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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 1. April 2020 um 8:21 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Germany First
  2. Die Zahlen sind vollkommen unzuverlässig
  3. Das ist keine Krise, sondern eine Katastrophe
  4. Ohne Absturz durch die Krise – Kurzarbeitergeld jetzt anheben
  5. Adieu Demokratie – So übernimmt Orban die totale Kontrolle in Ungarn
  6. Politiker attackiert von der Leyen – Kuba und China zeigen bei Corona mehr Solidarität als die EU
  7. SPD-Chefin Esken fordert Sonderabgabe auf Vermögen
  8. Armut: Einer bzw. eine von acht gefährdet
  9. Tarifverträge für alle unsere Heldinnen und Helden im Handel! Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge, werte Regierungen in Bund und Land!
  10. Jetzt steht Armut auf dem Spielplan
  11. Deutschland rekrutiert Pflegepersonal aus Lateinamerika
  12. Führt die Digitalsteuer ein!
  13. Soziale Bewegungen in Chile: “Wir werden weiterkämpfen“
  14. USA: Die vermeintliche Freiheit wird zur Armutsfalle
  15. 871 islamfeindliche Attacken in BRD
  16. Von der Idee, mit Grund und Boden reich zu werden
  17. Resilienz in der Coronavirus-Pandemie – Wie die Krise unser falsches Verständnis von Glück entlarvt
  18. Yuval Noah Harari: the world after coronavirus

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Germany First
    Politiker und Medien in Südeuropa laufen Sturm gegen die Weigerung Berlins, in der Coronakrise deutsche Interessen zurückzustellen.
    Bürgermeister aus den am härtesten von der Covid-19-Pandemie betroffenen Städten Norditaliens bitten in einer ganzseitigen Anzeige in einer führenden deutschen Tageszeitung um “europäische Solidarität”. Italien sei zur Bewältigung der Coronakrise auf “Coronabonds” angewiesen, erklären die Bürgermeister; sie dringen darauf, Berlin solle seinen Widerstand dagegen aufgeben. Seit vor allem die Bundesregierung beim EU-Gipfel Ende vergangener Woche die Debatte über die “Coronabonds” abgewürgt hat, die besonders für die Länder Südeuropas existenziell wichtig, für Berlin allerdings nicht kostenneutral wären, laufen Politiker und Medien von Spanien über Italien bis Griechenland Sturm. Deutschland treibe Politik nach dem Modell des Trump’schen “America First”, heißt es in Spanien, während in Griechenland gewarnt wird, ein Verzicht auf die “Coronabonds” könne sich “für Europa als noch vernichtender erweisen” als das Covid-19-Virus. Sogar EU-orientierte italienische Medien protestieren gegen das “hässliche Europa” und schließen das Ende des “europäischen Projekts” nicht aus.
    Im Stich gelassen
    Erheblichen Unmut hatte bereits Anfang März die Weigerung der Bundesregierung ausgelöst, den am schwersten von der Covid-19-Pandemie getroffenen Staaten zu Hilfe zu kommen. Insbesondere der Beschluss vom 4. März, einen Exportstopp auf medizinische Schutzausrüstung zu verhängen, anstatt etwa Italien zu unterstützen, dann allerdings auch die faktische Schließung der Grenze nach Frankreich am 16. März hatten in den betroffenen Ländern massive Verärgerung hervorgerufen (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Diese hält an. Erst gestern hieß es etwa in der spanischen Tageszeitung El País, zwar habe die EU bereits am 12. Februar großspurig beschlossen, sie müsse Bemühungen fördern, Schutzausrüstung bereitzustellen – insbesondere für das hart kämpfende Krankenhauspersonal -, doch sei bislang immer noch nichts geschehen. Auch darauf sei es zurückzuführen, dass Ärzte und Pfleger in spanischen Krankenhäusern sich nicht ausreichend gegen das Virus schützen könnten. Eine “direkte Konsequenz” sei es, dass die Ansteckungsrate des medizinischen Personals sehr hoch sei: Am Montag seien 12.298 Ärzte und Pfleger als infiziert gemeldet gewesen, 15 Prozent der Gesamtzahl der in Spanien an Covid-19 Erkrankten.[2] (…)
    Der deutsche Hochmut
    Besonders scharfe Kritik kommt aus Italien – weiterhin auch aus Kreisen, die grundsätzlich klar EU-orientiert sind. Ministerpräsident Giuseppe Conte erklärte am Wochenende mit Blick auf die “Coronabonds”: “Ich vertrete eine stark leidende nationale Gemeinschaft und kann keine Verzögerungen erdulden.”[12] Es gelte, “tragische Fehler” zu vermeiden: “Sollte Europa nicht in der Lage sein, dieser epochalen Herausforderung Stand zu halten, würde Europa vor den Augen unserer Bürger seine Existenzberechtigung verlieren”. EU-orientierte Medien titeln “Hässliches Europa” [13] oder warnen, komme es nicht zu einer schnellen Einigung auf eine Krisenstrategie, dann sei “das europäische Projekt vorbei” [14]. Die Wirtschaftspresse erinnert daran, dass die Bundesrepublik ihren Aufstieg nur dank eines großzügigen Schuldenerlasses im Londoner Schuldenabkommen von 1953 habe erreichen können: Ohne dieses Zugeständnis, das von Italien mitgetragen wurde, hätte Deutschland “weitere 50 Jahre Schulden zurückzahlen müssen”.[15] Ähnlich äußert sich der in Italien populäre Schauspieler und Regisseur Tullio Solenghi. Solenghi kritisiert: “Die Deutschen tragen heute auf ökonomischem Gebiet Hochmut zur Schau … . Sie fühlen sich höherwertig.” Wäre “die internationale Gemeinschaft” nach dem Zweiten Weltkrieg “mit demselben, stets wiederkehrenden deutschen Hochmut” aufgetreten und hätte ihrerseits “die tatsächlichen Kriegsschulden zurückgefordert, dann würden die Deutschen heute aus den Mülltonnen leben.”[16]
    Quelle: german-foreign-policy.com
  2. Die Zahlen sind vollkommen unzuverlässig
    Wie gefährlich das Coronavirus ist, wissen Experten noch immer nicht genau. Hier erklärt der Statistikexperte Gerd Antes, was nun für eine Risikobewertung nötig ist und warum die Reaktion der Politik bislang richtig war. […]
    Es gibt zweifellos ein Problem. Wir sehen in diesen Regionen, dass die Gesundheitssysteme überlastet sind, weil zu viele Menschen zur gleichen Zeit schwer erkranken. Das unterscheidet den Corona-Ausbruch von der jährlichen, sich vergleichsweise langsam ausbreitenden Grippewelle.
    Gleichzeitig wissen wir allerdings nicht, wie tödlich das neue Coronavirus im Vergleich zur Grippe ist und wie viel schneller genau es sich ausbreitet. Wenn man es als Bild beschreiben will, warten wir auf einen Tsunami, wissen aber noch nicht einmal annähernd, wie hoch die Welle wird. […]
    Wie viele Menschen sich tatsächlich infizieren, wissen wir dagegen nicht. Die Schätzungen variieren extrem. Je nach Experten ist davon die Rede, dass sich fünf bis zehn Mal mehr Menschen infizieren als nachgewiesen werden. Manche Schätzungen liegen beim Zwanzigfachen oder sind noch höher.
    Quelle: SPIEGEL Online

