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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 2. November 2017 um 8:30 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (AT)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Jamaika-Sondierungen
  2. Spahn fordert Aus für Rente mit 63
  3. Mehr Gerechtigkeit, mehr Wachstum!
  4. Eurowings: Beschäftigte warnen vor Lohndumping der Lufthansa
  5. Wie man Obdachlosigkeit wirksam bekämpfen könnte
  6. Bildung als Provokation: Konrad Paul Liessmann über ein System mit vielen Schwächen
  7. Homeoffice statt Hörsaal: Digitalisierung von Uni und Schule
  8. Das schwarz-blaue Kürzungsprogramm in Oberösterreich
  9. Labour kann es noch
  10. Frankreich macht den Ausnahmezustand zum Normalfall
  11. Mit deutscher Dominanz
  12. »Schamlose Lügen«
  13. Das Schweigen der Wölfe
  14. Nachrichten im September
  15. Neuanfang à la SPD
  16. Das Letzte: Unser Grundeinkommen heißt Hartz IV

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Jamaika-Sondierungen
    1. Die Grünen trotzen den Schuldensirenen
      Was aber sind schon Versprechen, wenn man wie Cem Özdemir die schwere Last der „staatsbürgerlichen Verantwortung“ auf seinen Schultern verspürt? Anders als die vaterlandslosen Gesellen von der SPD, die sich vor der schweren Aufgabe in die Opposition verdrücken, hat er gleich noch am Abend nach der Wahl klargemacht, dass die Grünen ihre Heimat so sehr lieben, dass sie bereit sind, große Opfer auf sich zu nehmen. Özdemir hat damit klargemacht, dass komme, was da wolle, er und seinesgleichen auf jeden Fall in der Regierung sitzen wollen.
      Wie nun geht man, wenn man der eigenen Karriere Willen bereit ist, alles, aber auch wirklich alles, diesem Ziel unterzuordnen, mit einem Parteitagsbeschluss um, der das Dogma der schwarzen Null von CDU/CSU und FDP herausfordert? Özdemir bedient sich dabei einer Taktik, die ihn als einen idealen Koalitionspartner ausweist und ihn ganz fraglos zum Minister, für was auch immer, qualifiziert. Er gesteht der Fraktion derjenigen innerhalb der Grünen, die die Sinnhaftigkeit der schwarzen Null ganz offensichtlich bezweifeln, zu, dass ihre Motive – die Förderung von Investitionen in die Infrastruktur und die Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen – durchaus aller Ehren wert ist und er das voll und ganz unterstützt und schließt dann einen Satz an, der zu langem Nachdenken einlädt:

      „Wenn man keine Neuverschuldung möchte und wenn man gleichzeitig investieren möchte in Infrastruktur, dann kann man nicht gleichzeitig die Ausgabenspirale beliebig aufdrehen.“

      Bei der Demonstration von so viel, nahezu unergründlichem Tiefsinn und der bewunderswerten Fähigkeit so leicht Widersprüchliches zusammenzudenken, will auch die Bundesvorsitzende Simone Peter nicht hintanstehen. Man wolle zwar, so sagt sie ohne rot zu werden, auf keinen Fall die schwarze Null „als Selbstzweck“ und auf jeden Fall auch „in Klimaschutz, in Bildung, in Infrastruktur“ investieren und „die soziale Gleichheit auch mit finanzielen Mittel stärken“, aber selbstverständlich wolle man auch „den Sparkurs halten“.
      Wer es fertig bringt, gleichzeitig staatliche Investitionen und ein eisernes staatliches Sparen zu fordern, der genießt natürlich Narrenfreiheit. Es kann daher nicht überraschen, dass alle vier Parteien ohne längere Diskussionen in einem gemeinsamen Papier festgehalten haben, dass „die Schuldenbremse des Grundgesetzes eingehalten werden muss“. Daher muss man leider Heiner Flassbecks Hoffnung widersprechen und apodiktisch festhalten: „Isch leider Gottes no lang net over“.
      Quelle: Makroskop

    2. Grüne lehnen Kompromisse bei Arbeitszeit und Mindestlohn ab
      Gerade gab es Fortschritte bei den Sondierungsgesprächen zwischen CDU, FDP und Grünen, da kündigt sich neuer Streit an. Grünenchefin Simone Peter will beim Thema Arbeitszeit und Mindestlohn keine Abstriche machen.
      Die Grünen wollen bei den Regelungen zum Mindestlohn und zu Arbeitszeiten in den Verhandlungen mit Union und FDP keine Lockerung der Gesetze hinnehmen. “Für uns Grüne sind diese Errungenschaften keine Verhandlungsmasse”, sagte Parteichefin Simone Peter am Dienstag. Einer “Aushöhlung” des Mindestlohns, etwa durch eine Einschränkung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, könne ihre Partei nicht zustimmen, da weitere Ausnahmen seine Akzeptanz generell schmälern würden.
      Die Grünen wollten stattdessen mit mehr und verbindlicheren Kontrollen die Umgehung der bestehenden Pflichten beenden, erklärte Peter. Auch einer Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes, das etwa tägliche Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten regelt, “stellen wir uns klar entgegen”, sagte die Parteivorsitzende.
      Die unterschiedlichen Standpunkte der Jamaika-Parteien waren am Vortag nach Abschluss der Sondierungen zu sozialen Themen deutlich geworden. Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner hatte allerdings das grundsätzliche Bekenntnis zum Mindestlohn gelobt.
      Die Grünen entscheiden am 25. November, ob sie Koalitionsverhandlungen mit Union und FDP aufnehmen wollen. Dazu finde ein Bundesparteitag in Berlin statt, kündigte die Partei an. Die Jamaika-Sondierungsteams gehen davon aus, dass die Sondierungen dann weit genug fortgeschritten sind. Die Abstimmung an der Parteibasis dürfte eine der wichtigsten Hürden für eine Jamaikakoalition sein, die vor allem Grüne vom linken Flügel extrem kritisch sehen.
      Quelle: Spiegel Online

      Anmerkung JK: Es bleibt abzuwarten ob die Grünen standhaft bleiben bzw. ab wann sie ihre Grundsätze für eine Beteiligung an der Macht über Bord werfen. Allerdings zeichnet sich bei den Forderungen der FDP nach einer Lockerung der Regelungen zum Mindestlohn und zu Arbeitszeiten kristallklar ab, dass die Jamaika-Koalition, sollte sie zustande kommen, eine weitere Forcierung in der Durchsetzung der neoliberalen Agenda bedeutet. Auf das Wahlergebnis der AfD und der Grünen im Jahre 2021 darf man gespannt sein.

