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Titel: Die Hängepartie um den griechischen Rundfunk ERT – die Regierungskrise schmort weiter (Teil 2)

Datum: 19. Juni 2013 um 9:01 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Griechenland, Medien und Medienanalyse
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Mit seinem Medienputsch hat es Regierungschef Samaras geschafft, nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung gegen sich aufzubringen.

Ganz Griechenland wartete am Montagabend auf zwei Nachrichten, die für die Fortsetzung des ERT-Konflikts und für das Schicksal der Regierung Samaras entscheidend sein sollten. Was am Ende des Tages herauskam, war nur ein weiterer Aufschub bzw. eine Verlängerung der politischen Krise, die ND-Chef Samaras letzte Woche mit seiner „Notverordnung“ zur Liquidierung der staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt ausgelöst hat. Die erste Nachricht kam aus dem Staatsrat (Symvoulio tis Epikratias), dem Obersten Verwaltungsgericht. Die zweite Nachricht kam aus dem Amtssitz des Ministerpräsidenten Samaras. Dort tagte der Dreiergipfel der Parteivorsitzenden von ND, Pasok und Dimar mit dem Ziel, die entstandene Koalitionskrise beizulegen. Auch in Anbetracht der Staatsrats-Entscheidung gingen Samaras, Venizelos und Kouvelis dann aber ohne Ergebnis auseinander und verabredeten einen neuen Gipfel am heutigen Mittwoch. Von Niels Kadritzke.

Die Entscheidung auf der juristischen Ebene war eine vom Präsidenten des Staatsrats, Konstantinos Menoudakos erlassene „Einstweilige Verfügung“, die den vorläufigen Status und die Betriebsweise der ERT bis Ende September bestimmt. Erst dann wird der fünfköpfige Staatsrat „in der Sache“ befinden, ob die Schließung der Anstalt durch eine Notverordnung der Regierung rechtens war.

Die Einstweilige Verfügung, die allein vom Präsidenten Menoudakos formuliert wurde, kam auf Grund eines Eilantrags der Gewerkschaft der ERT-Angestellten (POSPERT) zustande. Inhaltlich stellt sie eine Zwitter-Entscheidung dar. Sie setzt einerseits die Notverordnung außer Kraft, soweit diese die technische Abschaltung der ERT-Programme (auf den Bildschirmen wie im Internet) verfügt hatte. Damit müssen die einzelnen Stationen ab sofort wieder auf Sendung gehen. Andererseits entschied Menoudakos, dass für den Weiterbetrieb der Sender die von der Regierung eingesetzte neue Leitung (Finanzminister Stournaras und Regierungssprecher Kedikoglou) zuständig sei. Damit wurde die Liquidierung der alten Anstalt ebenso anerkannt wie das Recht der Regierung, per Mediengesetz eine neue Anstalt zu gründen.

Die Reaktion der ERT-Belegschaft fiel entsprechend gemischt aus. Nach dem ersten Jubel über die partielle Aufhebung der Notverordnung machte sich Ernüchterung breit, als man erkannte, dass die Regierung für die Gestaltung des wieder aufzunehmenden Programmes zuständig sein soll. Allerdings ist kaum vorstellbar, wie die Regierung die ERT-Sendungen ohne Mitwirkung des „alten“ Personals fortsetzen will. Dieses müsste dann allerdings wieder eingestellt werden, denn nach der Notverordnung vom 11. Juni ist die ganze ERT-Belegschaft bereits entlassen. Die Frage ist also, wie die ERT-Mitarbeiter reagieren, falls die neuen „Staatskommissare“ nur eine technische und journalistische Kernbesetzung übernehmen oder gar stattdessen Fachpersonal von den privaten TV-Sendern anwerben. In dem Fall ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Gewerkschaften einen Streik ausrufen und ihrerseits die Bildschirme „schwärzen“.

