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Titel: Zur Orientierung in einer heillosen Debatte um Staatsbankrott, Euro, Inflation, etc. ein Beitrag von Flassbeck und Folien mit interessanten Daten

Datum: 7. Februar 2011 um 11:26 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Angela Merkel und ihre Helfer in Wissenschaft und Medien bestimmen irrsinnigerweise weit gehend die öffentliche Debatte um die wirtschafts-, finanz- und währungspolitische Linie. Zu Ihrer Orientierung bringen wir einen neuen Beitrag von Heiner Flassbeck über „Staatsbankrott und der drohende Sieg der Unvernunft“ und 20 Folien von Flassbeck und Friederike Spiecker über „Euroland: von der Geldwertstabilität zur Deflation“ (siehe Anlage). Sie dürfen diese Folien bei Quellenangabe gerne benutzen. Albrecht Müller.

Staatsbankrott oder der drohende Sieg der Unvernunft

von Heiner Flassbeck

Wirtschaft und Markt, Februar 2011

Nichts führen unsere modernen Ökonomen von links bis rechts derzeit lieber im Mund als den Staatsbankrott in Südeuropa. Während die auf der linken damit hoffen, endlich die ungeliebten Banken an den Haken zu bekommen, triumphieren die auf der Rechten, weil mit der öffentlich verkündeten Staatspleite endlich die Finanzmärkte aus dem Fokus der Finanzkrisenanalytiker geraten sind und der aus ihrer Sicht wahre Schuldige gefunden ist. Besonders kluge Rechte schließen sich sogar scheinbar der Sichtweise der Linken an und machen geltend, mit den Gläubigern der Staaten würden endlich die Schuldigen an der Finanzkrise zur Rechnung gebeten. Nimmt man noch die vielen Unbedarften hinzu, gibt es einen gewaltigen Chor der „Staatspleitenbefürworter“. Wer das Wort „haircut“ ordentlich aussprechen kann, gilt schon als Experte für Staatsbankrott.

Beide Sichtweisen sind gleich falsch und gefährlich. Zunächst sollte man einfach zur Kenntnis nehmen, und das gilt für links wie für rechts, dass die Käufer von Staatsanleihen nichts mit der Finanzkrise zu tun haben. Wer zwischen 2003 und 2007 eine griechische Staatsanleihe mit zehn Jahren Laufzeit gekauft hat, erhielt wie in der ganzen Europäischen Währungsunion (EWU) einen „grandiosen“ Ertrag von unter 4 Prozent nominal pro Jahr. Das war weder unzulässig viel, noch war ein solches Geschäft in irgendeiner Weise an der Entstehung der Finanzkrise beteiligt. Warum man aber die „Banken“, die an der Finanzkrise maßgeblich beteiligt waren, ausgerechnet bei der einzigen Art von vernünftigem Geschäft, das sie vor der Krise tätigten, heute bestrafen will, während sie aktuell in allen Kasinos genau wie vor der Krise hochriskante Wetten eingehen dürfen, kann kein vernünftiger Mensch nachvollziehen.

Auch mit den tiefer liegenden Ursachen der Krise in der Eurozone haben die Staatshaushalte nur am Rande zu tun. Die Eurozone leidet an einer gewaltigen Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen ihren Mitgliedern im Norden und im Süden, die in einem riesigen Leistungsbilanzüberschuss in Deutschland und entsprechenden Defiziten der Mittelmeerländer zum Ausdruck kommt. Diese Lücke ist aber nicht durch unterschiedliches Haushalten der Staaten entstanden, sondern fast ausschließlich durch Unterschiede in der Lohnentwicklung im Verhältnis zur nationalen Produktivität, also nationalem, aber nicht staatlichem Unter- oder Über-den-Verhältnissen-Leben. Spanien hat etwa im öffentlichen Bereich viel sparsamer gewirtschaftet als Deutschland, aber im privaten umso mehr über die Stränge geschlagen.

