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Titel: Zur Wahl des SPD-Vorsitzenden: Scholz? Das geht nicht. Vielleicht zwei andere Paarungen.

Datum: 19. Oktober 2019 um 11:00 Uhr
Rubrik: SPD
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Vorweg: Falls Sie die weitere Entwicklung bei der SPD nicht interessiert, was man verstehen kann, dann verzichten Sie einfach auf die Lektüre dieses Textes. – Nun zur Sache: Niels Annen und Carsten Schneider haben eine Wahlempfehlung abgegeben. Sie empfehlen hier die Wahl von Klara Geywitz und Olaf Scholz. Die Wahl von Olaf Scholz wäre die Bestätigung des weiteren Niedergangs der SPD. Ihm ist als Bundesfinanzminister und Vizekanzler nichts eingefallen, um die sozialdemokratische Programmatik zu stärken. Er hat die Schwarze-Null-Politik Schäubles einfach weitergemacht. Sind irgendwo Initiativen von Scholz z. B. zu mehr Steuergerechtigkeit und zum Austrocknen der Steueroasen zu erkennen?  Er war als SPD-Generalsekretär von Oktober 2002 bis März 2004 mitverantwortlich für die Agenda 2010 und hat dann als Bundesminister für Arbeit und Soziales den sozialen Schrumpfkurs der SPD mitbetrieben. Albrecht Müller.

Als SPD-Mitglied für Olaf Scholz zu votieren, kommt einem politischen Selbstmord gleich. Deshalb die Anregung, das nicht zu tun und auch bei anderen SPD-Mitgliedern dafür zu werben, auf jeden Fall Scholz ihre Stimme nicht zu geben.

Eine positive Empfehlung auszusprechen, ist ausgesprochen schwierig. Und es gibt ein großes Problem: Es gibt ein paar einigermaßen progressiv erscheinende Gespanne. Sie nehmen sich gegenseitig die Stimmen weg. Deshalb will ich nach Prüfung der Positionen bekennen, dass aus meiner Sicht und auch aus der Sicht einiger Freundinnen und Freunde, mit denen ich im Austausch stehe, zwei der Doppel infrage kommen: Schwan/Stegner und Walter-Borjans/Esken.

Bei beiden Gespannen muss man allerdings einiges kritisch hinterfragen:

Zu Schwan/Stegner:

Ralf Stegner ist seit 2014, also schon fünf Jahre lang Stellvertretender Vorsitzender der SPD.

Gesine Schwan ist seit 2014 Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD.

Was haben die beiden in diesen wichtigen Funktionen getan, um den rasanten Abstieg der SPD zu stoppen? Was haben sie getan, um das Profil der SPD zu stärken?

Gesine Schwan war Mitbegründerin der Seeheimer. Einen solchen Verein kann man ja gründen, obwohl das damals eindeutig gegen Willy Brandt gerichtet war und damit den Niedergang der SPD einleitete. Den Seeheimern und auch dem Ehepaar Schwan passte der Brückenbau Brandts zur Jugend und insbesondere zu den Achtundsechzigern nicht. Das fand ich damals unerträglich. Aber das ist Vergangenheit.

Zur Gegenwart aber die Frage: Was hat Gesine Schwan getan, um die für die SPD tödliche Vormachtstellung der Seeheimer zu relativieren und Pluralität von rechts bis links möglich zu machen? Ohne Pluralität bleibt eine Volkspartei keine Volkspartei. Was die SPD jetzt mit ihren ca. 15 % erreicht, ist das Potenzial der Seeheimer. Alles andere fehlt.

Trotz aller kritischen Anmerkungen: Die beiden haben wenigstens in der friedenspolitischen Frage ein ziemlich deutliches Profil. Und sie wären trotz aller Kritik noch um vieles besser als Olaf Scholz und seine Partnerin.

Zu Walter-Borjans/Esken:

Eigentlich wollte ich für die beiden votieren und überlege das auch noch. Norbert Walter-Borjans hat seine Funktion als Finanzminister in Nordrhein-Westfalen genutzt, um die Nutzung von Steueroasen einzudämmen. Er hat gegen großen Widerstand die notwendigen CDs mit den Daten aufkaufen lassen. Auch sonst traue ich ihm in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik die dringend notwendige neue Profilierung der SPD zu. Eine etwas deutlichere Erklärung der Beiden zur Frage, ob wir und wie wir den Faden der Entspannungs- und Friedenspolitik wieder aufnehmen und die Konfrontation mit Russland beenden können. (Siehe dazu auch diesen, gestern veröffentlichten Artikel von Uwe Thomas).