    Lesen Sie dazu auf den NachDenkSeiten: Maximale Maßnahmen auf Basis minimaler Gewissheit und „Solchen Wissenschaftlern würde ich gerne Kamera oder Mikrofon entziehen“.

  3. Das ist keine Krise, sondern eine Katastrophe
    Die Lage im zentralen spanischen Coronavirus-Ansteckungsherd ist fatal. Gespräch mit einem infizierten Beschäftigten im kollabierenden Madrider Gesundheitssystem
    Seit Tagen spitzt sich die Lage in Spanien immer weiter zu. Das Land ist dabei, in Europa Italien die Spitzenposition bei in Coronavirus-Krise abzunehmen. Tatsächlich liegt die Zahl der offiziell registrierten Toten, die immer stärker mit Vorsicht zu genießen ist, in den letzten Tagen jeweils in Spanien über der in Italien. Am Sonntag wurde in Spanien ein neuer Rekord mit 838 Toten registriert, während es in Italien offiziell 756 waren. Am Montag waren es in beiden Ländern wieder 812 und am Dienstag gab es einen neuen Rekord mit 849 offiziellen Coronavirus-Toten.
    Drastische Maßnahmen in Italien, das schon vor 10 Tagen alle Aktivitäten bis auf die Grundversorgung reduziert hat, scheinen zu einer Stabilisierung zu führen. In Spanien, bisher in einem “merkwürdigen Alarmzustand”, kann davon aber keine Rede sein. Deshalb blieb auch der sozialdemokratischen Regierung am Samstag keine andere Möglichkeit mehr, den von vielen Experten lange geforderten “Lockdown” endlich zu verkünden. Doch bei der Umsetzung gab es wieder massive Probleme, weshalb die Reduzierung auf die Grundversorgung real erst am heutigen Dienstag umgesetzt wird. Mittlerweile werden offiziell schon 8.189 Tote (in Italien 11.591) verzeichnet. Die Kurve ist in Spanien weiter deutlich steiler als in Italien. Und das lässt erwarten, dass es hier eher noch schlimmer kommt.
    Über die Lage im Land, allen voran im Gesundheitswesen im zentralen Ansteckungsherd Madrid, sprach Telepolis mit Eduardo Fernández Ulloa. Er ist einer von 12.000 Beschäftigten im spanischen Gesundheitswesen (Stand vom Montag), die sich inzwischen mit dem Virus infiziert haben. Er arbeitete bis zu seiner Infektion auf der Intensivstation im Krankenhaus Infanta Sofía in San Sebastián de los Reyes, nahe der Hauptstadt Madrid, in der schwer getroffenen Region Madrid.
    Quelle: Telepolis
  4. Ohne Absturz durch die Krise – Kurzarbeitergeld jetzt anheben
    Zu den aktuellen Arbeitsmarktzahlen sagt Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied:
    „Rund 470.000 Betriebe in Deutschland haben vorübergehend Kurzarbeit angezeigt – das ist eine immens hohe Zahl, die zeigt, wie groß die Auswirkungen der Corona-Krise auf das Arbeitsleben sind. Erschrecken sollte uns die Zahl aber nicht: Kurzarbeit ist ein Mittel, um Einbrüche zu überbrücken und Beschäftigung zu halten. Wer jetzt Kurzarbeit beantragt, setzt darauf, dass es nach der Krise weitergeht, deshalb ist es gut, dass das Instrument genutzt wird. Gut ist in dieser Situation auch, dass die Bundesagentur ihre Kapazitäten so schnell hochzieht, um den Andrang gut und effektiv bewältigen zu können.
    Aber nicht nur die Betriebe, auch die Beschäftigten sollen ohne Absturz durch die Krise kommen. Deshalb müssen sich Arbeitgeber und Bundesregierung jetzt endlich bewegen und das Kurzarbeitergeld auf 80 Prozent anheben. Denn für viele tausend Beschäftigte, die nicht unter dem Schutz von aufstockenden Tarifverträgen stehen, bedeutet Kurzarbeit, mit 60 beziehungsweise 67 Prozent ihres bisherigen Nettolohns auszukommen, wobei nicht einmal die sonst gezahlten Zuschläge mit einberechnet werden. Bei den wenigsten Familien reicht das zum Leben und für die Miete…
    Quelle: DGB

