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Titel: Zu den Wahlen: Die Politik der Bundesregierung hat in Deutschland und in Europa keine Mehrheit mehr

Datum: 7. Mai 2012 um 8:45 Uhr
Rubrik: Wahlen
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Die Wahlen in Frankreich und in Griechenland sowie innerhalb Deutschlands im kleinen Schleswig-Holstein zeigen – so unterschiedlich die Ursachen für deren Ausgang auch sein mögen -, dass die Politik der Bundesregierung sich nicht mehr auf die Zustimmung der Mehrheit der Menschen in Deutschland und in Europa stützen kann. In Frankreich gab es eine Niederlage für „Merkozy“ und auch in Griechenland lehnt sich eine große Mehrheit gegen den von der Kanzlerin aufgezwungenen Austeritätskurs auf. Im Kleinen zeigte sich auch in Schleswig-Holstein, dass Schwarz-Gelb eine Niederlage nach der anderen einstecken muss. Von Wolfgang Lieb

Volksabstimmungen in Frankreich und Griechenland gegen den Austeritätskurs

Die Wahlen in Griechenland und in Frankreich stellen mehr Fragen an die deutsche Politik und haben sicherlich größeren Einfluss auf die europäische Entwicklung als die Landtagswahlen in dem relativ kleinen Schleswig-Holstein mit gerade mal 2,2 Millionen Wahlberechtigten.

In Frankreich hat nach 17 Jahren zum zweiten Mal in der Fünften Republik nach Francois Mitterand mit Francois Hollande wieder einmal ein „Sozialist“ mit etwas über 51 Prozent die Wahl zum Präsidentenamt gewonnen. Ob es mit Hollande zu einem – wie er sagt – „Neustart für Europa“ kommen wird, ist noch eine offene Frage. Jedenfalls in der Hoffnung der französischen Wähler ist das Regime „Merkozy“ abgewählt worden. Selbst wenn Hollande im Amt wieder den Zwängen der (finanz-)“marktkonformen Demokratie“ (Merkel) ausgesetzt sein dürfte, so ist der Wahlausgang aufgrund der Ankündigungen des neuen Staatspräsidenten eine Volksabstimmung gegen den Fiskalpakt und das Spardiktat, verordnet durch die deutsche Bundesregierung.

Das Gleiche gilt für den Wahlausgang in Griechenland. Die Parteien der griechischen Klientelpolitik und der Exekutoren der Troika sind abgestraft worden. Die konservative Nea Dimokratia (ND) ist von 33,5 auf 21% abgesackt und die Verluste der bis zur Einsetzung der technokratischen Papadimos-Regentschaft regierenden PASOK sind noch dramatischer. Die griechischen Sozialdemokraten sind von 43,9 auf 14 Prozent regelrecht abgestürzt. Selbst eine Große Koalition hätte keine Stimmenmehrheit mehr. Die „Anti-Memorandums-Partei“ Syriza liegt sogar noch vor der PASOK.
Selbst wenn ND und PASOK aufgrund der merkwürdigen „Siegprämie“ für die stärkste Partei eine knappe Mehrheit im Parlament und damit die Regierung stellen könnten, hätte diese Regierung nicht die Mehrheit der Griechen hinter sich. Das Wahlergebnis hat das geradezu absurde Resultat, dass gerade die Partei, nämlich die ND, die die Hauptverantwortung dafür trägt, dass die griechische Karre im Dreck steckt, immer noch stärkste Partei ist und vermutlich mit Samaras sogar den Regierungschef stellen dürfte. Die Wut und Entrüstung, die sich in diesem Wahlergebnis ausdrückt, bliebe folgenlos. Dennoch ist auch dieses Wahlergebnis eine Absage an den aufgezwungenen Kurs der Troika aus EU, IWV und EZB und damit auch an die Politik der Bundesregierung. Doch eine realistische Alternative ist auch in Griechenland nicht in Sicht.

Auch zu Hause eine Absage an die Bundesregierung

Doch kehren wir vor der eigenen Haustür und betrachten uns den Wahlausgang in Schleswig-Holstein etwas näher:

Die CDU büßte mit ihrem erst jüngst als Nachfolger von Peter Harry Carstensen von seiner Partei zum Spitzenkandidaten bestimmten Jost de Jager gegenüber der Wahl 2009 0,6%-Prozentpunkte ein. Die CDU blieb zwar mit 30,8% der abgegebenen Stimmen eine Nasenlänge vor der SPD mit 30,4 %, die einen Zuwachs von 5,0% gegenüber ihrem Absturz im Wahljahr 2009 verzeichnen konnte. Beide (noch einigermaßen) großen Parteien erzielten jedoch ihr zweitschlechtestes Wahlergebnis in der Landesgeschichte.