    3. Jamaika: Breites Bündnis fordert Ende der Vorratsdatenspeicherung
      Grüne und FDP treten in ihren Wahlprogrammen für ein Ende der Vorratsdatenspeicherung ein. Ein Bündnis aus Bürgerrechts-, Journalisten-, Berufs- und Wirtschaftsverbänden fordert, dass die möglichen Partner der Union dieses in den Koalitionsverhandlungen auch durchsetzen.
      FDP und Grüne sollen in den Jamaika-Koalitionsverhandlungen ein Ende der Vorratsdatenspeicherung durchsetzen. Das fordern fast zwei Dutzend Bürgerrechts-, Journalisten-, Berufs- und Wirtschaftsverbände in einem offenen Brief an die Bundesvorsitzenden der beiden Parteien.
      Die Speicherung der Verbindungs-, Standort- und Internetdaten sei die „schädlichste Altlast der Großen Koalition“ und die am „tiefsten in die alltägliche Privatsphäre eingreifende und unpopulärste Massenüberwachungsmaßnahme, die der Staat jemals hervorgebracht hat“. Die Verfasser weisen zudem auf die Probleme der Vorratsdatenspeicherung für die Arbeit von Ärzten, Rechtsanwälten, Psychologen, Beratungsstellen und Journalisten hin. Unterzeichnet haben den Brief unter anderem der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der eco-Verband der Internetwirtschaft und Reporter ohne Grenzen.
      Quelle: Netzpolitik.org

      Anmerkung Christian Reimann: Den Offenen Brief – Jamaika-Appell können Sie nachlesen.
      Übrigens: Die NachDenkSeiten haben mehrfach auf Kritik an der Vorratsdatenspeicherung hingewiesen – u.a. hier.

  2. Spahn fordert Aus für Rente mit 63
    Vor der neuen Runde der Jamaika-Sondierungen hat CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn die Abschaffung der Rente mit 63 gefordert. „Wir sollten diese Form der Frühverrentung auslaufen lassen und mit den eingesparten Milliarden lieber die Renten von Witwen oder Erwerbsgeminderten stärken“, sagte Spahn, der für seine Partei an den Gesprächen teilnimmt, der „Rheinischen Post“ vom Montag.
    Die von der großen Koalition beschlossene Rente mit 63 für langjährig Versicherte werde vor allem von männlichen Facharbeitern genutzt, die eigentlich noch gebraucht würden. Zudem müsse eine Koalition aus Union, FDP und Grünen die Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent halten, auch um kleinere und mittlere Einkommen zu entlasten.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung unseres Lesers W.T.: Jetzt wird dieses Thema wieder mal durch sämtliche Medien getrieben. Stimmungsmache Alt gegen Jung. Und das auch noch mit Halbwahrheiten. “Rente mit 63” bedeutet in Wirklichkeit Alter 63 + x Monate plus Grundvoraussetzung mindestens 45 echte Beitragsjahre ( n i c h t Versicherungsjahre – außerdem werden die x Monate kontinuierlich angehoben). Bedeutet also im Alter von 16-18 ins wirkliche Berufsleben (Ausbildung) und danach lückenlos arbeiten. Ich habe kein schlechtes Gewissen, dass ich diese Möglichkeit mit meinen 47 Beitragsjahren in Anspruch nehme.
    Außerdem ist zu berücksichtigen, dass sehr viele langjährig Versicherte (mich eingeschlossen) ohnehin mit 63 in Rente gehen wollten, dafür dann aber Abschläge in Kauf nehmen mussten (je Monat früher = 0,3% Abschlag l e b e n s l a n g). Genau die nehmen diese Regelung (63 + x Monate) jetzt in Anspruch und bekommen die Rente ein wenig später und abschlagfrei. Diese wichtige Tatsache, dass viele der jetzigen “63-er-Rentner” sowieso vom Arbeitsmarkt und somit als Beitragszahler verschwunden wären, wird in der Diskussion immer verschwiegen. Was ebenfalls verschwiegen wird: Die Regelung betrifft nur die Geburtsjahrgänge 1951 bis 1963 – ab Geburtsjahr 1964 geht frühestens Rente mit 65 für langjährig Versicherte bzw. Regelrente mit 67. Ohne Nennung dieser beiden Tatsachen entsteht schon ein komplett falsches Bild.
    Des Weiteren liegt Herr Spahn völlig daneben mit der Aussage, dass man in diesem Alter noch gebraucht wird. Wofür gab es denn die Altersteilzeit? Doch nur, damit die Alten besser entsorgt werden können. Ich selbst wurde nach über 20 Jahren im Unternehmen mit 61 entsorgt – vor allen Dingen weil zu teuer. Und so geht es vielen in diesem Alter. Und in der Realität hat man (je nach Beruf) ab Mitte 40 schon keine Jobchancen mehr. Also was soll diese blödsinnige Argumentation schon wieder.
    Wenn es um Geld geht, sollte Herr Spahn eher mal über die unverschämten Altersversorgungen der Parlamentarier, Ex-Bundeskanzler und Ex-Bundespräsidenten nachdenken und hierzu sinnvolle Vorschläge unterbreiten.

