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Titel: Über die trickreiche Unterbewertung hoher Wertpapierrisiken und Frau Merkels Blankoscheck (Teil VIII Finanzkrise)

Datum: 20. Februar 2009 um 17:43 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Finanzkrise
Verantwortlich:

Die Bundeskanzlerin begründet ihre immer wieder neue Bereitschaft zur Rettung von Banken wie der HRE mit Milliarden von uns Steuerzahlern damit, die Banken seien so genannte systemische Banken und wir hätten uns international dazu verpflichtet, keine Bank mehr eingehen zu lassen, wie das bei Lehman Brothers geschehen ist. In den deutschen Medien werden ihr und der Bundesregierung insgesamt diese Argumente bisher mehrheitlich abgenommen. M.E. sind aber erhebliche Zweifel angesagt. Im Falle der HRE hätte man in Kenntnis des gesamten Risikos den Weg in die Insolvenz beschreiten müssen. Vermutlich ist das immer noch sinnvoller und um vieles billiger als die weitere Bereitschaft, Unsummen zu zahlen. Meine Zweifel sind durch Meldungen über die wahren Risiken im europäischen Bankensystem und durch ein Gespräch mit einem alten Bekannten und Experten der Bankenpraxis bestätigt worden. Albrecht Müller

Vorweg: Die Meinung, es wäre besser gewesen, eine Bank wie die HRE eingehen zu lassen, ist nicht leichtfertig formuliert. Die dortigen Risiken sind mit über 102 Milliarden staatlicher Hilfe inzwischen quantitativ in einem Bereich, der den Vorgang auch qualitativ anders erscheinen lässt. Mit diesem Geld hätte man die Einlagen schützenswerter Anleger auch bei einer Insolvenz sicherstellen können. Die Öffentlichkeit ist zudem scheibchenweise mit den hohen Risiken bekannt gemacht worden. Bei der HRE wie auch bei anderen Banken haben die Insider und auch die Führung der Banken die Risiken gekannt. Sowohl die alte und wie auch die neue von der Deutschen Bank gestellte Führung der HRE musste sie kennen. Auch die Risiken bei der Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank haben die Fachleute gekannt. Wenn die verantwortlichen Politiker sich etwas haben vormachen lassen, dann ist das ihre Schuld.
Der Hinweis der Bundeskanzlerin auf die internationalen Verpflichtungen ist nicht sehr tragfähig, weil international vermutlich sowieso alles noch ins Rutschen gerät. Damit bin ich bei der ersten Information. Sie stammt vom Daily Telegraph, siehe Anlage B. Es geht dabei um einen alarmierenden Bericht über ein Papier aus Brüssel.
Der Bericht im Daily Telegraf wurde leider, vermutlich auf Druck von außerhalb, von einigen wichtigen Daten befreit. Der österreichische Standard hat allerdings auf der Basis der ursprünglichen Meldung einen Bericht verfasst. Auszüge siehe Anlage A.

Der Standard schreibt:

18,2 Billionen Euro faule Vermögenswerte
Laut einem Papier der EU-Kommission sind derzeit rund 44 Prozent aller Vermögenswerte der europäischen Banken “faul” oder unverkäuflich.

Das sind unglaubliche Meldungen. Die Beträge und die daraus folgenden Gefahren beunruhigen zutiefst.
Wenn man sich nach den Hintergründen erkundigt, dann erfährt man, wenn man Glück hat, dass die Vermögenswerte im Finanzsektor mit vielerlei Tricks überbewertet wurden. Beim Gespräch mit einem alten Banker mit Bewertungserfahrung habe ich folgendes erfahren, wobei anzumerken ist, dass dieser Bericht mit Sicherheit nicht das gesamte Desaster erklärt sondern einen Teilaspekt, wenn auch einen wichtigen:

Die Gelder von Versicherern und Rückversicherern und auch die Einlagen von Banken werden von Vermögens-Management-Gesellschaften angelegt. Die Vermögens-Manager, in Englisch: Asset-Manager, bewegen Milliarden und legen diese Milliarden in allen Formen von Wertpapieren an. Sowohl in ganz normalen Aktien, als auch in strukturierten Produkten, also Finanzderivaten.
Für die Jahresabschlüsse der verschiedenen Gesellschaften, für das Investment Accounting, müssen diese Wertpapiere bewertet werden. Nach deutschen und nach internationalen Rechnungslegungsvorschriften. Nach dem deutschen Handelsgesetzbuch (HGB) gilt das Niederstwertprinzip. Im Anlagevermögen das gemilderte Niederstwertprinzip, im Umlaufvermögen das strenge Niederstwertprinzip.
Dieses Prinzip hätte eigentlich dazu führen müssen, dass die zum Umlaufvermögen gehörenden Wertpapier-Bestände nach dem strengen Niederstwertprinzip angesetzt werden. Wenn das geschehen wäre, dann hätten die Versicherungsgesellschaften und die Banken vermutlich schon sehr viel früher beachtliche Verluste melden müssen. Da ist es aus Sicht der Versicherungen und Banker gut, Tricks anzuwenden:

Trick 1:
Wertpapiere werden umklassifiziert von Umlaufvermögen zu Anlagevermögen. Die baldige Verkaufsabsicht wurde einfach aufgegeben. Somit gehörten die Wertpapiere nicht mehr zum Handelsbestand (Umlaufvermögen). Stattdessen wollte (so die scheinheilige Argumentation) die Versicherung diese Wertpapiere nun dauerhaft halten (zumindest, bis sich vielleicht der Wert wieder etwas erholt hat).
Im Umlaufvermögen hätten die Wertpapiere auf den Zeitwert zum Stichtag des Jahresabschlusses abgeschrieben werden müssen, die Verluste also realisiert werden müssen.

Im Anlagevermögen gilt wie schon gesagt das gemilderte Niederstwertprinzip. Auf den Zeitwert ist nur abzuschreiben, wenn davon auszugehen ist, dass die Wertminderung dauerhaft ist. Das sollte sie natürlich nicht sein, denn man hoffte ja, dass die Kurse sich wieder erholen (auch bei Junk-Bonds).

Trick 2 bezog sich auf den internationalen Abschluss nach IFRS. Dort gibt es die Unterscheidung nach HGB nicht, sondern eine einheitliche Auslegung für Finanzinstrumente jeglicher Art. Diese müssen immer mit dem Zeitwert angesetzt werden. Dort sprang das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) mit einem Positionspapier [PDF – 80 KB] zu Hilfe. Aufgrund der Subprime-Krise liege einfach kein aktiver Markt für die Schrottpapiere vor. Die Kurse lagen zwar am Boden, aber zu diesen Kursen wollte natürlich niemand verkaufen. Also kein aktiver Markt. Somit keine Abschreibung, vereinfacht ausgedrückt.

Die großen Wertberichtigungen sehen wir jetzt in den Jahresabschlüssen des Jahres 2008. Nach und nach melden die Banken und Versicherungen riesige Verluste für das vierte Quartal 2008. Eigentlich hätte das schon früher erfolgen müssen. Und ob wir nun das ganze Ausmaß bereits zu sehen bekommen, oder ob in Salamitaktik in 2009 und 2010 noch weitere Verluste folgen, wagt mein Konfident momentan nicht abzusehen. Er vermutet aber, es werden immer nur so viele Verluste gezeigt, wie Steinbrück gerade zum Ausgleich locker machen kann.
Übrigens: Die Bundesregierung hat mit einer Gesetzesänderung für die Banken letzen Sommer noch dafür gesorgt, dass kein Banker den Gang zum Insolvenzgericht gehen muss.

Die Tricks, die unrealistische Höherbewertung von riskanten Papieren hatte noch den angenehmen Nebeneffekt für die Banker und Versicherungsmanager, dass sie hohe Gewinne ausweisen konnten und sich Boni und sonstige Vergütungen auszahlen konnten. Diese gründeten zwar auf einer trickreichen Fehlbewertung der Vermögensbestände auf der Aktivseite der Bilanz, aber das macht ja nichts, solange man selbst von diesen Tricks profitiert.
Wenn man das mal verstanden hat, dann begreift man auch, wie unverschämt das Beharren der Investmentbanker auf der Auszahlung solcher Boni in den vergangenen Jahren ist. Sie haben Einkommen aus Gewinnen bezogen, die auf viel zu hohen Bewertungen des Anlagevermögens gründeten.

Anlage A:

Auszug aus einem Artikel des österreichischen „Standard“ vom 17. Februar 2009
18,2 Billionen Euro faule Vermögenswerte

Laut einem Papier der EU-Kommission sind derzeit rund 44 Prozent aller Vermögenswerte der europäischen Banken “faul” oder unverkäuflich
Quelle: Der Standard

London – Die europäischen Banken sitzen derzeit auf 16,3 Billionen Pfund (18,2 Billionen Euro) unverkäuflicher Wertpapiere, geht aus einem Papier der EU-Kommission hervor, auf das sich die britische Tageszeitung “Daily Telegraph” beruft. Demnach seien derzeit rund 44 Prozent aller Vermögenswerte der europäischen Banken “faul” oder unverkäuflich und könnten für das EU-weite Bankensystem ein “systemisches” Risiko bedeuteten . Die EU-Finanzminister sollen am Donnerstag bereits über das 17-seitige “streng geheime” Papier beraten haben.