Die CDU erreichte in etwa das Ergebnis, das ihr die Demoskopen jedenfalls in jüngster Zeit prognostiziert haben. Die SPD blieb deutlich unter den Vorhersagen und vor allem hinter den eigenen Erwartungen zurück. Und das, obwohl der sozialdemokratische Spitzenkandidat und derzeitige Oberbürgermeister von Kiel, Torsten Albig in der schleswig-holsteinischen Bevölkerung mit 42% deutlich höhere Sympathiewerte hatte als sein Gegenkandidat Jost de Jager mit nur 30%. Dass die SPD weniger als erhofft von der allgemeinen Wertschätzung ihres Spitzenkandidaten profitieren konnte, hat sicherlich damit zu tun, dass die SPD wohl am stärksten unter der schlechtesten Wahlbeteiligung seit 1947 gelitten hat. Nur noch 60,4% der Wahlberechtigten – der niedrigste Wert aller Zeiten – gingen zur Urne, obwohl in den letzten Tagen mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen heftig Stimmung gemacht worden ist. Bezogen auf alle Wahlberechtigten ist der Prozentanteil der Nichtwähler größer als die Anteile der beiden großen Parteien zusammen.

Man sollte zwar die Wählerwanderungsanalysen nicht so genau nehmen, aber wenn angeblich 50.000 frühere SPD-Wähler/innen nicht zur Wahlurne gingen, dann ist das ein schmerzhafter Denkzettel. Nach einer gestern verbreiteten Umfrage liegt das auch daran, dass 52% der Menschen der Meinung sind, dass die SPD wegen Hartz IV oder der Rente mit 67 ihr sozialdemokratisches Profil verloren habe und dass gleichfalls fast die Hälfte der Befragten (46%) sagen, dass man gar nicht wisse, für welche Politik die SPD eigentlich stehe. Jedenfalls sollten solche Befunde Sigmar Gabriel und Andrea Nahles, die die SPD gestern mal wieder als einen Gewinner der Wahl herausstellten, nachdenklich machen.

Bei all der üblichen Schönrednerei aus dem Berliner Regierungslager sollte das überraschend gute Ergebnis der CDU und vor allem der überall groß gefeierte, bis vor einigen Wochen von niemand mehr erwartete Wiedereinzug der FDP nicht darüber hinwegtäuschen, dass Schwarz-Gelb abgewählt worden ist. Es war die zehnte Wahlniederlage der Berliner Koalition nacheinander.

Die FDP hat es zwar mit 8,2% wieder in den Kieler Landtag geschafft, aber gegenüber der letzten Wahl 6,7 Prozentpunkte eingebüßt. Die Stimmenverluste lassen sich sicherlich auch damit erklären, dass die FDP 2009 vom damaligen Höhenflug der Partei bei der gleichzeitig durchgeführten Bundestagswahl profitiert hat, doch gemessen an den Umfragewerten Anfang dieses Jahres, hat Wolfgang Kubicki einen Rekordwert gemessen am Ansehen seiner Partei erzielt. Über die Gründe dafür haben wir in unserem letzten Beitrag berichtet (Siehe „Doping für die FDP“).

Entgegen den Mutmaßungen, dass sich die Grünen im Sinkflug befänden, haben sie mit 13,2 % ihr bestes Ergebnis im nördlichsten Bundesland erzielt. Das steht gegen die Behauptungen, dass der Aufschwung der Piratenpartei vor allem auch zu Lasten der Grünen gehe.

Die Piratenpartei hat ihren Höhenflug fortgesetzt und zieht mit 8,2% – also dem gleichen Ergebnis wie die FDP – nach Berlin und dem Saarland zum dritten Mal in ein Länderparlament ein. Nach Umfragen sind allerdings 91% der Meinung, dass die Piraten hauptsächlich deshalb gewählt werden, weil die Menschen unzufrieden mit den anderen Parteien sind. Selbst 74% der Anhänger der Piratenpartei sind dieser Ansicht und nur 22% meinen, dass diese Partei wegen ihrer politischen Inhalte gewählt werde. Dieser Parteienverdruss spiegelt sich wohl auch darin wider, dass 21% der unter 30-Jährigen die Piraten wählten und – man staune – 13% der Arbeiter und Arbeitslosen.

