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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 25. August 2021 um 8:31 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Die Einschüchterung der Intelligenz
  2. Werden aus klaren Erkenntnissen auch die Konsequenzen gezogen?
  3. Afghanistan-Mandat: So betrügt der Bundestag sich und die Öffentlichkeit
  4. “2015 darf sich nicht wiederholen”: Das ist offizielle EU-Politik
  5. Ein Tollhaus
  6. Was ist noch normal?
  7. Deutschland braucht eine echte Einwanderungsstrategie, um unseren Wohlstand zu sichern
  8. Mut zur Veränderung
  9. Wir brauchen 400.000 Zuwanderer pro Jahr”
  10. War Willy Brandt ein Massenmörder?
  11. Ethikratsvorsitzende Buyx: Ich würde meine Kinder sofort impfen lassen (Teil2)
  12. Angriff der Killerroboter: Wenn der Algorithmus tötet
  13. Afghanistan: Ischingers Aufrüstungslehren
  14. Außenminister Sergei Lawrow: Russland will keine US-Militärkräfte in Zentralasien sehen
  15. Mauer gegen Demonstranten zum Einsturz verdammt
  16. Chinas kommende Ära des “gemeinsamen Wohlstands”
  17. Krieg gegen China
  18. Unser täglich Gift

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Die Einschüchterung der Intelligenz
    Unser angstbesetztes Meinungsklima untergräbt die freiheitliche Ordnung und treibt die wahre Elite zur Abkehr von der repräsentativen Demokratie.
    Michael Andrick,
    Als Mensch mit vielen Minderheitsmeinungen traute ich im Juni sofort meinen Augen, als ich las: Nur noch 45 Prozent der Deutschen geben bei Allensbach an, frei und ohne besondere Vorsicht ihre politische Meinung zu äußern. Dieses angstbelastete Meinungsklima untergräbt unsere bisher freiheitliche Ordnung. Wieso?
    Seit dem Beschluss einer „epidemischen Lage nationaler Tragweite“ leben wir mit Verordnungen. Die Regierung gibt wechselnde, niemals genaue Maßstäbe der Verhältnismäßigkeit ihres Handelns an und wird bisher von den Gerichten auch nicht zur nötigen Präzisierung gezwungen. Damit sind die verfügten Grundrechtseinschränkungen genau besehen Willkür. Die gerade vorherrschende Rhetorik, nach der Grundrechte „zurückgewonnen“ werden könnten, ist unhaltbar. Sie können überhaupt nicht entzogen, sondern nur mit triftiger, transparenter Begründung vorübergehend eingeschränkt werden.
    Der Souverän muss nachdenken
    In dieser Lage muss ich mir als Bürger ein Urteil zur Corona-Politik bilden: Das Grundgesetz (Art. 20, Abs. 4) fordert jeden von uns auf, zu bewerten, ob eine Politik mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar ist oder nicht.
    Ich habe nicht alle Fakten zu „Corona“ parat. Zur Meinungsbildung brauche ich eine offene, vielstimmige Debatte. Äußern nur 45 Prozent der Mitbürger frei heraus ihre politische Meinung, so vereitelt das diese Pluralität: Tatsachen und Bewertungen, die der meistveröffentlichten Erzählung widersprechen, werden kaum geäußert und kaum gehört.
    Sie werden kaum geäußert, weil jeder, der sie zur Diskussion stellt, dem Stress der Minderheitsposition ausgesetzt ist. Und die Furcht vor dieser Unsicherheit erklärt ja gerade den zitierten Allensbach-Befund…
    Die wahre Elite wendet sich ab
    So entsteht der falsche Eindruck weitestgehender Einigkeit darüber, was in der Sache gerade passiert (eine schlimme Pandemie) und wie das zu bewerten ist (Notlage gebietet Gehorsam).
    Diese diskursoptische Täuschung verleitet Politiker und manche Intellektuelle, sich als Sprecher der angeblichen „Mehrheit der Vernünftigen“ zu gerieren und gegen die angebliche Minderheit der „fragwürdigen“ oder „umstrittenen Abweichler“ Stimmung zu machen.
    Diese Diskriminierung offenbart undemokratischen Geist. Sie trifft naturgemäß meist diejenigen, die sich ungeachtet der Mehrheitsmeinung „ihres Verstandes ohne die Leitung eines anderen bedienen“ (I. Kant). Die „Einschüchterung der Intelligenz“ (S. Freud), des selbstständigen Denkens, wird so offizielle Politik. Jeder weiß jetzt: Zweifle ich an, was meistens zu lesen und zu hören ist, dann droht mir Ausgrenzung.
    Der zutreffende Eindruck, mit ihren Kenntnissen und Urteilen kaum gehört zu werden, frustriert viele bereits seit März 2020 immer mehr. Die Folge ist Radikalisierung in Filterblasen oder resignierter Zynismus gerade derer, die sich als überzeugte Demokraten weiterhin trauen, eine (vermutliche) Minderheitsmeinung zu vertreten. Können wir uns den Verlust dieser wahren demokratischen Elite leisten?
    Quelle: Berliner Zeitung
  2. Werden aus klaren Erkenntnissen auch die Konsequenzen gezogen?
    Von Christian Müller
    US-Präsident Joe Biden hat noch am 14. August 2021, nur zwei Tage vor der Tragödie auf dem Airport von Kabul, wörtlich sagen können: «In den vergangenen Tagen stand ich in engem Kontakt mit meinem nationalen Sicherheitsteam, um ihm die Richtung vorzugeben, wie wir unsere Interessen und Werte schützen können, wenn wir unseren Militäreinsatz in Afghanistan beenden. Erstens habe ich auf der Grundlage der Empfehlungen unserer diplomatischen, militärischen und nachrichtendienstlichen Teams die Entsendung von etwa 5000 US-Soldaten genehmigt, um einen geordneten und sicheren Abzug des US-Personals und anderer verbündeter Kräfte sowie eine geordnete und sichere Evakuierung der Afghanen zu gewährleisten, die unseren Truppen während unseres Einsatzes geholfen haben und die durch den Vormarsch der Taliban besonders gefährdet sind.»
    Diese ersten und wichtigsten Sätze in seinem Speech nur zwei Tage vor der Katastrophe zeigen einmal mehr, dass der US-Präsident mitsamt seinem politischen Beraterstab über die reale und hochaktuelle Situation miserabel informiert war. Dabei darf nicht vergessen bleiben: Joe Biden war von 2009 bis 2017 – unter Barack Obama – immerhin acht Jahre lang Vizepräsident der USA und ist insofern für die lange Dauer dieses unnötigen Krieges mitverantwortlich! Dass die allermeisten US-Amerikaner von fremden Ländern mit ihren anderen Kulturen eh keine Ahnung haben, das weiß jeder, der schon mal in den USA war und mit US-Amerikanern in diesem Punkt ins fachkundige Gespräch kam. Wie soll man eine andere Kultur «verstehen», wenn man nicht einmal bereit ist, andere Sprachen zu lernen? Es ist ja so einfach: Die ganze Welt soll gefälligst so leben und denken, wie es die US-Amerikaner tun.
    Nichts desto trotz haben Dutzende von NATO-Mitgliedern und auch einige weitere europäische Staaten freiwillig im Afghanistan-Krieg mitgemacht und damit akzeptiert, dass bei diesem Einsatz allein die USA das Sagen haben. Die USA haben auch im Alleingang beschlossen, den Krieg in Afghanistan zu beenden und abzuziehen – und dies, unter Zurücklassung großer Waffen- und Kriegsmaterialbestände, sogar deutlich schneller als angekündigt. Das totale Debakel der NATO-Truppen in Afghanistan macht denn auch unerwartet deutlich, wie unfähig die NATO ist und wie sie sich selber total falsch einschätzt. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg machte noch nie eine so hilflose Figur wie in diesen Tagen.
