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Titel: Spekulationsbombe mit Nebenwirkungen

Datum: 20. Juni 2012 um 10:21 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation
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Vom Kursanstieg einer Aktie oder eines Börsenindexes gleicht doppelt profitieren – Outperformance-Zertifikate wie DB2GBH machen es möglich. Sie symbolisieren den in der Finanzwelt unvermindert vorherrschenden Drang zur Generierung von Spekulationsgewinnen. Aber es drohen auch hohe Verlustrisiken. Ein Gewinner steht allerdings von vorneherein fest: der Emittent. Von Günter Wierichs.

Zertifikate sind Schuldverschreibungen. Der Anleger überlässt dem Emittenten einen bestimmten Geldbetrag und erwirbt so ein Forderungsrecht. Festgelegte Zinsen gibt es nicht, vielmehr ist die Höhe der am Laufzeitende fälligen Rückzahlung an bestimmte Ereignisse gebunden. Dies kann im Endeffekt zu einem Rückzahlungsbetrag führen, der erheblich über der anfänglich geleisteten Geldsumme liegt. Allerdings ist ein Totalverlust des Kapitals ebenfalls möglich – auch wenn der Emittent zwischenzeitlich nicht Pleite geht. Denn der Emittent spekuliert mit dem ihm zur Verfügung gestellten Geld. Setzt er auf das falsche Pferd, lässt der Anleger Federn.

Das Outperformance-Zertifikat DB2GBH startete am 1. Februar 2011. Als Rückzahlungszeitpunkt wurde der 31. Juli 2012 festgelegt. Basiswert, also Spekulationsobjekt des Zertifikates, ist die Aktie der Allianz. Die stand zum Startzeitpunkt bei 106,25 Euro, dementsprechend konnte der Anleger für diesen Preis ein Zertifikat erwerben. Alternativ hätte er natürlich sein Geld auch direkt in eine Allianz-Aktie stecken und damit Aktionär des Versicherungskonzerns werden können. Durch den Kauf eines Zertifikates wurde er hingegen Gläubiger des Emittenten; in unserem Fall ist dies die Deutsche Bank. Die Allianz ist damit für die Deutsche Bank ein im Kundenauftrag eingesetztes Spekulationsvehikel. Es geht nicht darum, sich an dem Versicherungskonzern mittel- oder langfristig zu beteiligen. Der Anleger möchte saftige Gewinne realisieren. Mit Outperformance-Zertifikaten ist dies möglich, denn die Deutsche Bank winkt mit der Aussicht, dass eine überproportionale Gewinnbeteiligung fällig wird, sofern der Aktienkurs am Ende der Laufzeit über 106,25 Euro liegen sollte. Notiert die Allianz-Aktie am 31. Juli 2012 beispielsweise mit 116,25 Euro, kassiert der Zertifikatsinhaber nicht nur die 10,00 Euro Kursdifferenz gegenüber dem Einstandskurs von 106,25 Euro, sondern insgesamt 18,00 Euro als Gewinn. DB2GBH weist demnach, wie man im Fachjargon sagt, eine Partizipationsrate von 180 % auf. Ist der Aktienkurs am 31. Juli 2012 geringer als 106,25 Euro, so wird der Zertifikatsinhaber einem Aktionär gleichgestellt. In diesem Fall erhält er den aktuellen Gegenwert des Aktienkurses.

Was man gerne verschweigt

Vordergründig betrachtet stellt der Erwerb des Zertifikates aus Sicht des Anlegers im Vergleich zum Kauf einer Allianz-Aktie in jedem Fall die bessere Alternative dar. Denn bei steigendem Aktienkurs schneidet er besser, bei sinkendendem Kurs hingegen nicht schlechter ab als ein Aktionär. Irgendetwas muss also nicht stimmen, denn es gibt im Leben schließlich nichts umsonst – erst recht nicht in der Finanzwelt.