Ein konfliktfreier Weiterbetrieb bis zur Entscheidung des Staatsrats Ende September scheint jedenfalls nur gewährleistet, wenn die ERT-Sender sofort und mit dem alten Personal weitermachen dürfen. Das ist offenbar auch die Vorstellung der beiden kleinen Koalitionsparteien, die den Inhalt der Einstweiligen Verfügung vom Montag deutlich anders interpretieren als der große Koalitionspartner ND und Samaras. Pasok-Chef Venizelos betonte, die ERT müsse ab sofort wieder mit allen Einzelsendern (Fernsehen und Radio) funktionieren. Dieselbe Position vertritt Dimar-Chef Kouvelis, der die sofortige Wiederaufnahme der ERT-Sendungen forderte. Dagegen betonten Vertreter der ND, die Entscheidung von Menoudakos habe die Instiution ERT endgültig und rechtswirksam „dicht gemacht“. Und Finanzminister Stournaras erklärte, bis zur Gründung einer neuen Anstalt könne man lediglich „vorläufige“ Programme ausstrahlen, was auf sofortige Personalkürzungen hindeutet. Wenn diese Differenzen beim nächsten Koalitionsgipfel am Mittwoch nicht überbrückt werden können, schmort die Regierungskrise weiter und die Möglichkeit von Neuwahlen steht weiter im Raum.

Die öffentliche Meinung Griechenlands ist gegen die ERT-Schließung

Neuwahlen werden übrigens von einer deutlichen Mehrheit (von knapp 60 Prozent) abgelehnt. Das geht aus den neuesten Meinungsumfragen hervor, die zugleich ein interessantes Meinungsbild in Sachen ERT ergeben. Demnach werden die putschartige Schließung der staatlichen Anstalt und die Abschaltung ihrer Fernseh- und Rundfunk-Programme von zwei Dritteln der griechischen Bevölkerung im wahlfähigen Alter abgelehnt. Nach der Umfrage von Kapa Research (veröffentlicht in To Vima vom 15. Juni) lehnen 64 Prozent der Befragten das Vorgehen der Regierung ab, zwei weitere Umfragen ermittelten eine Ablehnungsquote von 68 Prozent (VPRC) bzw. 65 Prozent (Metron Analysis).

Was besagen diese Zahlen? Mit seinem Medienputsch hat es Samaras offenbar geschafft, eine 2/3- Mehrheit der Bevölkerung gegen sich aufzubringen, obwohl eine noch größere Mehrheit eine tiefgreifende Reform der ERT durchaus befürwortet – vorausgesetzt, damit wird eine öffentlich-rechtliche, zugleich aber regierungsunabhängige Rundfunk- und Fernsehanstalt geschaffen (siehe dazu den ersten Teil dieses Berichts vom 14. Juni).

Damit haben sich Samaras und seine Nea Dimokratia innerhalb des Spektrums der demokratischen Parteien und selbst innerhalb der Regierungskoalition isoliert. Schlimmer noch: politisch gesehen findet sich die ND in übler Gesellschaft wieder, denn die einzige andere Partei, die für die Schließung der ERT eintritt, ist die rechtsextreme Chrysi Avghi (über das Profil und die Rekrutierungserfolge dieser Partei berichtet Yiannis Papadopoulos in der jüngsten Ausgabe von Le Monde diplomatique). Die griechischen Neonazis bejubeln den ERT-Putsch natürlich aus ganz eigenen Gründen, weil sie sich vom staatlichen Fernsehen bislang schlecht behandelt und diskriminiert fühlen (während sie sich vor einigen Wochen im Privatsender Skai TV ausführlich und ohne kritischen Widersacher darstellen konnte).

