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Titel: HSH-Nordbank-Prozess – nur die Spitze des Eisbergs

Datum: 29. Juli 2013 um 13:39 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Finanzkrise
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Erstmals steht der gesamte Vorstand einer Pleitebank vor Gericht. Es geht um Untreue und Bilanzfälschung. Der von den HSH-Nordbank-Managern eingefädelte Omega Deal bescherte der Bank – und schlussendlich dem Steuerzahler – einen Verlust von rund 500 Millionen Euro. Doch dies ist nur die Spitze eines Eisbergs aus riskanten Geschäften, Inkompetenz und fragwürdigen politischen Zielsetzungen. Eigentlich gehören auch die ehemaligen Landesväter Peter Harry Carstensen und Ole von Beust auf die Anklagebank. Wie hoch die HSH-Nordbank-Rechnung für den Steuerzahler am Ende ausfallen wird, ist dabei noch nicht einmal seriös abzuschätzen. Von Jens Berger.

Seit letzter Woche sitzen sechs ehemalige Vorstände der HSH Nordbank auf der Anklagebank des Hamburger Landgerichts. Ihnen wird Untreue und Bilanzfälschung vorgeworfen. Dabei geht es um den sogenannten Omega-Deal, der erst durch die Recherchen von NDR Info öffentlich bekannt wurde. Es wäre jedoch fahrlässig, den HSH-Nordbank-Skandal lediglich auf die Omega-Geschäfte zu reduzieren. Daran, dass es überhaupt erst so weit kommen konnte, trägt die Politik eine gehörige Mitschuld. In einer Mischung aus Privatisierungswahn, provinzpolitischer Einflussnahme und Inkompetenz haben die ehemaligen Landesregierungen Hamburgs und Schleswig-Holsteins die Weichen für die Irrfahrt der HSH Nordbank gestellt. Was ursprünglich frisches Geld in die Kassen dieser beiden Länder spülen sollte, hat den Steuerzahler bereits jetzt mehrere Milliarden Euro gekostet und die Endabrechnung dürfte noch wesentlich höher ausfallen. Wie konnte es so weit kommen?

Wenn Provinzpolitiker Wall Street spielen wollen

Die HSH Nordbank AG ist das Ergebnis einer Fusion der Hamburgischen Landesbank und der Landesbank Schleswig-Holstein, an der neben den beiden Bundesländern auch der lokale Sparkassen- und Giroverband beteiligt ist. Anfangs war die HSH Nordbank eine Landesbank wie viele andere auch – man finanzierte politisch erwünschte lokale Projekte und überwies Jahr für Jahr die Dividende in zweistelliger Millionenhöhe an die beiden beteiligten Bundesländer. Doch dies reichte dem damaligen CDU-Ministerpräsidenten Carstensen und seinem Hamburger Kollegen von Beust nicht. Im damals nicht unüblichen Wahn vom großen Geld wollte man aus der HSH Nordbank einen Global Player im Finanzcasino machen, den man später mit Milliardengewinn an die Börse bringen wollte.

Um diesen Plan umzusetzen, holte man sich genau den „richtigen“ Mann ins Haus – Christopher Flowers, ein ehemaliger Goldman-Sachs-Mann der mit seinem Private-Equity-Fonds „JC Flowers“ zu den Großen im Geschäft zählte und an der Wall Street den, damals durchaus schmeichelhaft gemeinten, Beinamen „Jedi-Meister der Finanzen“ trug. Als Flowers 2006 mit einem von ihm geführten Konsortium für 1,25 Milliarden Euro 26% der HSH Nordbank übernahm, brach in Kiel und Hamburg Jubel aus. Die Zeiten der Provinzbank waren gezählt, nun drehte man am ganz großen Rad. Die geplanten Milliardenerlöse beim Börsengang wischten sämtliche Bedenken der Landespolitik hinfort.