Zunächst einmal trägt der Käufer des Zertifikates das Risiko einer Pleite des Emittenten. Vor etwa vier Jahren mussten viele Anleger die bittere Erfahrung machen, dass eine zuvor hoch gelobte Investmentbank namens Lehman Brothers insolvent wurde. Die Folgen waren jahrelange Rechtsstreitigkeiten über Falschberatungen und mangelhafte Risikoaufklärung. Im Endeffekt gab es für die Anleger neben dem ganzen Ärger bestenfalls noch eine magere Entschädigung. Aber lassen wir das Emittentenrisiko einmal außen vor und stellen uns die Frage, wie die Deutsche Bank es schafft, dem Zertifikatskäufer einen Vorteil gegenüber einem Aktieninvestor zu verschaffen, ohne dass diesem Vorteil eine offenkundige Schlechterstellung entgegen steht. Die Antwort ist ganz einfach: Das Zertifikat hat eine Laufzeit von 18 Monaten; während dieser Zeit zahlt die Allianz zwei Mal eine Dividende an ihre Aktionäre. Da die Deutsche Bank als Emittentin des Zertifikates das von den Käufern ihres Produktes erhaltene Geld für den Kauf von Allianz-Aktien verwendet, kassiert sie die Dividende. In Höhe des Dividendengegenwertes kauft sie Optionen, genauer gesagt: Kaufoptionen auf Allianz zum Basispreis 106,25 Euro. Die Deutsche Bank erwirbt somit das Recht, Allianz-Aktien am Laufzeitende des Zertifikates zum Preis von 106,25 Euro erwerben zu dürfen. Damit hat sie gleich in doppelter Weise auf das „Pferd“ Allianz gesetzt: durch den Erwerb der Aktie sowie durch den Kauf der Kaufoptionen (long call).

Das Einbehalten der Dividende durch den Zertifikatsemittenten wird in den Verkaufsprospekten zwar erwähnt, in Beratungsgespräch häufig jedoch kaum thematisiert. Es spielt allerdings eine außerordentlich wichtige Rolle, weil an dieser Stelle nicht nur die Implikationen von Aktienkursentwicklung und Zertifikatsgewinn, sondern auch die auf Intransparenz und Insiderkenntnissen beruhenden Ertragspotenziale der Finanzbranche deutlich werden. Würde man der Einfachheit halber unterstellen, dass aus den zu erwartenden Dividendenzahlungen genau eine Option je Zertifikat finanziert werden könnte, ergäben sich aus der Sicht des Emittenten am Laufzeitende folgende Szenarien:

  1. Szenario
    Die Aktie der Allianz notiert unter 106,25 Euro, zum Beispiel bei 96,25 Euro: Die Option ist wertlos geworden und verfällt. Der Emittent verkauft die zum Laufzeitbeginn gekaufte Aktie und schreibt dem Zertifikatskäufer 96,25 Euro gut. Verlust für den Anleger: 10 Euro.
  2. Szenario
    Die Aktie der Allianz notiert über 106,25 Euro, zum Beispiel bei 116,25 Euro: Die Option hat einen so genannten inneren Wert von 10,00 Euro. Der Emittent verkauft die zum Laufzeitbeginn gekaufte Aktie und schreibt dem Zertifikatskäufer 116,25 Euro gut. Gleichzeitig erhält dieser den Outperformance-Gewinn aus der Option in Höhe von 10,00 Euro. Gesamtgewinn: 20,00 Euro.

Dieses Ergebnis widerspricht der beim Zertifikat DB2GBH angegebenen Partizipationsrate, denn die liegt nicht, wie im obigen Beispiel bei 200 %, sondern nur bei 180 %. Der Grund für diese Differenz liegt in der komplexen Struktur der Zertifikatekonstruktion: Wie viele Kaufoptionen aus den Dividenden gekauft werden können, hängt neben der Höhe der Dividendenzahlungen von zahlreichen weiteren Faktoren ab, dem aktuellen Börsenkurs und der Schwankungsbreite (Volatilität) des Basiswertes, der Optionslaufzeit – und so weiter. Fest steht jedenfalls, dass die Konditionen der hinter dem Zertifikat stehenden Nebengeschäfte sowie die dabei entstehenden Transaktionskosten nicht deutlich werden. Diese Intransparenz ist ein charakteristisches Merkmal der modernen Finanzwelt. Was sich hinter den Kulissen abspielt, bekommt der Anleger nämlich nicht mit. Und hinter den Kulissen ergeben sich für die Finanzprofis in den Emittentenhäusern unzählige Möglichkeiten, heimlich, still und leise hohe Erträge zu verbuchen.

Hinzu kommt eine weitere ergiebige Ertragsquelle – die Market-Maker-Tätigkeit. Der Emittent stellt während der gesamten Laufzeit des Zertifikates fortlaufend Kauf- und Verkaufskurse. Ein Anleger kann also jederzeit ein- und aussteigen. Was vordergründig für ihn vorteilhaft erscheint, entpuppt sich in Wahrheit als finanzieller Segen für den Emittenten, der auf diese Weise regelmäßig Erträge aus den einkalkulierten Handelsspannen generiert.

Gigantische Spekulationsmaschinerie

DB2GBH ist nur ein winziger Baustein im Gefüge einer gigantischen Spekulationsmaschinerie, die von der Finanzindustrie in den letzten 10 bis 15 Jahren in Gang gesetzt wurde und seitdem – allen Einbrüchen zum Trotz – unaufhaltsam in Betrieb ist. Diese Maschinerie wird durch permanenten Nachschub an so genannten „innovativen“ Produkten sowie durch die Market-Maker-Tätigkeit der Emittenten gut geölt. Hinzu kommt die Tatsache, dass solche Produkte stets einen Derivate-Anteil beinhalten (in unserem Fall eine Kaufoption). Das explosionsartige Wachstum des Derivatemarktes in den letzten Jahren erklärt sich wesentlich aus dem Vorhandensein von Produkten wie DB2GBH.