    Dazu: Kurzarbeitergeld: Tarifvertragliche Aufstockung auf bis zu 97 Prozent
    In der aktuellen Krisensituation ist die Kurzarbeit ein wesentliches Instrument zur Vermeidung von Arbeitsplatzverlusten. Allerdings geht Kurzarbeit für die Beschäftigten oft mit erheblichen Einkommenseinbußen einher. Nach dem Gesetz erhalten sie 60 Prozent (Eltern mit Kindern 67 Prozent) des vorherigen Nettogehaltes für die ausgefallene Arbeitszeit.
    In einigen Branchen haben die Tarifvertragsparteien eigene Regelungen getroffen, um das Kurzarbeitergeld aufzustocken…
    (…) Nach Einschätzung, des Leiters des WSI-Tarifarchivs, Prof. Dr. Thorsten Schulten, wird jedoch insgesamt nur eine Minderheit der Tarifbeschäftigten von solchen Aufstockungsregelungen erfasst. „Insbesondere in den klassischen Niedriglohnsektoren gibt es oft keine tarifvertraglichen Zuschüsse zum staatlichen Kurzarbeitergeld“, so Schulten. „Gerade Beschäftigte, mit geringem Einkommen können jedoch bei einem Nettoeinkommensverlust von 40 Prozent nicht lange über die Runden kommen. Für die Zeit der Corona-Krise sollte deshalb eine generelle Aufstockung des Kurzarbeitergeldes vorgenommen werden.“
    Vorbild für eine solche nationale Regelung könnte die unlängst in Österreich zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und Regierung getroffene Vereinbarung sein. Dort wird derzeit gestaffelt nach Einkommenshöhe folgendes Kurzarbeitergeld gezahlt

    • 90 Prozent vom Nettogehalt, bei einem monatlichen Bruttoentgelt von bis zu 1.700 Euro
    • 85 Prozent vom Nettogehalt, bei einem Bruttoentgelt zwischen 1.700 Euro und 2.685 Euro
    • 80 Prozent vom Nettogehalt, bei einem Bruttoentgelt von über 2.685 Euro.