  3. Mehr Gerechtigkeit, mehr Wachstum!
    Vermögensverteilung: Deutschland hält “bitteren Spitzenwert in der Eurozone”
    Die Ungleichheit im Land ist gefährlich für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Deshalb braucht es jetzt einen grundlegenden Kurswechsel vor allem in der Steuerpolitik. Ein paar gute Ideen gäbe es da schon.
    Gratulation! “Tackling Inequality”, zu Deutsch “Ungleichheit angehen”, so lautet der Titel eines neuen Papiers des Internationalen Währungsfonds (IWF), das die westlichen Industriestaaten auffordert, endlich etwas gegen die Ungleichheit in ihren Gesellschaften zu tun. “Exzessive Ungleichheit kann den sozialen Zusammenhalt aushöhlen, zu politischer Polarisierung führen und letztlich das Wachstum senken”, heißt es dort. Gratulation zu dieser Einsicht! Wenn sie nur Gehör und Wirkung fände bei den an der Regierungsbildung beteiligten Parteien. Zwar wollen Union, Grüne und FDP ran an die Steuern oder den Soli. Doch offen ist, wohin die Reise geht. Union und FDP setzen auf pauschale Steuersenkung und wollen den Soli abschaffen – einmal rüber mit dem Rasenmäher. Die Grünen wollen die wachsende Ungleichheit eindämmen, damit der Chefarzt nicht mehr profitiert als die Krankenschwester. Sie setzen auch auf die Vermögenssteuer, die für Union und FDP nach wie vor Teufelszeug ist. (…)
    Diese Ungleichheit ist gefährlich für unsere Gesellschaft, die sich doch gleichwertige Lebensverhältnisse als Staatsziel gesetzt hat. Deshalb braucht es jetzt einen grundlegenden Kurswechsel in der Steuerpolitik. Und dabei geht es nicht einzig darum, Einkommens- und Vermögensunterschiede ein Stück weit auszugleichen. Es geht auch darum, Reiche und Topverdiener stärker am Gemeinwesen dieses Landes zu beteiligen. Faire Lebenschancen für alle – das heißt, dass der Staat seine Aufgaben und Dienstleistungen für alle Bürgerinnen und Bürger erbringen muss. (…)
    Dazu gehört eine intakte Infrastruktur, also Straßen, Brücken, Schulen, aber auch der Breitbandausbau. Dazu gehört genug qualifiziertes Personal im öffentlichen Dienst, mehr Lehrerinnen und Lehrer, mehr Polizistinnen und Polizisten, mehr Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen. In all diesen Bereichen wurde jahrzehntelang gekürzt und gespart. In der Folge gibt es heute vielerorts einen gigantischen Investitionsstau, der die Zukunftsfähigkeit unseres Landes gefährdet.
    Die Lösung dieser Probleme kann keinesfalls eine weitere Privatisierung von Staatsaufgaben sein, wie sie zuletzt im Falle der Autobahngesellschaft versucht wurde. Eine verantwortungsvolle Politik muss wieder verstärkt in das Gemeinwesen investieren. Sie muss dafür das Steuersystem gerecht und fair gestalten. Eine deutlich höhere Erbschaftsteuer, die Einführung einer Vermögensteuer, eine Finanztransaktionssteuer, höhere Steuern für Topverdiener und ein besserer Steuervollzug – das sind Aufgaben, denen sich die nächste Bundesregierung annehmen muss, will sie das Land und seinen sozialen Zusammenhalt stärken und seine politische Stabilität bewahren.
    Quelle: Gegenblende
  4. Eurowings: Beschäftigte warnen vor Lohndumping der Lufthansa
    Offener Brief an Air Berlin-Kollegen zeigt systematische Absenkung von Arbeitsstandards in Österreich. Lufthansa-Management der Lüge bezichtigt
    In einem offenen Brief, den wir unten dokumentieren, warnen Beschäftigte der Eurowings ihre Air Berlin-Kollegen eindringlich davor, bei der österreichischen Lufthansa-Tochter Eurowings Europe anzuheuern. Die Lufthansa hat ihren einstigen Konkurrenten Air Berlin zu großen Teilen geschluckt. Jetzt bietet der deutsche Konzern den Piloten und Flugbegleiter_innen der abzuwickelnden Air Berlin neue Verträge an.
    Der Haken: Die Verträge der Eurowings Europe richten sich nach den Regeln der ArbeitsvertragsOase Österreich. Sie beinhalten nicht nur massive Gehaltseinbußen, weniger Kündigungsschutz und andere massive Absenkungen deutscher Standards. Die Eurowings-Kollegen zeigen sich verbittert über erbärmliche Zustände in der medizinischen Versorgung und Altersvorsorge; sie beklagen ein miserables Betriebsklima und mangelnde Streit-Kultur in Arbeitsbeziehungen. Das hartgesottene Eurowings-Management setzt offensichtlich voll auf Union Busting.
    Quelle: Arbeitsunrecht
  5. Wie man Obdachlosigkeit wirksam bekämpfen könnte
    Vor drei Jahren lebten in Deutschland 335.000 Menschen auf der Straße, so die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. 2018 könnten es schon mehr als 500.000 sein. Dabei wäre es relativ einfach, bei Räumungsklagen zu helfen: Hingehen und klingeln.
    Quelle: Deutschlandradio Kultur

    Anmerkung JK: “2018 könnten es schon mehr als 500.000 Obdachlose sein”. Auch eine Folge explodierender Mieten und daraus resultierender Wohnungsnot. Ein weiterer gesellschaftlicher und sozialpolitischer Skandal, der die Politik nicht im Geringsten interessiert.

    dazu: Ach, Elend kommt von Armut?
    Die Wohlfahrtsverbände schätzen die Zahl der Wohnungslosen in Berlin auf 20.000, vielleicht sind es sogar mehr. Ungefähr 6.000 von ihnen leben permanent auf der Straße.
    Das ist Berlin. Alles was einmal entstand, um Armut zu lindern, existiert kaum noch. Die Zahl der Sozialwohnungen, der Hilfseinrichtungen, der Obdachlosenplätze, alles verkauft, abgebaut, gentrifiziert. Berlin war immer eine arme Stadt, mit dem Unterschied, dass man das früher politisch und gesellschaftlich nicht nur zur Kenntnis nahm, sondern auch etwas tat. Auf der Homepage des Berliner Schlosses sieht man, wo das Geld des vermögenden Bürgertums heutzutage landet: Eine Spendenuhr vermeldet überglücklich 73 Millionen Euro, weitere 32 Millionen fehlen, damit auch noch die letzte Türklinke originalgetreu nachgegossen werden kann.
    Das einzige Berliner Obdachlosen-Megaevent, ist nicht etwa der Bau eines modernen Asylheims, sondern das Gänseessen zu Weihnachten im Hotel Estrel, das zum 23. Mal in Folge von Frank Zander (“Ich trink auf dein Wohl, Marie!”) organisiert wird. 3.000 Bedürftige sind eingeladen, zu Weihnachten warm, nobel und fein essen zu dürfen. Dann müssen sie wieder raus. […]
    Ist die Ursache für das Elend nicht die Armut? Wenn das einzige Konzept im Moment im Umgang mit Obdachlosigkeit darin besteht, Menschen zu wecken und sie von einem Park in den nächsten zu scheuchen, ist das alles Mögliche, aber keine Politik. Vielleicht ist es an der Zeit, dass die Berliner Bürger nicht die Obdachlosen schmähen, sondern die Politiker, die durch ihr Handeln das Ächten von Obdachlosen legitimieren.
    Quelle: Zeit Online