Walter-Borjans hat in diesem Zusammenhang auf ein Interview verwiesen, das er und Saskia Esken dem „Blog-der-Republik“ gegeben haben. Was dort gesagt wurde, reicht mir nicht. Ich zitiere die Passagen zur Außenpolitik vollständig, damit Sie sich ein Bild machen können:

Frage: Ein Wort zur Außenpolitik, nein, aber nicht zu Trump, sondern zu Russland und Putin. Müssen wir nicht wegkommen von den Sanktionen gegen Moskau? Sie helfen niemandem, auch nicht der deutschen Wirtschaft, sie bringen uns nicht weiter. Und was den Grund dafür angeht: Hat der Westen nicht selber viel Schuld daran, dass Putin die Krim annektiert hat? Einer wie Fritz Pleitgen, langjähriger Russland-Korrespondent und Kenner des Landes, spricht sich schon länger gegen diese Politik aus.

NWB: In einem Punkt widerspreche ich Fritz Pleitgen, den ich sehr schätze und mit dem ich mich intensiv über diese Frage ausgetauscht habe: Die Annexion der Krim ist völkerrechtswidrig. Der Rückgriff auf historisch begründete Besitzansprüche war schon immer Auslöser von Krisen und Kriegen. Wir würden in Mitteleuropa nicht seit 75 Jahren in Frieden leben, wenn Willy Brandt mit seiner Ostpolitik den Teufelskreis nicht durchbrochen und stattdessen Grenzen als unveränderlich anerkannt hätte. Aber wie Pleitgen und viele andere halte ich die Wirtschaftssanktionen für falsch.

SE: Wir sind uns einig: Wenn wir ein Volk guter Nachbarn sein wollen, wie es Willy Brandt ausgedrückt hat, dann dürfen Sanktionen nicht die große Mehrheit der Menschen treffen, die ohnehin schon vom Demokratiedefizit gebeutelt sind. Und sie dürfen eben auch nicht immer wieder zu obskuren Umgehungsgeschäften einladen, die ganz sicher nicht zu einem ehrlicheren Umgang miteinander beitragen.

Die Kritik an der sogenannten völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und die Kritik an den Sanktionen – ist das alles, was zwei Kandidaten für den Parteivorsitz der SPD angesichts der den Frieden bedrohenden Entwicklung in Europa, die wesentlich vom Westen ausgelöst worden ist – durch die Ausdehnung der NATO bis an die russische Grenze, durch die Inszenierung eines Regime Change in der Ukraine, durch viele Kriege in der Welt – zu sagen haben?

Bei der Eingliederung der Krim ging es doch nicht um die Realisierung „historisch begründeter Besitzansprüche“. Es ging um die Abwehr des Versuchs der USA und des Westens, Zugriff auf ein Territorium zu erhalten, in dem in Sewastopol die einzige südliche Marinebasis Russlands liegt.

Zur Friedenspolitik Willy Brandts und der SPD seinerzeit gehörte notwendigerweise die Kunst und der Wille, sich in die Lage des anderen, in diesem Fall Russlands, zu versetzen. Wenn die Krim in die Hände der zusehends rechtsorientierten Kräfte in der Ukraine gekommen wäre, dann wäre der Konflikt mit Russland vorprogrammiert gewesen. Dann hätte vor allem aufgrund dieser Bedrohung die innere Entwicklung Russlands einen bedrohlichen Lauf genommen. Das hätte zu einer Stärkung der militärischen und nationalistischen Kräfte Russlands geführt. Das wäre nicht „Wandel zum Guten durch Annäherung“, sondern „Wandel zum Schlimmeren durch Konfrontation“ gewesen. Der frühere Vorsitzende Willy Brandt und auch Egon Bahr hätten das erkannt. Warum nicht der Bewerber Walter-Borjans und die Bewerberin Esken?

Auch einige andere Äußerungen, vor allem jene zu Migration wegen des demographischen Problems, haben mich irritiert. Aber es gab auch viele positiv aufzunehmende Passagen. Wer sich noch orientieren will, kann das Interview ja mal ganz lesen.

Wenn sich die Beiden in der noch verbleibenden Zeit zugunsten einer neuen friedenspolitischen Initiative gegenüber Russland äußern und zum Beispiel für den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag votieren, dann wäre für mich die Entscheidung positiv gefallen.

Abstimmen werde ich in jedem Fall, weil nur dann die Chance besteht, Olaf Scholz und damit das weitere Siechtum der SPD zu verhindern.


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