Der Regierungschef Samaras steht international in der Kritik

Aber nicht nur in Griechenland hat sich Samaras mit seiner ERT-Strategie isoliert. Auch die internationale Kritik fällt von Tag zu Tag schärfer aus. Mehrere Fraktionen des Europäischen Parlaments (insb. Sozialisten/Demokraten, Grüne und Liberale) haben die Athener Regierung ebenso verurteilt wie EP- Präsident Martin Schulz, der Generalsekretär des Europarats und die International Press Association (API). Selbst Nikos Anastassiadis, der konservative Präsident der Republik Zypern, hat das Vorgehen der Athener Regierung als „bedauerlich und nicht nachahmenswert“ bezeichnet und gelobt, den (von vielen kritisierten) zypriotischen Staatssender RYK auf keinen Fall so zu behandeln wie Samaras die ERT.

Am bedeutsamsten ist allerdings, dass die Dachorganisation Europäischer Rundfunkanstalten (EBU) ihre Kritik zugespitzt und darüber hinaus ihre praktische Unterstützung noch verstärkt hat, indem sie den Livestream-Empfang des TV-Senders NET über Satelliten ermöglicht (zu empfangen hier). Wie es aussieht, werden die NET-Sendungen nach der „Schließung“ von mehr Zuschauern verfolgt als davor, und die meisten ERT-Journalisten sind populärer als sie es je zuvor waren. Zudem sind ihre Programme interessanter und kritischer geworden, weil viele von ihnen ihre politische Beißhemmung überwunden haben und ihre vormals häufig verheimlichte Meinung nunmehr offen äußern.

Ein Eigentor von Samaras?

Auch der Regierung und vor allem der ND beginnt zu dämmern, dass ihr womöglich das „Eigentor des Jahres“ unterlaufen ist – es sei denn, Antonis Samaras verfolgt die heimliche Strategie, baldige Neuwahlen herbeizuführen. Zwar erklärte Samaras am Sonntag, er arbeite keinesfalls auf Neuwahlen hin. Zweifel an diesem Bekenntnis weckt allerdings der Text, den der ND-Chef in der Sonntags-Ausgabe der Kathimerini veröffentlicht hat. Darin verteidigt er seine Entscheidung, die ERT für bankrott zu erklären und zu schließen, ausgesprochen offensiv und selbstbewusst. Flankiert von markigen Sprüchen des Typus „man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerbrechen“ erklärt er ganz offen, er wolle mit der Zerschlagung von ERT ein Exempel statuieren: „Das Problem ist nicht die ERT… Das Problem ist, dass wir die Reformen nur vorantreiben können, wenn das griechische Volk sie unterstützt. Und damit das Volk sie unterstützt, müssen wir ihm beweisen, dass wir den Mut haben, uns mit dem skandalösesten Bollwerk der Intransparenz und der Verschwendung anzulegen“.

Lässt mal einmal die brachiale Metaphorik beiseite (die für griechische Politiker und ihre Redenschreiber durchaus typisch ist), springt der entscheidende Punkt sofort ins Auge: Offensichtlich hat sich Samaras das falsche Objekt ausgesucht, um sein erklärtes Ziel zu erreichen. Denn die Unterstützung der Gesellschaft konnte er gerade im Fall ERT nicht gewinnen, wie die eingangs zitierten Umfragewerte zeigen. Und das aus mehreren Gründen (die ich am Ende des ersten Teils dieser Analyse dargelegt habe).

Der einfachste und erfreulichste Grund besteht schlicht darin, dass das von Samaras beschworene „ griechische Volk“ allergisch auf diktatorische Methoden reagiert; das heißt in diesem Fall: eine Maßnahme mittels Notverordnung, die eigentlich nur für einen extremen Ausnahmefall vorgesehen ist, entschieden ablehnt.

Der Kathimerini-Text von Samaras ist deshalb nicht nur demagogisch, sondern auch politisch dumm. Denn die Begründung, dass er mit einer symbolischen Maßnahme die Volksmeinung hinter sich bringen will, ist keine überzeugende juristische Begründung für eine als unabweisbar und eilbedürftig deklarierte Notverordnung. Schließlich ist die Regierung Samaras schon ein Jahr im Amt und hatte reichlich Zeit, das Volk von ihrem Willen und ihren Fähigkeiten zu überzeugen. Wenn ihr das nicht gelungen ist, liegt dies nicht zuletzt daran, dass sie bis zum Zeitpunkt der ERT-Liquidierung wenig Entschlossenheit im Kampf „gegen Intransparenz und Verschwendung“ demonstriert hat. Wenn das oberste Verwaltungsgericht im September die Frage prüft, ob die Notverordnung vom 11. Juni verfassungsgemäß ist, könnten solche Gesichtspunkte sehr wohl eine Rolle spielen.