    Anmerkung JK: Man kommt nicht umhin festzuhalten, dass die Verachtung und Verächtlichmachung von Menschen, die eigentlich unserer Hilfe bedürfen eine Folge der Durchsetzung der neoliberalen Ideologie ist, die Menschen allein nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit beurteilt. Wie in der Einleitung des Artikels beschrieben, sah man eignen Reichtum früher durchaus noch als gesellschaftliche Verpflichtung an. Die neoliberale Ideologie liefert heute die Legitimation nur noch an den eigenen Vorteil zu denken.

    dazu auch: Schwarze Ampel bringt schwere Zeiten für Mieterinnen und Mieter
    Wohnungsmangel und bezahlbare Mieten sind mit die drängendsten Probleme, denen sich die neue Bundesregierung stellen muss. Folgt man den Ankündigungen im Wahlkampf, ist von einer Jamaika-Koalition hier wenig Gutes zu erwarten. Bauen, bauen, bauen – das ist die Antwort, die Union und FDP als Allheilmittel gegen steigende Mieten präsentieren. Baukindergeld, erhöhte Steuerabschreibungen für den Wohnungsbau, Freibeträge für die Grunderwerbssteuer, die Abschaffung der Mietpreisbremse, um die Bedingungen für private Vermieter zu verbessen – all diese Forderungen aus dem Wahlkampf zielen darauf ab, den Wohnungsbau anzukurbeln und Wohneigentum zu fördern. Für eine mögliche Jamaika-Koalition bildet die Neubauförderung den größten gemeinsamen Nenner in der Wohnungspolitik.
    Tatsächlich findet der geforderte Bau-Boom längst statt. Seit dem Tief in den Jahren 2008 und 2009 sind die Neubauzahlen im vergangenen Jahr auf knapp 280.000 Wohnungen gestiegen. Für dieses Jahr erwartet die Bauindustrie eine weitere Steigerung auf 320.000 neugebaute Wohnungen.
    Doch der Bau-Boom löst keines der dringenden Probleme in den Städten. Im Gegenteil: Nur eine von 20 neugebauten Wohnungen in den 20 größten Städten Deutschlands ist für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen überhaupt bezahlbar. Gebaut werden vornehmlich Luxus- oder teure Eigentumswohnungen. Die Mehrheit der Bevölkerung findet kaum noch bezahlbaren Wohnraum oder wird wegen steigender Mieten aus ihren Wohnungen verdrängt.
    Quelle: die Linke im Bundestag

    und: Angriff der Heuschrecken
    »Deutsche Wohnen AG« will den Mietspiegel kippen, globales Kapital den Wohnungsmarkt zum Abschuss freigeben. Mietpreisbremse vor dem Aus (…)
    Seit Mittwoch gibt es für Mieter in den Großstädten der BRD drei neue Hiobsbotschaften. Die »Deutsche Wohnen AG« will noch kräftiger beim Zuhause der Leute zulangen und dafür die Mietpreisbremse kippen. Zwei ihrer jahrzehntelangen Mieter sollen vor das Verfassungsgericht des Landes Berlin gezwungen werden. Das wurde am Mittwoch nach einem Bericht des Tagesspiegels bekannt.
    Der Vorgang sei »ein Anschlag auf das geltende Mietrecht«, denn er berührt »eines der drei zentralen Regularien des verbliebenen Mieterschutzes in der BRD«, wie Reiner Wild vom Deutschen Mieterbund Berlin gegenüber jW ausführt. (…)
    Auf die Stadtbewohner kommt allerdings noch mehr zu. Laut einer am Mittwoch veröffentlichten Untersuchung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC) in Zusammenarbeit mit dem »Urban Land Institute« haben deutsche Metropolen »größtes Entwicklungspotential« – ein Begriff, bei dem es allen, die nichts zu erben haben, kalt den Rücken hinunterlaufen muss: Mit Berlin, Frankfurt, München und Hamburg plazieren sich der Studie zufolge vier deutsche Städte unter den »Top-sechs-Standorten mit den besten Investitionspotentialen 2018«. Denn: »Bevölkerungszuwachs (…) und politische Stabilität – das mögen Investoren, und genau davon profitiert Deutschland!« so PwC-Elitepartnerin Susanne Eickermann-Riepe bei der Präsentation.
    Das heißt: Der Gentrifizierungsdruck wird noch weiter zunehmen, die Bewohner werden noch beschleunigter ausgetauscht werden. Noch mehr Wasser auf die Mühlen der Rechten. Wenn Wohnungen »fehlen«, das Zuhause verlassen werden muss, die Konkurrenz zunimmt, werden für die rechte Propaganda wieder Weltverschwörung, Flüchtlinge oder Faulpelze als Schuldige herhalten.
    Quelle: junge Welt

  6. Bildung als Provokation: Konrad Paul Liessmann über ein System mit vielen Schwächen
    Nach der Reform ist vor der Reform. Seit einigen Jahren krempeln europäische Länder ihre Bildungspolitik gehörig um. “Pisa”, “Bologna”, so lauten einige der Schlagworte. Konrad Paul Liessmann ist ein profilierter Kritiker gegenwärtiger Bildungspolitik. Diese arbeite nicht an Verbesserungen, sondern an der Abschaffung von Bildung.
    Was vermag Bildung, womit ist sie überfordert? Diese Frage steht im Zentrum der Interventionen des Wiener Philosophen Konrad Paul Liessmann. Sein neues Buch versammelt Beiträge zur Bildungspolitik und Kulturkritik. Die Zusammenstellung mutet dem Leser die eine oder andere Wiederholung zu, aber gerade dadurch wird deutlich, was den Autor umtreibt:

    “Ich habe die Studienpläne, die Lehrpläne studiert. Ich arbeite ja seit Jahren im Universitätssystem. Ich hab die Bologna-Reform von Anfang an mitgemacht, ich kenne die Debatten, die Sitzungen, die Gremien, die Vorstellungen und Konzeptionen, die hier herumschwirren, das heißt also, ich wäre manchmal froh, wenn’s nur Übertreibungen wären…”

    So antwortet Konrad Paul Liessmann in einer Fernseh-Talkshow auf die Frage, ob er nicht doch ein zu schwarzes Bild male von der gegenwärtigen Bildungspraxis, dem schulischen und akademischen Alltag. Keineswegs, glaubt Liessmann, die Bildung werde buchstäblich zugrunde gerichtet.
    Quelle: Deutschlandfunk

