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Titel: The same procedure as every year – Europa lügt sich selbst in die Tasche

Datum: 27. November 2012 um 16:13 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Schulden - Sparen
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Frei nach Sepp Herberger müsste das Fazit des heute Nacht beschlossenen Griechenland-Hilfspaktes „Nach dem Rettungsgipfel ist vor dem Rettungsgipfel“ lauten. Auch wenn sich die Troika bereits ein kleines Stück in die richtige Richtung bewegte, hat sich letzten Endes einmal mehr die deutsche Regierung durchgesetzt. Die ausweglose Situation Griechenlands hat sich damit um kein Jota geändert. Nach wie vor basiert das Entschuldungskonzept auf komplett realitätsfernen Annahmen; nach wie vor sind die Ziele viel zu ehrgeizig; nach wie vor lässt man Griechen keine Luft zum Atmen. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass wir bereits in wenigen Monaten den nächsten Gipfel erleben werden und die griechischen Probleme bis dahin nicht kleiner, sondern größer werden. Von Jens Berger.

Wolfgang Schäuble hat sich durchgesetzt. Der zweite griechische Schuldenschnitt ist erst einmal vom Tisch. Madame Lagarde hat einmal mehr gezeigt, dass Hunde, die laut bellen, letzten Endes doch nicht beißen. Im Paralleluniversum der Troika wird Griechenland nun im Jahre 2020 anstatt der angepeilten Staatschuldenquote von 120% eine leicht höhere Quote von 124% vorweisen. Dafür hat man den IWF jedoch mit einer zusätzlichen Schuldenprognose aus Wolkenkuckucksheim zufriedengestellt – bereits 2022 soll die Quote auf „deutlich unter“ 110% fallen. Dafür müsste Griechenland einen Haushaltsüberschuss in Höhe von mehr als 5% p.a. erzielen. Seit Einführung des Euros hat es nur einen einzigen Fall gegeben, in dem ein Land ein solches Ergebnis erzielen konnte – Finnland, im Jahre 2007. Selbst Deutschland hat seit Einführung des Euros lediglich ein einziges Mal überhaupt einen Haushaltsüberschuss erzielt – 0,2% im Jahre 2007. Was selbst in Zeiten des Aufschwungs und bei vergleichsweise niedrigen Staatsschulden (Finnland hatte 2007 eine Staatsschuldenquote von 32%) eine absolute Ausnahme ist, soll nun also für das krisengeplagte Griechenland zur Regel werden? Wer daran glaubt, glaubt auch an die unbefleckte Empfängnis. Ob Wolfgang Schäuble als Protestant an die unbefleckte Empfängnis glaubt, ist nicht bekannt. Dass er als studierter Ökonom an die Budgetvorgaben der Troika glaubt, ist jedoch wenig wahrscheinlich.

Die Staatsschuldenquote setzt sich immer aus zwei Größen zusammen – der nominalen Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte und der Wirtschaftskraft des Landes, also dem Bruttoinlandsprodukt (BIP). Wenn die Gesamtverschuldung konstant bleibt und das BIP steigt, sinkt die Staatschuldenquote. Sinkt bei konstanter Verschuldung jedoch das BIP, steigt die Staatschuldenquote. Wenn Griechenland die Zielvorgaben der Troika erfüllen soll, ist es zwingend notwendig, dass die griechische Wirtschaft einen wahren Boom erlebt. Nimmt man die sehr optimistischen Konjunkturprognosen der Troika bis zum Jahr 2015 als Berechnungsbasis, müsste Griechenland bei einer konstanten Staatsverschuldung ab dem Jahr 2015 bereits ein jährliches Wirtschaftswachstum von fast 5,0% verzeichnen, um die Zielvorgaben der Troika einhalten zu können. Im letzten Jahr ist die griechische Wirtschaft jedoch um 7,1% geschrumpft. Nach den (zweck)optimistischen Prognosen der Troika wird die Wirtschaft Griechenlands dieses Jahr abermals um ganze 6,0% schrumpfen. Durch den freien Fall der griechischen Wirtschaft explodiert jedoch ganz automatisch auch die Staatsschuldenquote. Verzeichnete das Land nach dem ersten Schuldenschnitt Anfang dieses Jahres noch eine Staatsschuldenquote von 144%, wird dieser Wert im nächsten Jahr bereits auf mindestens 162% steigen. Mit jedem Jahr, in dem die griechische Wirtschaft schrumpft, steigt die Quote abermals.

Die Berechnungen und Zielvorgaben der Troika sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Selbst bei einem ansonsten positiven wirtschaftlichen Umfeld sind Wachstumsraten jenseits der 5%-Marke für das krisengeschüttelte Griechenland reine Wunschträume. Im realen wirtschaftlichen Umfeld, in dem die Arbeitslosigkeit Monat für Monat historische Höchststände markiert, die Binnennachfrage durch Arbeitslosigkeit, Lohn- und Rentenkürzungen sowie die Steuererhöhungen implodiert, der Bankensektor kaum mehr Kredite vergeben kann und die Auslandsnachfrage überdies wegbricht, sind solche Prognosen schlichtweg lächerlich.

Jeder Kleinunternehmer, der seinen „Business-Plan“ auf Basis derart skurriler Annahmen erstellt, würde von seinem Bankberater im hohen Bogen hinausgeworfen. Die selbsternannten Euroretter basteln auf Basis solcher Phantasiezahlen milliardenschwere „Rettungspakete“, für die sie sich mit selbstgerechten Gesichtern feiern lassen. Da ist es schon fast überflüssig zu erwähnen, dass auch diese „Rettungspakete“ wieder einmal ohne große Diskussion im Eiltempo durch die nationalen Parlamente gepeitscht werden. Dass auch ja keiner auf die Idee kommt, hier würde mit falschen Karten gespielt.

Und wenn das neue „Rettungspaket“ im März 2013 ausläuft, wird sich die Troika wieder einmal wundern, warum Griechenland die Vorgaben nicht eingehalten hat. Wieder einmal wird man den Griechen vorhalten, nicht richtig haushalten zu können. Wieder einmal werden die kritischen Stimmen nicht gehört werden. Wieder einmal wird man laut über einen zweiten Schuldenschnitt nachdenken und wieder einmal wird man Athen neue, noch unrealistischere, Vorgaben machen, die ohnehin nicht eingehalten werden können. The same procedure as last year, Miss Angela? The same procedure as every year, Wolfgang.


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