    Hauptverbündete und Hauptmitläufer beziehungsweise Hauptmitkämpfer im zwanzig Jahre dauernden und extrem teuren Krieg in Afghanistan waren die Briten und die Deutschen. Beide Staaten haben sich dem Diktat der USA ohne Widerspruch gefügt. Haben auch sie die Situation total falsch eingeschätzt? Oder haben sie sich einfach blind und taub und stumm der US-Führung gefügt?
    (…) Nachdem die richtige Gelegenheit, anlässlich des Zusammenbruchs der Sowjetunion 1991 und des damit verbundenen Wegfalls eines realen Feindes auch gleich die NATO zu liquidieren, – nicht zuletzt natürlich auch im Interesse der Rüstungsindustrie – «verpasst» wurde, wäre jetzt nach dem Afghanistan-Debakel wieder eine Gelegenheit, über die Bücher zu gehen und Konsequenzen zu ziehen. Aber die europäischen Länder müssten die Konsequenzen ziehen, die Kommentare aus den USA zum Afghanistan-Debakel lassen im Gegenteil sogar noch Schlimmeres erwarten.
    Quelle: Infosperber
  3. Afghanistan-Mandat: So betrügt der Bundestag sich und die Öffentlichkeit
    Abgeordnete sollen Evakuierung heute nachträglich bewilligen. Doch die Entsendung ist völkerrechtlich fragwürdig und droht zum Himmelfahrtskommando zu werden
    Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) heute Mittag eine Regierungserklärung zur Lage in Afghanistan nach dem Scheitern des zwei Jahrzehnte währenden Einsatzes von Nato-Staaten abgeben wird, sollen die 709 Angeordneten über einen der problematischsten Bundeswehreinsätze der vergangenen Jahre entscheiden.
    Der dreiseitige Regierungsantrag mit dem Titel “Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur militärischen Evakuierung aus Afghanistan” ist dabei eines der heuchlerischsten Dokumente dieser zu Ende gehenden 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestags. Denn während der Westen am Hindukusch vor Augen der Weltöffentlichkeit in epochaler Monumentalität gescheitert ist, versucht das letzte Kabinett Merkel weiterhin vorzugaukeln, man habe das Heft noch in der Hand.
    Anders ist der Antrag der Bundesregierung nicht zu interpretieren, der Bundestag möge den “Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte” für die abenteuerliche Evakuierungsmission nachträglich bewilligen.
    Dabei ist der Regierungsantrag nicht mehr und nicht weniger als ein Beleg der fortdauernden Selbst- und Öffentlichkeitstäuschung. Das wird schon bei einem raschen Abgleich der Vorbemerkungen mit dem Antragstext deutlich.
    Eingangs nämlich gesteht die Bundesregierung ein, dass die radikalislamischen Taliban “bei wegbrechender staatlicher Autorität das Land unter ihre Kontrolle gebracht” haben. Vorausgegangen sei die “Implosion der afghanischen Regierung”.
    Wenige Zeilen später begründen die Regierungsautoren die rechtlichen Grundlagen dann aber mit der “Zustimmung der Regierung der Islamischen Republik Afghanistan” und einem “Notenwechsel vom 15. August 2021”. An diesem Tag aber war Präsident Aschraf Ghani außer Landes geflohen und die Regierung zerbrochen.
    Irgendwie scheint der Bundesregierung der Widersinn klar zu sein, denn sie führt ein “gewohnheitsrechtlich anerkanntes Recht zur Evakuierung eigener Staatsangehöriger” an.
    Fakt aber ist, dass sich die Lage in Afghanistan am 15. August grundsätzlich geändert hat. Ein Mandat können nur die neuen Machthaber – sei ihre Regierungsgewalt de jure begründbar oder de facto gegeben – erteilen. Sympathien oder Antipathien gegenüber dem jeweiligen politischen Regime sind da unerheblich.
    Robustes Mandat ist nicht durchsetzbar
    Der heute zu entscheidende Antrag ist damit erstens nicht nur völkerrechtlich ein Blendwerk, sondern zweitens auch sicherheitspolitisch. Die Bundeswehrkräfte sollen in eine weitere robuste Mission geschickt werden, die spinnt man dieses Szenario ernsthaft weiter zu einem Himmelfahrtskommando werden würde. Man erlaube “den Einsatz militärischer Gewalt zur Durchsetzung des Auftrags”, heißt es in dem Text. Ernsthaft?
    Die Abgeordneten des Bundestags sollen heute der Entsendung von zunächst 600 Soldatinnen und Soldaten grünes Licht geben, damit diese sich mit Waffengewalt am Kabuler Flughafen gegen die Taliban stellen, denen es gerade gelungen ist, die gesamte westliche militärische Phalanx zu besiegen?…
    Quelle: Telepolis

    Dazu: Die Linke und Afghanistan: Friedenspolitik am Pissoir
    Kurz vor einer Abstimmung im Bundestag über ein nachträgliches Bundeswehrmandat für die bereits angelaufene Evakuierung sogenannter Ortskräfte aus Afghanistan ist in der Linkspartei ein Streit um die Abstimmungsempfehlung der Parteiführung an die Fraktion entbrannt…
    Quelle: Telepolis

  4. “2015 darf sich nicht wiederholen”: Das ist offizielle EU-Politik
    Führt das Debakel in Afghanistan zu einer neuen Flüchtlingswelle in Europa? Diese Sorge treibt viele EU-Politiker um, in Deutschland wird sie sogar zum Wahlkampf-Thema. Alles nur Populismus?
    “2015 darf sich nicht wiederholen”: Mit diesem Appell versucht CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet, den Negativ-Trend in den Wahlumfragen zu drehen.
    Er muß sich dafür schwere Vorwürfe anhören. Von Panikmache, Populismus und menschenverachtender Polemik ist die Rede, vor allem die Grünen greifen an.
    Dass ausgerechnet Laschet, der in der Flüchtlingskrise 2015 zu Kanzlerin Angela Merkel stand, nun die Schotten dicht machen will, scheint vielen unverständlich.
    Dabei ist das “nie wieder 2015″ offizielle EU-Politik. Sie wurde schon 2016, nach Merkel Flüchtlingsdeal mit der Türkei, verkündet und seitdem nie revidiert.
    So erklärte der damalige EU-Ratspräsident Donald Tusk:
    In comparison to other states who are present here today, the European Union stood out in 2015 as unable to effectively protect its external borders. This time of uncontrolled migration is coming to an end, and it won’t repeat itself.
    Remarks by President Donald Tusk at the leaders’ summit on the global refugee crisis
    Gleich mehrere EU-Gipfel versuchten, die “Festung Europa” abzudichten und eine Wiederholung der Flüchtlingskrise unmöglich zu machen, siehe zum Beispiel hier.
    Der Fokus galt dabei allerdings dem Nahen Osten und Afrika. Afghanistan hatte niemand auf dem Schirm. Umso hektischer versucht die EU nun, eine “Migrationswelle” vom Hindukusch abzuwenden.
    Ob ihr das gelingt, ist unklar. Der türkische Sultan Erdogan versucht schon wieder, die Angst vor Flüchtlingen aus Afghanistan gegen die EU zu wenden; in Griechenland schrillen alle Alarmglocken.
