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Titel: Der arme Gerhard Schröder – ganz allein am Pranger! Ein Skandal!

Datum: 3. April 2006 um 14:22 Uhr
Rubrik: Drehtür Politik und Wirtschaft, Veröffentlichungen der Herausgeber
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Heute muss ich Gerhard Schröder in Schutz nehmen. Dass er – wegen seines Engagements für die Ostsee-Gasleitung – alleine am Pranger steht, das ist wirklich ungerecht. Die Herren Wulff und Westerwelle sollten etwas vorsichtiger sein. Kohl und eine ganze Latte anderer Politiker von CDU und CSU haben von politischen Entscheidungen, die zu unseren Lasten gingen, profitiert. Genauso wie Möllemann, von Lambsdorff und andere FDP-Größen. Diese Art von Korruption wuchert. Im einzelnen siehe Auszüge aus „Machtwahn. Wie eine mittelmäßige Führungselite und zugrunde richtet”.

Auszüge aus „Machtwahn. Wie eine mittelmäßige Führungselite und zugrunde richtet”: Zu Gerhard Schröder und Kollegen

Wege zum Geld: Die schnellen Umsteiger – mit Umsicht vorbereitet?

Gerhard Schröder (SPD) schließt als Bundeskanzler in unserem Auftrag einen Vertrag mit Russland über den Bau einer Pipeline und wird unmittelbar anschließend zum Aufsichtsratsvorsitzenden des deutsch-russischen Gaspipeline-Konsortiums nominiert, das diese Pipeline durch die Ostsee bauen soll.
Von dem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister und FDP-Vorsitzenden Martin Bangemann wissen wir, dass er 1999 unmittelbar im Anschluss an sein Amt als EU-Kommissar in Brüssel, als der er für Industriepolitik einschließlich Telekommunikation zuständig war, sein politisches Insiderwissen gegen viel Geld bei der spanischen Telefonica einsetzen wollte, die wiederum von den in Bangemanns Amtszeit getroffenen Brüsseler Liberalisierungsentscheidungen profitierte. Das hatte einen so penetranten Beigeschmack, dass die Europäische Union ein Verfahren gegen ihn vor dem Europäischen Gerichtshof anstrengte, mit dem Ziel, Bangemann seine Pensionsansprüche abzuerkennen. Die Klage wurde zurückgezogen, nachdem Bangemann drei ziemlich belanglose Zusagen gemacht hatte. So wurde der Beginn der offiziellen Arbeitsaufnahme für Telefonica um ein Jahr auf Juli 2000 verschoben. Dieser Fall war sogar Anlass dafür, einen (wenngleich zahnlosen) Ehrenkodex für EU-Beamte zu erarbeiten.

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Otto Wiesheu (CSU) war bis Herbst 2005 Wirtschaftsminister in Bayern und wechselte, unmittelbar nachdem er noch auf seiten der CSU an den Verhandlungen zur Vorbereitung der großen Koalition teilgenommen hatte und sich dabei sehr dafür einsetzte, dass der Bund der Deutschen Bahn knapp 4,3 Milliarden Euro für das Streckennetz zur Verfügung stellt, in den Vorstand der Bahn AG – als Beauftragter für »politische Beziehungen«. [81]

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Ehemalige Politikerinnen und Politiker lassen sich von Public-Relations-Agenturen zur Durchsetzung von Interessen ihrer Kunden einspannen. Herausragendes Beispiel dafür war der ehemalige und inzwischen verstorbene FDP Bundestagsab-geordnete und Wirtschaftsminister Günter Rexrodt. Er war für die Berliner Lobbyfirma WMP tätig und hat sich zum Beispiel im Falle der Ministererlaubnis zur Übernahme von Ruhrgas durch E.on publizistisch und also meinungsbildend eingeschaltet. Für WMP ist auch Hans-Dietrich Genscher tätig, er ist als Aktionär und Aufsichsratsvorsitzender von Anfang an dabei; heute ist er Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats. WMP Eurocom, kurz WMP genannt, mit Sitz in Berlin, betreibt Kommunikationsberatung in den Bereichen Wirtschaft, Medien und Politik. Hauptaktionäre waren zu Beginn die ehemaligen Bild-Macher Hans-Erich Bilges und Hans-Hermann Tiedje. Auch Roland Berger ist an der Aktiengesellschaft beteiligt; er hat die Aktien von Bilges übernommen und ist heute Aufsichtsratsvorsitzender. Im Vorstand und Aufsichtsrat von WMP Eurocom sind noch andere bekannte Persönlichkeiten aus Medien und Politik vertreten – so der SPD-Abgeordnete Peter Danckert und Rupert Scholz von der CDU. Der frühere Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Arbeit Rainer Wend war engagiert, legte aber 2003 sein Aufsichtsratsmandat nieder.
Die WMP ist durch den Rücktritt des Leiters der Bundesagentur für Arbeit in die Schlagzeilen geraten. Florian Gerster hatte ohne Ausschreibung Bernd Schiphorst von WMP als Berater engagiert. Die Honorarhöhe von 1,3 Millionen Euro war für dieses Verfahren etwas zu hoch.
Von Otto Graf Lambsdorff (FDP), der als Wirtschaftsminister wegen einer Anklage wegen Bestechlichkeit in der Flick-Affäre zurücktreten musste, wissen wir, dass er lange Zeit für die Versicherungswirtschaft in Aufsichtsräten tätig war; er wirbt sogar mit seinem Konterfei in Anzeigen für die Privatvorsorge.

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Wege zum Geld: Politiker haben das Land umgekrempelt – zum Nachteil von uns allen und zu ihrem Vorteil:

Die Regierung Kohl hat nach der politischen Wende von 1982 Milliarden öffentlicher Gelder für die Verkabelung und für Propaganda zugunsten der Kommerzialisierung des Fernsehens und des Hörfunks ausgegeben und zugleich die politischen Entscheidungen für diese kultur- und familienpolitisch folgenreiche Weichenstellung getroffen. Nach Informationen des Focus soll Altkanzler Helmut Kohl (CDU) von einem der Begünstigten, Leo Kirch, für Beratertätigkeit von 1999 bis 2002 umgerechnet etwas über 400 000 Euro pro Jahr erhalten haben. [89] Zusätzlich erhielt Helmut Kohl nach seiner Amtszeit 100 000 Schweizer Franken im Jahr von der Schweizer Großbank Credit Suisse für seine Tätigkeit als Berater, so Focus. Er war Mitglied im internationalen Beirat. [90]
Nach Mitteilung des Spiegel hatten auch andere ehemalige Minister vertragliche Beziehungen mit Kirch: die ehemaligen Postminister Christian Schwarz-Schilling (CDU) – über seine Firma Dr. Schwarz-Schilling GmbH – und Wolfgang Bötsch (CSU), der ehemalige Finanzminister Theo Waigel (CSU) und der frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) sowie der ehemalige Vizekanzler und Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP). [91] Panorama wollte von Helmut Kohl und Wolfgang Bötsch Genaueres wissen und von Friedrich Merz und Angela Merkel ihre Bewertung des Vorgangs kennenlernen. Kohl reagierte aggressiv. Die anderen schwiegen. Kurt Beck, der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz kommentierte so: »Niemand zahlt 800 000 Mark oder 300 000 Mark, dazwischen lagen ja wohl die Verträge, für nichts. Das kann ich mir nicht vorstellen. Da muss es also Interessen gegeben -haben, die verflochten worden sind.« [92]


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