    Quelle: Gewerkschaftsforum

  5. Adieu Demokratie – So übernimmt Orban die totale Kontrolle in Ungarn
    Ungarns Premierminister Viktor Orban hat die Corona-Krise genützt, um seine Macht auszubauen. Durch das kürzlich beschlossene Notstandsgesetz kann er künftig alleine per Dekret regieren. Unsere Kollegen vom ungarischen Online-Magazin Ezalenyeg erklären in fünf Punkten, warum das Gesetz eine Gefährdung für die Demokratie ist.
    Am Montag, den 30. März hat das ungarische Parlament das Gesetz „über die notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie“ verabschiedet. Der Protest war groß. Opposition und Zivilgesellschaft stemmten sich dagegen. 100.000 Menschen unterschrieben eine Petition dagegen, doch die Fidesz-Partei von Viktor Orban winkte im Parlament das Gesetz durch. Orbans Partei sorgte für die nötige zweidrittel Mehrheit und verlängerte auch den Ausnahmezustand auf unbestimmte Zeit. Wir haben die 5 umstrittensten Aspekte des Gesetzes gesammelt.
    1.Der Ausnahmezustand ist nicht befristet und dauert bis zum Ende der Pandemie…
    2.Die Pandemie ist zu Ende, wenn Orban das sagt
    Der Ausnahmezustand endet, wenn die Pandemie beendet ist. Aber es ist das Parlament, das darüber entscheidet, wann die Pandemie vorbei ist. Orbans Fidesz kontrolliert zwei Drittel der Sitze und ist in seiner Partei unumstritten. Das bedeutet: Orban entscheidet, wann die Pandemie vorbei ist. Es gibt keine weiteren Kontrollen oder Machtausgleiche. Die Gefahr ist vorbei, wenn Orban es so will.
    3.Orban kann die Gesetze nach Belieben gestalten
    Von nun an kann Orban zu jederzeit und zu jedem beliebigen Thema Dekrete erlassen, auch wenn sie gegen die Verfassung verstoßen. Orban muss keine Rücksicht mehr auf die üblichen Gesetzeswege mehr nehmen. Die Worte Orbans sind so zum Gesetz geworden.
    4.Orban kann Politiker und Zeitungsjournalisten ins Gefängnis bringen
    Außerdem wurde ein Gesetz gegen Fake-News beschlossen. Es ist schwammig formuliert und kann so ausgelegt werden, dass kritische Journalisten oder politische Konkurrenten hinter Gitter gebracht werden können, wenn sie Dinge schreiben, die Orban nicht gefallen.
    5.Verschwendung von Zeit und Energie
    Einer der wohl schlagendsten Kritikpunkte: Das Gesetz ist gar nicht nötig, um die Pandemie zu bekämpfen. Schon davor hatte die Regierung alle Möglichkeiten zur effektiven Bekämpfung…
    Quelle: kontrast.at
  6. Politiker attackiert von der Leyen – Kuba und China zeigen bei Corona mehr Solidarität als die EU
    Mick Wallace, Mitglied der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne, ist mit der EU-Führung und deren Politik in der Corona-Krise scharf ins Gericht gegangen. Er kritisierte bei der außerordentlichen Plenarsitzung unter dem Titel “Koordinierte europäische Reaktion auf den Ausbruch von COVID-19”: “Italien hat von China und Kuba mehr Solidarität erfahren als von Europa.”
    Quelle: RT Deutsch
  7. SPD-Chefin Esken fordert Sonderabgabe auf Vermögen
    Die Bundesregierung plant Corona-Hilfen über mehrere Hundert Milliarden Euro. SPD-Chefin Esken schlägt nun vor, für die Finanzierung die Vermögen wohlhabender Bürger einmalig zu belasten.
    Quelle: SPIEGEL Online
  8. Armut: Einer bzw. eine von acht gefährdet
    Armut grenzt aus, beschämt, macht krank und lässt nur wenig Möglichkeiten, das eigene Leben zu gestalten und gesellschaftlich teilzuhaben. Das war schon vor der Corona-Krise der Fall – und eine Verschlechterung ist zu befürchten.
    Hätte man noch vor wenigen Wochen gefragt, wie das denn zahlenmäßig eigentlich so aussieht mit der Armutsgefärdung in unserem Land, dann hätte das noch so geklungen: Es gehe um nicht weniger als ein Achtel der österreichischen Bevölkerung. Denn in Österreich liegt die Armutsgefährdungsschwelle für einen Ein-Personen-Haushalt aktuell bei 1.259 Euro. Etwa 14 Prozent der Bevölkerung hätten demnach geringere Mittel zur Verfügung und würden damit als armutsgefährdet gelten. Knapp achtzehn Prozent seien armuts- und ausgrenzungsgefährdet, und circa drei Prozent als „erheblich materiell depriviert“ einzustufen.
    Doch dann kam die Corona-Krise. Und das verschiebt auch die Armutszahlen. Wie weit, das kann man indes nur ahnen. Seit den Ausgangsbeschränkungen haben bereits mehr als 170.000 Menschen ihren Job verloren. Viele Ein-Personen-Unternehmen bangen um ihre Existenz. Das ist das eine. Das andere: Die, die schon vor der Krise als „Working Poor“ galten, das heißt, denen das Geld trotz Arbeit nicht zum Leben reicht, wurden just umgetauft: „Systemrelevant“ sagt man jetzt. Diese Gruppe ist häufig auch noch mehrfach belastet, zum Beispiel durch Pflege oder Kinderbetreuung. Besonders armutsgefährdet sind nämlich – und das war auch schon vor Corona so – in Österreich einerseits Frauen (vor allem Alleinerziehende und Pensionistinnen – ja, „mit kleinem i!“, wie Michaela Moser von der Armutskonferenz betont) sowie Kinder und Langzeitarbeitslose….
    (…) Was heißt das nun für die Corona-Krise? Arme Menschen könnten noch benachteiligter sein als schon zuvor. Doch die, die jetzt „das System erhalten“ mit ihren oft so prekär bezahlten Jobs, dürfen am Ende nicht die sein, die die wirtschaftlichen Folgen dieser Krise mit Kürzungen direkt oder indirekt zurückzahlen müssen. Ihnen dürfen dann nicht auch noch die Krisenkosten aufgebürdet werden. Wenn sich die Frage nach einer gerechten Remuneration stellt – und dieser Tag wird kommen – sollte sich die Politik daran erinnern.