  7. Homeoffice statt Hörsaal: Digitalisierung von Uni und Schule
    Bildung muss digital werden, behaupten Politik und Wirtschaft. Ob man so mehr und besser lernt, wird nicht diskutiert. Ralf Lankau, Professor für Medientheorie in Offenburg, bereitet die Entwicklung Sorge. Im Gespräch mit Studis Online beklagt er kollektives Brainwashing, teure Irrwege und das „weltweit größte Experiment am lebenden Objekt“. […]
    Fangen wir mit dem Menschen und FDP-Vorsitzenden Christian Lindner an, der sich im Bundestagswahlkampf mit dem Spruch „DIGITAL FIRST. BEDENKEN SECOND.“ plakatieren ließ. Sollte man sich um diesen Herrn nicht doch besser sehr vordringlich Sorgen machen?
    Ralf Lankau: Würde er sein Plädoyer wirklich ernst meinen, müsste man sich in der Tat um seine geistige Gesundheit sorgen und ihn postwendend als nicht zurechnungsfähig aus dem Verkehr ziehen. Wer die notwendige Reflexion über die Folgen von Digitaltechnik, also die klassische Technikfolgeabschätzung ausblenden will, kann weder politisch noch als Person ernst genommen werden. Andererseits passt das ins Bild. Deutschland ist im Digitalfieber: Digital-Agenda, Digitalgipfel, Digitalpakte. Die Art, wie diese Technik propagiert und abgefeiert wird, hat etwas von Heilslehre und einem Fetisch. Und auf dieser populistischen Pro-Digital- Welle, die von der IT-Wirtschaft und ihren Lobbyisten losgetreten wurde, reitet eben auch Lindner. […]
    Wie verhält es sich mit dem Nutzen? Politik und Wirtschaft bauen ja darauf, dass sich die Digitalisierungsoffensive auf lange Sicht rentieren wird, etwa in Gestalt besser qualifizierter Schulabgänger, Lehrlinge und Studierender. Gibt es dafür irgendwelche belastbaren Belege?
    Eben nicht und das macht den Ansatz vollends absurd. Schon die berühmte Metaanalyse „Visible Learning“ des neuseeländischen Pädagogen John Hattie, hat gezeigt, dass Rechner und Software in Schulen nichts bringen. Eine PISA-Sonderauswertung der OECD-Studie „Students, Computers and Learning“ ergab, dass in den vergangenen zehn Jahren Investitionen in die IT-Ausstattung der Schulen keine nennenswerten Verbesserungen der Schülerleistungen in Lesekompetenz, Mathematik oder Naturwissenschaften erbrachten.
    Selbst in einer Telekom-Studie steht, was auch bei Hattie zu lesen ist: „Die verstärkte Nutzung digitaler Medien führt offensichtlich nicht per se zu besseren Schülerleistungen. Vielmehr kommt es auf die Lehrperson an.“ Andreas Schleicher, OECD-Direktor für Bildung, formulierte es in einem Interview mit einer australischen Zeitung so: „Wir müssen es als Realität betrachten, dass Technologie in unseren Schulen mehr schadet als nützt.“
    Quelle: Studis Online
  8. Das schwarz-blaue Kürzungsprogramm in Oberösterreich
    Oberösterreich macht vor, was ganz Österreich unter Schwarz-Blau droht. Kürzen wird zum Staatsauftrag, Ausgaben für Soziales und Kultur lediglich als Belastung dargestellt und die Schwächsten in der Gesellschaft im Stich gelassen. Dagmar Andree über die Pläne der ÖVP-FPÖ-Regierung in Linz.
    Eine Woche nach der Nationalratswahl ließen ÖVP und FPÖ die Masken fallen. Am 23. Oktober präsentierten sieben Männer und zwei Frauen – Regierungsmitglieder und Klubobleute von ÖVP und FPÖ – das neue Kürzungsprogramm für das Land Oberösterreich. Die Vorgaben wurden gleich zu Beginn klar gestellt: Auf Seite eins der Presseunterlagen prangte ein Null-Euro-Symbol. Erklärtes Ziel ist, die Einstufung durch die Ratingagentur Standard and Poor’s positiv zu beeinflussen.
    Und noch etwas machte Schwarz-Blau in Oberösterreich gleich zu Beginn deutlich: Die anderen haben nichts zu sagen. Bei der Pressekonferenz waren weder die Soziallandesrätin (SPÖ) noch der Integrationslandesrat (Grüne) geladen. Ihnen wurde über die Medien mitgeteilt, welche Kürzungen ihr jeweiliges Ressort umzusetzen hat. (…)
    Null Spielraum im Sozialbereich
    Zehn Prozent Einsparungen im Ermessensbereich bedeuten massive Einschnitte. Es trifft beeinträchtigte Kinder und deren Angehörige, weil Ferienprogramme gestrichen werden müssen. Diese wichtige Entlastung für berufstätige Angehörige können diese nicht durch Eigenleistungen kompensieren. Meist wird hier schon durch Teilzeitarbeit auf Einkommen verzichtet, da ist kein Spielraum. Heizkostenzuschüsse für MindestpensionistInnen, Ausbildungsprojekte für Jugendliche, die es schwerer haben am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen oder die Schulsozialarbeit – all diese wichtigen Leistungen sind nun von Kürzungen bedroht.
    Auch im Sozial- und Pflegebereich lassen die Ankündigungen Schlimmes erahnen. Bereits jetzt sind die Lohn- und Arbeitsbedingungen im Sozialbereich extrem belastend. Im Schnitt werden die Belegschaften auch älter. Hier bräuchte es eigentlich Entlastung, zusätzliche Mittel für Personalausgleich und höhere Bezahlung für enorme Leistungen. Durch die Kürzungen passiert das Gegenteil. Sie führen zu Einschnitten in der Qualität – sowohl für die, die Leistungen in der mobilen Pflege oder für Menschen mit Beeinträchtigung beanspruchen als auch für die Lebensqualität der Beschäftigten. Die oft gelobten Jobs der Zukunft werden zur Gesundheits- und Existenzgefährdung.
    Quelle: mosaik

    Anmerkung Christian Reimann: Droht ähnliches etwa auch in Deutschland?