Für die juristische Bewertung ist ein weiterer Punkt wichtig: Die Nacht-und-Nebel-Aktion der Regierung Samaras verstößt offenbar auch gegen zwei EU-Direktiven (von 1998 und 2002), die ein Konsultationsverfahren bei massenhaften Entlassungen vorschreiben und in Griechenland seit 2006 Gesetzeskraft haben. Nach einem Bericht der Zeitung New Europe vom 14. Juni gehen juristische Experten der EU-Kommission davon aus, dass die ERT-Schließung schon aus diesem Grund rechtswidrig ist.

Was die ökonomische bzw. fiskalische Logik dieser Maßnahme betrifft, ist auch zu bedenken, dass die ERT nicht die einzige und schon gar nicht die wichtigste Institution ist, die man (in den Worten von Samaras) durch eine Strukturreform von einer „privilegierten“ Klientel befreien könnte. Es gibt Dutzende Behörden und staatliche Ämter, die man zusammenlegen und effektiver machen könnte/müsste und von denen etliche keinerlei Funktion mehr erfüllen. Was man von der ERT – bei allen ihren Schwächen – nicht behaupten kann.

Der Rundfunk kein Sparobjekt – Reformen sind nicht vorangekommen

Zudem ist die staatliche Rundfunk- und Fernsehanstalt kein besonders einleuchtendes Sparobjekt. Denn sie wird nicht etwa aus dem öffentlichen Etat finanziert, sondern aus einer Gebühr von 4 Euro 30 pro Monat, die jeder Privathaushalt über die Stromrechnung entrichtet, sowie aus Werbeeinnahmen. Die ERT-Rationalisierung wäre also überhaupt kein Beitrag zur Etatsanierung. Im Gegenteil: Der Staatssender macht seit 2010 kein Defizit mehr, sondern Überschüsse. Der Sender liegt dem Fiskus keineswegs auf der Tasche, schreibt Ferryi Batzoglu in einem lesenswerten Bericht für die ZEIT. Dagegen kommt die Entlassung des ERT-Personals den Staat richtig teuer, weil die geschassten Mitarbeiter (nach Vorstellung der Regierung sollen es am Ende etwa 1500 sein) ein Anrecht auf stattliche Abfindungen haben.

Zum Thema einer grundlegenden Reform des Bereichs „öffentliche Beschäftigung“ (also öffentlicher Dienst und staatliche bzw. halbstaatliche Unternehmen), deren Notwendigkeit auch die oppositionelle Syriza nicht bestreitet, muss noch einmal betont werden: Die Athener Regierung hat es im fünften Jahr der Haushaltskrise noch nicht einmal geschafft, allgemeine und transparente Regeln und Mechanismen für die Evaluierung des Personals im öffentlichen Sektor festzulegen, das heißt die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass die seit 2010 angekündigten „Reformen“ nicht nur zu Einsparungen, sondern auch zu einer qualitativen Verbesserung des Personaleinsatzes führen.

Ich werde auf dieses Thema demnächst ausführlicher zurückkommen. Hier sei nur noch einmal zitiert, was Nikos Konstandaras bereits im Oktober 2011 in der Zeitung Kathimerini vorgebracht hat. Er schrieb damals über die Liste der Zusagen, die von den Athener Regierungen wiederholt gemacht und nicht eingehalten worden waren: „… der Umbau der öffentlichen Verwaltung, die Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen, neue qualitative Bewertungskriterien, das Prinzip individueller Verantwortlichkeit – nichts wurde angepackt.“ Schon damals lautete das Fazit: „Die Opfer der letzten beiden Jahre haben nichts gebracht.“ Inzwischen sind weitere 20 Monate ins Land gegangen, ohne dass die proklamierten Reformen vorangekommen wären.