“Schätzungen über die gesamten zu erwartenden Abschreibungen lassen erwarten, dass die budgetären Kosten für die Finanzhilfen – derzeit und geplant – sehr groß sein könnten – sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis zum BIP der Mitgliedsstaaten”, heißt es im EU-Dokument laut Zeitung. “Es ist essenziell, dass die Staatshilfen nicht in einer Größenordnung stattfinden, die Sorgen über eine Überschuldung oder Finanzierungsprobleme hervorrufen”, heißt es weiter.

Neuerliche Bankenhilfspakete

Staatschefs und EU-Vertreter würden die Befürchtung teilen, dass neuerliche staatliche Bankenhilfspakete die Staatsverschuldung gerade zu einem Zeitpunkt weiter in die Höhe schrauben, zu dem Kreditgeber sich vermehrt darüber Sorgen machten, ob Länder wie Spanien, Griechenland, Portugal, Irland oder Großbritannien ihre Schulden zurückzahlen können, schreibt die Zeitung.

“Für einige Mitgliedsstaaten dürften Bankenhilfspakete aufgrund ihrer Budgetprobleme oder auch der hohen Bilanzsumme der Banken im Verhältnis zum BIP keine Option mehr sein”, zitierte die Zeitung aus dem Bericht. Konkreten Staaten oder Banken werden nicht genannt, die Zeitung erwähnt in diese Zusammenhang unter anderem auch Österreich, die Niederlande, Belgien, Großbritannien, Irland, Schweden, Luxemburg aber auch das Nicht-EU-Mitglied Schweiz. Alle diese Länder hätten im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftskraft einen übergroßen Bankensektor.

Streng geheim

Die Bilanzsumme der europäischen Banken beziffert das Blatt mit 41,2 Billionen Euro. Die britische Zeitung nahm nach der Veröffentlichung von Auszügen des als “streng geheim” eingestuften Papiers im Internet offenbar auf Druck einige Zahlen aus dem Text wieder heraus.

Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) hätten die internationalen Banken bis Anfang Februar 2009 bereits Abschreibungen in Höhe von 2,2 Billionen Dollar vorgenommen, berichtete die Zeitung. Demgegenüber stehen allein 1,6 Billionen Dollar an Forderungen der europäischen Banken in Osteuropa gegenüber, was zunehmend als das “EU-Subprime-Debakel” gewertet wird. Die Unternehmen in der EU seien gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU-Staaten zu 95 Prozent verschuldet, während in den USA dieser Anteil bei 50 Prozent liegt.

Zwar würden laut dem IWF das faule Forderungsvolumen der europäischen Banken 75 Prozent jener der US-Banken ausmachen, allerdings würden die Banken die Abschreibungen wesentlich langsamer vornehmen, wird kritisiert. So habe es in den USA bisher 738 Mrd. Dollar an Abschreibungen gegeben, “während es in der EU nur 294 Mrd. Euro waren”.

Subventionswettbewerb

Das Papier sieht außerdem die Gefahr eines Subventionswettbewerbs unter den EU-Staaten, sollten die Mitgliedstaaten einander untergraben, indem sie die besonders gefährdeten Forderungen in sogenannten “Bad Banks” auslagern. Dies könnte den EU-Binnenmarkt unterminieren, schreibt die Zeitung. Als weitere Folge wird auch eine Explosion der Budgetdefizite befürchtet. So rechnet man etwa in Irland für 2010 mit einem Budgetdefizit von 12 Prozent, während die Haushaltsdefizite fast 10 Prozent betragen dürften. Bisher haben die EU-Staaten mit Garantien und Konjunkturpaketen im Ausmaß von 2,7 Billionen Euro ihren Volkswirtschaften unter die Arme geholfen. (APA)

Anlage B

Das Folgende ist der Artikel aus dem Daily Telegraph, der die Basis des Artikels in österreichischem Standard war:

European bank bail-out could push EU into crisis
A bail-out of the toxic assets held by European banks’ could plunge the European Union into crisis, according to a cBy Bruno Waterfield in Brussels
Last Updated: 3:50PM GMT 11 Feb 2009 confidential Brussels document.
Quelle: Telegraph.co.uk


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