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Titel: “Über Keynes hinaus – aber wohin?”

Datum: 28. Juni 2006 um 16:56 Uhr
Rubrik: Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Eine lesenswerte Antwort von Heiner Flassbeck in der Süddeutschen Zeitung vom 24./25.6 auf die Buchbesprechung von Erhard Eppler.

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Über Keynes hinaus – aber wohin?

Die modernen Sozialdemokraten suchen seit mehr als zwanzig Jahren nach einem dritten Weg, den es nicht gibt

Von Heiner Flassbeck

Heiner Flassbeck ist Chefökonom der UNCTAD, der Welthandelskonferenz, in Genf. Unter Oskar Lafontaine war er von Oktober 1998 bis April 1999 Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.

Es gibt politische Forderungen aus fernen Zeiten, die sind viel entlarvender als alles, was man aktuell zu einem Thema sagen könnte – weil sie gerade wegen ihrer zeitlichen Versetztheit zeigen, wie sinnlos die immer noch nicht eingelöste Forderung schon damals gewesen ist. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür hat einer der Vordenker der modernen Sozialdemokratie, Erhard Eppler, gerade geboten. In einer vernichtenden Kritik des neuen Buches von Albrecht Müller (“Machtwahn”) wirft er den aus seiner Sicht rückwärts gewandten Kräften in der SPD vor, schon seit Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts nicht begriffen zu haben, dass neue Zeiten angebrochen sind, dass man in der globalisierten Wirtschaft weniger Spielräume für nationale Politik hat, und dass man neue Phänomene wie Ölpreisexplosionen nicht mit alten Rezepten wie höherer staatlicher Verschuldung bekämpfen kann.

Genüsslich zitiert sich Eppler selbst, weil er schon Ende der siebziger Jahre den Sozialdemokraten ins Stammbuch geschrieben habe: “Wenn wir nicht über Keynes hinauskommen, werden wir hinter Keynes zurückgeprügelt”, will heißen, Energiepolitik war damals die richtige Antwort auf Ölpreisschübe, nicht aber staatliche Ankurbelung der Konjunktur, Umweltschutz ist modern, und der alte Keynes taugt prinzipiell nicht für die moderne Weltwirtschaft.

Da fragt man sich natürlich, was den modernen Sozialdemokraten denn in den vergangenen dreißig Jahren eingefallen ist als Alternative zu Keynes. Wo ist der große Entwurf für ein neues Konzept der Wirtschaftspolitik? Wo ist das Lehrbuch zur neuen Wirtschaftspolitik in den Zeiten der Globalisierung und der Alterung der Bevölkerung? Wie bekämpft man heute globale Deflationsgefahren trotz neuem Ölpreisschub? Wie rückt man aktuell dem globalen Ungleichgewicht im internationalen Handel mit riesigen Defiziten der USA und gewaltigen Überschüssen Japans, Deutschlands und Chinas zu Leibe? Wie beseitigt man den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit ganzer Regionen in Währungsverbünden wie in Ostdeutschland oder derzeit in Europa? Was tut der moderne Sozialdemokrat gegen platzende Spekulationsblasen an den Aktien- und Devisenmärkten? Wie überwindet man eine von Lohndumping getriebene anhaltende Konsumflaute? Wie transportiert man Sparvermögen in die Zukunft, um daraus im Jahr 2050 eine auskömmliche Rente zu zahlen?

Machen wir zur Lösung all dieser gewaltigen Probleme eine intelligente Umwelt- und Energiepolitik? Stricken wir ein paar warme Strümpfe mehr, auf dass die Abhängigkeit vom Öl noch schneller gesenkt werden kann? Man sieht, es war schon vor 30 Jahren leicht, eine Alternative zu Keynes zu fordern, einen dritten Weg also. Es ist bis heute aber leider niemandem eingefallen, wie diese Alternative aussehen könnte.

