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Titel: Zum Gedenken an Johann Georg Elser, einen der wenigen mutigen Helden. Bisher ohne Gedenken.

Datum: 6. November 2009 um 8:53 Uhr
Rubrik: Gedenktage/Jahrestage
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Zur Erinnerung an das Attentat von Johann Georg Elser im Münchner Bürger Bräu-Keller schrieb Hans Wallow einen interessanten Text. Von der so genannten bürgerlichen Gesellschaft der Nachkriegszeit wurde Elser nahezu totgeschwiegen. Im Geschichtsunterricht meiner Schule im heimischen Baden-Württemberg der NSDAP-Mitglieder und späteren Ministerpräsidenten Filbinger und Kiesinger kam Johann Georg Elser nicht vor. Wir danken Hals Wallow für die Würdigung. Albrecht Müller

Hitler-Attentat am 8. November 1939:
Der stille Held

München am 8. November 1939 um 21.20 Uhr: Im Bürgerbräu-Keller ging in diesem Moment die alljährliche Kultveranstaltung der NSDAP zu Ehren der Toten des misslungenen Putsches von 1923 zu Ende, als eine gewaltige Detonation mit einer riesigen Stichflamme die Decke des Raumes einstürzen ließ. Der Leiter der Propagandatechnik beim Reichsautozug, Emil Wipfel, gab später zu Protokoll: „Plötzlich war um uns ein kurzer, greller Feuerschein. Im gleichen Augenblick hörten wir einen entsetzlichen Knall. Ich wurde etwa zwei Meter nach rückwärts geschleudert, fiel auf die Trümmer und dann brach es prasselnd und krachend über mich hinein.“

Die Trümmer hätten 15 Minuten früher den Redner Adolf Hitler und seinen neben ihm sitzenden Paladine, Dr. Joseph Goebbels (Reichsminister für Propaganda und Volksaufklärung), Rudolf Hess (Partei-Stellvertreter Hitlers) und Alfred Rosenberg (NS-Ideologe) treffen sollen. Aber die Verbrecher entkamen. Acht Menschen, die Kellnerin Maria Henle und sieben „alte Kämpfer“ und Blutordensträger starben unter der eingestürzten Decke. In einem Beitrag über den Staatsakt zu Ehren der Getöteten berichtete ein Reporter, sie alle wären „glühende Verfechter der Ideen des Führers“. Noch in derselben Nacht ließ Goebbels über die Medien den vom erfolgreichen Angriffskrieg gegen Polen noch berauschten Deutschen eintrichtern, dass es eine „göttliche Vorsehung“ war, die den Führer gerettet hätte. Die Wahrheit war profaner: Wegen des aufkommenden Novembernebels riet Hitlers Flugkapitän Baur von einem Flug ab. Der Diktator nahm einen Sonderzug, der 21.20 Uhr den Münchener Hauptbahnhof verließ. Er wollte ohne weiteren Zeitverlust in Berlin sein, um mit Generalstäblern der Wehrmacht Vorbereitungen für einen Angriff auf Frankreich zu planen. Goebbels ließ außerdem kolportieren, dass die Drahtzieher des Attentats der britische Geheimdienst in Zusammenarbeit mit dem in die Schweiz emigrierten Otto Strasser wären. Dieser einstige Repräsentant des sozialistischen Flügels der NSDAP hatte bereits 1930 mit Hitler gebrochen. Er bekämpfte das Regime aktiv aus dem Ausland. Doch noch ehe die Bombe explodierte, verhafteten die Zöllner Waldemar Zipper und Xaver Rieger bei Konstanz Johann Georg Elser wegen illegalen Grenzübertritts 25 Meter vor der Schweiz. Zu diesem Zeitpunkt wussten sie noch nicht, wen sie da aufgegriffen hatten. Erst als sie im Radio die Meldungen über das Attentat in München hörten und bei Elser Aufzeichnungen über die Herstellung von Granaten, Teile eines Zünders, ein Rotfront-Kämpfer-Abzeichen und eine unbeschriebene Ansichtskarte vom Bürgerbräukeller fanden, wurde ihnen der Mann suspekt. Sie lieferten ihn an die Münchener Gestapo aus. Dort gestand er die Tat nach tagelanger Folter am 14. November 1939 in Anwesenheit des Reichskriminaldirektors Dr. Arthur Nebe und Kriminalrats Hans Lobbe. Er bestand jedoch darauf, sie ohne Hilfe begangen zu haben. Für Hitler und die gesamte Naziführung war es unvorstellbar, dass ein Einzelner, ein einfacher Schreiner noch dazu, die Motivation, technische Versiertheit und vor allem Entschlossenheit besaß, das schwierige Attentat zu planen und durchzuführen, denn Hitler wurde zu diesem Zeitpunkt hermetisch abgesichert.

