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Titel: Was hilft ein zweiter Schuldenschnitt für Griechenland?

Datum: 26. November 2012 um 9:16 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Schulden - Sparen
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Im ARD Presseclub am Sonntag waren sich von der geschätzten Wirtschaftsredakteurin der „taz“, Ulrike Herrmann, über die wirtschaftsnahe freie Journalistin Ursula Weidenfeld bis hin zum „neoliberalen“ Ressortleiter Wirtschaft bei der „Süddeutschen Zeitung“, Marc Beise, alle einig, dass Griechenland einen zweiten Schuldenschnitt brauche. Auch der neueste Spiegel hält einen weiteren Schuldenschnitt für „unausweichlich“. Die IWF-Chefin sieht keine andere Lösung für die Gesundung Griechenlands, als dass die Deutschen eingestehen müssten, dass die Euro-Rettung „tatsächlich viel Geld kostet“ (laut Spiegel). Auch der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück verlangt in „Bild am Sonntag“ von Merkel, dass sie dem Bürgern sagen müsse, „dass es zum Ausfall der Griechenland-Kredite kommen kann“. Hilft ein weiterer Schuldenschnitt wirklich weiter? Wolfgang Lieb.

Jens Berger hat vor kurzem in seinem Beitrag „Wenn marktkonformer Zynismus ein Land vor die Hunde gehen lässt“ ausführlich dargelegt, warum die Debatte über einen zweiten Schuldenschnitt für Griechenland nicht zielführend ist. Er hat dort auch einen „theoretischen“ Vorschlag gemacht, wie man die griechische Tragödie bereits morgen stoppen könnte, ohne die europäischen Steuerzahler über Gebühr zu belasten.

Um uns nicht ständig zu wiederholen, verweise ich aus aktuellem Anlass auf diesen Beitrag.

Der Spiegel betreibt mal wieder die übliche „Schlüsselloch-Berichterstattung“ und will beim Leser den Eindruck erwecken, als sei er bei der letzten Sitzung der Euro-Gruppe mit am Tisch gesessen und bringt jede Menge angeblicher Zitate der Beteiligten in seinem Artikel unter.

Wie schon von Jens Berger in seinem erwähnten Beitrag aufgeführt, bietet der Spiegel eine Grafik der Gläubiger der griechischen Staatsschulden: Zwei Drittel der Gesamtforderungen (194 von 303 Milliarden Euro) an den griechischen Staat werden vom öffentlichen Sektor gehalten – 53 Milliarden durch bilaterale Kredite der Eurozonenmitglieder, 22 Milliarden durch den IWF, 74 Milliarden durch die EFSF und rund 45 Milliarden durch die EZB.

Dass die Kredite des IWF – ohne eine 180°-Wende – wohl gar nicht Gegenstand eines Schuldenschnitts sein könnten und der EZB eine Finanzierung von Staatsschulden nach derzeitigem Statut eine Finanzierung des griechischen Staates verboten wäre, wird in dem Spiegel-Artikel gar nicht erst problematisiert. Genauso wenig wird darüber nachgedacht, was ein Schuldenschnitt von 50% bei den bilateralen staatlichen und den EFSF-Krediten tatsächlich an Entlastung für Griechenland bringen und ob damit das Schuldenproblem gelöst werden könnte.

Schon gar nicht wird darauf eingegangen, welche Nebenwirkungen ein zweiter Schuldenschnitt auf andere Euro-Länder haben könnte, worauf Jens Berger gleichfalls hingewiesen hat.

Statt selber einmal nachzurechnen, stützt sich der Spiegel auf nicht weiter belegte Meinungen aus dem EZB- und IWF-Umfeld, die behaupten, dass bei einem Verzicht der Geberländer auf die Hälfte „ihrer Forderungen“ der Schuldenstand Griechenlands bis 2020 von 144 Prozent (?) (gemessen am BIP) auf 70 Prozent drücken ließe.
Da hat Jens Berger in seinem Beitrag schon genauer hingeschaut.

(Einen Teilaspekt des Artikels in der Printausgabe des Spiegels finden Sie auch auf Spiegel Online)

Anmerkung von Jens Berger: Asmussen, Wieser und Tompson wollen – lt. SPIEGEL – die Schuldenquote durch einen Schuldenschnitt bis 2020 von 144 auf 70 Prozent drücken. Das ist eine interessante Zahl, da sie nur dann zu erreichen ist, wenn EFSF und die Euroländer auf 100%(!!!) ihrer Forderungen verzichten – dies wären nach momentanen Stand 127 Mrd. Euro, also 65% des BIPs von 2012. Selbst dann wäre die Schuldenquote noch nicht um 74 Prozentpunkte gesenkt.
Mir wäre es aber vollkommen neu, dass EZB und/oder IWF am Schuldenschnitt teilnehmen wollen. Blieben die Privaten, womit die nächste Rettungsrunde für die griechischen Banken bevorstünde. Aber nicht nur das. Asmussen und Co. sagen ja explizit, dass diese Ziele erreicht würden, wenn die “Geberländer” (interessante Formulierung) auf die Hälfte ihrer Forderungen verzichten würden – das wären dann aber nur 32,75% des BIP. Hinzu kommt, dass hier mit komplett irrealen Zahlen operiert wird. Selbst wenn Griechenland seine Schulden in absoluten Zahlen bis 2020 stabil halten würde (was illusorisch ist), müsste die griechische Volkswirtschaft ab 2015 um jährlich mehr 2,5% wachsen, um (ohne Schuldenschnitt) auf eine Schuldenquote von 144% zu kommen. Bei dieser Rechnung stimmt so ziemlich gar nichts. Entweder der SPIEGEL hat nicht richtig zugehört, oder Asmussen und Co. sind noch inkompetenter als befürchtet … oder beides.


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