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Titel: Zum Frühjahrsgutachten der Konjunkturforschungsinstitute: Dogmatischer Wunderglaube

Datum: 18. April 2008 um 10:18 Uhr
Rubrik: Finanzkrise, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Man muss die Messlatte für das Wachstum nur tief genug legen, dann gilt der Aufschwung der letzten beiden Jahre als „kräftig“, und dann zeugen auch ein Wachstum von 1,8% in diesem Jahr und von 1,4% im kommenden Jahr von einer „robusten Wirtschaft“. Und auch mit einem Wachstum von durchschnittlich 1,5% bis 2012 kann man sich dann zufrieden geben. 3,2 Millionen Arbeitslose gelten bei solchen Maßstäben schon als Erfolg. Wenn die weltwirtschaftlichen Risiken nicht durchschlagen, bleibt alles gut. Auch gegen die Finanzkrise helfen die Arbeitsmarktreformen. Und wenn die Weltkonjunktur auch einbricht, dann brauchen wir in Deutschland kein Konjunkturprogramm wie etwa die USA. Bei uns fangen die „binnenwirtschaftlichen Auftriebskräfte“ negative Schocks aus dem Ausland auf. Dabei bringen die Konjunkturforscher das auberkunststück fertigt, in einem Atemzug auf die Steigerung der Binnennachfrage zu setzen und gleichzeitig vor höheren Lohnabschlüssen zu warnen. „Weiter so“: auf diese banale Empfehlung lässt sich das Frühjahrsgutachten der Konjunkturforschungsinstitute zusammenfassen. Wolfgang Lieb

„Folgen der US-Immobilienkrise belasten Konjunktur“, so lautet die Überschrift der Gemeinschaftsdiagnose der in der Projektgruppe zusammenarbeitenden 8 wirtschaftswissenschaftlichen Institute. Wer vom Frühjahrsgutachten eine solide ökonomische Analyse der Auswirkungen des Finanzdesasters auf die deutsche Wirtschaft erwartet hat, sieht sich nach der Lektüre allerdings enttäuscht.

Nichts Genaues weiß man nicht, so lautet das Ergebnis:
Die Konjunkturprognose ist mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet. So lassen sich die Auswirkungen der Krise im Finanzsektor nur schwer abschätzen, weil das Ausmaß der nötigen Abschreibungen immer noch nicht bekannt ist und weil es unsicher ist, wie stark die Immobilienpreise in den USA noch fallen werden. Simulationen mit Modellen, welche die Institute verwenden, ergeben, dass eine Rezession in Deutschland wahrscheinlich wäre, wenn sich die Kapitalnutzungskosten in den USA und auch in Deutschland deutlich erhöhten.

Einen schöneren Beleg für die Unzulänglichkeit dieser Art von Wissenschaft kann man eigentlich nicht liefern.

Weil man keine Ahnung, was da noch kommen könnte, gilt das Motto „Augen zu und durch und bloß am „Reformkurs“ festhalten“:

– Sparen,
d.h. in der Finanzpolitik eine Strategie der „qualitativen Konsolidierung“ verfolgen. (Rentenerhöhungen und die Verlängerung des Arbeitslosengeldes II hemmen das Wachstum.) Bei einer Fortsetzung der Ausgabendisziplin und bei mehr Ehrgeiz bei dem Abbau von Subventionen entstünden weitere Möglichkeiten, das Wirtschaftswachstum zu fördern, beispielsweise durch Aufstockung von investiven Ausgaben und allgemeine Steuersenkungen.

– Steuersenkungen,
d.h. wenn in der Politik kein Spielraum für allgemeine Steuersenkungen gesehen wird, sollten nach Auffassung der Institute zumindest „heimliche“ Steuererhöhungen vermieden werden.