Gerade diese Zuflucht selbst von Arbeitern zur Piratenpartei dürfte dafür gesorgt haben, dass die Partei DIE LINKE von 6% auf 2,2% geschrumpft ist. Nur 4% der Arbeiter setzten offenbar noch ihre Hoffnungen auf die Partei, die die Anliegen der sozial Benachteiligten zu ihrem Programm gemacht hat. Die Linkspartei ist damit zum ersten Mal wieder aus einem Landtag herausgefallen. Das ist zwar den Grünen und der FDP in der Vergangenheit auch schon des Öfteren passiert, doch im Gegensatz zu diesen Parteien, wird der Linkspartei sicherlich künftig wieder eine Debatte aufgezwungen, ob sie nicht doch eher eine Partei des Osten Deutschlands sei. Wie sich dies in der innerparteilichen Debatte auswirken wird, muss sich noch zeigen.

Eine Schlussfolgerung lässt sich jedoch insgesamt ziehen: Trotz der Abwahl von Schwarz-Gelb führt das Aufkommen der Piratenpartei eher zu einer Zerfaserung und damit auch machtpolitischen Schwächung des Lagers jenseits von CDU und FDP. Wohin der politische Weg der Piratenpartei geht, wird man wohl noch längere Zeit abwarten müssen. Wie offen diese Entwicklung ist, zeigt sich z.B. darin, dass auf Platz 6 der Landesliste der Piraten die ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen Angelika Beer wieder in den Landtag einzieht, die wegen ihres engagierten Eintretens für eine deutsche Beteiligung am Kosovokrieg selbst von den Grünen an den Rand gedrängt wurde.

Die Mehrheits- und damit die Regierungsbildung in Schleswig-Holstein war allerdings auch vor dem Aufkommen der Piratenpartei schon häufig ein Problem. Man erinnere sich daran, dass Heide Simonis (SPD) 2005 wegen eines Abweichlers aus dem eigenen Lager mit ihrer Wiederwahl als Ministerpräsidentin scheiterte. Die daraufhin gebildete Große Koalition zerbrach am Streit zwischen Ministerpräsident Carstensen und dem SPD-Landeschef Ralf Stegner. Nach der Wahl im September 2009, die zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfand, erhielten CDU und FDP drei Mandate mehr, obwohl sie etwa 27.000 Stimmen weniger hatten, als SPD, Grüne, Linke und Südschleswigscher Wählerverband (SSW) zusammen. Kurze Zeit später schrumpfte die schwarz-gelbe Mehrheit auf eine Stimme Mehrheit aufgrund von Neuauszählungen der Stimmen in einigen Wahlkreisen. Auch die vorgezogene Neuwahl in diesem Jahr wurde durch das Landesverfassungsgericht erzwungen, weil die damalige Berechnung der Sitzverteilung für verfassungswidrig erklärt wurde.

Nach dem gestrigen Wahlabend ist erneut keineswegs sicher, wer Ministerpräsident werden und zu welcher Regierungskoalition es kommen wird.

Klar ist eigentlich nur, dass es zu einer Neuauflage einer schwarz-gelben Koalition nicht reicht. Jost de Jager von der CDU nimmt für sich in Anspruch, dass er als Kandidat der knapp stärksten Partei den Auftrag habe, Gespräche mit anderen Parteien über eine Regierungsbildung unter seiner Führung zu führen. Er redete den ganzen Wahlabend so oft von Stabilität und von der Fragilität aller anderen Konstellationen, dass ziemlich deutlich wurde, dass er eine Große Koalition anstrebt. Dem mit seiner Wunschkoalition von Rot-Grün gescheiterte Torsten Albig von der SPD wäre zwar eine „Schleswig-Holstein-Ampel“ zusammen mit den Grünen und dem SSW ( 4,6% der Stimmen) als zweitbeste Lösung am liebsten, doch wollte er eine Große Koalition nicht ausschließen. Und wenn man den früheren Sprecher von Finanzminister Steinbrück an seinen früheren politischen Äußerungen misst, ist für ihn die CDU als Partner durchaus vorstellbar. In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen oder jüngeren Datums in Berlin und im Saarland wurde das von der SPD ja trotz anderer Koalitionsoptionen schon vorexerziert.

