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Titel: Rezension: Hochschule und Demokratie 1968-2008

Datum: 15. Dezember 2008 um 8:59 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft, Rezensionen
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Zum 40jährigen Jubiläum von „1968“ erschien das fünfte BdWi-Studienheft „Hochschule und Demokratie“. Nach Meinung der HerausgeberInnen soll jedoch gerade kein Jubiläum gefeiert werden, sondern der Frage nachgegangen werden, „ob die Themen, Analysen, und Strategien, die im politischen 68er-Milieu und der durch dieses nachhaltig mitgeprägten zeitlich folgenden Bildungsreformbewegung entwickelt wurden, etwas zum Verständnis des Aktuellen beitragen“ (S. 2). Deshalb gliedert sich das Heft in drei Teile: Retrospektive (I), Hochschule in der Demokratie – 1968-2008 (II) und Demokratie in der Hochschule – 1968-2008 (III). Von Dominik Düber

I

Sonja Staack arbeitet in ihrer Re-Lektüre der 1961 verfassten SDS-Denkschrift „Hochschule in der Demokratie“ heraus, dass „nicht nur Hochschulen als Teil der Gesellschaft, sondern auch Hochschulveränderung als Teil von Gesellschaftsveränderung“ (10) begriffen werden müsse. Anhand des breit verwendeten Autonomie-Begriffs verdeutlicht sie, dass sowohl Unabhängigkeit als auch interne Demokratisierung notwendig sind, damit die Hochschulen eine gesellschaftskritische Funktion wahrnehmen könne. Es bleibt jedoch offen, ob Autonomie und Demokratisierung auch hinreichend für eine „kritisch-revolutionierende Praxis im weitesten Sinne“ sind. Schließlich ist auch eine solche Hochschule nicht unabhängig von gesellschaftlicher Hegemonie. Staack macht deutlich, dass ein betriebswirtschaftlich verkürzter Autonomiebegriff, wie er vielen aktuellen Hochschulgesetzen zu Grunde liegt, mit Autonomie als verstanden als „Freiheit von der Manipulierung durch Partialinteressen“ wenig zu tun hat.

Karl Heinz Heinemann ist in seinem Aufsatz „Auf der Suche nach dem historischen Subjekt“. Er zeichnet das wechselhafte Verhältnis von Studierenden und Gewerkschaften nach. Die aufschlussreiche Analyse verschiedener Strategien und deren Erfolge lässt die Frage nach einer heute sinnvollen Orientierung allerdings weitgehend unbeantwortet, fordert Heinemann doch wenig mehr als „eine breite öffentliche Debatte unter Beteiligung der Gewerkschaften zu initiieren über Reformziele bei der Umgestaltung der Studiengänge“ (17).

Dem in den 60er-Jahren von Teilen der außerparlamentarischen Opposition (APO) und der Studierendenbewegung häufig erhobenen Vorwurf, die damalige Gesellschaft sei auf dem Weg zum Faschismus, geht Georg Fülberth in seinem Beitrag nach. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die These einer alleinigen Verursachung von Faschismus durch Kapitalismus zu keinem Zeitpunkt haltbar gewesen sei: „Die Verknüpfung von Kapitalismus und Faschismus bedeutet im Ergebnis jedoch eine Unterschätzung des Gewaltpotentials nicht-faschistischer bürgerlicher Gesellschaften einerseits, eine Relativierung des historischen Nationalsozialismus andererseits“ (32). Eine genauere Charakterisierung der der Zusammenhänge zwischen Kapitalismus und Faschismus bietet Fülberth leider nicht.

II

Torsten Bultmann betrachtet „Die Erfindung der Hochschulpolitik – und ihre wiederkehrenden Muster“, indem er verschiedene hochschulpolitische Strömungen von `68 bis heute nach Konservativen, Technokraten und Progressiven differenziert. Gerade aus dem Blickwinkel heutiger linker Orientierungssuche bietet dieser Beitrag bereichernde Anhaltspunkte bezüglich der Chancen und Grenzen möglicher Bündnisse, lässt sich doch gegenwärtig häufig gerade auch konservativer Widerstand gegen die aktuellen Hochschulreformen ausmachen.

Eine Analyse der konservativen Kritik am Bologna-Prozess, die allerdings aufgrund fehlender Transparenz des eigenen Standpunkts etwas uneindeutig ausfällt, bieten darüber hinaus Susanne Draheim und Tilman Reitz. Der in vielen Debatten wenig beachtete Zusammenhang von bildungspolitischen Reformen und ökonomischen Rahmenbedingungen wird von Klemens Himpele und Jana Schultheiss unter die Lupe genommen. Demnach sei die Öffnung der Hochschulen auch im Kontext der wirtschaftlichen Prosperität und wohlfahrtsstaatlichen Expansion jener Zeit zu sehen. So habe die Anfang der 1990er einsetzende ökonomische Stagnation auch Druck auf die Hochschulen ausgeübt und das Verständnis von Bildung ebenfalls grundlegend veränderte. Stefanie Schröder untersucht die verschiedenen Modelle von sozialer Studienfinanzierung in Deutschland. Ihr zu folge können alle Modelle immer nur Teil eines sozial gerechteren Bildungssystems sein, nicht aber die bereits vor dem Studium vorhandene Chancenungleichheit nivellieren. Zwar steigerten leichter zugängliche und als Vollzuschuss gewährte Modelle die Übergangsquoten von Menschen aus unteren sozialen Schichten, jedoch komme es insgesamt zu einem Fahrstuhleffekt, da zugleich auch die Bildungsbeteiligung aus höheren sozialen Schichten gestiegen sei. Während Sefanie Schröder sich kurzfristig vor allem für eine Verteidigung des BAföG stark macht, bleibt ihre Positionierung zu einem Studienhonorar und der gesellschaftlichen Rolle eines Studiums indifferent.