    Quelle: Arbeit & Wirtschaft
  9. Tarifverträge für alle unsere Heldinnen und Helden im Handel! Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge, werte Regierungen in Bund und Land!
    Einzelhandelsbeschäftigte leisten – wie die Beschäftigten im Gesundheitswesen – in Zeiten der Corona-Krise nicht nur – wie immer – eine belastende Tätigkeit, sondern auch eine risikoreiche Arbeit. Dafür wird ihnen von Seiten der Politik Anerkennung gezollt. Dazu Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede an die Nation am 19. März 2020: „Und lassen Sie mich auch hier Dank aussprechen an Menschen, denen zu selten gedankt wird. Wer an diesen Tagen an einer Supermarktkasse sitzt oder Regale befüllt, der macht einen der schwersten Jobs, die es zur Zeit gibt. Danke, dass sie da sind für ihre Mitbürger und buchstäblich den Laden am Laufen halten“.
    Bisher wird mehr als die Hälfte der Handelsbeschäftigten ohne eine tarifvertragliche Bezahlung abgespeist. Wir fordern deshalb die Politik auf, die jeweiligen regionalen Tarifverträge im Handel für allgemeinverbindlich zu erklären. Es ist im öffentlichen Interesse, dass die Handelsbeschäftigten Tarifverträge für alle bekommen!”
    Unterschriftensammlung zur Initiative für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung der Handelstarife (Einzelhandel und Großhandel)….
    Quelle: Gewerkschfaftsforum
  10. Jetzt steht Armut auf dem Spielplan
    Schauspielerinnen lebten lange in gut verstecktem Elend, nun stehen Tausende vor dem Nichts
    Armut gab es immer in der Branche der Hofnarren und Gauklerinnen, vor allem bei den Frauen; das wusste ich schon als Kind. Mein Vater, Jahrgang 1896, war Regisseur und Schauspielpädagoge. Meine Mutter hatte das Schauspielen bei Eheschließung aufgegeben und klebte, klug und emanzipiert, »freiwillige Rentenmarken«. Mir blieb nicht verborgen, dass manche Schauspielerin, die nicht mehr jung, aber längst noch nicht alt war, verzweifelt bei meinem Vater (zeitweise Oberspielleiter u. a. in Essen) anfragte, ob er nicht »etwas für sie tun« könne.
    Wer Arbeit hatte, schuftete, oft bis zum Grab. So war es für mich normal, dass 80jährige noch auf der Bühne standen. Wie dünn der Boden auch bei uns war, habe ich vage gespürt, als mein Vater ein einziges Mal so schwer erkrankte, dass er nicht arbeiten konnte. Bei seiner letzten Inszenierung war er fast 80 und fast blind, und seine Rente war so gering, dass nur ein hart erkämpfter »Ehrensold« und die mütterlichen Rentenmärkchen die elterliche Existenz sicherten. (…)
    Zigtausende von uns werden demnächst einen »Antrag auf Grundsicherung« stellen müssen. Dieser Antrag umfasst mit Anlagen oft mehr als 50 Seiten. Der monatliche Hartz-IV-Satz beträgt derzeit 432 Euro und darf bei Unbotmäßigkeit noch immer gekürzt werden; um bis zu 30 Prozent. In diesem Fall bleiben 302,40 Euro. In meinem Landkreis müssen 9,9 Prozent der Betroffenen aus dem »Eckregelsatz« noch durchschnittlich 164 Euro für die Miete abzweigen, die als »nicht angemessen« gilt (obwohl günstigere Wohnungen nicht zu finden sind). Schlimmstenfalls bleiben da 138,40 Euro im Monat zum Leben. Flaschensammeln? Geht nicht mehr. Und die »Armentafel«? Die Restetische der Nation sind schon geschlossen. Zu gefährlich. Außerdem führten Hamsterkäufe zu Spendenmangel.
    Quelle: Junge Welt
  11. Deutschland rekrutiert Pflegepersonal aus Lateinamerika
    Auch während der weltweiten Corona-Krise hält Deutschland an der Praxis fest, medizinische Fachkräfte aus anderen Ländern abzuwerben. Wie der zur ARD gehörende Auslandssender Deutsche Welle berichtet, wurden bis kurz vor der Schließung der deutschen Grenzen noch Pflegekräfte aus Argentinien und Brasilien eingeflogen, die nun Sprachunterricht erhalten und möglichst bald in Krankenhäusern eingesetzt werden sollen.
    (…) Berlin. Auch während der weltweiten Corona-Krise hält Deutschland an der Praxis fest, medizinische Fachkräfte aus anderen Ländern abzuwerben. Wie der zur ARD gehörende Auslandssender Deutsche Welle berichtet, wurden bis kurz vor der Schließung der deutschen Grenzen noch Pflegekräfte aus Argentinien und Brasilien eingeflogen, die nun Sprachunterricht erhalten und möglichst bald in Krankenhäusern eingesetzt werden sollen… Während Argentinien die Grenzen und Schulen geschlossen und Ausgangsbeschränkungen erlassen hat, gibt es in Brasilien lediglich einige Bundesstaaten, die Quarantäne-Maßnahmen angeordnet haben. Präsident Jair Bolsonaro hingegen hält wenig von derartigen Maßnahmen und bezeichnet die durch den neuartigen Virus verursachte Lungenkrankheit Covid-19 als “Grippchen”. Derweil warnt Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta bereits vor einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems Ende April.
    Quelle: Amerika 21
  12. Führt die Digitalsteuer ein!
    Lokale Läden stehen vor dem Aus, während Amazon & Co. vom Lockdown profitieren. Es ist höchste Zeit, die Digitalkonzerne entschlossen zu besteuern
    Die Coronakrise stellt nationale Steuersysteme vor eine historische Herausforderung. Regierungen in ganz Europa schnüren milliardenschwere Rettungspakete, um die wirtschaftlichen Folgen der Krise abzuschwächen. Mit dem Erstarren des lokalen Gewerbes brechen gleichzeitig wichtige Steuereinnahmen weg. Während kleinere Dienstleister am Abgrund stehen, boomt das Geschäft der Online-Riesen. Im Gegensatz zu lokalen Unternehmen zahlen Amazon und Co. allerdings kaum Steuern. Die schnelle Einführung der europäischen Digitalsteuer könnte dies ändern und steuerpolitische Fairness wiederherstellen. Wie vergangene Krisen und Kriege bietet der Kampf gegen Covid-19 die Gelegenheit, den Steuerstaat grundlegend zu modernisieren.
