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Titel: Stühle des Anstoßes

Datum: 13. Oktober 2020 um 8:44 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Kultur und Kulturpolitik
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Beträfe es nicht das bleierne Schicksal zig Zehntausender Mädchen und junger Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs in Militärbordelle der Kaiserlich-Japanischen Armee in Ost- und Südostasien sowie im Pazifik zwangsverschleppt und dort jahrelang missbraucht wurden, könnte mensch die aktuelle Kontroverse um eine Friedensstatue in Berlin-Moabit für eine ins Lächerliche abgleitende Politposse halten. Ein Kommentar von Rainer Werning.

Das riecht rekordverdächtig. Ein Denkmal, in diesem Falle eine Friedensstatue, ist erst am 28. September 2020 in Berlin-Moabit unter Federführung des Korea-Verbandes e.V. errichtet worden, um auf Drängen des Bezirksamts Berlin-Mitte bis zum 14. Oktober 2020 wieder demontiert zu werden. Wieso ein solch rascher Sinneswandel?

Der Stein des Anstoßes sind zwei Stühle und eine Gedenktafel. Ein Stuhl ist leer, er soll Besucher/Betrachter zum Verweilen einladen. Der andere Stuhl indes hat es in sich. Auf ihm ist ein sitzendes Mädchen in koreanischer Tracht mit zusammengeballten Fäusten abgebildet. Zum Hintergrund merken die Initiatoren des Korea-Verbandes und anderer zivilgesellschaftlicher Gruppen an:

„Die Friedensstatue erinnert an die über 200.000 Mädchen und Frauen aus 14 Ländern, die vom japanischen Militär während des Asien-Pazifik-Krieges (1931-1945) im gesamten asiatisch-pazifischen Raum als sogenannte ‚Trostfrauen‘ sexuell versklavt worden sind. Die erste bronzene Friedensstatue der Kunstschaffenden Kim Seo-Kyung und Kim Eun-Sung wurde am 14.12.2011 zur 1.000. Mittwochsdemonstration für die ‚Trostfrauen‘ vom The Korean Council for Justice and Remembrance for the Issues of Military Sexual Slavery by Japan vor der japanischen Botschaft in Seoul errichtet. Mittlerweile gilt sie international als Symbol gegen Kriegsverbrechen an Mädchen und Frauen.

Die Statue soll auf die Forderungen der Überlebenden nach Anerkennung, Aufarbeitung und Entschuldigung, die bis heute nicht erfüllt worden sind, sowie die Kontinuität sexualisierter Gewalt gegen Frauen in bewaffneten Konflikten wie auch in Friedenszeiten aufmerksam machen. ‚Die Friedensstatue soll mahnen und erinnern, sowie den Ansporn geben, Verbrechen an Mädchen und Frauen zu verfolgen, zu ahnden, und letztendlich aus der Welt zu schaffen‘, so Nataly Jung-Hwa Han, die Vorsitzende des Korea-Verbands.

In Deutschland befinden sich bereits zwei Friedensstatuen: Die erste Statue wurde 2017 in Wiesent bei Regensburg im Nepal-Himalaya-Park errichtet. Die zweite befindet sich auf dem Grundstück der Koreanischen Evangelischen Kirchengemeinde Rhein-Main in Frankfurt. In Berlin wird nun zum ersten Mal ein Exemplar auf einem öffentlichen Platz aufgestellt.“

Prompte Intervention des Tokioter Außenministeriums

Just wenige Tage nach der feierlichen Errichtung der Statue geschieht das, was in zig Fällen zuvor – im In- sowie im Ausland (so beispielsweise in Kanada, Australien, den USA und den Philippinen) – geschehen ist. Rechtskonservative Vereinigungen und Medien in Japan heulen auf, wittern anti-japanische Ressentiments und setzen in Verbindung mit ihnen geneigten Politikern inner- wie außerhalb der japanischen Regierung alle Hebel in Bewegung, solche „Schandmale“ kurzerhand niederzureißen. In diesem Fall war es Japans Außenminister Motegi Toshimitsu persönlich, der in einem kurzen Videogespräch mit seinem deutschen Kollegen Heiko Maas eben die „Entfernung der in Deutschland aufgestellten Trostfrauenstatue(n)“ forderte und um entsprechende Kooperation bat. Wohlverstanden: Herr Motegi sprach von einer „Trostfrauenstatue“, nicht von einer Friedensstatue.