So notierte auch der SS-Reichsführer Heinrich Himmler an den Rand der Verhörprotokolle und zusammenfassenden Berichte aus München, in dem Elser die Einzeltäterschaft unterstellt wurde: „Welcher Idiot hat diesen Bericht gemacht?“ Goebbels schrieb am 15. November 1939 in sein Tagebuch: „Himmler hat nun den ersten Attentäter von München gefunden. Ein Techniker aus Baden-Württemberg. Aber die Hintermänner fehlen noch.“ Die Schergen des Regimes, SS und Gestapo, hielten Elser für einen primitiven Wichtigtuer ohne weltanschauliche Basis. Hitler aber hatte – wie häufig bei Bossen von Gangstersyndikaten – ein gut entwickeltes Gespür für Charaktere. Nach den Erinnerungen seines Kammerdieners Heinz Linge deutete er gegenüber Himmler ein Foto des Attentäters: „Sehen Sie sich einmal die Physiognomie an, die Augen, die intelligenten Gesichtszüge, das ist kein Blender, kein Schwätzer. Der weiß, was er will. Stellen Sie fest, welche politischen Kreise hinter ihm stehen. Er ist vielleicht ein Einzelgänger; aber ohne Weltanschauung ist er nicht.“

Bis 1945 versuchten SS und Gestapo aus Elser mithilfe aller denkbaren Foltermethoden irgendwelche Namen herauszupressen. Der kleine, schmächtige Mann aus Königsbronn in Württemberg ließ sich auch durch Pervitin-Spritzen der Nazi-Ärzte nicht brechen.

Wer war dieser am 4. Januar 1903 in Hermaringen geborene Johann Georg Elser, dessen komplexe Persönlichkeit auch nach 1945 besonders vom Bildungsbürgertum gern ignoriert wurde. Sein individueller Versuch, das braune Mördersystem zu destabilisieren, wurde je nach politischem Standort lange als Tat eines kommunistischen Fanatikers oder Sonderlings abgetan. Keines dieser Klischees stimmt mit dem Charakter des deutschen Wilhelm Tell überein. Aber viele Mitläufer des Regimes wollten es nicht wahrhaben, dass ein einfacher Handwerker durch seine Wertorientierung schon früh die Verbrechen erkannte und aus eigenem Entschluss handelte. Dass es schon 1933 keine andere Möglichkeit mehr gab, Hitler und die Nazis zu entmachten und die Katastrophe des 2. Weltkriegs zu verhindern, schrieb sein Landsmann Carlo Schmid, Universitätsmitarbeiter in Tübingen und später als SPD-Politiker Mitverfasser des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in seinen „Erinnerungen“ über die Zeit nach der Machtergreifung: „Es wurde zur Gewissheit, daß keine Aussicht bestand, der sich nun bildenden Gewaltherrschaft wirksam Widerstand zu leisten.“ Der mit dem militärischen Widerstand um Admiral Canaris verbundene Konservative Hans-Bernd Gesevius zitiert Dr. Arthur Nebe, der zwar ein Kriegsverbrecher war, aber lose Verbindungen zum Widerstand unterhielt: „Nimm diesen Elser – das ist ein Kerl. Das ist der Einzige unter uns, der es erfaßt hatte und dem gemäß handelte. Das ist ein Held unserer Zeit und deswegen werden die Nazis, nein, gerade deine feinen Leute alles tun, um jede Erinnerung an ihn auszulöschen… Dieser Mann aus dem Volke liebte das einfache Volk. Er legte mit leidenschaftlich und in simplen Sätzen dar, Krieg bedeute für die Massen aller Länder Hunger, Elend und millionenfachen Tod.“

