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Titel: Das Votum eines (nahestehenden) Taxifahrers zu den selbstfahrenden Autos

Datum: 13. September 2021 um 17:06 Uhr
Rubrik: Leserbriefe
Verantwortlich:

Joachim Schäfer, Taxifahrer in Berlin, ist seit langem Leser und Sympathisant der NachDenkSeiten. Er hat uns vor einigen Jahren davon überzeugt, dass es Sinn macht, zumindest in Berlin Werbung auf Taxis zu machen. Jetzt hat er sich mit einer Stellungnahme zu diesem Artikel vom 6. September zu Wort gemeldet.

Sehr geehrter Herr Müller, hochgeschätztes Team der Nachdenkseiten,

als ich den Artikel über selbstfahrende Fahrzeuge las, schmunzelte ich schon innerlich. Sicherlich sind Sie mit Zusendungen mehr als reichlich eingedeckt worden, mehr als veröffentlichbar ist. Als Fahrer eines der beiden meines Wissens einzigen Taxen mit Werbung für die NDS zuckte es mir sofort in den Fingern, Ihnen zu antworten. Dies mußte ich leider verschieben, da ich ob der Wahlreise zum 26/9 als Direktkandidat für dieBasis zum Berliner Abgeordnetenhaus nicht nur mit Diesem, sondern auch mit der Parteiaufbauarbeit dieser jüngst (Juli 2020) erst gegründeten politischen Bewegung für Freiheit, Machtbegrenzung, Achtsamkeit und Schwarmintelligenz in Basisdemokratie einstehenden Organisation mehr als eingespannt bin, alldieweil auch die bis Ende Juni laufende Kurzarbeit beendet wurde und nun zusätzlich die Mühen des Broterwerbs (im Taxigewerbe mehr als den Mindestlohn zu verdienen ist eher eine sehr rare Seltenheit) belastet bin.

Aber eine Zuschrift ist Pflicht, schon allein, weil die NDS für die Werbung auf den Taxen einen kleinen Beitrag zum Überleben meines Berliner Betriebs leisten, wofür ich mich hier tief verneigend bedanke.

Seit 1986 bin ich als Kutscher tätig und habe die vielen Veränderungen stets mit wachem Auge aufgenommen und da sind es vor allem die Aufrüstungen der Fahrzeuge durch den, damals zumindest noch, führenden Ausrüster des Gewerbes aus dem Ländle, wo man Alles kann außer hochdeutsch (Werbespruch auf einem Doppeldeckerbus der BVG).

Schaltwagen gelernter Führerscheinbesitzer, und hier muss zum Einen erwähnt werden, das es zwar Fahrzeugführer gibt, allerdings nur Inhaber einer Fahrerlaubnis und zum Anderen die seltsame Verbundenheit dieser deutschen Geographie mit dem Wort Führer (lateinisch: dux, ducis – der, die Führer, nicht aber Führerin, hehe, da endet die Genderei meistens), war mir schon das Automatikgetriebe ein Neues. Noch heute erinnern sich die Kollegen, die diese Zeit noch erlebt haben, mit Wehmut an den W123 mit 2,5 Liter Dieselmaschine. Unkaputtbar mit zum Teil eine Million KM auf dem Tacho, der allerdings nur sechstellig zählte. Auch mir ist dieses Gefühl nicht fremd. Dieser Wagen war eine Freude, vor allem, wenn dann im Winter bei zweistelligen Minusgraden nach anderthalb bis zwei Stunden das Differential in der Hinterachse auch warm geworden war. Die schwere Blechkarosse schützte wirkungsvoll die Insassen und man ist im Innenraum zumindest nicht erfroren. Zwei von diesen fahren noch auf Berlins Straßen und werden liebevoll instandgehalten und der geneigten Bürgerschaft als Taxe zur Verfügung gestellt. Für all die Umwelt- und Nachhaltigkeitsapostel sei noch erwähnt das diese Dieselmaschine noch ein getreuer Nachfolger des von Rudolf Diesel erfundenen Ölmotors war; wenn die Betriebsflüssigkeit genügend Temperatur hatte, ist dieser Motor sogar mit gereinigtem, alten Pflanzenfett zu betreiben, Pommesbudengeruch inclusiv. Genug der Schwärmerei, das Thema soll nicht verfehlt werden.