Statt einen systematischen Kampf gegen den Klientelismus zu führen, statt eine umfassende, vor allem qualitative Umstrukturierung des öffentlichen Dienstes anzupacken, die zugleich eine Erhöhung und Verstetigung der Steuereinnahmen gewährleisten würde, zieht Samaras es vor, seinen angeblichen „Mut“ an der ERT zu kühlen. Und das mit ebenso undemokratischen wie unrechtmäßigen Methoden – und mit einem höchst paradoxen Resultat: Die Rating-Agentur Moody’s wies am Montag warnend darauf hin, dass der Konflikt um die ERT die Regierungskoalition gefährde und das „Risiko von Neuwahlen“ erhöhe. Die von Samaras zu verantwortende Krise ist für Moody’s also „eine Gefahr für die erfolgreiche Umsetzung des Strukturanpassungsprogramms und für die wirtschaftliche Erholung des Landes“.

Damit hat es der ND-Chef geschafft, den selbst formulierten Anspruch in Frage zu stellen, dass er eine erfolgreiche Krisenpolitik betrieben und Griechenland auf dem Weg zu der ökonomischen Konsolidierung gebracht habe. In dem Kathimerini-Artikel nimmt Samaras für sich in Anspruch, das Land stabilisiert, neue Investoren gewonnen und „die Glaubwürdigkeit Griechenlands im Ausland“ wiederhergestellt zu haben. Der Realitätsgehalt dieser Behauptungen steht hier nicht zur Debatte (ich werde ihn in meinem nächsten Beitrag überprüfen). Doch wenn es diese pompös herausgestellten „Errungenschaften“ wirklich gäbe, wären sie hochgradig gefährdet, wenn es in ausgerechnet in diesem Sommer – also inmitten der Touristensaison – zu Neuwahlen kommen würde. Darauf hat sehr deutlich EU-Kommissar Olli Rehn mit seiner Mahnung hingewiesen, eine neue Krise sei „das Letzte, was Griechenland jetzt brauchen kann“.

Wurde die ERT-Abwicklung in Brüssel oder Berlin beschlossen?

Ganz zweifellos stellen griechische Neuwahlen für die Partner der EU und der Eurozone ein Horrorszenario dar. Damit sind wir bei der wichtigen und in Griechenland heftig diskutierten Frage, ob die ERT-Schließung der Regierung Samaras durch die Troika bzw. die EU-Kommission aufgezwungen wurde. Für diese These spricht auf den ersten Blick die Tatsache, dass ein so intelligenter Taktiker wie Samaras von allein nicht auf eine derart „dumme“ Idee gekommen wäre. Und dass die Troika nicht zum ersten Mal der Athener Regierung eine Entscheidung oktroyiert hätte, die sich als kontraproduktiv erweisen sollte.

Zunächst ist auszuschließen, dass der ERT-Plan auf der Ebene der Troika ausgeheckt wurde. Innerhalb der Troika ist das Klima zwischen der EU und dem IWF inzwischen so angespannt, dass eine Abstimmung in Detailfragen gar nicht mehr stattfindet. Der Druck auf Athen geht derzeit vor allem von der EU aus, während im IWF eher über einen zweiten Schuldenschnitt und gewisse Milderungen des griechischen Sparprogramms nachgedacht wird. Der logische Verdächtige ist in diesem Fall also die EU-Kommission bzw. die Regierung in Berlin, die in drei Monaten wieder gewählt werden will.

Die Äußerungen aus Brüssel sind widersprüchlich und erhellend zugleich. Offiziell hieß es von Anfang an:

„Die Kommission hat die Schließung von ERT nicht verlangt“, allerdings bestreite man auch nicht „die Befugnis der griechischen Regierung, den öffentlichen Sektor zu regeln”.