    Abzuwarten bleibt auch, ob Laschet von seinem Wahlkampf-Slogan profitieren kann. Bisher sieht es nicht danach aus…
    Quelle: Lost in Europe
  5. Ein Tollhaus
    Die UZ sprach mit Prof. em. Dr. rer. pol. Heinz-J. Bontrup, Wirtschaftswissenschaftler und Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, zurzeit Gastprofessor an der Universität Siegen
    UZ: Von der herrschenden Vulgärökonomie (um einen Ausdruck von Marx im dritten Band des Kapital aufzugreifen) wird vorgeschlagen, die gegenwärtigen Probleme vor allem durch Verlängerung der Lebensarbeitszeit, Lohnkürzungen und Sonntagsarbeit zu beantworten. Welche Ergebnisse hätte eine solche Rezeptur?
    Heinz-J. Bontrup: … Bei vorliegender Massenarbeitslosigkeit (etwa 3,5 Millionen Menschen in Deutschland haben keine Arbeit) die Arbeitszeit zu verlängern ist ein Fall für das Tollhaus und hat mit Ökonomie nicht zu tun. Und bei rund acht Millionen abhängig Beschäftigten, dass ist jeder Fünfte, die weniger als 11 Euro brutto in der Stunde erhalten, ist das schon wieder ein Fall fürs Tollhaus…
    UZ: Wie ist aus deiner Sicht das Wahlprogramm der CDU/CSU hinsichtlich der ökonomischen Perspektiven nach den Wahlen, die ja wahrscheinlich eine Regierung unter ihrer Führung bringen wird, zu bewerten?
    Heinz-J. Bontrup: Wahlprogramme sind, wie bei allen Parteien, Makulatur. Nach der Wahl kann sich keiner mehr an gemachte Wahlversprechen erinnern. Die Ausrede ist dann in der Regel, der Koalitionspartner hätte die Forderungen des Wahlprogramms nicht mitgemacht. Die ökonomischen Intentionen und Versprechungen der CDU/CSU sind weiter neoliberal, markt- und kapitalzentriert, ausgerichtet. Da ist nichts Positives zu erwarten, weder in der Fiskal- noch in der Steuerpolitik….
    UZ: Siehst du Alternativen und Hoffnungen bei anderen Parteien – etwa SPD oder den „Grünen“?
    Heinz-J. Bontrup: Solange diese beiden Parteien nicht endlich begreifen, dass ihre Wirtschaftspolitik sauber linkskeynesianisch auszurichten ist, kann man beide Parteien nicht ernst nehmen. In einer Koalition mit der CDU/CSU werden sie selbst ihre nur mangelhaften Wahlprogramme nicht einmal im Ansatz umsetzen können…
    UZ: Kannst du das einmal konkretisieren?
    Heinz-J. Bontrup: Natürlich. Links-keynesianisch bedeutet konkret nicht nur ein wenig antizyklische Konjunkturpolitik, sondern eine massive Intervention des Staates in pervertierte Marktergebnisse. Das gilt sowohl für immer mehr Konzentration und Zentralisation des Kapitals und einen damit inhärenten vielfältigen Machtmissbrauch in der Wirtschaft als auch gegenüber dem Staat, der demokratisch gewählten Politik. Und pervertierte Marktergebnisse müssen durch eine dezidierte Umverteilungspolitik von den Reichen zu den Armen berichtigt werden. Dazu gehören drastische Einkommens- und Vermögensteuer- sowie Erbschaftsteuererhöhungen für Reiche. Linkskeynesianisch heißt auch, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Arbeitslosigkeit spielt übrigens in den Wahlprogrammen von CDU/CSU, SPD und den „Grünen“ überhaupt keine Rolle mehr, als hätten wir längst Vollbeschäftigung. Das ist schon wieder ein Fall fürs politische „Tollhaus“. Und linkskeynesianisch heißt heute auf jeden Fall auch, die Natur endlich in die ökonomischen Gleichungen und Kreisläufe aufzunehmen. Das wird, meint man es ernst, zu heftigen gesellschaftlichen Veränderungen führen, die insbesondere von den Reichen zu schultern sind. Die hoch konzentrierten Vermögensbestände sind hier ein Stichwort. Es nur „sozialverträglich“ zu machen reicht nicht…
    Quelle: Unsere Zeit
  6. Was ist noch normal?
    …die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander, so weit, dass mittlerweile schon einige Millionäre wünschen, mehr Steuern zahlen zu können. Zuerst in den USA, jetzt auch in Deutschland weisen Millionenerben und Erbinnen wie Marlene Engelhorn Politiker darauf hin, dass Eigentum verpflichtet, und fordern nach Jahrzehnten sinkender Spitzensteuersätze eine gerechte Steuerpolitik. Das ist einerseits ehrenwert, aber auch eine verkehrte Welt. „Wie wir die Ressourcen verteilen, trifft ins Herz der Demokratie“ – ein Satz, der nicht von einer Millionärin, sondern von einem Kanzlerkandidaten kommen müsste.
    Zumal die Corona-Pandemie die Ungleichheit weiter zementiert hat. Vor allem unter Kindern kann von einer Generation Corona gesprochen werden, weil das Virus ihr Aufwachsen erheblich beeinträchtigt und die Pandemie als biografische Zäsur gewirkt, sie mehr als Erwachsene vorübergehend aus der Bahn geworfen und sich ihnen der Kontaktmangel als kollektive Schlüsselerfahrung möglicherweise für Jahrzehnte ins Gedächtnis gebrannt hat.
    Zudem gehen vor allem Kinder aus ärmeren Elternhäusern als Bildungsverlierer aus der Krise heraus, denn unter ihnen fand das sogenannte Homeschooling mangels Ausstattung und adäquater Betreuung oft erst gar nicht statt. Monate ohne Bildung im 21. Jahrhundert – wer hätte das Anfang 2020 gedacht?…
    Risse in der Gesellschaft, Klimakrise, Versagen des Katastrophenschutzes, überforderte Verwaltungen und Gesundheitsdienste, marode Schulen: Die Deregulierungspolitik der vergangenen dreißig Jahre ist an erkennbare Grenzen gestoßen. Mit Weitblick schrieb bereits 1998 der Publizist Jan Roß, als das neoliberale Unheil unter Schröder seinen Anfang nahm: „Die linksliberalen Emanzipationsapostel und marktgläubigen Deregulierer ahnen gar nicht, daß sie am selben, verhängnisvollen Projekt arbeiten: an der Auflösung des Gemeinwesens“.
    (…) Ist das alles noch normal, oder doch eher „verrückt“? Da es die Normalität nicht mehr zu geben scheint, spricht vieles für letzteres. Auch in den Europäischen Verträgen ist die Schuldenbremse fest verankert, weil man es so wollte. In nahezu allen Wahlprogrammen der Bundestagsparteien finden sich uneingeschränkte Bekenntnisse zu einer EU der neoliberalen Verrechtlichung samt Globalisierung und Schuldenbremse, was dafür spricht, dass so einiges verrückt ist. Für Paul Steinhardt leiden die Parteien unter einer Mischung aus konzeptueller Verwirrung und Realitätsverlust…
    Quelle: Makroskop
  7. Deutschland braucht eine echte Einwanderungsstrategie, um unseren Wohlstand zu sichern
    Die Bundesrepublik muss bei der Einwanderung eine neue Kultur der Anerkennung schaffen. Für Leistung muss sich keiner schämen, für Ehrgeiz übrigens auch nicht.