Woher nahm der „kleine Schorsch“, wie er in seiner Heimat und später auch im KZ genannt wurde, diese moralische Kraft und Zähigkeit? Er durchlebte in Königsbronn eine harte Kindheit. Der Vater, ein alkoholsüchtiger, gewalttätiger Holzhändler; die Mutter, eine gläubige, fleißige Protestantin, deren einzige Freizeit darin bestand, in die Bibelstunde zu gehen. Sie erzog alle vier Kinder im christlichen Glauben und betrieb eine kleine Landwirtschaft, in der ihr Ältester Johann Georg schon früh arbeiten musste. Trotz der Schläge des Vaters blieb er folgsam und wurde ein guter Schüler. In der Heidenheimer Gewerbeschule erhielt er drei Belobigungen und schloss seine Schreinerlehre als Jahrgangsbester ab. Hellmut G. Haasis schrieb in der Elser-Biografie: „In den trostlosen Familienerfahrungen dürfte Georgs starkes Gerechtigkeitsempfinden gründen: das tragende Motiv seiner antinazistischen Einstellung.“

Der ruhige, feingliedrige junge Mann mit der damals unüblichen gewellten Künstlerfrisur galt in seinem Heimatort als freundlich, arbeitsam und vor allem hilfsbereit. In seiner knappen Freizeit widmete er sich der Kunstschreinerei, zum Beispiel der Herstellung feiner Intarsienarbeiten. In dem Königsbronner Zither-Club und seinem Stammlokal, wo er darauf bestand, immer auf demselben Platz zu sitzen, galt er als liebenswert, gesellig, aber auch eigenwillig. Am liebsten beobachtete er – meistens lächelnd – seine Umgebung. Nur wirklich guten Freunden öffnete er seine Gedanken.