Binnen zwei Jahren wurde aus der Provinzbank de facto ein Hedge Fonds mit angeschlossener Regionalbank. In den Bilanzen befanden sich nun „strukturierte Wertpapiere“ im „Wert“ von 23 Mrd. Euro und ein sagenhaftes Portfolio im Volumen von 33 Mrd. Euro aus dem Bereich „Schiffsfinanzierung“. Die HSH Nordbank rühmte sich nun, der weltgrößte Schiffsfinanzierer zu sein. Doch bereits im Jahre 2007 zogen die ersten Wolken über der norddeutschen Zockerbude auf.

Omega – ein Hochrisikogeschäft ganz im Zeichen der Zeit

Die HSH Nordbank operierte bereits damals außerhalb des regulatorischen Rahmens und hätte eigentlich bereits vor dem Höhepunkt der Finanzkrise eine Eigenkapitalspritze benötigt. Dies wäre spätestens mit der Veröffentlichung der Jahresbilanz 2007 herausgekommen und hätte unweigerlich zu einer Abwertung durch die Ratingagenturen geführt. Der geplante Börsengang war damit akut gefährdet. Um die Jahresbilanz ein wenig zu frisieren, entschloss sich der Vorstand der HSH Nordbank zu einem zeitlich gestaffelten Tauschgeschäft.

Die Idee dahinter ist relativ einfach. Die HSH Nordbank „verkauft“ kurz vor dem Bilanzstichtag am 31.12.2007 ein eigenes Kreditpaket an eine andere Bank und verpflichtet sich, wenige Wochen später ein Kreditpaket im gleichen Nennwert von dieser Bank zurückzukaufen. Da für vergebene Kredite Eigenkapital vorgehalten werden muss, würde somit die Eigenkapitalquote der Bank zum Stichtag künstlich höher ausgewiesen können. Wer es gut mit den Finanzmagiern meint, kann hier von Bilanzkosmetik sprechen, wer es weniger gut meint nennt das Kind indes beim Namen „Bilanzfälschung“.

Nachdem die HSH Nordbank mit ihrem Tausch-Vorschlag bei zahlreichen anderen Banken (u.a. bei den Lehman Brothers) abblitzte, fand man im Spätherbst doch noch einen Interessenten. Doch die französische BNP-Paribas wollte dem Tausch nur dann zustimmen, wenn die HSH Nordbank ihr im Gegenzug ein Paket aus hoch komplexen Papieren im „Nennwert“ von 400 Millionen Euro abkauft. Damit war Omega 55 geboren. Der Vorstand der HSH Nordbank ließ sich kurz vor Torschluss auf diesen Deal ein, obwohl – und darum wird es im Prozess gehen – die eigenen Risikoprüfer ausdrücklich vor den Risiken warnten. Hinzu kommt, dass der zweite Teil des Deals kunstvoll vor der Bankenregulierung versteckt wurde, so dass noch nicht einmal die BaFin wusste, welche Risiken die HSH Nordbank bei Omega 55 einging.

Es kam, wie es kommen musste. Die Papiere der BNP Paribas verloren im folgenden Jahr rapide an Wert – was nicht verwundert, da es sich u.a. um Schuldverschreibungen von Lehman Brothers und isländischen Banken handelte. Im Oktober 2008 platzte die Bombe und der damalige Vorstand musste zähneknirschend eingestehen, dass man Abschreibungen im Wert von 1,1 Mrd. Euro vornehmen musste (davon rund 500 Mio. Euro aus dem Omega Deal) und kurz vor der Pleite steht. Am 3. November beantragte die HSH Nordbank Liquiditätshilfen i.H.v. 30 Mrd. Euro beim neu eingerichteten Bankenrettungsschirm SoFFin, im Februar 2009 mussten die Länder Hamburg und Schleswig Holstein drei Milliarden Euro Eigenkapital zuschießen und zusätzlich Risiken im Wert von 10 Mrd. Euro abschirmen. Im Oktober 2009 besicherte der SoFFin HSH-Anleihen im Wert von 17 Mrd. Euro. Wie hoch die Verluste des SoFFin, die letzten Endes vom Steuerzahler ausgeglichen werden müssen, sein werden, ist nicht abzuschätzen. Die ehemaligen Vorstände haben ihr Scherflein jedoch im Trockenen – Jens Dirk Nonnenmacher, der als Finanzvorstand für Omega 55 verantwortlich zeichnete, und später Vorstandsvorsitzender der HSH Nordbank wurde, genehmigte sich Bonuszahlungen über 2,9 Mio. Euro und bekam bei seinem – nicht unbedingt freiwilligen – Abschied im Jahr 2011 noch einem eine fette Abfindung in Höhe von 4 Mio. Euro. Wie kann ein Aufsichtsrat, in dem die Vertreter zweier Bundesländer den Ton angeben, eigentlich solche Zahlungen genehmigen? Aufsichtsratsvorsitzender war zu diesem Zeitpunkt übrigens der ehemalige Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper. Doch dies ist nicht die einzige Frage, die sich die Landespolitik stellen muss.