    Der Fachkräftemangel herrscht überall. Wer eine Servicekraft für sein Restaurant sucht, bekommt niemanden. Die Begründung lautet: In der Pandemie haben sich die Mitarbeiter umorientiert. Ein anderes Beispiel ist ein Taxifahrer, der sich während der Corona-Zeit fortgebildet hat und jetzt in der IT-Branche arbeitet. Der Fachkräftemangel in Deutschland eröffnet dem Einzelnen Chancen, reißt aber auch personelle Löcher.
    Wenn der Chef der Bundesagentur für Arbeit sagt, Deutschland bräuchte künftig pro Jahr 400.000 qualifizierte Einwanderer, dann ist das schon eine Hausnummer. Das ist eine Stadt größer als Mannheim.
    Die Vorgänger von Detlef Scheele hatten den undankbaren Job, Massenarbeitslosigkeit zu verwalten. Heute geht es um den Mangel an qualifiziertem Personal. Selbst wenn Deutschland alle inländischen Potenziale von der Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit bis hin zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit ausschöpft, bleibt eine Fachkräftelücke.
    Die Große Koalition hat zwar gehandelt und ein Zuwanderungsgesetz verabschiedet. Doch auch hier gilt wieder einmal: Große Koalition bedeutet kleine Lösungen. Zur Ehrenrettung muss man sagen, dass die Pandemie das Thema weit in den Hintergrund gerückt hat. Ein großer Fachkräftezustrom wäre aus epidemiologischen, wirtschaftlichen und politischen Gründen nicht möglich gewesen. Aber eine echte Einwanderungsstrategie hat noch keine Bundesregierung entwickelt. […]
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Das Unternehmerblatt legt sich ganz schön ins Zeug und produziert nur Wahnsinn. Jetzt wird also ein Fachkräftemangel bei den Gastronomiebetrieben und bei den TaxifahrerInnen diagnostiziert, weil die Leute in Coronazeiten in Scharen aus diesen perspektivlosen absoluten Niedrigstlohnbranchen ohne soziale Absicherung weggelaufen sind. Ja, da hilft natürlich nichts als massenhafte Zuwanderung – es sei denn, man erkennt, dass in diesen Berufen heute schon größtenteils Zuwanderer arbeiten und das Taxigewerbe wegen Corona praktisch tot war. Möglicherweise könnte sich das Unternehmerblatt auch mal fragen, warum überall in der Schweiz so viel Hochdeutsch gesprochen wird, z. B. bei den (in Deutschland schmerzlich vermissten) Kellnern und Ärzten. Mag das wohl an den deutlich attraktiveren Gehältern liegen??? Noch eine Bemerkung zum Fachkräftemangel, der ja im MINT-Bereich besonders schlimm grassiert: laut den eigenen Statistiken der Bundesagentur kamen 2020 ca. 326.000 Arbeitslose MINT-Fachkräfte auf nur 109.000 freie Stellen, also ca. 3 Arbeitslose auf 1 Stelle. (Selbst bei den Informatikern kommen 2 Arbeitslose auf 1 freie Stelle.) So sieht also Fachkräftemangel à la Arbeitgeberseite aus, für jedes Stellenangebot nur aus drei Arbeitslosen aussuchen können, das schreit ja nach Zuwanderung.

  8. Mut zur Veränderung
    (…) Jeder Fünfte im Westen, jeder Dritte in Ostdeutschland arbeitet zu Niedriglöhnen: Nur ein Ereignis – Kurzarbeit, Krankheit, pflegebedürftige Angehörige – trennt sie von der Existenzangst. Corona hat das vielen vor Augen geführt. Die Löhne müssen steigen. Deshalb fordert DIE LINKE auch einen Mindestlohn von 13 Euro. Ferner sollen nach dem Programm der LINKEN das System von Leiharbeit und Niedriglohn, das SPD und Grüne eingeführt haben aus der Arbeitswelt verbannt werden. Es gilt: Nur armutsfeste Löhne schützen später vor auch vor Armutsrenten!
    Schon angedeutet wurde, daß DIE LINKE eine Besteuerung von hohen Vermögen und Erbschaften anstrebt. Der vorhandene Reichtum gehört endlich in die richtige Richtung umverteilt; von oben nach unten. Einkommensschwache Familien, Bildung, Gesundheitswesen, Digitalisierung, Klimaschutz, bezahlbare Wohnungen und vieles andere mehr. Eine Voraussetzung, um die Vorhaben der Linkspartei finanzieren zu können gehört nicht nur eine gerechte Steuerpolitik, sondern auch die Lösung der Schuldenbremse, die zunehmend nur notwendige Investitionen in die Zukunft verhindert hat…
    Zunehmend sind die Bürger mit unverschämt hohen Mieten konfrontiert, die sie vielfach aus ihren gewohnten Kiezen verdrängen drohen. Die im Berliner Senat mit regierende LINKE hat, um dieser verhängnisvollen Entwicklung entgegenzuwirken, einen Mieteneckel initiiert und eingeführt. Danach bekamen viele Berliner zu viel Miete in bis zu dreistelliger Höhe zurück. Was machten die Berliner CDU und FDP? Sie klagten beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, bekamen Recht und Spenden von Immobilienkonzernen. Die gerade entlasteten Mieter wurden wieder zu „Vollzahlern“. Es ist eben nicht egal, wer regiert. Aber Karlsruhe verbot nicht den Mietendeckel, es entschied nur über die Zuständigkeit und verschob ihn vom Land auf den Bund. Somit findet sich der Deckel im Bundestagswahlprogramm. Mieten und Wohnen dürfen nicht Rendite – und Spekulationsobjekte sein, auch wenn das in neoliberale Kleingeister bis heute nicht reingeht. Wohnen darf kein Luxusgut sein, es ist ein hohes soziales Gut. Um dies auch zu fundamentieren fordert DIE LINKE den Bau von jährlich 250.000 Sozialwohnungen, die dauerhaft ihre Sozialbindung behalten sollen. Denn bisher tut sich hier eine Lücke von 5 Millionen Sozialwohnungen auf, die gefüllt werden muss…
    Quelle: Scharf links
  9. Wir brauchen 400.000 Zuwanderer pro Jahr”
    Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit hat die Bundesregierung aufgerufen, mehr Zuwanderer ins Land zu holen. Deutschland brauche rund 400.000 Zuwanderer pro Jahr. Wichtig sei jedoch eine gezielte Migration. Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, hat vor einem massiven Arbeitskräftemangel in Deutschland gewarnt. “Wir brauchen 400.000 Zuwanderer pro Jahr. Also deutlich mehr als in den vergangenen Jahren”, sagte Scheele der “Süddeutschen Zeitung”. “Von der Pflege über Klimatechniker bis zu Logistikern und Akademikerinnen: Es werden überall Fachkräfte fehlen.”
    Gezielte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt
    Durch die demografische Entwicklung nehme die Zahl der potenziellen Arbeitskräfte im typischen Berufsalter bereits in diesem Jahr um fast 150.000 ab, in den kommenden Jahren werde es noch “viel dramatischer”, erklärte Scheele. Das Problem lasse sich nur mit einer deutlich höheren Zuwanderung nach Deutschland in den Griff bekommen. “Aber mir geht es hier nicht um Asyl, sondern um gezielte Zuwanderung für die Lücken am Arbeitsmarkt”, sagte Scheele weiter.