    (…) Mit der Absage von Veranstaltungen und der Schließung von Läden und Gastronomie werden allerdings ganze Branchen und Berufsgruppen um ihre Einnahmen gebracht. Veranstaltungstechnikerinnen gehen in Kurzarbeit, Musiker streamen umsonst aus dem Wohnzimmer, um wenigstens im Gespräch zu bleiben. Restaurants versuchen auf Lieferdienst umzustellen, müssen dabei aber Marge an Lieferando abgeben.
    Tatsächlich geht der Einbruch im lokalen Gewerbe mit einem starken Umsatzplus bei den Onlinedienstleistungen einher. Familien bestellen Spiele und Bücher für die Kinderbetreuung bei Amazon, Paare schließen Netflixabos ab. Mittelständische Unternehmen und Universitäten auf der ganzen Welt abonnieren Videochatangebote, um irgendwie ihren (Lehr-) Betrieb aufrecht zu erhalten. Während der Dow Jones im letzten Monat um mehr als 12,5 Prozent an Wert verlor, lagen Amazon-Aktien 2,5 Prozent im Plus. Um der hohen Nachfrage gerecht zu werden, will der Online-Logistiker in den USA und Europa kurzfristig 100.000 neue Beschäftigte einstellen. Zudem hat das Unternehmen den potentiellen Imagenutzen seiner Rolle als Krisenversorger erkannt. Die Financial Times spekuliert bereits, dass Amazon als großer Gewinner aus der Coronakrise hervorgehen könnte, quasi als „das neue Rote Kreuz“. Aber auch andere Erbringer von Onlinedienstleistungen verzeichnen massive Nachfragezuwächse. So musste die Europäische Kommission Netflix darum bitten, die Bildauflösung seiner Serien zu reduzieren, um die Netzwerkkapazität nicht zu überfordern. Währenddessen hat Zoom, der Anbieter von Videokonferenzsoftware, seinen Börsenwert seit Jahresbeginn verdoppelt.
    Die Gleichzeitigkeit des Einbruchs im lokalen Gewerbe und des Umsatzplus bei den Onlinedienstleistungen stellt die Regierungen Europas vor ein massives fiskalpolitisches Problem. Während die Gewerbesteuer wegbricht und eine Wirtschaftsbranche nach der anderen gestützt werden muss, tragen viele Online-Riesen fast nichts zur Finanzierung der europäischen Staaten und ihrer öffentlichen Gesundheitssysteme bei…
    Quelle: Der Freitag
  13. Soziale Bewegungen in Chile: “Wir werden weiterkämpfen“
    Die Coronavirus-Pandemie hat die Menschen in Chile hart getroffen, die seit Oktober gegen die neoliberale Regierung auf die Straße gehen. Nun erfinden sie andere Formen des Protests
    Santiago. Mitte März ist das Coronavirus noch ein Scherz bei den Protesten in Chile gewesen: “In Chile leiden wir unter dem Piñera-Virus” oder “Ich habe mehr Angst vor meiner Rente als vor dem Coronavirus” las man auf den Plakaten bei den Demonstrationen.
    Als die Zahl der Infizierten jedoch innerhalb weniger Tage rasant in die Höhe stieg und die Regierung keine Maßnahmen ergriff, waren es die Protestierenden, soziale Organisationen und Gewerkschaften, die dazu aufriefen, zu Hause zu bleiben. Jetzt ist “Vollständige Quarantäne mit Würde” (Cuarentena Total Con Dignidad) die vorrangige Forderung bei den Cacerolazos geworden (Protestaktionen, bei denen mit leeren Töpfen und Pfannen Lärm gemacht wird), die nun an den Fenstern und Balkonen stattfinden.
    (…) Trotz Ausgangssperren und Quarantäne in manchen Gemeinden müssen die meisten Chilenen weiter bei der Arbeit erscheinen. Der öffentliche Transport funktioniert normal weiter, die Metro in Santiago transportiert jeden Tag Millionen von Menschen. Die Arbeitsverhältnisse im Land sind prekär, über ein Drittel der Angestellten hat keinen Arbeitsvertrag. Anstatt sie zu schützen, hat die Regierung ein Dekret erlassen, das Arbeitgebern erlaubt, den Arbeiternehmern keinen Lohn zu bezahlen, wenn sie aufgrund der gesundheitlichen Notfallsituation im Land nicht zur Arbeit erscheinen können.
    Quelle: Amerika 21
  14. USA: Die vermeintliche Freiheit wird zur Armutsfalle
    In den USA heißt es gerne, jeder sei für sich selbst verantwortlich, und viele Amerikaner halten einen Sozialstaat für Sozialismus. Doch jetzt, wo die Corona-Pandemie alles aushebelt, stürzt der Mangel an sozialer Absicherung viele in den Abgrund. (…)
    Schlimmer noch: Wer in den USA entlassen wird, steht oft nicht nur ohne Job da, sondern auch ohne Krankenversicherung. Arbeitslosenhilfe gibt es nur für einige Wochen und auch nur in geringer Höhe. Sind die meist spärlichen privaten Rücklagen aufgebraucht, droht Armut.
    Die Regierung hat nach langen Bagatellisierungsversuchen erkannt, dass die Corona-Krise die Wirtschaft und das rudimentäre Sozialsystem des Landes vor die größte Herausforderung seit fast 100 Jahren stellt. Entsprechend hektisch wird nun versucht, das fehlende soziale Netz durch ein Bündel an Einzelmaßnahmen zu ersetzen. Die Arbeitslosenunterstützung wird ausgebaut, Erwachsene erhalten 1200 Dollar vom Finanzamt, Firmen, die auf Entlassungen verzichten, müssen staatliche Kredite nicht zurückzahlen.
    All die Beschlüsse sind sinnvoll – eine fehlende Grundstruktur können sie aber nicht ersetzen. Trotz des vereinbarten Zwei-Billionen-Dollar-Hilfspakets wird es weiter Millionen Menschen in den USA geben, die ohne Krankenversicherung, ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, ohne Arbeitslosengeld dastehen. Viele coronainfizierte Selbständige und Vertragsarbeiter werden weiter arbeiten gehen, weil ihnen sonst der Ruin droht.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung

    Anmerkung Christian Reimann: Lediglich Reiche und Vermögende können sich einen „schlanken Staat“ leisten. Die Erkenntnis setzt sich hoffentlich rasch auf beiden Seiten des Atlantiks durch.

  15. 871 islamfeindliche Attacken in BRD
    Im vergangenen Jahr sind einem Bericht zufolge 871 Übergriffe auf Muslime und ihre Einrichtungen in Deutschland verzeichnet worden. Das gehe aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervor, berichtete am Samstag die Neue Osnabrücker Zeitung. 33 Muslime wurden dem Bericht zufolge 2019 bei islamfeindlichen Straftaten verletzt. Die Zahl der Übergriffe insgesamt ist seit 2017 etwa konstant geblieben. »Der Hass auf Muslime bricht sich weiterhin in gewaltsamen Übergriffen, Bedrohungen und Beleidigungen Bahn«, sagte die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Die Linke) dem Blatt.
    Quelle: junge Welt

    Dazu: Rassismus: Sicherheitsapparat und Islamkritiker sind Teil des Problems
    Oliver Wäckerlig zeichnet in seiner Dissertation „Vernetzte Islamfeindlichkeit“ eine transatlantische islamfeindliche Bewegung bis in die Mitte der Gesellschaft nach. MiGAZIN sprach mit ihm über Rassismus, Islamkritik und Hanau, wie das alles zusammenhängt und warum Islamkritiker und der Sicherheitsapparat ein Teil des Problems sind. (…)
    Seit Hanau sprechen Regierungsverantwortliche in Deutschland erstmals von einem „islamfeindlichen Rassismus“. Erwarten Sie ein Umdenken in der Politik und im Sicherheitsapparat?
    Oliver Wäckerlig: Das ist oft noch Betroffenheitsrhetorik, wie es etwa Mely Kiyak festgehalten hat. Es wird sich erst zeigen müssen, wie nachhaltig diese politischen Reaktionen sind. Ich zweifle daran, dass der islamfeindliche Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem angegangen wird, solange das Feindbild Islam nicht grundsätzlich hinterfragt wird. Den Sicherheitsapparat sehe ich eher als Teil des Problems; er hat im Bereich Rassismus zurecht ein Vertrauensproblem.
    Ein eigenes Kapitel haben Sie auch sogenannten „Islamkritikern“ und „Islamexperten“ gewidmet. Welche Rolle nehmen diese Akteure beim Erstarken von Islamfeindlichkeit ein?
    Oliver Wäckerlig: Meine Untersuchung hat gezeigt, dass die einschlägigen „Islam-ExpertInnen“ eine ganz wichtige Rolle in der Verbreitung und Akzeptanz von Islamfeindlichkeit einnehmen.
    Strukturell haben sie seit 2001 mit ihren Bestseller-Büchern, durch ihre Präsenz vor Ort bei lokalen Konflikten, in den Zeitungen und Talkshows oder als „Expertinnen“ und „Experten“ von Politik und Sicherheitsbehörden die verschiedenen Ebenen miteinander verbunden. Dadurch wurden islamfeindliche Positionen weit verbreitet und „Islam“ als Problem politisch nutzbar gemacht.
    Inhaltlich haben diese medial produzierten „Expertinnen“ und „Experten“ den Muslimen in der Öffentlichkeit die Deutungshoheit über ihre Religion entrissen. Schließlich haben sich die negativen Beurteilungen zu Koran, Scharia etc. gesellschaftlich soweit etabliert, dass solche Aussagen keinen Verweis mehr auf Experten benötigen – sie sind Allgemeingut geworden.
    Quelle: Migazin