Anfang Mai 1925 erfüllte Elser sich seinen Traum von der Befreiung aus der heimatlichen Enge, indem er am Bodensee auf Wanderschaft ging. So arbeitete der fleißige Schwabe zum ersten Mal in seinem Leben nur so viel, wie er selbst zum Leben benötigte. Die Naturerlebnisse am Ufer des Bodensee bedeuteten dem sparsamen Elser mehr als Geld. Während seiner Tätigkeit in einer Uhrenfabrik fand er Anschluss ans linke Milieu und trat in Konstanz in die Holzarbeitergewerkschaft ein. Ab 1929 fuhr der junge Mann, der sich als Autodidakt ständig beruflich weiterentwickelte, mit dem Fahrrad fünf Kilometer ins schweizerische Bottighofen zur Schreinerei Schönholzer. Wegen seines Arbeitseifers, Kompetenz in seinem Beruf und der Bereitschaft, Überstunden zu leisten, erlaubte ihm sein Arbeitgeber, dass er bei schönem Wetter nur abends oder nachts arbeiten durfte. Den Tag verbrachte er dann mit Schwimmen oder lag am Ufer im Gras und beobachtete die vorbeiziehenden, silbern glänzenden Zeppeline aus Friedrichshafen. Als Mitglied des Abstinenzler-Vereins von Kreuzlingen, wo die Frauen in der Mehrheit waren, wurde der elegante, hübsche junge Mann mit dem „Strunz-Tüchlein“ in der Jacken bald der Hahn im Korb. Er verliebte sich in Mathilde Niedermann und zeugte ein Kind mit ihr, trennte sich aber, als er sich hintergangen fühlte. Elser entwickelte sich zu einem Anti-Typ des damals vorherrschenden militärischen Macho-Mannes. Nach sieben Jahren am Bodensee, in denen er auch vom freiheitlichen Geist der Schweiz beeinflusst wurde, empfand er tiefste Verachtung für das Kriegsgebrüll und die Gewaltherrschaft der Nazis. Hitler war für ihn ein notorischer Lügner. Als die Mutter Georg um Hilfe bat, weil der Vater immer mehr dem Alkoholosmus verfiel und das Eigentum vertrank, kehrte er 1932 nach Heilbronn zurück. Elser landete in einer Sackgasse. Ihm missfiel die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage der einfachen Arbeiter, die Verfolgung der Juden und der immer stärker werdende Justizterror seit der Machtübernahme. Schon wegen Lappalien wie das Nichtgrüßen der Hakenkreuzfahne wurden Menschen verhaftet und ins Gefängnis oder sogar KZ gesperrt. Auch die Medien waren gleichgeschaltet. Im Gespräch achtete man stets darauf, dass niemand lauschte. Niemand konnte mehr die Wahrheit von Propaganda unterscheiden. Elser hörte weiterhin den Schweizer Rundfunk von Beromünster und andere verbotene ausländische Sender. Er verfügte über ein fast fotografisches Gedächtnis und konnte sich Baupläne oder Notenblätter so gut einprägen, dass er danach prompt ein Gerät konstruieren oder die Melodie spielen konnte. Auch befähigte ihn seine hohe emotionale Intelligenz dazu, Hitlers Politik im Zusammenhang und von der inneren Wahrheit her zu entlarven. Gegenüber seinem Freund Josef Schurr, den die Machthaber sofort nach dem Ermächtigungsgesetz ins KZ Heuberg deportierten, bezeichnete er Hitler nur als „das Verbrechergesicht“. Zusammen hörten sie ausländischen Rundfunk und diskutierten darüber, was zu tun sei. Elser war damals zweifellos nicht nur enttäuscht von den Amtskirchen der beiden christlichen Konfessionen, sondern auch von der KPD, die zwar die Weltrevolution anstrebte, nicht aber an der Verbesserung der konkreten Lebenslage des Proletariats interessiert war. Zwischen 1936 und 1937 muss der gläubige Christ und freie Sozialist den Entschluss gefasst haben, Hitler und die engere NS-Führung allein zu beseitigen. Sein Freund Josef Schurr schrieb am 3. Februar 1947 über diese Zeit in der „Ulmer Zeitung“: „Wer diesen Krieg nicht kommen sah, war politisch blind.“

Von da an hörte er nicht mehr auf die gut gemeinten Ratschläge derer, die ahnten, dass er etwas vorhatte. Er kümmerte sich auch nicht um Organisationen, denen er sowieso misstraute. Elser musste viele persönliche Opfer bringen. Er schuftete in einem Steinbruch, um an Dynamit zu kommen, und dann in einer Rüstungsfabrik, um sich Zündkapseln zu beschaffen. Seine Umgebung wunderte sich nur darüber, dass er in schlecht bezahlten Berufen arbeitete und sich immer stärker von ihnen zurückzog. Aber er verschloss seine Augen nicht, als Juden durch die Straßen getrieben wurden. Er hörte von den Bomben auf Unschuldige im spanischen Guernica und Warschau und hatte als einer der Wenigen in Deutschland eine Ahnung von der Singularität der Verbrechen, die im Namen Deutschlands von den Nationalsozialisten begangen wurden. Seinen außerordentlichen Mut bezahlte Georg Elser (bis dahin als Sonderhäftling des Führers) am 9. April 1945 im KZ Dachau mit dem Leben. Auch in der Nachkriegszeit blieb dem stillen Helden die Anerkennung für seine Tat bis heute versagt. Darum schlug der Dramatiker Rolf Hochhuth dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, vor, zum 70. Jahrestag des Attentats im Regierungsviertel ein Denkmal für Georg Elser zu errichten. Obwohl der Zigarettenerbe Philipp Reemtsma sofort anbot, das Projekt zu finanzieren, wurde Hochhuths Vorschlag bis jetzt ignoriert.

Hans Wallow


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