realen Größen. Diese Leute – wie Frau Merkel zum Beispiel – glauben wirklich, Exportweltmeisterschaft sei etwas Erstrebenswertes. Sie haben immer noch nicht verstanden, dass wir nicht amerikanische Staatsanleihen und auch keine Dollarnoten essen, sondern Bananen zum Beispiel. Und wir arbeiten mit Gütern und Dienstleistungen, die wir von außen beziehen. Oder wir genießen den Urlaub in anderen Ländern. Das sind reale Wohlstandsgewinne. Exporte von Gütern und Dienstleistungen brauchen wir, um diese realen importierten Leistungen bezahlen zu können. Leistungsbilanzüberschüsse brauchen wir nicht.

Mit den Leistungsbilanzüberschüssen erwerben wir Forderungen gegenüber anderen Völkern und Volkswirtschaften. Das kann mal vorübergehend gut sein. Auf Dauer ist es sinnlos. Und es ist auch möglicherweise mit hohen Verlusten verbunden. Wenn nämlich zum Beispiel die in Dollar gehaltenen Forderungen abgewertet werden.

Die Mehrheit der deutschen Wissenschaftler hat leider nie die Theorien studiert, die hinter der zuvor skizzierten Betrachtungsweise stehen. Sie reden zwar ständig von Marktwirtschaft, aber die Theorie von der optimalen Allokation der Ressourcen, die so genannte Welfareconomics, und damit die Basis der Theorie der Marktwirtschaft, haben sie nie gelernt. Das ist eine der Grundlagen ihrer von Vorurteilen angefüllten Ideologie.


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