  16. Von der Idee, mit Grund und Boden reich zu werden
    Die einen erben Immobilien, die anderen zahlen exorbitante Mieten. Gerechtfertigt wird das gerne mit dem freien Markt oder mit dem Grundrecht auf Eigentum. Aber muss die Gesellschaft unbedingt so funktionieren? Wie sähe sie ohne die „Eigentumsreligion“ aus?
    Wer auf dem Parkplatz eines Supermarktes sein Auto abstellt ohne einzukaufen, darf abgeschleppt werden, denn der Parkplatz gehört jemandem. In Bahnhöfen und Shopping-Malls, auf Friedhöfen und Wiesen gelten Benimmregeln und Verbote, die im Wesentlichen derjenige festlegt, der sich Eigentümer nennt. Weder exorbitante Mietforderungen bei Wohnungen und Gewerberäumen noch Industriebrachen und verfallene Wohnhäuser können bisher das Dogma vom Eigentum an Grund und Boden erschüttern.
    Zwar haben Ökonomen, Architekten und Philosophen ganze Bibliotheken mit ihrer Kritik am Grundeigentum gefüllt, doch ist kein Ende der Landnahme in Sicht. Anstelle von Soldaten bestimmen heute vor allem Investoren, wem was gehört – und wer wem Geld für sein Dasein zu zahlen hat. Denn ob wir im Büro unsere Brötchen verdienen oder im Supermarkt die Brötchen kaufen, stets hält einer die Hand auf und fordert seine Bodenrente: der Grundbesitzer. Das geht auch anders, ohne dass die Welt dabei zusammenbricht.
    Quelle: Deutschlandfunk

    Anmerkung Christian Reimann: Bitte lesen Sie dazu auch bzw. erneut Die Bodenspekulation brechen, das wäre ein wichtiger Teil der notwendigen Politik für mehr Wohnungen zu einem vernünftigen Mietpreis.

  17. Resilienz in der Coronavirus-Pandemie – Wie die Krise unser falsches Verständnis von Glück entlarvt
    Im Ausnahmezustand dieser Tage wird offenbar, dass die Privatisierung des Glücks ein Betrug ist, an uns selbst und der Menschheit. Die Antwort darauf muss Solidarität lauten.
    Bis vor kurzem schien es doch alles noch so einfach zu sein. Diese Sache mit dem Glück. In den noch immer geöffneten Zeitschriftenläden lächelt es uns von den Titelseiten entgegen, für wenige Euro lässt es sich mit nach Hause nehmen. Hefte wie „Glücklich: Das Magazin für Entschleunigung, Genuss, Freude“ oder Ratgeber wie Rolf Dobellis „Die Kunst des guten Lebens. 52 überraschende Wege zum Glück“. […]
    Jeder ist seines Glückes Schmied?
    Das Streben nach Glück ist seit jeher ein Kernthema der Philosophie. Der griechische Philosoph Aristippos von Kyrene gilt bis heute als erster Glücksphilosoph und Begründer der Idee des Hedonismus. Seiner Lehre zufolge geht es darum, die Lust auf individueller Ebene zu maximieren, Schmerz hingegen, wo nur möglich, zu vermeiden.
    Doch schon Aristoteles wandte sich gegen die offensichtliche Sozialvergessenheit seines Vordenkers. Vielmehr sei das Glück des Einzelnen im hohen Maße von der Gunst der äußeren Umstände abhängig, das gelungene Leben des Einzelnen unweigerlich an die menschliche Gemeinschaft gebunden. Hier scheint ein rätselhafter Doppelcharakter des Glücks auf. Es ist zugleich subjektiv abhängig vom individuellen Vermögen der Empfindung, als auch objektiv von den gesellschaftlichen Daseinsbedingungen. […]
    Die über Jahrzehnte mantraartig in unseren Gesellschaften wiederholte Losung „Mehr Privat – Weniger Staat“ spiegelt sich auch im Credo „Jeder ist seines Glückes Schmied“ wider.
    Das vorherrschende Leistungsprinzip sieht nur geringe Eingriffe in die Marktmechanismen vor und geringe Absicherung des Einzelnen gegenüber unverschuldeten Notlagen. In den USA sind aktuellen die Folgen einer solch radikal marktkonformen Ausrichtung der Gesellschaft im Krisenfall auf dramatische Art zu beobachten. […]
    Glück wird tendenziell zu einer Kategorie der persönlichen Autosuggestion. Es gilt dabei nicht das (Zusammen-)Leben besser zu gestalten, sondern den Einzelnen abzuhärten.
    Doch mit dem Ausbruch der Coronakrise erfolgte der gnadenlose Einfall der Objektivität. Die Vorstellung, dass jeder Mensch die Möglichkeit habe, für sein Glück zu sorgen, wird vom Virus als Ideologie entlarvt. Nun hilft keine Resilienz und kein unternehmerisches Geschick.
    Covid-19 sprengt den Rahmen der individuellen Verantwortung für das Wohlergehen, es überwindet die Mauern und Gräben der Wohlstandsgesellschaften, und es vertieft sie zugleich. Gesundheit und medizinische Versorgung sind auch eine Frage des Geldes. Und erst in der Quarantäne spüren viele nun, wie wenig sie doch aus sich selbst schöpfen können, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind.
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Man kann hoffen, daß die Menschen aus so einer Katastrophe den Wert von Solidarität lernen – so optimistisch wie der Autor bin ich leider nicht.

  18. Yuval Noah Harari: the world after coronavirus
    This storm will pass. But the choices we make now could change our lives for years to come
    Humankind is now facing a global crisis. Perhaps the biggest crisis of our generation. The decisions people and governments take in the next few weeks will probably shape the world for years to come. They will shape not just our healthcare systems but also our economy, politics and culture. We must act quickly and decisively. We should also take into account the long-term consequences of our actions. When choosing between alternatives, we should ask ourselves not only how to overcome the immediate threat, but also what kind of world we will inhabit once the storm passes. Yes, the storm will pass, humankind will survive, most of us will still be alive — but we will inhabit a different world.
    Quelle: Financial Times


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