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Titel: Von der kritischen Begleitung der Politik zur Kritik am bösen Volk. Oder: Die Neigung vieler Medien zur lamentierenden Klage.

Datum: 23. Mai 2014 um 15:44 Uhr
Rubrik: Medien und Medienanalyse, Medienkritik
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Nach allgemeiner Vorstellung von einer lebendigen Demokratie haben die Medien die vornehme Aufgabe, die Politik und die Politiker mit Informationen und mit Kritik zu begleiten. Wir sind jetzt aber immer mehr Zeugen des erstaunlichen Vorgangs, dass sich Medien an den Bürgerinnen und Bürgern reiben, teilweise aggressiv, und dass sie sich mit Politikern gegen das „unverschämte“ Volk verbünden, statt publizistischer Advokat des Volkes zu sein. Von Albrecht Müller

I. Symptome und Beispiele für das eigenartige Verhalten der Medien

  1. Auffallend freudig haben Medien auf die Rede von Steinmeier in Berlin reagiert, als der Außenminister aggressiv mit einigen Kritikern unter den Zuhörern abgerechnet hat. Siehe zum Beispiel hier ein Bericht bei SPON über Steinmeiers „Wutrede“.
  2. Schon bei den Demonstrationen gegen Stuttgart 21 fiel auf, dass viele Medien sich die Position der Vertreter des Großprojektes zu eigen machten, ohne sich mit den Argumenten der Kritiker zu beschäftigen, und dass sie die sachlichen Einwände als Argumente von so genannten Wutbürgern disqualifizierten.
  3. Interessant ist im Zusammenhang die Häme gegenüber den Montagsdemonstrationen. Das galt 2004 ff. und gilt heute wieder. Anfang September 2004 war ich selbst Zeuge und Teilnehmer einer Runde von „Hart aber fair“. Die Sendung musste man als Auftragsveranstaltung der Bundesregierung verstehen. Es wurde mit vorgefertigten Parolen und Filmchen Stimmung für Hartz IV gemacht und gegen die Kritiker, im konkreten Fall auch gegen einen Betroffenen und Organisator der Montagsdemonstrationen in Magdeburg. – Die meisten Journalistinnen und Journalisten der gehobenen Klasse haben mit der Lebenssituation der von Hartz IV betroffenen Menschen nichts zu tun. Sie versuchen aber leider auch nicht, sich in deren Lage zu versetzen. Man muss nicht arm und arbeitslos sein, um die Position dieser Menschen in Talkshows, Zeitungsberichten und Kommentaren zu vertreten, jedenfalls zu verstehen. Diese Fähigkeit schwindet. – Die Medien stürzen sich stattdessen gerne auf die Schwächeren.
  4. Journalisten beklagen sich bitter über heftige Kritik in den Foren. Sie beklagen die dort teilweise harte Sprache und Brutalität, ohne einen Moment zu bedenken, dass dies oft nur der Abklatsch der brutalen Verächtlichmachung von Menschen durch Medien ist. – Wenn Sie in Foren schreiben oder sich zu Wort melden, dann wäre es sicher ganz gut, diese Erfahrung im Blick zu behalten.
  5. Die Kritik der „Anstalt“ im ZDF an der Verflechtung von Journalisten mit US-amerikanischen und transatlantischen Organisationen hat in den Reihen der genannten Journalistinnen und Journalisten Reaktionen ausgelöst. Das „medienkritische“ Organ ZAPP des NDR bot dem Außenpolitikchef der Süddeutschen Zeitung Stefan Kornelius ein Forum für eine bittere Klage. Auf der Seite von ZAPP heißt es am 14.05.2014: „Die öffentliche Diskreditierung befremdet Stefan Kornelius von der “Süddeutschen Zeitung”. Aber mehr Transparenz stimmt er zu und gesteht ein, dass Journalisten hier was tun müssen.“ Ja, bei der Transparenz, in der Sache nicht. Kornelius nennt übrigens als Mitverursacher der öffentlichen Diskreditierung „linke Blogs“. Damit sind auch die NachDenkSeiten gemeint, die auf die Verflechtung schon früher hingewiesen haben. Schade nur, dass das medienkritische Organ ZAPP dem Außenpolitiker der Süddeutschen Zeitung 15 min Zeit bietet, uns aber nicht. Auch typisch dafür, wie dünn Medienkritik gesät ist.
  6. „Putin-Versteher“ – Ich weiß nicht, wer das Wort erfunden hat. Aber diese Diffamierung ist massenhaft von Journalistinnen und Journalisten wiedergekaut worden.
  7. Presseclub zur Rente mit 65,67,70. Mitte August 2010. Fünf Journalisten beklagen sich über die mangelnde Einsicht der Bürgerinnen und Bürger in die angebliche Notwendigkeit, das Rentenalter anzuheben und unterstützen damit die Politik. Diese Sendung war ein Musterbeispiel für die Abkehr von der notwendigen Funktion der Medien, die Politik kritisch zu begleiten, und den Bürgerinnen und Bürgern wenigstens zuzuhören. – Die sachlichen Argumente waren alle auf der Seite der Bürgerinnen und Bürger. Die Journalistinnen und Journalisten haben den üblichen Unsinn über den demographischen Wandel und seine Folgen für die Altersvorsorge erzählt.
  8. Die Medien schreiben regelmäßig „klein“, welche Rolle die Bürgerinnen und Bürger in der Politik selbst spielen können. Weil ich mehrere Wahlkämpfe gestaltet oder mitgestaltet habe, konnte ich immer wieder beobachten, wie unangenehm den Medien die hohe Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern im Vorfeld von Wahlentscheidungen ist. Die mediale Missachtung schlägt sich dann auch in den Texten von Historikern und Geschichte-schreibenden Journalisten wieder. So wird die große Mobilisierung von Menschen zum Beispiel im Wahlkampf 1972 in den Standardwerken weit gehend tief gehängt.

II. Wie könnte man das auffällige Verhalten vieler Medien begründen? Stichworte:

  1. Manche Journalisten sind einfach überarbeitet und orientieren sich deshalb am großen Strom und an dem, was von oben vorgegeben wird.
  2. Manche Journalisten glauben ernsthaft, sie könnten alles am besten verstehen und wüssten am besten Bescheid.
  3. Die Verschiebung der Debatte in Richtung Ökonomie führt jedoch dazu, dass die Rolle des Besserwissers zu der Mehrheit der Medienmacher nicht passt. Sie vertreten angelernte bzw. ihnen vermittelte Positionen.
  4. Manche Journalistinnen und Journalisten halten sich für etwas Besseres. Je mehr jedoch die Gesellschaft in Schichten zerfällt, umso mehr wird das Klasseninteresse spürbar und wandelt sich in Aggression gegen die da unten um.
  5. Viele Journalisten stehen selbst unter massivem Druck von Seiten der Medien-Konzerne, sind selbst nicht frei und treten jetzt nach unten. Das ist eine Art Ablenkung vom täglichen Frust.
  6. Manche fühlen sich ertappt – als Interessen gesteuert, als ideologisch verblendet, als Auftragnehmer von Public-Relations-Agenturen und Firmen. Deshalb zum Beispiel die harte Reaktion auf die Beschreibung der ideologischen und Interessen-Verfilzung vieler Medienmacher.


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