    “Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus”
    “Deutschland kann das Problem nur lösen, indem es Ungelernte und Menschen mit wegfallenden Jobs qualifiziert, Arbeitnehmerinnen mit unfreiwilliger Teilzeit länger arbeiten lässt – und vor allem, indem es Zuwanderer ins Land holt”, sagte Scheele. Das müsse die neue Bundesregierung alles regeln. Zu möglichen Widerständen gegen Migration sagte er: “Man kann sich hinstellen und sagen: Wir möchten keine Ausländer. Aber das funktioniert nicht. Fakt ist: Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus”, sagte Scheele.
    Quelle: Tagesschau

    Anmerkung unseres Lesers W.K.: Kann das jemand verstehen: der Chef der BA für Arbeit fordert 400.000 neue Arbeitskräfte, während es über 2.5 Mio Arbeitslose gibt.

    Was soll das? Soll damit die Debatte um “Arbeitsplatz raubende Ausländer” erneut angestachelt werden? Oder soll die Mär von den “faulen Deutschen” aufrechterhalten werden? Oder beides?

    Dazu: Betroffene brauchen endlich besseren Zugang zu den Jobcentern!
    Die Situation bei vielen Jobcentern und Agenturen für Arbeit ist für erwerbslose und / oder einkommensarme Menschen seit längerem sehr problematisch. Seit Beginn der Corona-Pandemie sind diese Behörden nur noch schwer erreichbar. Die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Partei Die Linke im Bundestag (BT-Drs. 19/31534) belegt nun nach Ansicht des Bündnisses „AufRecht bestehen“, dass es der Bundesregierung absolut an Problembewusstsein fehlt…
    Dazu erklärt Frank Jäger für das bundesweite Bündnis „AufRecht bestehen“: „In Bezug auf die Zugangsmöglichkeiten ist die aktuelle Lage bei vielen Jobcentern noch immer beunruhigend. Unter Corona-Bedingungen sind die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dieser Behörde häufig kaum erreichbar, nicht einmal in akuten Notsituationen. Immer wieder berichten Betroffene, dass es für sie auch im akuten Notfall gar nicht möglich ist, zum Jobcenter einen Zugang zu bekommen! Viele
    Ratsuchende berichten, dass ihnen eine schnelle Hilfe des Jobcenters schlicht verweigert wird und dass das aufgrund ausstehender Mietzahlungen und geplatzter Überweisungen z. B. zu erheblichen Problemen mit dem Vermieter führt.
    Die Erreichbarkeit des Jobcenters ist besonders bei fehlendem Telefon- oder Internetzugang von Betroffenen und bei mangelnden Deutschkenntnissen kaum gegeben. Zumal die Jobcenter die durch die Corona-Pandemie verursachte Schließung zum Anlass nehmen, um den Leistungszugang zu digitalisieren: Anträge und Dokumente sollen möglichst alle elektronisch übermittelt werden.
    Beratungsgespräche und Nachfragen sollen nur noch telefonisch abgewickelt werden. Das grenzt viele Menschen aus dem Hilfesystem aus. Wer nicht über die notwendigen Geräte und Kenntnisse im Umgang mit der EDV verfügt, seine Anliegen sprachlich im Telefonat nicht eindeutig und in deutscher Sprache vorbringen oder nicht gut lesen und schreiben kann, dringt mit seinem Anliegen in der Regel
    nicht durch. Das gilt auch z. B., wenn das Handy wegen Schulden beim Anbieter gesperrt ist, o. ä.“
    Antragstellende erleben auch, dass sie lange in der Warteschleife gehalten werden, bis sie in der Telefon-Hotline jemand erreichen…
    Erwerbslose sind oft mittellos und verzweifelt, weil man sie mit ihren Problemen allein lässt. So darf es nicht weitergehen. Das Bündnis „AufRecht bestehen“ fordert deshalb, sofort ein niedrigschwelliges Angebot von persönlichen Notfallsprechstunden bei allen Jobcentern und Agenturen für Arbeit einzurichten. Diese sollen bundesweit unter Wahrung der erforderlichen Infektionsschutzmaßnahmen zu den gewohnten Öffnungszeiten zugänglich sein. So können Betroffene persönliche Anliegen, die sich anderweitig nicht klären lassen, schnell zur Sprache bringen.
    Wer Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen benötigt oder Unterlagen kopieren will, soll ebenso Hilfe bekommen. Auch muss es für Betroffene möglich sein, Eingangsstempel zu erhalten, um die Abgabe von Unterlagen rechtssicher nachweisen zu können.
    Quelle: Auf Recht bestehen

  10. War Willy Brandt ein Massenmörder?
    (…) Pandemien ohne Panik
    Damals und heute – krasser könnte der Kontrast kaum sein. Beim Aufkommen der Asiatischen Grippe schrieb der Spiegel, eine solche Atemwegsinfektion „zählt als ‚leichtere Erkrankung‘ nicht zu den Krankheiten, die eine genügend lange gesetzliche Quarantäne für alle verdächtigen See- und Luftreisenden rechtfertigen.“ Der SWR fand zum Thema nur einen Radiobeitrag von 1957 in seinen Archiven und vermutet, dass weitere nicht aufbewahrt wurden. Genauso gut könnte die Grippe nicht relevant genug gewesen sein, als dass sie für viel Wirbel gesorgt hätte. „Am Ende einer Grippe-Epidemie“, informierte der Spiegel weiter, „sind also fast alle Menschen des betroffenen Gebietes infiziert und – gleichgültig, ob sie bemerkten, dass sie grippekrank waren oder nicht – gegen den speziellen Erreger dieser Epidemie immunisiert.“ So kam es auch, und gleiches gilt für andere Atemwegsviren, selbstverständlich auch für neue Coronaviren. Unabhängig von staatlicher Einwirkung und unabhängig von einer Impfung, die Ende der 1950er nur beschränkt, Ende der 1960er etwas häufiger in Anspruch genommen wurde…
    Im Zusammenhang mit den West-Berliner Kapazitätsproblemen im Winter 1969/70 kam es dort zu Diskussionen von Landes- und Kommunalpolitikern sowie Ärztefunktionären. Dabei ging es aber nicht um Virusängste – oder in der Gegenwart euphemistisch so bezeichnete „Maßnahmen“ –, sondern um organisatorische Fragen und abweichende Auffassungen, ob ambulante Versorgung durch Einrichtung von Polikliniken verstaatlicht werden sollte. Also das, was man in der guten alten Zeit unter Politik verstand…
    Im benachbarten SED-Staat zog man, wie Medizinhistoriker Wilfried Witte recherchiert hat, aus der Hongkong-Grippe Folgerungen für die medizinische und pharmazeutische Versorgung, lehnte für solche Fälle aber „‚einschneidende Maßnahmen‘ ab, die ‚das gesellschaftliche Leben beeinträchtigen‘“…
    Ist die Hongkong-Grippe „‚aus unserem kollektiven Gedächtnis total gelöscht‘“? Nein, sie hat sich nie festsetzen können, weil Derartiges damals als relativ banales Ereignis galt. So wie selbst die Spanische Grippe, „die letzte Europa heimsuchende Seuche, die den Namen noch verdient“ im Schatten der spektakulären politischen und wirtschaftlichen Ereignisse der Weimarer Republik schnell vergessen war, interessierte man sich Ende der 1960er für die Studentenbewegung, die Neue Ostpolitik, oder die Mondlandung. Grippe, wenngleich immer auch für einige tödlich, gelangte nicht hoch auf die Agenda. Es gab keine der Coronapolitik ähnelnde Influenzapolitik, das hätte man auch für abwegig gehalten. Dementsprechend haben sich die negativen wirtschaftlichen Folgen in Grenzen gehalten…
    Epi- und Pandemien, die ohnehin auch Definitionssache sind, muss man keineswegs automatisch als einschneidende Ereignisse betrachten. Die Schweinegrippe 2009/10 war als mediale Kampagne präsent, aber eine unterdurchschnittliche Influenza. 1995/96 hat es in Deutschland, wird von pneumologischer Seite behauptet, eine Influenzaepidemie mit 30.000 Todesopfern gegeben. Da wären wir aber ganz auf Augenhöhe mit der Asiatischen und der Hongkong-Grippe. Hat in der Allgemeinbevölkerung davon überhaupt jemand Notiz genommen?
