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Titel: Hochschulen sollen selbst über die Zahl der Studienplätze entscheiden können

Datum: 30. Oktober 2007 um 10:25 Uhr
Rubrik: Bundesverfassungsgericht, Verfassungsgerichtshof, Hochschulen und Wissenschaft
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Unter der Überschrift „Weg mit den alten Zöpfen“ drängt Bundesbildungsministerin Annette Schavan auf eine Abschaffung der Kapazitätsverordnungen. Solche Verordnungen wurden vor allem durch das sog. Numerus Clausus-Urteil durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den 70er Jahren erzwungen. Das Gericht hatte in mehreren Urteilen entschieden, dass öffentlich finanzierte Hochschulen auf Grund des Grundrechts der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG, des Gleichheitssatzes und des Sozialstaatsprinzips zu einer erschöpfenden Nutzung der an den Hochschulen vorhandenen Ausbildungskapazitäten und zu einer vergleichbaren Auslastung der verschiedenen Hochschulen verpflichtet seien.
Die Bundesregierung fordert nun die Länder auf, die auf diesen Urteilen basierenden Kapazitätsverordnungen abzulösen: „Die Freiheit der Länder und Hochschulen, miteinander in Wettbewerb zu treten, die Studienplatzvergabe zu dezentralisieren, Studienentgelte zu erheben und damit die Lehrbedingungen… deutlich zu verbessern, verdeutlicht, wie unzeitgemäß die Orientierung an einer maximalen Kapazitätsausschöpfung ist“, sagt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion [PDF -760 KB]. Wolfgang Lieb

Seit 1972 hat das Bundesverfassungsgericht dafür gesorgt, dass es nicht im Belieben der einzelnen Hochschulen steht, wie viele Studierende sie aufnehmen will. Staatliche, aus Steuergeldern finanzierte Hochschulen mussten seither zur Verwirklichung des Rechts der Studierfreiheit ihre Studienkapazitäten voll ausschöpfen.
Die durch die Gerichte und zahllose Prozesse erzwungenen, teilweise sehr differenzierten Verrechnungsschlüssel der in Staatsverträgen geregelten Kapazitätsverordnungen waren von je her ein Ärgernis für die Hochschulen und führten zu heftigen Attacken gegen die von den Gerichten erzwungenen „staatliche Regulierungen“. Schon seit längerer Zeit wird bei den örtlichen Zulassungsbeschränkungen oder durch die seit einigen Jahren mögliche Hochschulauswahl der Studierenden gegen die volle Ausschöpfung der Studienkapazitäten verstoßen. Deshalb konnten viele Studierende ihren Studienplatz erfolgreich einklagen.

Diese Tendenz der Hochschulen zu Zulassungsbeschränkungen ist verständlich, weil ihnen seit Jahrzehnten eine „Überlast“ zugemutet wurde, d.h. gemessen an der Steigerung staatlicher Mittel und gemessen an der Zahl der Hochschullehrer wurde ihnen zugemutet, immer mehr Studierende aufzunehmen.

Nach der Abschaffung des Hochschulrahmengesetzes muss nun einmal mehr das neue Steuerungsinstrument „Wettbewerb“ dazu herhalten, die bisherigen Kapazitätsverordnungen auszuhebeln und es ins Belieben (in die „Freiheit“) der Hochschulen zu stellen, wie viele Studierende sie aufnehmen möchten: „Nach über 30 Jahren und der Neuausrichtung der Zielsetzung im Wissenschaftssystem, insbesondere in Hinblick auf Hochschulautonomie und der Förderung von Exzellenz in Forschung und Lehre, ist es Zeit zu fragen, ob das Kriterium der einheitlichen „Lehrauslastung“ von Fächern den heutigen Ansprüchen gerecht wird“, schreibt die Bundesregierung.