Folgemodell war der W124, in meinen Augen die Krönung des deutschen Automobilbaus, vor allem weil die Problematik des Rostens an den Schwellern und anderen unzugänglichen Ecken der Karosse angegangen worden war und selbstredend bei den als Taxen ausgelieferten Fahrzeugen mit besonderem Augenmerk bedacht worden ist, da die natürliche Werbung für den Hersteller allein durch die Präsenz auf den Straßen erzeugt wurde, was sich dieser Tage massiv verändert hat. Immerhin mit elektrischen Fensterhebern und Schiebedach, optionaler 5-Gang Automatik sowie Klimaanlage und dem ersten für’s Gewerbe konzipierten Fahrersitz. Die Werkstattaufenthalte konnten an einer Hand aufgezählt werden, was im Betrieb ein wichtiges Kaufargument wurde. Zu dieser Zeit war es dem in völkischer Zeit gegründeten Betrieb aus lower Saxonia noch nicht gelungen im Gewerbe auch mit nur einem Modell Fuß zu fassen, die ethanolbetrieben Käfer in Brasilien begannen allerdings den Endspurt dieses Modells auch als Taxen in den weniger wohlhabenden Geographien zu verlängern.

Selbstfahrende Fahrzeuge waren damals Science Fiction und wenn dies versucht wurde meistens schienengebunden.

Die Digitalisierung nahm Fahrt auf, C-Netz Mobiltelephone bedurften zwar noch eines körperlichen Trainings, um überhaupt mobil sein zu können, aber Abstandssensoren konnten schon zuverläßlich mit Lautpechern verbunden werden, um Warntöne abzugeben. Das eine, im Gewerbe selbstredend häufige, Nachlackierung der noch Stoßfänger genannten Front- und Heckschürzen aus Plastik die Funktion beendete mußte erst in den Werkstatthandbüchern eingearbeitet werden. :

Die amerikanische Armee begann mit ihrem Selbstfahrerchallenge in den Wüsten Arizonas, wo bei den ersten Austragungen keiner das Ziel erreichte. Dass es nun ausgerechnet ein VW war, der den Preis gewann, ist auch schon Geschichte. Offroad ist schon eine Herausforderung, da der Steuercomputer Geländeabschätzungen erstellen muß und das in Echtzeit. Aber zumindest läuft da keine alte Oma langsamst über die Fußgängerfurt.

Heut’ rüstet die russische Armee auf und bestückt die Einheiten mit selbstfahrenden Panzern und die amerikanischen Drohnen sind durchaus fähig, selbsttätig ihre totbringenden Funktionen auszuführen. Es gab ja auch schon den ersten Vorfall einer selbsttätigen Tötung durch eine türkische Drohne in Lybien. Dies schreib ich, um den militärisch getriggerten Innovationsdrive zu erwähnen, der hinter diesem ‘selbstfahrenden Fahrzeugen’ steckt. Es geht vor allem darum, dem Militär diese Technik kostengünstiger zur Verfügung stellen zu können und das bedarf der weltweiten Konsumentenmasse, die die nötigen Stückzahlen zur Reduzierung dieser Kosten bringt. Ich versteige mich hierbei zur Behauptung, dass jedes selbstfahrende Fahrzeug, das von dem Marsreisenden E.Musk auf die Straße gebracht wird, dem ein klein wenig Vorschub leistet. Nicola Tesla steigt sicher bald aus seinem Grab, um mit ‘freier Energie’ diesem ein Ende zu bereiten.

Um nun dem Dystopichen noch mehr Nahrung zuzuleiten:

Wie will die strengst auf dem Binärsystem aufgebaute Logik des Steuercomputers auf die emotionale Nutzung von eScootern, auf Fahrradfahrer, die das StVG und StVO als vernächlissigbare Behinderung ansehen reagieren? Verweigert diese dann die Weiterfahrt? Mitnichten möchte ich eScooternutzer und Fahrradfahrer als Verkehrsgefährder in ihrer Gesamtheit betrachten, aber ein Tröpfen Maschinenöl versaut nun mal bis zu zehntausend Liter auch des lebendigsten Wassers. Und waren nicht only bad news are good news.

Mir zischen die zum Teil stark angetrunkenen jungen Leute in meinen Schichten in die Fahrt, wie sie quer zur Fahrtrichtung Haken schlagend sich fortbewegen und ich bin immer froh, dass mich meine guten Reaktionszeiten vor schwerer Körperverletzung bewahren. Irrational trifft auf mathematische Logik? Was kommt dabei heraus? Wird es bald eine KI sein, die sich auf solche Situationen einstellen kann? Und ist nicht auch die KI-Forschung originär eine militärische Forschung? Wär doch schön, wenn der autonom agierende Panzer den eigenen vom feindlichen Soldaten unterscheiden kann, oder?