– Bloß keinen flächendeckenden Mindestlohn.
Auf Deutschland bezogen besteht ein weitgehender Konsens unter den Ökonomen, dass die Beschäftigungswirkungen negativ sind. Zur Begründung für die „Notwendigkeit“ von Mindestlöhnen wird häufig argumentiert, man könne von einem niedrigen Stundenlohn nicht leben. Dieses Argument greift allerdings zu kurz, da es das System der sozialen Sicherung ausblendet, insbesondere das Arbeitslosengeld II. Es verhindert, dass das Einkommen unter das soziale Existenzminimum sinkt. Auch ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn, der zunächst so niedrig ist, dass er „nicht schadet“, kann letztlich die Beschäftigung erheblich beeinträchtigen. Zwar wird gegenwärtig ein Stundenlohn von „nur“ 4,50 Euro diskutiert. Aber damit würde man der Politik ein Instrument an die Hand geben, das zunehmend in Wahlkämpfen eine Rolle spielen dürfte; daher ist zu befürchten, dass der Mindestlohn nicht niedrig bleibt. Mit einer Abkehr von Reformen auf dem Arbeitsmarkt und mit der Einführung von Mindestlöhnen würde insbesondere die Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre konterkariert. Indirekt beeinträchtigt ein hoher Mindestlohn die Beschäftigung, weil er dazu führt, dass der Anspruchslohn steigt. Letztlich hat der Lohn in der niedrigsten Qualifikationsstufe, also der Mindestlohn, einen Einfluss auf die Lohnhöhe in jeder Stufe. In der Folge steigen auch die Lohnansprüche der Arbeitnehmer mit höherer Qualifikation. Mit einer Abkehr von Reformen auf dem Arbeitsmarkt und mit der Einführung von Mindestlöhnen würde insbesondere die Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre konterkariert… Und die Lohnzurückhaltung konnte vor allem dadurch erreicht werden, dass durch die Reformen auf dem Arbeitsmarkt die Anreize erhöht bzw. der Druck, eine Arbeit aufzunehmen, verstärkt wurden.

Eine offenere Begründung dafür, dass die Senkung des Arbeitslosengeldes und die Niedrigstlöhne zum Lohndumping führen, konnte man selten schwarz auf weiß lesen.

Man muss fairerweise darauf hinweisen, dass das Konsortium IWH/IMK/WIFO die grundsätzliche Ablehnung der Mindestlöhne nicht teilt.
Dem Konsortium scheint demgegenüber ein allgemeiner Mindestlohn, der auf relativ niedrigem Niveau angesetzt wird, geeignet.
Man muss allerdings bei einer derart schlaffen Begründung fragen, was etwa das IMK für einen Gewinn darin sieht, bei dieser Art Gutachten überhaupt noch mitzuwirken.

Das Frühjahrsgutachten stützt seine Wachstumsprognose vor allem auf die Binnennachfrage:

Bei etwas beschleunigt steigenden Gewinneinkommen (!) erhöht sich das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte um 2,9 %; real bedeutet dies eine Zunahme um 0,5 %. Der Anstieg der privaten Konsumausgaben dürfte etwas darüber hinausgehen, weil sich die Sparquote wegen des Wegfalls der Sonderfaktoren wieder etwas verringert. Alles in allem werden die privaten Konsumausgaben im Jahr 2008 um 0,8% steigen.

Mit einem Anstieg der privaten Konsumausgaben um 0,8 %, wehrt Deutschland die rückläufige Weltkonjunktur, die Erhöhung der Energiepreise, den steigenden Dollarkurs, die durch die zurückhaltende Geldpolitik hohen Zinsen von 4% und die Inflationsrate von 2,6% ab? Das ist eine Wirtschaftswissenschaft, die an die wundersame Verwandlung von Wasser in Wein glauben muss. Mehr als einen dogmatischen Wunderglauben hat das Frühjahrsgutachten nicht zu bieten.

Quelle: Gemeinschaftsdiagnosen Frühjahr 2008 zum Download


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