  9. Labour kann es noch
    Labour kann es noch, auch in Neuseeland. Die neue Regierung dort startet mit einer sozialpolitischen Offensive. Noch ehe das Kabinett unter der 37jährigen Sozialdemokratin Jacinda Ardern offiziell im Amt ist, haben viele ihrer Landsleute Grund zur Freude. Eine der ersten Entscheidungen galt der Anhebung des Mindestlohns. Der liegt aktuell bei 15,75 Neuseeland-Dollar (NZD) pro Stunde (etwa 9,30 Euro) und soll bis 2021 schrittweise auf 20 NZD angehoben werden. Ab April kommenden Jahres wird demnach in einem ersten Schritt der Mindestverdienst auf 16,50 Dollar angehoben. Während Gewerkschaften und von den Medien befragte Geringverdiener die Ankündigung ausdrücklich begrüßen, warnte die Wirtschaftslobby: Der Schritt könnte schädlich für die Beschäftigungssituation sein und das ökonomische Wachstum ersticken. Doch das ficht die Regierungsfraktionen aus New Zealand Labour Party, Grünen und der rechtsbürgerlichen New-Zealand-First-Partei nicht an, hatten sie doch genau das in der Koalitionsvereinbarung festgelegt. (…)
    Das aktuelle Dreierbündnis kann als außergewöhnlich gelten und erinnert an die regierende Links-rechts-Koalition in Griechenland. Im Wellington kooperieren drei Parteien gegen den eigentlichen »Wahlsieger« Nationalpartei, eine davon nationalistisch, und sie setzen sozialpolitische Akzente. Die Koalition will ebenfalls stark in Infrastruktur investieren und gerade in bisher benachteiligten Regionen für mehr Arbeitsplätze sorgen.
    Quelle: junge Welt

    Anmerkung Christian Reimann: Vielleicht war der Gang der hiesigen SPD in die Opposition doch nicht so clever. Könnte wenigstens ein Versuch einer Koalition mit FDP, Grünen und Linken lohnen?

  10. Frankreich macht den Ausnahmezustand zum Normalfall
    Mit dem neuen Anti-Terror-Gesetz haben französische Sicherheitskräfte fast so grosse Befugnisse wie unter dem Ausnahmezustand. Ob das mehr Sicherheit bringt, bleibt unklar.
    Man muss sich das Entsetzen und die nackte Angst vergegenwärtigen, die im November vor zwei Jahren Frankreich erfassten, als islamistische Attentäter mitten in Paris 130 Personen in einem Konzertsaal, in Restaurants und auf der Strasse erschossen. Nur dann kann man nachvollziehen, warum ausgerechnet die freiheitsliebenden Franzosen mit so grosser Mehrheit die Verhängung des Ausnahmezustands unterstützten, der die Bürgerrechte des Einzelnen bei der Terrorbekämpfung der Sicherheit der Allgemeinheit unterordnete.
    Der Ausnahmezustand gilt ununterbrochen seit 23 Monaten, gegen keine der sechs Verlängerungen regte sich bemerkenswerter Widerstand. Die Angst ist geblieben – und auch die Bedrohung. Als der frühere Präsident François Hollande im Juli letzten Jahres andeutete, man müsse bald zur Normalität zurückkehren, raste wenige Stunden später ein Lastwagen in eine Menschenmenge in Nizza, und das Thema war wieder vom Tisch.
    Quelle: NZZ
  11. Mit deutscher Dominanz
    Die Bundeswehr vermeldet neue Fortschritte beim Aufbau von EU-Streitkräften. Gleich zwei Kooperationsvereinbarungen konnte sie im Oktober unter Dach und Fach bringen: mit Frankreich und Ungarn. Auch darüber hinaus schreitet der Ausbau der militärischen Zusammenarbeit auf dem Kontinent voran. Offiziell im NATO-Rahmen angelegt, ist er faktisch vom transatlantischen Bündnis weitgehend unabhängig. Mittlerweile beteiligen sich auch bislang neutrale Staaten wie Österreich und bald vielleicht sogar die Schweiz. (…)
    Die Cluster und Großverbände, die im Rahmen des FNC entstehen, werden von nationalen Streitkräften gebildet, nicht etwa von NATO-Einheiten. »Zwar ist die Möglichkeit vorgesehen, FNC-Verbände der NATO zu unterstellen«, erläuterte die SWP. »Im Grundsatz jedoch verbleiben die ›großen Truppenkörper‹ Kräfte der Staaten, und sie könnten etwa auch in Operationen der EU eingesetzt werden.« Praktisch bedeutet dies, dass da Einheiten entstehen, die jederzeit als »europäischer Pfeiler der NATO« gemeinsam mit den USA, alternativ aber auch auf eigene Rechnung im Namen der EU eingesetzt werden können. An der Schlüsselposition sitzt dabei die Rahmennation, die den Laden zusammenhält und seine konkrete Verwendung steuern kann.
    Dabei ist die Spannweite des Gesamtvorhabens beachtlich. Insgesamt beteiligen sich bislang – Deutschland eingerechnet – 20 Staaten; sieben von ihnen haben sich inzwischen bereit erklärt, Teile ihrer Streitkräfte in Einheiten eines anderen Landes zu integrieren. Mit dabei ist ein NATO-Staat, der nicht der EU angehört – nämlich Norwegen –, daneben aber auch EU-Staaten, die keine NATO-Mitglieder und offiziell sogar neutral sind: Wie die Bundeswehr berichtet, haben Österreich und Finnland inzwischen Absichtserklärungen zur Beteiligung am FNC unterzeichnet. Zudem haben Schweden und die Schweiz »Interesse an einer Mitarbeit signalisiert«. Perspektivisch könnte es also möglich werden, Streitkräfte des gesamten Kontinents gemeinsam in Kriege zu schicken – koordiniert durch die Rahmennation Deutschland.
    Quelle: junge Welt
  12. »Schamlose Lügen«
    Erneute Kampagne gegen Syrien und Russland wegen angeblichen Einsatzes von Chemiewaffen
    Russland hat in der vergangenen Woche im UN-Sicherheitsrat mit einem Veto die Verlängerung des Einsatzes von Inspektoren der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in Syrien verhindert. Der russische Vertreter bei den Vereinten Nationen, Wassili Nebensja, begründete das Veto damit, dass noch kein Bericht dieses »Gemeinsamen UN-Untersuchungsmechanismus« für Syrien (JIM) vorliege. Die von den westlichen Mächten eingebrachte Resolution sei deshalb verfrüht und nicht ausgereift. Bolivien, das dem Sicherheitsrat derzeit als nicht ständiges Mitglied angehört, unterstützte die russische Position, China und Kasachstan enthielten sich.
    Im russischen Außenministerium hieß es, ob das JIM-Mandat um ein weiteres Mal verlängert werde, müsse die Analyse des Berichts über dessen Arbeit im vergangenen Jahr ergeben. Der Report werde am 7. November dem Sicherheitsrat vorgelegt, dann könne man entscheiden, ob und wie das Mandat verlängert werden müsse. Es sei ein »Markenzeichen« der USA geworden, »die eigene Position anderen aufzwingen zu wollen«, sinnvolle Argumente würden nicht vorgelegt. »Sie lügen schamlos. Sie haben den JIM, die OPCW und den Sicherheitsrat bei der Kehle gepackt, ihre Unnachgiebigkeit ist weder nach dem Völkerrecht noch nach diplomatischen Regeln noch mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbar.«
    Dem russischen Veto folgte prompt eine internationale politische und Medienkampagne gegen die syrische Regierung und ihre Verbündeten. Basierend auf Auszügen aus dem bisher nicht veröffentlichten JIM-Report berichteten internationale Medien und Agenturen, die Inspektoren machten Damaskus für den Chemiewaffenangriff in Chan Schaichun am 4. April 2017 verantwortlich. Für den Einsatz von Senfgas am 15. und 16. September 2016 in Umm Hausch soll dagegen die Dschihadistenmiliz »Islamischer Staat« (IS) verantwortlich sein.
    Quelle: Karin Leukefeld in junge Welt