Das Problem der sogenannten „Trostfrauen im Gefolge der japanischen Armee“ sorgt seit Anfang der 1990er Jahre für reichlich Zündstoff, seitdem eine ehemalige Zwangsprostituierte das Thema erstmalig in der Öffentlichkeit ansprach. Seit der Zeit finden auch jeden Mittwoch zur Mittagszeit Demonstrationen vor der japanischen Botschaft in Seoul statt, wo stets martialisch auftretende Sicherheitskräfte die älter werdende Schar von Demonstrantinnen ins Visier nimmt. Nach mehrfachen (gescheiterten) Bemühungen seitens Seouls und Tokios ward schließlich Ende Dezember 2015 ein Abkommen getroffen, von dem beide Seiten glaubten, damit einen „endgültigen und unwiderruflichen“ Schlussstrich unter dieses düstere Kapitel gezogen zu haben.

Die Crux: Die überlebenden Opfer, deren Zahl von Monat zu Monat sinkt, sowie engagierte zivilgesellschaftliche Akteure wurden erst gar nicht konsultiert. Und pikanterweise hatte diesen Deal mit Tokio ausgerechnet die Regierung unter Präsidentin Park Geun-Hye eingefädelt, die mit Schimpf und Schande um die Jahreswende 2016/17 aus dem Amt gejagt wurde. Ihr Vater Park Chung-Hee, der sich 1961 an die Macht geputscht und das Land bis zu seiner Ermordung im Herbst 1979 mit eiserner Faust als Militärmachthaber regiert hatte, war einst mitsamt anderen hochrangigen südkoreanischen Offizieren und Generälen ein glühender Bewunderer der früheren Kolonialmacht Japan und hatte als Offizier in den Rängen der Kaiserlich-Japanischen Armee deren geschlossen militaristisches Weltbild verinnerlicht.

Die jetzt inkriminierte Friedensstatue soll gerade den Wunsch zum Ausdruck bringen, endlich Frieden zwischen den involvierten Antagonisten zu schaffen, was in den Augen der Aktivist/innen bis heute nicht der Fall ist. Im Übrigen machen sie dafür nicht allein japanische, sondern auch südkoreanische Regierungen und Politiker verantwortlich.

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Das geht so ...

„Lassen Sie die Statue stehen“

In einem vom 10. Oktober datierten Schreiben an den Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, Stephan von Dassel, meldete sich mit Lutz Drescher ein intimer Korea-Kenner und Ehrenvorsitzender der Deutschen Ostasienmission (DOAM e.V.) zu Wort. Darin heißt es:

„Als ehemaliger Ostasienverbindungsreferent der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS e.V.) war ich 15 Jahre lang in Verbindung mit Menschen sowohl in Korea wie in Japan. Ich versichere Ihnen, dass es in Japan selbst zahllose Menschen gibt, die die Aufstellung der Friedensstatue außerordentlich begrüßen. Diese Menschen beneiden uns hier in Deutschland, dass wir nach den Gräueln des 2. Weltkrieges zumindest versucht haben, unsere geschichtliche Schuld einzugestehen und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. In Japan hat dieser Prozess so nie stattgefunden, was vielfältige Ursachen hat (die japanischen Truppen standen unter dem Befehl des Tenno, des Gottkaisers, Japan wurde durch den Einsatz der Atombombe zur Kapitulation gezwungen, Unterschiede in Religion und Kultur.)

(…) Nun einfach diese Statue zu entfernen löst den dahinterliegenden Konflikt nicht auf. Umgekehrt könnte dieses eine Jahr, für das sie ja nur genehmigt ist, zu einer Chance werden im deutsch-japanisch-koreanischen Dialog an diesen Fragen zu arbeiten. Daher meine Forderung: Lassen Sie die Statue stehen.“

Wenn jetzt die Damen und Herren im Bezirksamt Berlin-Mitte geltend machen, man habe den Text auf den Begleittafeln der Statue nicht gekannt, dieser sei „auf und gegen Japan fixiert“ und gefährde als „gezielte Kommentierung japanischer Politik von koreanischer Seite“ die ansonsten „guten außenpolitischen Beziehungen Deutschlands zu Japan“, so müssen sie entweder blauäugig oder in Ignoranz der Aufstellung der Statue zugestimmt haben. Der Korea-Verband insistiert darauf, im Zuge der Antragstellung ausdrücklich darauf hingewiesen zu haben, dass japanische Reaktionen zu erwarten seien.