    Tempora mutantur
    Wenn heutzutage behauptet wird, „Politiker und Behörden hätten mit einer erstaunlichen Empathielosigkeit [auf die Hongkong-Grippe] reagiert“, so würde die damaligen Politiker und Bürger eher erstaunen, aus welch relativ nichtigem Anlass das Alltagsleben der Menschen auf den Kopf gestellt und das Grundgesetz ausgehebelt wird. Und dass es heute als empathisch gilt, Altersheiminsassen zu isolieren, Kindern Masken aufzuzwingen und Existenzen zu ruinieren.
    Woher der Umschwung, woher ein solcher Paradigmenwechsel in einem halben Jahrhundert?…
    Quelle: Novo
  11. Ethikratsvorsitzende Buyx: Ich würde meine Kinder sofort impfen lassen (Teil2)
    Die Politik will mit Nachdruck Kinder und Jugendliche impfen lassen. So sollen Schulschließungen infolge hoher Inzidenzen verhindert werden. Auf die Idee, den Schulbetrieb unabhängig von Inzidenzen zu garantieren, kommen die politischen Entscheider nicht. Auch nicht deren Berater wie Ethikratsvorsitzende Prof. Dr. med. Buyx (…)
    Nach dem Eigenschutz wird hier der zweite Aspekt der Impfung, die Ermöglichung sozialer Teilhabe wie Bildung ins Feld geführt.
    “Die Jungen haben bisher einen erheblichen Teil der Last dieser Pandemie getragen. Nun ist es nötig, ihnen etwas zurückzugeben – auch mit dem Angebot einer Impfung. In der Ethik nennen wir das Reziprozität.“
    Buyx in Die Zeit
    Kritischen Geistern wird bei solchen Aussagen von Buyx viel abverlangt: Eine Gesellschaft, die mit ihren „ethischen“ Maßstäben Kinderrechte über anderthalb Jahre an das Ende ihrer Prioritätenliste verbannt hat, will jetzt(!) einen Ausgleich schaffen – mit einer Impfung, die statt Nutzen nur neues Risiko birgt! Eine von der Politik den Kindern völlig unnötig aufgeladene Last wird als Argument für eine medizinisch nicht indizierte Impfung verwendet. Ob hier nicht von Zynismus statt von Ethik gesprochen werden muss, mag jeder selbst beurteilen.
    Das ist allerdings noch nicht das Ende der argumentativen Stilblüten. Statt sich endlich zu entscheiden, den Schulbetrieb vom Meldeinzidenzregieme zu befreien, fordert man gegen etwaige drohende Schulschließungen gesellschaftliche Solidarität durch alte und neue Maßnahmen zum Niederhalten der Inzidenz ein, weil Eltern die Sorge umtreibe…
    “…dass wenn ganz ganz viele Infektionen stattfinden, dass dann ein geregelter Schulbetrieb überhaupt nicht möglich ist… Das ist aus meiner Sicht gesellschaftlich betrachtet, und tatsächlich mit Blick auf gesellschaftliche Solidarität, ein ganz starkes Argument zu sagen, dass wir alle gemeinsam für die jüngere Generation uns bemühen, dass die Infektionszahlen nicht so stark steigen. Also, dass man nicht alle Maßnahmen aufgibt…, damit wir noch halbwegs ordentliche Inzidenzen haben, und uns die Schule nicht um die Ohren fliegt.“
    Quelle: Henry Mattheß in Geld und mehr

    Anmerkung Christian Reimann: Auf Teil 1 haben die NachDenkSeiten hier mit einer Anmerkung hingewiesen.

  12. Angriff der Killerroboter: Wenn der Algorithmus tötet
    as viele seit langem befürchtet haben, ist laut einem UN-Bericht erstmals passiert: Eine autonome Militärdrohne hat im März 2020 ohne Anweisung einen flüchtenden Soldaten in Libyen gejagt und attackiert.[1] Der Kargu-Quadcopter des türkischen Herstellers STM, der Kameras und künstliche Intelligenz (KI) zur Identifikation seiner Ziele einsetzt, sei demnach darauf programmiert gewesen, eigenständig Ziele anzugreifen, ohne zuvor eine Datenverbindung zum Betreiber herzustellen.
    Dieser Angriff belegt nicht nur, wie weit die Autonomisierung konventioneller Waffensysteme, sogenannter letaler autonomer Waffensysteme (LAWS), vorangeschritten ist, sondern auch, dass diese bereits auf dem Kampffeld eingesetzt werden. LAWS entscheiden ohne menschliche Kontrolle über einen Waffeneinsatz und die Tötung von Menschen. Eben darin unterscheiden sie sich auch von unbemannten Luftfahrzeugen (unmanned aerial systems, UAS), die nicht selbst agieren, sondern ferngesteuert werden.
    Der Ruf nach einem Verbot von LAWS wird bereits seit Jahren immer lauter. Begründet wird diese Forderung unter anderem mit der Gefahr einer rasanten Zunahme dieser Waffentechnologien und damit eines qualitativen, unkontrollierten Wettrüstens. Wenn man diesem nicht rechtzeitig Einhalt gebiete, drohe ein enthemmter, massenhafter und völkerrechtswidriger Einsatz dieser Waffen.
    Quelle: Blätter
  13. Afghanistan: Ischingers Aufrüstungslehren
    Überraschend ist es nicht, dennoch verschlägt es einem den Atem, wie kaltschnäuzig etwa der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, als Lehre aus der Katastrophe in Afghanistan eine noch intensivere Aufrüstung einfordert: „Was also ist nun zu tun, kurz- und mittelfristig? Die Handlungsfähigkeit der europäischen Union muss dringend gestärkt werden, damit wir unsere außen- und sicherheitspolitischen Interessen künftig selbst deutlicher markieren und verteidigen können. […] Außenpolitische Entscheidungskraft bedarf in einer durch vielfältige blutige Konflikte geprägten Welt auch der militärischen Unterfütterung. Die Unfähigkeit der aktuellen Groko, klare Entscheidungen zum Beispiel über militärische Drohnen, über die Erreichung des 2-Prozent-Ziels oder über die deutsche Mitwirkung an der nuklearen Teilhabe der Nato zu treffen, wirken wie aus der Zeit gefallen. Glauben wir denn, so ernst genommen zu werden?“
    Quelle: Informationsstelle Militarisierung e.V.

    Anmerkung Christian Reimann: Die Lehre, die der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz aus dem Afghanistan-Desaster zieht, lautet Aufrüsten, um “ernst genommen zu werden”. Ob die Bürgerinnen und Bürger der EU dadurch sicherer leben können, ist sehr zu bezweifeln, denn das läuft auf Konfrontation hinaus. Vielleicht sollte Herr Ischinger seine Treffen in München “Kriegsvorbereitungskonferenz” umbenennen.