Dieses Problem wird durch einen Staatsbankrott oder eine Umstrukturierung staatlicher Schulden nicht einmal im Ansatz gelöst. Wer sich, wie die deutsche Regierung, weigert, das Wettbewerbsfähigkeitsproblem auch nur ernsthaft zu diskutieren, geschweige denn Lösungen durch eine langfristige Änderung der Lohnpolitik ins Auge zu fassen, will mit dem Gerede über Staatsbankrott nur davon ablenken, dass er sein eigenes Wirtschaftsmodell fundamental ändern müsste, um der Eurozone insgesamt eine Überlebenschance zu geben.

Hinzu kommen die noch immer bestehenden Sorgen um die Fragilität der Finanzinstitutionen. Wer jetzt die Halter von Staatsanleihen oder deren Derivaten (also von den Banken auf der Basis von Staatsanleihen konstruierten „Produkten“) bestraft, muss damit rechnen, dass als nächstes solche Finanzinstitutionen wieder in die Knie gehen und nur von den Staaten gerettet werden können. Dann gehen also Staaten Pleite, weil sie Banken gerettet haben und gefährden im nächsten Schritt wieder Banken, weil sie selbst ihre Schulden nicht mehr bedienen. Schließlich müssen die Banken wieder von den Staaten gerettet werden, die gerade noch nicht in Schwierigkeiten sind. So schafft man die Voraussetzungen für eine globale Panik, die genau dann ausbricht, wenn die neuen Blasen an den Aktien- und Rohstoffmärkten platzen.

Nimmt man noch die Gefahr hinzu, dass durch den Staatsbankrott die Einleger der Banken in dem betroffenen Land nervös werden, weil sie um ihre Einlagen fürchten – schließlich haben in fast allen Staaten die Regierungen die Sicherheit der Einlagen garantiert –, wird das oben beschriebene Szenario gemeingefährlich. Man stelle sich vor, ein gerade in der Nichtbedienung seiner Schulden befindlicher Staat sehe sich gezwungen, die Bürger von einem Run auf die eigenen Banken abzuhalten! Was sagt der Regierungschef den Menschen? Wir können zwar unsere Schulden nicht bedienen, aber eure Einlagen werden wir mit all den Mitteln, die wir nicht haben, verteidigen? Willkommen im Chaos.

Noch toller ist ein solches Vorgehen in Euroland, wo man über eine Abwertung der eigenen Währung die Menschen nicht abhalten kann, ihre Einlagen in Banken anderer Länder zu halten. In der Krise in Argentinien vor zehn Jahren hat sich nach der Abwertung der nationalen Währung mancher überlegt, ob Kapitalflucht für ihn wirklich eine Option ist, weil das eigene Geld im Ausland fast nichts mehr wert war, man heimische Waren dafür aber immer noch zu vernünftigen Preisen kaufen konnte. In Euroland muss man nur die Bank und das Land wechseln und schon ist man mit seinem Geld ohne Wertverlust auf der sicheren Seite. Wer will die Halter von portugiesischen und spanischen Staatsanleihen oder sonstigen Euro-Anlagen hindern, ihr Geld durch eine einfache Überweisung außer Landes zu schaffen, wenn der erste Domino namens Griechenland gefallen ist?

Freilich, richtig ist, dass Griechenland und anderen geholfen werden muss, weil ihre Zinsen viel zu hoch sind und die Länder anders als Argentinien keine Möglichkeit haben, über eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit mit Hilfe einer Abwertung ihre Wirtschaft zu beleben. Dazu brauchen sie Euro-Bonds und vor allem eine langfristig florierende Binnennachfrage in den Ländern, die Überschüsse in der Leistungsbilanz haben. Auch hier hilft eine Nichtbedienung staatlicher Schulden kein Stück weiter. Denn kann man sich vorstellen, dass ein Land, das gerade seinen Gläubigern erklärt hat, dass es leider nicht mehr voll zurückzahlen kann, fröhlich an den Kapitalmarkt geht und um neues Geld zu niedrigen Zinsen nachsucht, weil es seine Wirtschaft ankurbeln muss?

Anlage:

Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker – „Euroland: von der Geldwertstabilität zur Deflation“ – 20 Folien [PDF – 82 KB]


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