Diese Produkte mögen im Einzelfall für den Anleger einen hohen Spekulationsgewinn mit sich bringen. Sie sind jedoch aus zwei Gründen höchst schädlich.

Zum einen wird der eigentliche Zweck von Finanzanlagen, die Investition in Unternehmenssubstanz, zugunsten des reinen Spekulationsprinzips außer Kraft gesetzt. Es gab zwar immer schon Anleger, die ihre Transaktionen primär auf eine Realisierung kurzfristiger Kursgewinne ausgerichtet haben; die Finanzindustrie hat jedoch durch ihre Produktpolitik den Spekulationsaspekt in den letzten Jahren systematisch überakzentuiert. So bietet zum Beispiel Goldman Sachs zurzeit 1.800 Spekulationsprodukte auf die Aktie der Allianz an. Der „moderne“ Spekulant hat es folglich nicht mehr nötig, sich mit Aktienkäufen- und -verkäufen herumzuschlagen. Die Branche stellt ihm eine riesige Palette von Spekulationsinstrumenten zur Verfügung.

Auf der anderen Seite entfalten Produkte wie DB2GBH auch gesamtgesellschaftlich eine explosive Wirkung. Das Produkt läuft noch bis zum 31. Juli 2012. Bis dahin sind immer noch Gewinne möglich. Wer am 1. Februar 2011 zum Startpreis von 106,25 Euro eingestiegen ist und bis heute gewartet hat, kann nur enttäuscht sein. Bei einem Wert von 73,00 Euro Ende Mai 2012 ergibt sich ein Verlust von 33,25 Euro für eine Laufzeit von 16 Monaten. Auf ein Jahr und auf das Starkapital bezogen ergibt dies eine Negativrendite von 23 %. Besser steht derjenige da, der Ende September 2011 bei 63,00 Euro zugeschlagen hat. Zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, dass der Allianz aufgrund der Griechenland-Krise heftige Gewinneinbußen drohten. Darunter litt der Aktienkurs und in dessen Gefolge natürlich auch das Zertifikat. Unser Zertifikatskäufer vom September 2011 hätte Ende Mai 2012 einen Gewinn von 10,00 Euro in wesentlich kürzerer Zeit eingefahren. Auch jetzt kann man noch einsteigen und auf Gewinne hoffen. Wer weiß – vielleicht ist sogar das Outperformance-Sahnehäubchen von 180 % noch drin. Fazit: DB2GBH ist – wie jedes Spekulationsinstrument – ein Spaltprodukt. Es teilt die Anlegerwelt in zwei Klassen ein, in winner und in loser. Die winner realisieren hohe Renditen. Wie im Fall des Anlegers, der zu 63,00 Euro einsteigt und acht Monate später zu 73,00 Euro wieder aussteigt, deutlich wird, ist dies sogar möglich, wenn die als Basiswert zugrunde liegende Aktie den Outperformance-Sektor nicht tangiert. Wird dieser Sektor doch noch erreicht, entfaltet die Spekulationsbombe ihre volle Wirkung. Die loser hingegen fahren Negativrenditen ein. Sie haben entweder das Potenzial des Basiswertes (Allianz-Aktie) falsch eingeschätzt oder aber ein schlechtes Timing hinsichtlich des Zeitpunktes von Kauf und Verkauf erwischt. Die Spekulationsbombe ist quasi in ihren Händen explodiert. Die gesamtgesellschaftliche Brisanz von Spekulationsprodukten wie DB2GBH besteht also darin, dass diese Produkte in überaus starkem Maße eine Ungleichheit von Vermögenspositionen befördern. Der Emittent hingegen ist stets auf der sicheren Seite. Er hat das Risiko auf seine Kunden abgewälzt und kann sich auf seine Ertragsquellen konzentrieren.

Die in Kreisen neoliberal geprägter Politiker erhobene Forderung nach einer privatwirtschaftlichen Öffnung des Glücksspielmarktes ist in der Finanzwelt durch die immense Fülle der Spekulationsprodukte und das aggressive Marketing ihrer Emittenten längst Wirklichkeit geworden. Mit substanzorientiertem Investment und gesellschaftlicher Verantwortung hat diese Form der Geldanlage nichts mehr zu tun. Es zählt nur das, was in den Produktinformationen unter dem Punkt „Rückzahlung“ steht: Cash.


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