Unter der Wasserlinie – Milliardenrisiken aus der Schiffsfinanzierung

Die 500 Millionen Euro Verluste aus dem Omega-Deal sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Die eigentlichen Risiken für die HSH Nordbank und den Steuerzahler liegen unter der Wasserlinie. Als die HSH Nordbank zum weltgrößten Schiffsfinanzierer wurde, expandierte der Welthandel mit schwindelerregenden Wachstumsraten von 20% pro Jahr. Die Frachtraten der internationalen Seeschifffahrt stiegen von Monat zu Monat auf neue Allzeitrekorde. Obgleich es bereits damals ernsthafte Zweifel gab, dass diese Entwicklung so weitergehen könnte, finanzierte man vor allem in Deutschland auf Teufel komm raus in neue Frachtschiffe – die Steuersparmodelle für Besserverdienende machten es möglich. Da in Norddeutschland rund 60.000 Arbeitsplätze direkt an der Schifffahrtsbranche hängen, die in Schleswig Holstein und Hamburg auch politisch sehr einflussreich ist, kannte man vor allem bei der HSH Nordbank offenbar keine Bedenken.

Harpex

Doch der Boom fand im Jahr 2008 sein jähes Ende. Seit Mitte 2008 kollabierten die Frachtpreise im freien Fall und dümpeln seitdem auf Krisenniveau. Der Baltic Dry Index, der ein Indikator für den Schüttgutfrachtpreis ist, notierte im Mai 2008 bei 11.793 – heute liegt er bei 1.117 – fast genau ein Zehntel des alten Werts. Auch der Harpex (Harper Petersen Charterraten Index), der den Frachtpreis für Container misst, dümpelt seit langem vor sich hin. Musste man 2008 noch 233.988 US$ bezahlen, wenn man einen Ozeanriesen für einen Tag chartern wollte, so bezahlte man Anfang Dezember 2008 nur noch 2.316 US$. Dies entspricht dem Mietpreis für einen Ferrari, nur dass man für ein Auto nicht mindestens 20 Mann Besatzung mitbezahlt. Ein Schiff dieser Größenordnung verursacht dem Besitzer rund 19.000 US$ Kosten pro Tag. Bei den heutigen Charterpreisen schaffen es nur wenige Reedereien kostendeckend zu arbeiten. Es herrscht ein massives Überangebot von Frachtkapazitäten, tausende Frachtschiffe liegen auf offener See vor Anker und produzieren mit einer Notbesatzung laufende Kosten. Die Frachtschiffe, die noch fahren, sind oft mit 12 Knoten unterwegs, um wenigstens die Treibstoffkosten zu sparen.

Mit der Krise der Frachtschifffahrt steigen auch die Risiken der Schiffsfinanzierung. Wenn der Endkunde, meist ein geschlossener Fonds, der nur ein oder zwei Schiffe betreibt, in die Insolvenz geht, haben die Finanzierer nur noch das Schiff selbst als Sicherheit. In einem übersättigten Markt gibt es jedoch keine Käufer für diese Schiffe, so dass die Banken in schlimmsten Fall auf einer Flotte unverkäuflicher Schiffe sitzenbleiben. Die HSH Nordbank hatte ursprünglich mit einer Ausfallrate von nur einem Prozent kalkuliert. Dieser Risikopuffer ist nun aber längst überholt. Sollten die Abschreibungen – was realistischer ist – eher zwanzig bis dreißig Prozent betragen, kämen auf die HSH Nordbank noch Abschreibungen von bis zu zehn Milliarden Euro zu. Geld, dass dann entweder die beiden beteiligten Bundesländer oder der Steuerzahler über den SoFFin zahlen müsste.