Ulf Banscherus zeichnet die Diskussion über die Einführung gestufter Studiengänge seit den 1960er-Jahren nach. Nach seiner Einschätzung sei der Bologna-Prozess weniger Sachzwang, sondern diene vor allem der Legitimation einer seit Jahrzehnten diskutierten, aber zuvor an unterschiedlichen Widerständen gescheiterten, ‚Reform‘ des Studiums. Torsten Bultmann und Rolf Weitkamp sehen in der Elitenförderung eine Absage an die erste Hochschulreform mit mehr Demokratie und Bildungsexpansion. An Michael Hartmann anknüpfend zeigen sie auf, dass die Exzellenzinitiative gerade jene Unterschiede schaffe, welche sie durch den „Exzellenz“ – Wettbewerb zu messen behauptet. Darüber hinaus dienten die eingeworbenen Drittmittel zunehmend der Finanzierung grundständiger Hochschulaufgaben und durch den Zwang zur Einwerbung von Drittmitteln etablierten sich Entscheidungsstrukturen jenseits einer demokratischen Selbstverwaltung.

III

Den historischen Wandel der Rolle universitärer Statusgruppen untersuchen die Beiträge von Alexandra Ortmann (für Studierende) und Claudia Kleinwächter (für den Mittelbau). Als Fazit des Wandlungsprozesses konstatiert Ortmann: „Eine demokratische, nach Interessengruppen organisierte Debatte über Kriterien, Ziele und Parameter guter Lehre ist aber konzeptionell ebenso wenig vorgesehen wie eine gleichberechtigte Mitwirkung der Studierenden an Qualitäts-Sicherungs-Maßnahmen. Wie in den 1950er-Jahren werden studentische VertreterInnen nur in ‚sie betreffenden Angelegenheiten‘ gehört – Demokratie in der Hochschule und eine selbst-verantwortliche Hochschule in der Demokratie aber sehen anders aus“ (53). Derweil schildert Kleinwächter den prekären Zustand des akademischen Mittelbaus, der zwar 78% des hauptberuflichen wissenschaftlichen Personals ausmache und eine Großteil der Lehre übernehme, aber wegen der Orientierung an der Professur als Normalfall der akademischen Laufbahn spätestens mit dem Ende der Mittelbauphase vor erheblichen Problemen stehe.

Peer Paternack analysiert die neuen Entscheidungsstrukturen an Hochschulen, die sich von einer professorendominierten Gruppenhochschule zu einem „präsidialen Bonapartismus“ entwickelt hätten, bei dem die Hochschulangehörigen „sich mehrheitlich einer autoritär führenden Leitung in der Annahme, dass sich dadurch Begünstigungen für die Hochschule organisieren ließen, wovon dann auch die Einzelnen in der Hochschule profitieren“, (S. 56) unterwerfen würden. Regina Weber schließlich prognostiziert mit einem Wandel der Hochschulen auch einen Wandel des Streits um ein politisches Mandat der Studierendenschaften. Während in der Vergangenheit vor allem dann gegen politische Äußerungen juristisch interveniert worden sei, wenn diese staats- und gesellschaftskritischer Natur waren, so erwartet Weber für die Zukunft einer ‚unternehmerischen‘ Hochschule juristische Schritte vor allem dann, wenn allgemeinpolitische Äußerungen sich negativ auf die Außendarstellung und das Marketing der Hochschule auswirkten.

Das fünfte BdWi-Studienheft bietet insgesamt einen lesenswerten und lehrreichen Überblick über die Auseinandersetzungen und Debatten der letzten 40 Jahre in Hochschule und Gesellschaft. Gerade vor dem Hintergrund der weit verbreiteten Orientierungslosigkeit, bietet das Heft einige Wegmarken, wenn auch die Analysen der aktuellen Situation und vor allem das Ringen um die richtigen Forderungen noch undeutlich bleiben.

Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler / freier zusammenschluss von studentInnenschaften / Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Hg.): Hochschule und Demokratie. Debattenbeiträge zu 40 Jahre StudentInnenbewegung, Hochschulreform und außerparlamentarischer Opposition. BdWi-Studienheft 5, BdWi-Verlag: Marburg 2008, 64 Seiten, 7 Euro.

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