(zitiert nach Süddeutsche Zeitung vom 12. Juni). Die Botschaft lautet, dass die Entscheidung darüber, wie der geforderte und von Athen zugesagte Personalabbau im öffentlichen Sektor (2000 Stellen bis Ende Juni, 4000 Stellen bis Ende 2013) vollzogen wird, allein bei der griechischen Regierung liege. Kommissionssprecher Olivier Bailly erklärte dazu explizit, das öffentliche Rundfunk- und Fernsehwesen sei eine Angelegenheit der EU-Mitgliedsstaaten und kein Gemeinschaftsthema.

Ähnliche Unschulds-Bekenntnisse kamen aus Berlin. Aber das besagt natürlich wenig. Denn bei allen Äußerungen aus Brüssel und Berlin fällt eines ins Auge: Man findet darin kein einziges Wort der Kritik an der konkreten Entscheidung der Samaras-Regierung im Hinblick auf die Gefährdung der Pressefreiheit und des Medien-Pluralismus. Zwar rang sich Bailly ein allgemeines Bekenntnis zur „Rolle der öffentlichen Rundfunkanstalten“ und deren Beitrag zu „Medienvielfalt, Medienfreiheit und Medienqualität“ ab. Doch all die schweren Bedenken, die das Europäische Parlament, die Journalisten-Verbände und die NGOs artikulieren, werden auf der exekutiven Ebene der EU und der EU-Staaten offenbar nicht gesehen geschweige denn geteilt. Hier verweist man lediglich wortreich auf die Notwendigkeit des Sparens, gerade im öffentlichen Sektor, und gratuliert der Regierung Samaras zu ihren „Erfolgen“, ohne das Vorgehen gegen die ERT als undemokratisch und gefährlich zu kritisieren. Genau so hielt es Angela Merkel, als sie am Sonntag ihren Kollegen Samaras anrief und ihn darin bestärkte, “alle Vereinbarungen mit der Troika, auch die bezüglich eines reformierten öffentlichen Dienstes, umzusetzen“.

Angesichts dessen ist es keine Überraschung, dass der Appell von EBU-Präsident Jean-Paul Philippot an Kommissionspräsident Barroso, sich klar gegen die Liquidierung der ERT zu stellen, bislang ohne Antwort blieb. Das Schweigen zum Vorgehen der Regierung Samaras ist zwar kein Beweis für die konkrete Forderung, die staatlichen Sender zu schließen. Aber mit Sicherheit haben die EU-Kommission und die EU-Regierungen auf die ERT-Entscheidung verständnisvoll bis wohlwollend reagiert. Der Skandal bei den Reaktionen in Brüssel und Berlin besteht also darin, dass die Bedrohung der Medienfreiheit und die rechtsstaatlichen Defizite (Notverordnung statt gesetzlicher Regelung) kommentarlos in Kauf genommen werden, um das geforderte Sparprogramm nicht zu gefährden.

Die Prioritäten sind eindeutig: Die Ökonomie geht vor Rechtsstaat und Demokratie

Was die Haltung der Regierung Samaras betrifft, so muss man sie als vorauseilende Erfüllung der Prioritäten verstehen, die ihr die Aufsichtsräte in Brüssel und Berlin klar genug vorgeben. In der Athener Presse wurde ein Regierungsvertreter mit der Aussage zitiert, man habe beweisen müssen, dass das Land bereit sei, wie zusagt 2000 Angestellte des öffentlichen Sektors zu entlassen. Nach dieser Quelle sah die Regierung in der Schließung von ERT „die einzige mögliche Option“, um die anstehende Hilfszahlung der internationalen Geldgeber in Höhe von 3,3 Milliarden Euro zu gewährleisten (Kathimerini, 16. Juni). Als weiteres Motiv vermuten Athener Beobachter, dass die Regierung ihre Partner dazu bringen will, eine Senkung des Mehrwertsteuer-Satzes für das Gaststätten-Gewerbe von 23 auf 13 Prozent zu genehmigen. Diese Senkung soll möglichst noch vor der touristischen Hauptsaison wirksam werden, doch die Troika hat sie bislang noch nicht bewilligt.