  14. Außenminister Sergei Lawrow: Russland will keine US-Militärkräfte in Zentralasien sehen
    Sergei Lawrow hat Plänen der USA eine Abfuhr erteilt, in den Nachbarländern von Afghanistan Truppen und Waffen zu stationieren. Der russische Außenminister verwies auf die Satzung der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), die das nicht zulasse.
    Der russische Außenminister Sergei Lawrow hat auf einer Pressekonferenz am Dienstag erklärt, dass die Russische Föderation keine US-Armeeangehörigen in Zentralasien sehen wolle. Er antwortete auf eine entsprechende Frage des Wall Street Journal. Als Hauptargument gegen eine solche US-Präsenz führte der russische Chefdiplomat die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) an. “Wir haben einen gemeinsamen Sicherheitsraum, und in diesem Raum existieren eigene Verpflichtungen.”
    Die Satzung der OVKS sehe vor, dass die Genehmigung aller Mitgliedsstaaten für eine Stationierung ausländischer Militärkräfte auf deren Territorium erforderlich ist. Lawrow teilte ferner mit, die USA hätten nach ihrem Abzug aus Afghanistan geplant, einen Teil ihrer Truppen und Waffen in den Nachbarländern Afghanistans zu stationieren. Das Ziel wäre es, von dort aus Angriffe auf Afghanistan zu fliegen, sollte sich Kabul “schlecht benehmen”. Somit könnten diese Länder jedoch zu einer Zielscheibe werden. Kein Land sei daran interessiert, nur damit die USA ihre Vorhaben umsetzten könnten…
    Quelle: RT
  15. Mauer gegen Demonstranten zum Einsturz verdammt
    (Eigene Übersetzung): Wir nähern uns dem Tag der Abrechnung, so scheint es. Jeden Tag gibt es eine Schlacht, und das Din-Daeng-Dreieck ist das Schlachtfeld. Zumindest in den letzten Tagen.
    Das Wahrzeichen des Schlachtfelds ist eine Reihe von Frachtcontainern…
    Aus Wut über die Blockade besprühte eine kleine Gruppe abtrünniger Demonstranten die Blockade mit Farbe, warf mit Gegenständen nach ihr und versuchte, sie zu Fall zu bringen. Dies führte dazu, dass die Bereitschaftspolizei hinter der Eisenmauer einen Gegenangriff mit Tränengas und Wasserwerfern, gefolgt von Gummigeschossen, einleitete.
    Diese Szene sollte sich in den nächsten Tagen mit zunehmender Intensität wiederholen…
    Die zunehmend gewalttätigen Auseinandersetzungen beschränken sich, zumindest im Moment noch, auf dieses kleine Gebiet. Sie könnten sich jedoch weiter ausbreiten, wenn die Behörden weiterhin mit aller Härte gegen die Protestbewegung vorgehen.
    Frachtcontainer sind zu einem wesentlichen Bestandteil des polizeilichen Anti-Protest-Arsenals geworden. Sie sind aber auch ein Symbol für die Kluft zwischen den Behörden und dem Volk sowie ein Symbol für eine Macht, die Amok läuft.
    Eine Mauer wie diese hat in einer funktionierenden Demokratie nichts zu suchen. Sie ist ein Eingeständnis der Tatsache, dass wir einen autoritären Staat haben.
    Welche Risiken birgt es, wenn eine relativ kleine Zahl friedlicher Bürger zum Wohnsitz des Staatsoberhauptes marschieren kann, um ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen?
    Die Liste der Orte, an denen Proteste verboten wurden, ist mittlerweile lächerlich lang. Dazu gehören neben der Residenz des Premierministers auch das Regierungsgebäude… und sogar das Symbol der Demokratie selbst – das Democracy Monument.
    Das eigentliche Ziel der harten Taktik der Regierung besteht nicht darin, Menschen daran zu hindern, sich in der Öffentlichkeit zu versammeln…Das eigentliche Ziel besteht darin, die Menschen daran zu hindern, ihre Meinung frei zu äußern, wenn sie nicht mit dem herrschenden Regime einverstanden sind.
    Seit die derzeitige Regierung vor sieben Jahren an die Macht kam, ist sie nie davon abgerückt, in der Verwaltung des Landes eine harte Linie zu fahren. Sie will keine abweichenden Meinungen hören oder sehen, egal wie vernünftig sie sind. Zu diesem Zweck wurden entsprechende Gesetze erlassen.
    Diese Haltung ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass an der Spitze der Regierung vor allem lebenslange Militärs stehen, die durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen sind.
    General Prayut Chan-o-cha, der Premierminister, hat es in den sieben Jahren seiner Amtszeit nicht geschafft, vom Militär zum Zivilisten zu werden, auch nicht nach seiner Pensionierung vor ein paar Jahren.
    Er und seine Kameraden sind fest in der Vergangenheit verhaftet, unfähig, auszubrechen und zu erkennen, wie weit die Welt sie zurückgelassen hat…
    Die gegenwärtigen sozialen und wirtschaftlichen Turbulenzen, die durch die Covid-19-Pandemie ausgelöst wurden, erfordern eine Führung, die in der Lage ist, das Land zusammenzuführen und eine andere Art von Mauer gegen die Virusplage zu errichten.
    Was wir stattdessen haben, ist ein inkompetentes Regime mit einem Führer, der unfähig ist, seine eigenen Fehler einzugestehen…
    Paradoxerweise wird die Mauer den Tag ihres eigenen Untergangs beschleunigen.
    Quelle: Bangkok Post
  16. Chinas kommende Ära des “gemeinsamen Wohlstands”
    und was das für die Reichen bedeutet.
    (Eigene Übersetzung): Jahrzehntelang durften einige wenige Menschen im Lande zuerst reich werden, um die wirtschaftliche Effizienz zu fördern. Doch die Einkommensschere öffnet sich immer weiter und es gibt Bestrebungen, die Bessergestellten dazu zu bringen, etwas zurückzugeben
    (…) “Bald sagte [der damalige oberste Führer] Deng Xiaoping, das Ziel des Sozialismus sei allgemeiner Wohlstand, und wenn man zuerst einige wenige Menschen reich mache, könne man dieses Ziel besser erreichen”, so Ding, der heute Mitglied des akademischen Ausschusses der in Hongkong ansässigen BoYuan-Stiftung ist.
    “Aber eine kleine Anzahl von Menschen zuerst reich zu machen, sollte eine Übergangslösung sein, die später durch Politik und Gesetze angepasst werden sollte, um allgemeinen Wohlstand zu erreichen.”
    Jahrzehnte später gibt es Anzeichen dafür, dass die Übergangsphase zu Ende gehen könnte, und der Schwerpunkt der Führung liegt jetzt auf einer gerechteren Einkommensverteilung, wobei Präsident Xi Jinping das Ziel des allgemeinen Wohlstands wieder aufgreift…
    Dieser Gedanke zieht sich seit Jahren wie ein roter Faden durch Xis Reden und baut auf der Arbeit seiner Vorgänger auf, sagen Beobachter.
    Ding sagte, dass der frühere Präsident Hu Jintao und der frühere Premierminister Wen Jiabao versucht hätten, die Ungleichheit zwischen den reichen östlichen und den verarmten westlichen Regionen sowie die Ungleichheit zwischen dem Agrar- und dem Industriesektor zu beseitigen.
    Das jüngste – und deutlichste – Anzeichen für die erneute Schwerpunktsetzung kam jedoch am Dienstag nach einem Treffen der wichtigsten chinesischen Wirtschaftsentscheider.