Eine weitere Barriere zum Studium

Sollten die Gerichte diesem weiteren Paradigmenwechsel in der Hochschulpolitik folgen – was nach dem Studiengebührenurteil des Bundesverfassungsgerichts zu befürchten ist – dürfte, neben den Studiengebühren, eine weitere Barriere für den Hochschulzugang errichtet werden, nämlich durch eine von jeder Hochschule selbst zu entscheidende Beschränkung der Zulassungszahl an Studierenden. Da es geradezu ein natürliches Interesse der Hochschullehrer und damit auch der Hochschule gibt, die Zahl der Studierenden wieder auf eine überschaubare Zahl von Teilnehmern bei Lehrveranstaltungen zu beschränken, dürfte dies zunächst zu einer geringeren Auslastung der Kapazitäten und damit zu einer erheblichen Reduzierung der Zulassungszahlen führen.
Das Grundrecht der Berufswahl- (und Studier-)freiheit würde so ins Belieben der jeweiligen Hochschule gestellt.
Wie die Bundesregierung zu der Auffassung gelangen kann, dass mit Abschaffung der Kapazitätsverordnungen „das politische Ziel einer höheren Akademikerquote“ erreicht werden könne, widerspricht aller Lebenserfahrung und jeglicher Logik.

Das Wettbewerbsprinzip als Regulativ der Hochschulsteuerung würde damit über das Grundrecht der Berufswahlfreiheit, den allgemeinen Gleichheitssatz und das Sozialstaatsprinzip gestellt. Der Haushaltsgesetzgeber hätte keinen Einfluss mehr darauf, dass die in den Hochschulen eingesetzten Mittel des Steuerzahlers möglichst effizient eingesetzt würden.

Ein weiterer Schritt zur Hierarchisierung der Hochschullandschaft

Schon die Ernennung zu „Elitehochschulen“ und die damit verbundenen zusätzlichen Geldzuweisungen, aber auch die Einführung des Wettbewerbsprinzips zwischen den Hochschulen ganz allgemein führen zu einer Differenzierung und Hierarchisierung der Hochschulen in Elite-, Durchschnitts- und Schmalspuruniversitäten bzw. in forschungs- und lehrintensive Hochschulen.
Durch die Entscheidung der Hochschulen über die Zulassungszahlen wird diese Hierarchisierung der Hochschullandschaft vertieft. Außerdem wird die unter dem Schlagwort „Profilbildung“ herbeigeführte Differenzierung des Studienangebots für Studierende und für die Arbeitgeber noch unüberschaubarer, besser müsste man schon sagen, noch chaotischer.
Für die Bundesregierung ist dieses Chaos aber offensichtlich ausdrückliches Ziel, heißt es doch in der Antwort: „Ziel der Politik ist es schließlich nicht, homogene Studiengänge in den einzelnen Disziplinen zu erzwingen, sondern im Wettbewerb ein heterogenes Studiengangangebot entstehen zu lassen, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse der Studierenden (?) berücksichtigt.“

Freigabe der Höhe der Studiengebühren, die nächste Konsequenz

Es liegt in der Logik dieser Entwicklung, dass die Hochschulen, die z.B. durch eine Reduzierung der Studienplätze verbesserte Betreuungsrelation anbieten und damit die Studienbedingen verbessern, höhere Studiengebühren verlangen werden (wenn nicht sogar müssen). Denn nur durch eine Verteuerung des Studienangebotes können sie auf dem Ausbildungsmarkt ausreichend ergänzende Finanzierungsmittel einwerben.
Der nächste Schritt in der Wettbewerbswissenschaft ist daher logisch zwingend die Freigabe der Höhe der Studiengebühren. Die Knappheit der Studienangebote bestimmt dann bei der gegebenen Übernachfrage eben die Höhe des Preises für ein Studienangebot. In den sog. „Eliteuniversitäten“ wird diese Forderung nach deutlich höheren Studiengebühren für die dort angebotenen angeblichen „Elitestudiengänge“ schon ganz offen diskutiert und gefordert.


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