Unausgesprochen schwebt das Damoklesschwert über den Häuptern Berliner Senats- und Bezirkssamtmitglieder, dass man auf japanischer Seite im Falle eines Falles die Beendigung der Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Tokio sowie der Partnerschaft zwischen dem Bezirksamt Berlin-Mitte und dem Tokioter Distrikt Shinjuku erwägen könne, falls die Friedensstatue nicht bis zum 14. Oktober – notfalls auf Kosten des Korea-Verbands – demontiert werde. Nataly Jung-Hwa Han, die Vorstandsvorsitzende des Korea-Verbands, verweist indes darauf, dass die Initiative zum Aufbau der Statue mehrheitlich von deutschen Staatsbürger/innen ausgegangen sei, die zudem vorrangig die Interessen von Frauen im Kampf gegen sexualisierte Kriegsgewalt und nicht jene des südkoreanischen Staates verfolgten. „Von den zwei Tafeln“, so Frau Han, „erläutert eine die Bedeutung der Statue im Kampf der sogenannten Trostfrauen für ihre Rechte. Die andere erwähnt äußerst knapp deren Verschleppung im Zweiten Weltkrieg durch das japanische Militär. Darauf steht: ‚Sie würdigt den Mut der Überlebenden, die am 14. August 1991 ihr Schweigen brachen und sich gegen eine Wiederholung solcher Verbrechen weltweit einsetzen.‘“

Last, but not least sieht der Korea-Verband die Kunst- und Meinungsfreiheit verletzt: „Vom rot-rot-grünen Senat und von Bezirksbürgermeister von Dassel erwartet der Korea-Verband, dass sie Rückgrat zeigen. Einschränkungen der Kunst- und Meinungsfreiheit aufgrund Drucks einer ausländischen Regierung sind eines Rechtsstaats nicht würdig. Das Bezirksamt hatte seine Entscheidung getroffen, ohne einmal mit uns gesprochen zu haben. Wir suchen jedoch weiterhin den Dialog mit dem Bezirksamt Mitte.“ Am 13. Oktober lädt der Korea-Verband zu einer Pressekonferenz ein und will mit Gleichgesinnten am Nachmittag desselben Tages unter dem Motto „Berlin, sei mutig! Die Friedensstatue muss bleiben!“ vor dem Rathaus Tiergarten demonstrieren und danach eine Mahnwache vor der Statue abhalten.

Was tun und wie weiter?

Das ist erst einmal gut so. Vor allem im Jahre 75 nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der asiatisch-pazifischen Region sollte zumindest in engagierten zivilgesellschaftlichen Kreisen hüben wie drüben sowie im medialen und Wissenschaftsbetrieb (vor allem in der Sinologie, Koreanistik und Japanologie) alles unternommen werden, um sich intensiver denn je Themen wie Opfer-Täter-Rollen, Erinnerungskulturen und politisch-militärische Kooptation/Kollaboration zu widmen und deren Facettenreichtum zu fokussieren. Da tun sich denn – ganz im Sinne des Opfer fordernden Verlaufs jener Geschichtsepoche – ebenso weite wie noch unerforschte Felder auf, die es tunlichst zu beackern gilt.

Titelbild: Korea-Verband e.V.

Leseempfehlung

Sven Saaler/Wolfgang Schwentker (Eds. – 2008): The power of memory in modern Japan. Folkestone, UK

Yamaguchi Tomomi (2020): The ‘History Wars’ and the ‘Comfort Woman’ Issue: Revisionism and the Right-wing in Contemporary Japan and the U.S., in: The Asia Pacific Journal | Japan Focus 18(6-3) / https://apjjf.org/2020/6/Yamaguchi.html

Der Autor begründete 1986 das Korea-Forum und war von 2003 bis 2007 Vorstandsvorsitzender des Korea-Verband e.V. Im abschließenden 7. Teil seiner von den NDS in diesem Jahre veröffentlichten Serie zum Thema „Ost- und Südostasien im Zweiten Weltkrieg – Vorgeschichte, Verlauf & Vermächtnisse“ wird er sich im Dezember ausführlich mit Erinnerungskulturen in diesen Regionen befassen.


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