    Laut einer vom Zentralkomitee für Finanz- und Wirtschaftsfragen der Kommunistischen Partei veröffentlichten Erklärung sagte Xi, dass es jetzt an der Zeit sei, den weniger Wohlhabenden eine gerechtere Behandlung zukommen zu lassen.
    “Wir können einigen Leuten erlauben, zuerst reich zu werden, und dann andere anleiten und ihnen helfen, gemeinsam reich zu werden … Wir können wohlhabende Unternehmer unterstützen, die hart arbeiten, legal arbeiten und Risiken auf sich genommen haben, um ein Unternehmen zu gründen … aber wir müssen auch unser Bestes tun, um ein ‘wissenschaftliches’ politisches System zu schaffen, das eine gerechtere Einkommensverteilung ermöglicht”, wird Xi in der Erklärung zitiert.
    Als Teil dieses Prozesses würde die Regierung die Steuer- und Sozialversicherungssysteme ändern und eine Reihe von steuerlichen Transfers vornehmen, um eine größere Aufwärtsmobilität und einen besseren Zugang zu Bildung zu ermöglichen…
    Einer der wichtigsten Punkte des Treffens in der vergangenen Woche war die Betonung des “dritten Verteilungsschemas”, das auf der ersten Verteilung der Gehälter und der zweiten Verteilung der Steuern und staatlichen Gebühren aufbaut.
    Im Rahmen dieses zusätzlichen Systems sollen “übermäßige Einkommen” und “unangemessene Einkommen” reguliert und einkommensstarke Gruppen und Unternehmen dazu angehalten werden, “mehr an die Gesellschaft zurückzugeben”…
    Quelle: South China Morning Post
  17. Krieg gegen China
    Es gibt in Europa einen Reflex, der China beschädigt. Er ist die Kehrseite respektvollen Staunens über die Weite, die Größe Chinas, über seine Kultur und Gesamtstaatlichkeit. Europa wirkt winzig im Größenvergleich. Der Vergleich dämpft den Irrtum, unvergleichlich zu sein. China ist größer.
    “China klein halten”, war schon immer vergebens. Um “China klein zu halten”, half nur Gewalt, wenn nötig in Kriegen gegen China. Fast jede Gewalttat galt als sittlich geboten, um China zu ducken, zumal in Berlin.
    Das deutsche Kaiserreich entsandte seine Truppen, um die “Fäuste der Gerechtigkeit und Harmonie” niederzuschlagen – eine chinesische Widerstandsbewegung. Kaiser Wilhelm persönlich – hier vor deutschen Soldaten auf dem Weg nach China – rief zum Gemetzel auf…
    Die deutschen Helden dieses Gemetzels wurden im Weimarer Staat geehrt…im deutschen Faschismus heroisiert…und werden in der Bundesrepublik in Straßennamen verewigt…
    An den Grenzen zu China hat Europa auf militärische Macht noch nie verzichtet. Militär wurde rücksichtslos eingesetzt: im Korea-Krieg, im Krieg in Vietnam. Die Bundesrepublik Deutschland war technisch beteiligt, als Napalm und Phosphor Vietnam verwüsteten. Die publizistische Hetze galt dem “Vietcong”, den Barfußsoldaten – einer Art roter Teufel. Als nicht weniger teuflisch galt auch der “Drache”, das benachbarte China, über dessen Straßen und Häfen der militärische Nachschub die westlichen Kriege in Asien eindämmte…
    (…) Diese Hysterisierung begünstigt Gewalt. In den Wirtschaftsjournalen ist die Rede vom Krieg fast alltäglich geworden: Zollkrieg, Sanktionskrieg, Krieg der Systeme…
    Es scheint daher logisch, sich militärisch zu wappnen. An den Grenzen zu China entsteht im Indo-Pazifik ein Ring der Gewalt mit dem Drohpotential atomarer Vernichtung…
    Deutsche Waffenkonzerne drängen schon länger auf Rüstungsteilhabe am Gewaltring um China, um China von See her “klein zu halten”. Im westlichen Bündnis stärkt Deutschland den Ring, ähnlich wie damals, als sein westlicher Teil Logistik und Technik, vor allem viel Geld und das Menschenbild teilte, mit dem in Vietnam ein Schlachthof entstand.
    Deutschland ist nicht neutral, sondern steht im Begriff, zur Front aufzuschließen…
    Quelle: German Foreign Policy
  18. Unser täglich Gift
    Der September könnte ein entscheidender Monat werden für den Einsatz des Pflanzenvernichtungsmittels Glyphosat. Das Insektenschutzpaket der scheidenden Bundesregierung tritt in Kraft und das Landgericht Frankfurt/Oder entscheidet, wer schuld ist an damit verseuchtem Honig. Haben wir also in Zukunft weniger Glyphosat in unseren Lebensmitteln und letztlich auch in unserem Urin?
    Wenn es nach der Europäischen Union geht wohl eher nicht. Die EU-Kommission hat 2019 die Mitgliedsstaaten Frankreich, Niederlande, Schweden und Ungarn damit beauftragt, den Wirkstoff neu zu bewerten. Nach deren seit einem Monat vorliegenden Gutachten steht einer Neuzulassung von Glyphosat in der EU nicht mehr viel im Wege.
    Glyphosat ist überall
    Die von der EU-Kommission bestellte Bewertungsgruppe ordnet das Totalherbizid Glyphosat als augenschädigend und giftig für Wasserorganismen ein, nicht aber als krebserregend, wie das die Internationalen Agentur für Krebsforschung IARC seit 2015 tut. Und wie das auch US-Gerichte tun, die den Bayer-Konzern nun schon mehrfach schuldig gesprochen haben.
    (…) Vier Tonnen Honig musste der Imker Sebastian Seusing aus Brandenburg 2019 vernichten, weil der Grenzwert für Glyphosat mehr als hundertfünfzigfach überschritten war. Seine Bienen hatte der Familienbetrieb damals schon knapp ein Jahr lang an einem Waldrand stehen, als eine von niederländischen Investoren betrieben Landwirtschaftsgesellschaft einen Acker am Waldrand mit Glyphosat totspritzte, um darauf Mais anzubauen… Die Frage ist letztlich: Wer trägt Verantwortung für die Rückstände in unseren Lebensmitteln? Egal ob die nun als krebserregend eingestuft werden oder nicht…
    (…) Denn das Totalherbizid schädigt nicht nur den pflanzlichen Teil des Bodenlebens, die Algen etwa, es wirkt auch auf die Bodenfauna. Das ergaben umfangreiche Studien der Wiener Universität für Bodenkultur…Außerdem schädigt das Herbizid die Mykorrhiza-Pilze, die eigentlich Symbiosen mit den Pflanzen eingehen und mit für deren Ernährung und Gesundheit sorgen…
    Trotz aller Untersuchungen und aller Warnungen: der Wirkstoff wird weiter angewendet werden und die Diskussion um Glyphosat wird ebenso weitergehen, wie die Belastung von Lebensmitteln und Trinkwasser. Ach so, ja: die Biolandwirtschaft setzt kein Glyphosat ein. Wer Bio kauft, unterstützt die Glyphosatwirtschaft nicht. Was nicht heißt, dass Biolebensmittel keine Rückstände des Wirkstoffs enthalten können. Das Zeug ist gut wasserlöslich und kann auch verweht, oder von Bienen in den Honig getragen werden.
    Quelle: Buchkomplizen


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