Die Vermeidung eines Blutbads durch ein Blutbad

Der Traum von der Wall Street an der Waterkant ist ausgeträumt. Statt an die Börse zu gehen, ist die HSH Nordbank zu einem Milliardengrab geworden. Selbst der Wall-Street-Star Christopher Flowers hat sich im hohen Norden ein blaues Auge geholt. Sein Anteil ist durch die Eigenkapitalaufstockung der Bundesländer auf 10,7% geschrumpft. Aber das ist letzten Endes eigentlich egal, da 26% von Null genau so viel sind wie 10,7% von Null. Das ist, so paradox es sich anhören mag, jedoch womöglich noch nicht einmal der schlimmste Ausgang für die beiden beteiligten Länder.

Wie eine Bankenprivatisierung unter Flowers Regie aussehen kann, mussten die Japaner leidvoll erfahren. Im März 2000 übernahm ein von ihm geführtes Konsortium die chronisch in Schieflage vor sich hin dümpelnde japanische LTCB für rund 900 Millionen Euro aus dem Besitz des Staates. Vier Jahre später brachte er die komplett umstrukturierte Bank unter dem Namen Shinsei an die Börse. Sein Gewinn bei diesem Coup wird auf rund 750 Millionen Euro geschätzt. Zahlen musste dies im Endeffekt der japanische Steuerzahler – Flowers hatte über ein Zusatzabkommen, das von Goldman Sachs eingefädelt wurde, die „schlechten“ Schulden der Bank beim Staat abgeladen.
Die japanische Presse sprach damals von einem „Blutbad“. Etliche Firmenkunden der LTCB mussten Konkurs anmelden, und der Gesamtschaden für den japanischen Staat wird auf rund 33 Milliarden Euro geschätzt. Von Flowers gab es nur ein freundliches „Sayonara“ – er musste den Japanern noch nicht einmal Steuern auf seine Gewinne zahlen, da seine Fonds in Steueroasen heimisch sind. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Flowers Pläne für die HSH Nordbank ein ähnliches Szenario vorgesehen hatten. Die Finanzkrise und der eigenwillige Omega Deal von Nonnenmacher und Co. machten Flowers jedoch einen Strich durch die Rechnung.

Wer übernimmt die politische Verantwortung

Es ist wichtig und richtig, dass der ehemalige HSH-Vorstand sich nun vor Gericht verantworten muss. In einer besseren Welt stünden jedoch nicht nur der Vorstand, sondern auch der Aufsichtsrat und die politisch Verantwortlichen vor Gericht. Dies gilt insbesondere für den ehemaligen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen und seinen Finanzminister Rainer Wiegard, wie die bemerkenswerten Aussagen der ehemaligen schleswig-holsteinischen Wirtschafsministers Werner Marnette eindrucksvoll belegen. Carstensen und Wiegard wären wohl bereits mit der Aufsicht der Sparkasse Büdelsdorf heillos überfordert gewesen – ihr verantwortungsloses „Spiel“ mit der HSH Nordbank hat nicht nur ihr eigenes Bundesland über Generationen hinweg finanziell schwer belastet, sondern auch – über den SoFFin – jeden deutschen Steuerzahler geschadet.

Neben Carstensen und Wiegard tragen auch auf Hamburger Seite der damalige Erste Bürgermeister Ole von Beust und sein Finanzsenator Michael Freytag die politische Verantwortung. Die vier genannten Herren, die übrigens alle von der CDU kommen, bekleiden heute keine politischen Ämter mehr. Freytag ist heute Chef der Schufa, von Beust verdient sich ein paar Euro extra als Berater von Roland Berger und Peter Harry Carstensen wurde erst vor wenigen Wochen von Joachim Gauck das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband verliehen – einer der höchsten Orden, die die Bundesrepublik kennt. Gerechtigkeit sieht anders aus.


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