Keine Rolle spielte beim Beschluss der Athener Regierung vom 11. Juni die Tatsache, dass einen Tag zuvor die erwartete Privatisierung des griechischen Erdgas-Unternehmens EPAP gescheitert war. Zur großen Enttäuschung von Samaras und Stournaras war der einzige Bieter, die russische Gazprom, im letzten Moment abgesprungen. In manchen Medienberichten wurde dieser Rückschlag für das griechische Privatisierungsprogramm als Auslöser für den Schlag gegen die ERT vermutet (so etwa bei SPIEGEL-online vom 13. Juni). Aber diese Theorie ist falsch, denn die ERT-Entscheidung war bereits zwei Tage vorher im engsten Zirkel um Samaras gefallen.

Privatsender liegen auf der Lauer

In Athen wird allerdings über ein weiteres Motiv spekuliert, das die Liquidierung der ERT erklären könnte. Die Entscheidung von Samaras würde vor allem die privaten Fernsehsender erfreuen, hieß es in einem Kommentar der Kathimerini vom 12. Juni. Zitiert wurde dabei der Regierungssprecher Kedikoglou. Der Verkünder der ERT-Hinrichtung hatte noch vor zwei Jahren bei einer Debatte um die Zukunft der ERT erklärt: „Vom Einschrumpfen und der Abwertung der ERT profitieren private und ausländische Interessen, deshalb werden wir das nicht zulassen.“ In dem Kommentar wurde deutlich ausgesprochen, wer diese Interessenten sind: „Wenn der Wert des Produkts (also der ERT) vermindert wird, dann zur großen Freude der Privatsender, die schon auf der Lauer liegen, um ihr Informationsmonopol zu komplettieren.“

Dazu muss man wissen, dass die großen Privatsender in Griechenland hoch verschuldet sind und ihren Eigentümern – häufig Printmedien, aber auch Unternehmen in medienfernen Branchen – seit einigen Jahren eine echte Last geworden sind. Da liegt zum Beispiel die Frage durchaus nahe, ob die von Samaras angekündigte neue Anstalt namens „NERIT“ ihre Lizenz zur Übertragung der Fußball-WM 2014 behalten wird. Jedenfalls kann man sich ohne weiteres vorstellen, dass die Regierung den neuen, „billigeren“ öffentlichen Sender anweist, die Gelder für die teure WM-Lizenz einzusparen, auf dass die Rechte für einen der Privatsender frei werden.

In dem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass sich der digitale TV-Sender der (inzwischen privatisierten) Telefongesellschaft OTE verstärkt um Sportrechte bemüht, um sein Internet-Angebot (IPTV) namens conn-X TV auszubauen. OTE und den etablierten Privatsendern würde sicher nicht stören, wenn die NERIT als Konkurrent um lukrative Sportübertragungsrechte ausfällt.

Gefährliches Imponiergehabe gegenüber der EU

Über solche Implikationen der ERT-Abwicklung wird sicher bald mehr zu erfahren sein. Allerdings darf dies nicht zu dem Schluss verführen, dass die Entscheidung der Regierung Samaras in erster Linie von den Interessen der privaten TV-Sender bestimmt war. Das Hauptmotiv war sicher der Ehrgeiz, mit einem Schlag die Bilanz der Entlassungen im öffentlichen Sektor zu verbessern, um damit den EU-Aufsehern zu imponieren.

Wenn dieser „Erfolg“ allerdings mit einer anhaltenden Regierungskrise oder gar mit Neuwahlen erkauft würde, wäre dies ein sehr riskantes Kalkül. Ob Samaras und die ND bereit sind, dieses Risiko einzugehen, wird sich wahrscheinlich noch an diesem Mittwoch erweisen.


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