    dazu: US General Says 4,000 American Troops Are in Syria
    The Pentagon loves lying about troop levels in its major wars, and that’s been particularly true in Iraq and Syria, where after being called out for underreporting several times they officially decided they were going to stop telling the public troop levels at all.
    Maj. Gen. James Jarrard told reporters today that the US has about 4,000 ground troops in Syria, which is nearly 4,000 more troops than they’ve ever admitted to before. This figure apparently wasn’t supposed to be public, as other Pentagon officials were quickly scrambling to walk back that announcement.
    Pentagon spokesman Eric Pahon claimed to have no idea what the 4,000 figure was meant to represent, but insisted that the official figure for US troops in Syria is just 503. Whether that’s a firm count, or just the usual Pentagon hand-waving number, was unclear.
    Quelle: Antiwar.com

    Anmerkung Christian Reimann: Was sagt eigentlich die syrische Regierung oder/und das Völkerrecht zum “Aufenthalt” der US-Soldaten in Syrien? Der ist offenbar völkerrechtswiedrig, da Syrien lediglich Russland um Hilfe gebeten hatte. Aber das scheint die US-Administration und ihrem General nicht zu interessieren.

    dazu auch: Syria’s Extremist Opposition
    Last week, U.S. Secretary of State Rex Tillerson said that the rule of Syrian President Bashar al-Assad was “coming to an end.” But with the rapid decline of both the Islamic State (or ISIS) and foreign support for the so-called rebels, this notion is wishful thinking for most of the international community. For years, news of Assad’s demise has been greatly exaggerated. So too have the negative consequences of his survival, not because of his record but because the most likely alternative to his rule has been even worse, at least as far as U.S. national security is concerned.
    Quelle: Foreign Affairs

    Anmerkung unseres Lesers S.I.: Vielleicht zeichnet sich hier eine narrative Wende innerhalb der Think-Tank-Eliten ab. Anpassung an die Realität sozusagen.

  13. Das Schweigen der Wölfe
    Seit einigen Tagen ist klar, wer das Schmutzdossier bezahlt hat, mit der die Anti-Putin-Hysterie in den USA angeheizt werden konnte.
    Sie erinnern sich? Die Dauerhits beim Chorheulen der Wölfe in Medienhausen?
    Putin hat die US-Wahl gehackt! Putin hat den ehemaligen DIA Chef Michael Flynn „umgedreht“! Donald Trump ist Putins erpressbarer Lakai, seit der Perversling sich in einem Hotel von Prostituierten vollpinkeln ließ, in einem Bett, in dem Barack Obama schon mal geschlafen hatte! Und Putin – hier setzt dunkles Raunen ein – hat möglicherweise und wahrscheinlich davon ein Video…Das erklärt doch alles.
    Diese Verschwörungstheorie war wesentlicher Inhalt einer Schmutz-Akte, die durch ständige „Berichterstattung“ in den realexistierenden Qualitätsmedien auf beiden Seiten des Atlantiks die Nachrichtenlage prägt. Die Schmutz-Akte hatte der ehemalige britische Geheimagent John Steele als kommerzielle Auftragsarbeit angefertigt.
    US Medien meldeten, die Auftraggeber des ehemaligen MI-6 Agenten Steele seien republikanische Politiker der „Never Trump“ Fraktion gewesen.
    Steeles „Erkenntnisse“ waren verschiedenen US Medien vor der Wahl angeboten worden, aber kein Medium wollte sie veröffentlichen. Der Steele Bericht wurde dann aber von John McCain an die US Geheimdienste weitergereicht. Die erste Presseveröffentlichung fand in der Internetpublikation Buzzfeed statt, zwei Monate nach der Wahl, aber 10 Tage vor dem Amtsantritt von Donald Trump. Sie war eine Art Kriegserklärung an Trump, wie sie übrigens auch Claus Kleber und Elmar Thevessen, beide tief verflochten mit US Thinktanks, bereits unmittelbar nach der Wahl abgegeben hatten, mit Worten, die es bis dahin in der US Berichterstattung des ZDF nie gegeben hatte. Früher hätten solche Bemerkungen die Karriere beendet. Jetzt muss man offenbar austeilen, um weiter am Ball zu bleiben. […]
    Hillary Clinton sagte am 6. Januar 2017: “Siebzehn Geheimdienste, und alle sind sich einig. Ich weiß aus meiner Erfahrung als Senatorin und Außenministerin, wie selten das ist. Sie (die Geheimdienste) sind mit großer Zuversicht zu der Einschätzung gelangt, dass die Russen eine großangelegte Informationskriegs-Kampagne gegen meinen Wahlkampf führten, mit dem Ziel, die Wähler zu beeinflussen. Wir glauben, dass sie das mit bezahlter Werbung taten, durch Fake News Webseiten, durch tausende Agenten, durch Bots, die, wie sie wissen, dieses Zeug immer und immer wieder ausspuckten. Durch die Algorithmen, die sie entwickelt haben.“
    Das war schlicht falsch, Fake News. Es waren nur drei US Dienste, und in den drei Diensten nur handverlesene Mitarbeiter, die zu der Schlussfolgerung gelangt waren, dass etwas an den Vorwürfen dran sein könnte. Die Schlussfolgerung selektierter „Experten“ war also keine Einschätzung der Geheimdienste, sondern eine Einschätzung von ausgewählten Geheimdienstmitarbeitern über eine Auftragsarbeit. Mit anderen Worten: Ein Propaganda-Popanz. Die Story der „Glorreichen 17“ wurde in den deutschen Medien ausgiebig verbreitet, die Aufklärung über das „Mickrige Trio“ fand nicht statt.
    Quelle: KenFM
  14. Nachrichten im September
    Propaganda für die neoliberalen Parteien CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne und AfD
    Im September – dem Monat der Bundestagswahl! – waren in den Nachrichtensendungen der großen TV-Anstalten je 397mal Politiker der Regierungsparteien CDU und SPD zu Gast. 134mal kam die damals noch nicht im Bundestag vertretene AfD zu Wort, 132mal die Grünen, 122mal die Regierungspartei CSU. DIE LINKE als stärkste Oppositionspartei kam mit 73 Auftritten noch nach der damals außerparlamentarischen FDP (77). Das hat das Institut für empirische Medienforschung (IFEM) errechnet.
    Während Kanzlerin Merkel im Wahlmonat 231mal in „Tagesschau“, „Tagesthemen“, „heute“ und „heute journal“, „RTL aktuell“ und „SAT.1 Nachrichten“ vorkam, davon 96mal im O-Ton, ihr Herausforderer von der SPD, Martin Schulz, 144mal, wurde die Spitzenkandidatin der LINKEN Sahra Wagenknecht den Zuschauerinnen und Zuschauern gerade einmal 23mal präsentiert.
    Diese Berichterstattung zugunsten der Regierungsparteien und zweier außerparlamentarischer Parteien muss man aufgrund ihrer Einseitigkeit schon Propaganda nennen. Hier zeigt sich wieder einmal, wie die Machtstrukturen unserer Gesellschaft eine Politik, in der sich bei Löhnen, Renten und sozialen Leistungen die Interessen der Mehrheit durchsetzen, verhindern.
    Quelle: Oskar Lafontaine via Facebook
  15. Neuanfang à la SPD
    Die Posten in der SPD sind neu vergeben. Doch besetzt sind sie mit alten Bekannten. Ein Neuanfang sähe anders aus – und Andrea Nahles sollte sich schon einmal in Position bringen, meint Daniel Pokraka in seinem Kommentar. […]
    Und so bleibt Fraktionschefin Andrea Nahles die einzige, die in der SPD sowohl für einen Generationswechsel als auch für einen inhaltlichen Neuanfang steht. Sie ist eine profilierte Linke, aber keine Klassenkämpferin, hat als Arbeitsministerin SPD-Politik geliefert und ist längst auch konservativen Wählern vermittelbar.
    Quelle: WDR