Und mit KI kommt ja auch das ‘selbstfahrend’ ins Wanken. Sind es nicht in den meisten Fällen Fahrzeuge, die über das Mobilfunknetz mit zentralen Rechenzentren verbunden sind? Der Ausbau von 5G und bald auch 6G schreitet gerade mit dem Druck der Autohersteller weiter voran. Es sind die Autohersteller, die derzeit die Massendaten sammeln, die die audio-visuelle Richtung der KI bestückt und immer fähiger macht. Ohne diese Internetverbindungen sind die meisten Selbstfahrerautomobile dann doch wieder selbst zu lenken. Schwummerig wird mir dabei, dass so viele Leute bereitwilligst die Daten abgeben.

Wird der Zutritt zum selbstfahrenden Fahrzeug von sozialen, ökonomischen und mittlerweile sogar gesundheitlichen Vorbedingungen geprägt sein? Wäre natürlich schön, wenn Herr Olaf Scholz solch ein Fahrzeug besteigt und direkt zur Staatsanwaltschaft gefahren wird, ob seiner Verwicklungen in die CUM-EX Affäre und seinem mutmaßlich illegitimen Eingriff zu Gunsten der Warburg Bank. Und dort von Robocops dem Roborichter zugeführt wird, der dann das Robourteil, unbestechlich, fällt?

Paul Kirchhoff hat mal geschrieben, dass er seine Steuererklärung nicht mit der Zusicherung nach bestem Wissen und Gewissen unterschreibt, weil es gar nicht mehr möglich ist, alle gesetzgegebenen Vorschriften zu kennen? Bedeutet das dann, dass ein Fehler in der Steuererklärung das selbstfahrende Taxi direkt zur Polizei fährt und dem wachhabenden Beamten alle Beweise gleich ausdruckt und der ‘Delinquent’ der vollen Härte der Strafgerichtsbarkeit anheimgestellt wird?

Und da ja Frau Karliczek auch schon Forschungsgelder für eine Social Scoring System a la Xi Jinping ausgibt – wird ein selbstfahrendes Fahrzeug tatsächlich nur von meinem Fahrtwunsch geleitet oder das scoring System mich wegen meinem öffentlichen Urinieren (OWi kostet 35.- €) an der letzten Eiche anprangern. Usw. usw. der geneigte Leser kann sich da ja selbst in die Abgründe begeben, ich möcht’ mir meine gute Morgenlaune nicht weiter verderben.

Meine nun schon dreieinhalb Jahrzehnte Erfahrung mit tausenden von Fahrgästen sagt mir, dass die Menschen den Taxifahrer als ein Gegenüber nutzen , mit dem gesprochen werden kann, den man fragen kann, und ich habe unzählige Erlebnisse, wo es mir gelang, den Schwermut des Geistes zu lüften, was sich nicht nur am Trinkgeld zeigt, sondern auch in einem kräftigen Händedruck zum Abschied, was im Übrigen der eigentliche Grund meiner Tätigkeit als Kutscher ist, sozusagen ein fahrenden Friseur, dem man frei besprechen kann, da die Wahrscheinlichkeit das ein nächstes Treffen mit dem Wissen aus dem Gespräch belastet ist, sehr gering ist, zumindest in diesem sich zu einem Moloch entwickelnden Berlin.

Zum Schluß – nein wir brauchen keine selbstfahrende Technik. Der ÖPV ist in diesem Lande ein Thema der öffentlichen Daseinsfürsorge, wer weite Strecken zurücklegen will, kann mit der Bahn fahren, so Vorstände dieser auch mit ihren Lokführern reden und gewillt sind Streiks zu vermeiden und in den Städten und Landkreisen soll der Nahverkehr so organisiert sein, dass er auch brauchbar ist. Und wer nen PKW nutzen möchte, muß halt in den sauren Apfel beißen und sich ne Taxe nehmen. Menschentransport ist die Creme de la Creme des Transports und nicht umsonst schon von dem großen Churfürsten von Brandenburg zum Beginn des Jahres 1688 reglementiert worden.

Und letztendlich weiß der lokale Kutscher dann sogar unter Umständen, wo sich die Klingel von Oma Ernas Häuschen versteckt, weil er sie jede Woche zum Arzt fährt. Und Arbeitsplätze schafft Menschentransport halt zu Hauf.

Autistische Neigungen hin zu menschenscheuen Einsamkeitsriten in selbstfahrenden Fahrzeugen sind echt nicht mein Ding.

Mögen Sie dort bei den NDS uns noch viele Gelegenheiten geben, solche grundsätzlichen Lebensdinge debattieren zu können.

Vielen Dank für Ihren Einsatz, wir müssen mehr Demokratie wagen und dafür müssen wir miteinander reden und nicht auf irgendwelchen Bildschirmen an der Zielsuche verzweifeln.

Sehr herzlich und mit warmen Gefühlen

Ihr
Joachim Schäfer

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