Den ganzen Wahlabend über wurde ja auf beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehkanälen schon besorgt darauf hingewiesen, dass eine „Schleswig-Holstein-Ampel“, zu der die Grünen und der SSW sich eindeutig bekannten, nur 35 von 69 Mandaten und damit nur eine Mehrheit von einer Stimme im Kieler Landtag hätte. Dass eine Jamaika-Koalition von Schwarz, Grün und Gelb oder eine „echte“ Ampel von Rot, Grün und Gelb auch nur 38 Sitze und damit auch nur 3 Mandate über der Mehrheit hätte, wurde dabei schlicht unterschlagen. Für die Grünen scheint jedoch ein Zusammengehen mit der FDP kaum vorstellbar. Und Schwarz-Grün hätte auch zusammen keine Mehrheit. Der SSW ist somit das Zünglein an der Waage.

Wenn SPD, Grüne und SSW bei ihren Koalitionsaussagen blieben, dann könnte es in Schleswig-Holstein zu einem Regierungswechsel kommen.

Damit könnte Schwarz-Gelb im Bundesrat nur noch mit den Stimmen Sachsens, Niedersachsens, Hessens und Bayerns fest rechnen, das wären nur noch 21 der 69 Stimmen. Angela Merkels Bundesregierung dürfte es also im Bundesrat nicht leichter werden, ihre Politik durchzusetzen.

Ist nun diese Wahl in Schleswig-Holstein ein positives Signal oder ein Warnschuss für die am kommenden Wochenende stattfindende Wahl NRW?

Obwohl für zwei Drittel der Norddeutschen landespolitische Motive bei der Stimmabgabe im Vordergrund standen, versuchten natürlich alle Parteivertreter die Wahlergebnisse als Stimmungsmache für die Wahl im bevölkerungsreichsten Bundesland zu nutzen. Allen voran die Sprecher der FDP. Es passt in die allgemeine Stimmungsmache, dass der NRW-Shooting-Star Christian Lindner (FDP) zusammen mit Norbert Röttgen, als Herausforderer von der CDU von Günter Jauch in seinen Wahl-Talk eingeladen wurden und sich nochmals aufspielen konnten.

Die CDU dürfte jedoch aus dem Ergebnis in Schleswig Holstein nicht viel Honig saugen können. Dirk Niebel von der FDP nutzte die Gelegenheit für eine Zweitstimmenwerbung für seine Partei, was der CDU eher schaden dürfte. Die Grünen könnten ein wenig Aufwind in ihrem herbeigeredeten Sinkflug bekommen. Die SPD, die derzeit in NRW (wie zu Ministerpräsident Raus Zeiten) 10 Prozent über den Werten der Bundespartei liegt, muss aufpassen, dass sie nicht gleichfalls unterhalb ihrer Hoffnungen bleibt. Die Wahl in Schleswig-Holstein müsste der NRW-SPD gezeigt haben, dass sie aufpassen muss, nicht mit einer herumdümpelnden Bundes-SPD in einen Topf geworfen zu werden.
Die Piratenpartei dürfte auch in Düsseldorf vom derzeitigen Hype beflügelt werden. Und ob es die Linkspartei schafft – wie von ihren Repräsentanten erhofft – in der verbleibenden Woche ihre sozialen Themen nach vorne zu schieben, ist eine offene Frage. An der Personaldebatte innerhalb der Partei kann die Wahlniederlage Linken jedenfalls nicht alleine liegen. Kubicki hat, gerade weil er eine Personaldebatte um seinen Parteivorsitzenden Rösler inszenierte, die FDP in Schleswig-Holstein gerettet.

P.S:
Skandalös fand ich wie der „Terrorismusexperte“ Elmar Theveßen in der Berliner Runde Steffi Lemke von den Grünen, die Einzige in dem Kreis, die inhaltlich argumentierte, ständig das Wort entzog. Was die CSU als Faktotum immer noch in einer solchen Runde zu suchen hat, kann ohnehin kaum noch jemand verstehen.

Quellen: Die Umfragewerte habe ich aus tagesschau.de und heute.de entnommen.


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