Was viele der Rufer nach einem dritten Weg in der Sozialdemokratie nicht verstehen: Der Name Keynes steht für eine Revolution im Ökonomischen Denken, die tatsächlich eine Alternative geschaffen hat zu dem, was auch heute wieder herrschende Lehre ist. Die Unsicherheit ist das zentrale Moment dieser Lehre, nicht staatliche Verschuldung. Unsicherheit unterscheidet, Keynes’ Ökonomie von der klassischen Ökonomie. In der nach Keynes entstandenen Ökonomischen Theorie ist es durchaus möglich, dass die Arbeiter weniger Geld als vorher erhalten – daraufhin fragen sie aber auch weniger Güter nach und bekommen schließlich noch weniger Arbeit, weil sie selbst weniger Güter nachgefragt haben. In der alten, heute gleichwohl wieder herrschenden Lehre ist das unmöglich, weil die von dieser traditionellen Ökonomie getroffenen Annahmen eine solche Konstellation von vorneherein verbieten. Wenn dort die Arbeiter weniger vom gesamten Kuchen erhalten, müssen die Unternehmen unmittelbar mehr erhalten, weil das gesamte Einkommen der Volkswirtschaft von tiefer liegenden Faktoren bestimmt wird, die sich kurzfristig nicht ändern. Man mag zu der neuen keynesianischen Ökonomie stehen, wie man will; es ist aber dummes Zeug zu sagen, die deutschen Sozialdemokraten hätten sich mal etwas ausdenken sollen, was sie über diese Alternative hinausgeführt hätte. Tertium non datur, es gab und es gibt kein Drittes. Es gab nach Keynes in der Sozialdemokratie und anderswo nur einen alternativen Weg, und das war der Weg zurück in die Lehre, die schon in der Weimarer Republik und davor die Ökonomie beherrscht hatte. Folglich sind die “modernen” Sozialdemokraten genau den Weg in die alte Denkwelt gegangen, ohne dass sie jemand dafür hätte prügeln müssen. Da stehen sie nun und wissen nicht weiter. Vorwärts geht es nicht, weil da ja schon die konservativen und liberalen Parteien sind und die eigene Klientel ihnen nicht weiter folgen will. Rückwärts geht es auch nicht, weil da ja die unmodernen Keynesianer sind, die sich inzwischen in der alternativen Linken sammeln.

Noch stammeln die verbliebenen Führer der Sozialdemokraten etwas von “Globalisierung” und neuen Zeiten, an die man sich doch anpassen müsse. Warum sie aber glauben, die uralte Lehre biete die besseren Rezepte für die modernen Zeiten der Globalisierung, bleibt ihr Geheimnis. Warum sollte eine ökonomische Theorie, die keine Monopolgewinne kennt, keine Investitionsdynamik, keine Sprünge in der Technologie der Entwicklungsländer, keine Veränderung der Wettbewerbsfähigkeit ganzer Volkswirtschaften, keine Ölpreisexplosionen, keine falsche Wirtschaftspolitik und keine soziale Absicherung, besser als die mit dem Namen von Keynes verbundene Lehre geeignet sein, den Sozialdemokraten den Weg in die Zukunft zu weisen. Würden sich die Sozialdemokraten umschauen, würden sie erkennen, dass überall auf der Welt, wo, wie derzeit in Lateinamerika, wieder nach Alternativen zu dem herrschenden Denken gesucht wird, die Intellektuellen und die Politik selbstverständlich auf Keynes zurückgreifen, weil es keinen gangbaren dritten Weg gibt. Es scheint allerdings so zu sein, dass die führenden Köpfe der deutschen Sozialdemokratie so lange stehen bleiben, bis sich auch der letzte getreue Anhänger in die Büsche geschlagen hat. Eppler fordert sie heute, 30 Jahre nach seinem ersten fruchtlosen Appell erneut auf, nach Alternativen zu suchen. Er schlägt ihnen einen Diskurs vor, “der die behäbige Hegemonie marktradikaler Ideologie ablöst. . . und nach einleuchtenden Alternativen fragt”. Na dann vorwärts Genossen, ihr müsst zurück!

© Süddeutsche Zeitung


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