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Titel: Filmtipp: Der große Ausverkauf

Datum: 10. Mai 2007 um 8:29 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Privatisierung
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Hier eine Besprechung des sehr empfehlenswerten Films von Florian Opitz. Dem Autor der Besprechung, Günter Beling, herzlichen Dank.

Günter Beling
Journalist und Kommunikationsberater

Von der Weltbank in die Slums, von der Sonntagsrede zur Alltagswelt, von Renditeziffern zu den Menschen: Florian Opitz (34) ist mit seinem Dokumentarfilm „Der große Ausverkauf“ ein großes Stück Aufklärung über die Folgen der weltweiten Privatisierungspolitik gelungen. In 94 Minuten konfrontiert er uns mit zornigen und engagierten Menschen auf vier Kontinenten, die unter einem marktwirtschaftlich organisierten Verkauf von Wasser, Strom, Gesundheit und Transporten zu leiden haben – und sich auf ihre Weise dagegen wehren. Seit 2002 hat Opitz an diesem Film gearbeitet. Am 17. Mai kommt er in die Kinos, rechtzeitig zum G8-Gipfel.

Da ist Bongani Lubisi (32) in Südafrika, der mit dem „Soweto Electricity Crisis Committee“ die „Operation Licht an!“ startete. Bitterarme Familien, denen der private, südafrikanische Stromkonzern ESKOM das Stromkabel kappte, weil sie die Rechnungen oder ihre Prepaid-Karten nicht mehr zahlen können, werden von Bonganis Energie-Guerilla heimlich wieder ans Netz geschlossen. Wer kann schon fast die Hälfte seines Einkommens für Strom ausgeben?
Lokführer und Gewerkschafter Simon Weller (37) schildert, wohin der von Margret Thatcher begonnene Sell-Out in England geführt hat. Als die staatliche BRITISH RAIL an mehr als 150 Privatfirmen verkauft wurde, gab es erst neue Uniformen, dann weniger Pausen, Fahrplanchaos und immer wieder tödliche Unfälle, weil das Streckennetz verrottete und Sicherheit zum Kostenfaktor verkam. Die britische Eisenbahn wird heute nach der Privatisierung mit mehr als doppelt so vielen Steuergeldern subventioniert als vor der Privatisierung, so der Bericht.
Minda Lorando (53) sieht müde aus, sehr müde und sehr mager: Sie bricht Tag für Tag aus einem Slum in Manila auf, um Geld für die Dialyse ihres nierenkranken Sohnes Jinky (16) zu verdienen. Arme werde auf den Philippinen nicht mehr kostenlos behandelt, die privaten Kliniken wollen Cash sehen. Irgendwann habe man ihr gesagt: „Akzeptieren Sie, dass ihr Sohn sterben wird“, berichtet sie – und sammelt weiter für ihren Jinky. Delfin Seriano jr., leitender Pfleger und Ausbilder in einem großen Krankenhaus Manilas, klagt über die Zwei-Klassen-Medizin und die Massenflucht der unterbezahlten Pflegekräfte, die sich in reicheren Ländern höhere Löhne erhoffen: Die Schulden bei der Weltbank seien ein wichtiger Grund dafür, dass die Philippinos unter einer schlechten Krankenversorgung leiden müssten.
Oscar Olivera (45) organisierte in Bolivien den Kampf gegen die Privatisierung des Wassers. Die Konzession für die drittgrößte Stadt des Landes, Cochabamba, war dem US-Konzern BECHTEL übertragen worden, der sich eine 16prozentige Rendite versprach. Per Gesetz wurde den Bewohnern sogar verboten, Wasser aus Flüssen und Seen zu entnehmen oder Regenwasser zu sammeln. Die Proteste eskalierten, das Kriegsrecht wurde verhängt, sieben Menschen starben. Schließlich aber musste die Regierung klein beigeben. Rosa de Turpo (60), Mutter von 5 Kindern und Symbolfigur des Protests, sagt: „Wasser ist doch Leben. Man kann doch das Leben nicht privatisieren!“
IWF und Weltbank sind die treibenden Kräfte hinter dem globalen Ausverkauf. Sie zwingen die Regierungen verschuldeter Staaten, die öffentliche Daseinsvorsorge aufzugeben und ihre Infrastruktur der Profitmaximierung auszusetzen. Auch mit den Weltwirtschaftsführern wollte Opitz sprechen, aber die Dreharbeiten in der Washingtoner Zentrale der Finanzwelt gestalteten sich schwierig und kurz: „Wenn man nach den verantwortlichen Leuten sucht, hat man den Eindruck: Niemand treibt die Privatisierung voran“, berichtet der Regisseur. Neben ein paar Interviewfetzen aus der Chefetage holte er schließlich per Download einen bonbonbunten Zeichentrick-Werbefilm des Weltwährungsfonds in seine Dokumentation, der für sich spricht.

Den kritischen Überbau liefert Joseph E. Stiglitz (64), einstiger Chef-Ökonom der Weltbank, Professor und Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften. Er kommt immer wieder zwischendurch in einem New Yorker Taxi zu Wort und widerlegt die neoliberalen Gesundbeter, die immer noch mit Adam Smith daran glauben lassen wollen, im entfesselten Markt wirke eine „unsichtbare Hand“ schließlich zum Wohle aller: „Ich habe einmal bestimmte Aspekte der Wirtschaftspolitik mit moderner Kriegsführung verglichen. In der modernen Kriegsführung versucht man zu entmenschlichen, das Mitgefühl zu beseitigen. Man wirft Bomben aus 15 000 Metern, aber man sieht nicht, wo sie landen, man sieht keine Schäden. Es ist fast wie in einem Computerspiel. Man spricht von „body counts“. Das entmenschlicht den Prozess. Genauso ist es in der Wirtschaft: Man redet über Statistiken und nicht über die Menschen hinter diesen Statistiken.“ Wir lernen: Nur wer reich und stark ist, kann sich einen armen und schwachen Staat leisten.

Viel für Herz und Hirn in 94 Minuten, fast zu viel. Verzweiflung und Leid werden herangezoomt bis in die Poren. Aufbau und Qualität des Films, ein sensibler Soundtrack und gelegentlich augenzwinkernder Humor helfen aber, den schweren Stoff zu verdauen. Und die Reflexion globaler Missstände macht das Werk weltweit für Kinogänger interessant. Nicht alle Aspekte sind bis zum Grund ausgeleuchtet, die feine Mechanik der Ausbeutung und Gegenwehr wird nicht überall sichtbar, der Film schreit nach Fortsetzung und Vertiefung. Einfach sei die Recherche nicht gewesen, berichtete Opitz bei der Preview im Abaton-Kino in Hamburg. Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften gehörten zu seinen wichtigsten Quellen, um das Ausmaß der Privatisierung zu erfassen und konkrete Beispiele zu finden: Er habe sich „gewundert, dass in den Mainstream-Medien darüber nicht berichtet wird“. Empfehlenswert sei auf jeden Fall der Bericht an den Club of Rome von Ernst Ullrich von Weizsäcker, die bisher umfangreichste Studie zu Privatisierungen weltweit. Einen „globalen Film“ habe er machen wollen, erwidert Opitz auf Fragen, warum er keinen Fall aus Deutschland aufgegriffen hat. Das Ziel sei, mehr zu lernen über die globale Wirtschaft, aufzurütteln und den Mut nicht zu verlieren: „Ich glaube an die Kraft der Aufklärung.“

Weitere Informationen unter dergrosseausverkauf.de

Günter Beling


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