    Anmerkung JK: Nun, wie der Kommentator darauf kommt, dass gerade Nahles „in der SPD sowohl für einen Generationswechsel als auch für einen inhaltlichen Neuanfang steht …”, müsste er einmal genauer erläutern. Nahles hat als Bundesministerin für Arbeit und Soziales dafür gesorgt, dass das Hartz IV Repressionsregime weiter verschärft wurde und hat mit der Ausweitung der betrieblichne Altersvorsorge, die Interessen der Finanzindustrie bedient.

  16. Das Letzte: Unser Grundeinkommen heißt Hartz IV
    Warum sollte man angesichts faktischer Vollbeschäftigung ein bedingungsloses oder solidarisches Grundeinkommen einführen? Der “Spiegel”-Kolumnist Jan Fleischhauer sieht darin wenig Sinn. Außerdem gebe es doch schon ein Grundeinkommen: “Es heißt halt Hartz IV.”
    Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat eine weitere Variante des Grundeinkommens in die Diskussion gebracht: ein “solidarisches Grundeinkommen”. Dessen Bezieher sollen im Gegenzug gemeinnützige Arbeit leisten: Sperrmüllbeseitigung etwa, das Säubern von Parks, Begleit- und Einkaufsdienste für Behinderte oder Babysitting für Alleinerziehende.
    Der Journalist und “Spiegel”-Kolumnist Jan Fleischhauer verspricht sich wenig von dieser Idee. “Ich habe den Eindruck, dass Herr Müller lange nicht mehr bei Leuten war, die versuchen, Menschen in Arbeit zu bringen, die seit Jahren nicht mehr gearbeitet haben”, sagte er im Deutschlandfunk Kultur.
    Diese Menschen könnten wahrscheinlich nicht mehr richtig arbeiten, “weil sie zum Beispiel morgens gar nicht mehr aus dem Bett finden. Oder eben tagsüber schon so beschickert sind, dass Sie sie jedenfalls nicht an irgendeine Maschine lassen können”, so der Journalist. “Und jetzt kann ich zu denen sagen: Recht doch mal ein bisschen den Garten oder so. Das kann ich alles machen. Aber ob uns das in Deutschland so wahnsinnig nach vorne bringt, wage ich doch zu bezweifeln.”
    Da in Deutschland faktisch Vollbeschäftigung herrsche, sehe er auch keine Notwendigkeit, den Arbeitsmarkt grundsätzlich zu überholen, sagt Fleischhauer. Auch gebe es hierzulande doch längst ein bedingungsloses Grundeinkommen. “Es heißt halt Hartz IV.”
    Quelle: Deutschlandradio Kultur

    Anmerkung JK: Fleischhauer in seiner originären Rolle als Apologet der herrschenden Verhältnisse, der dabei seiner zynischen Verachtung für Erwerbslose und Hartz IV Bezieher wieder einmal freien Lauf lässt. Wer sich über die zunehmende rhetorische und verbale Gewalt in den sozialen Netzwerken und der öffentlichen Debatte beklagt, darf sich bei Figuren wie Fleischhauer bedanken, der seine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit öffentlich und unwidersprochen im Deutschlandradio zelebrieren darf. Selbstverständlich bleibt auch die Behauptung, dass “in Deutschland faktisch Vollbeschäftigung herrsche …” ohne Widerrede. Vollends unverschämt wird Fleischhauer, wenn er anderen Menschen unterstellt, nicht mehr richtig arbeiten zu können. Was die Frage aufdrängt, ob Feischhauer, der sich zweifellos als “Qualitätsjournalist” betrachtet, überhaupt jemals in seinem Leben richtig gearbeitet hat.
    Man kann zu einem bedingungslosen Grundeinkommen unterschiedlicher Meinung sein, Hartz IV als solches zu bezeichnen ist eben zynisch. Hartz IV ist nicht bedingungslos, sondern mit einem schikanösen und erniedrigenden Repressions- und Saktionsregime verknüpft.


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