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Titel: Hochschulräte: Viel Macht, wenig Rat

Datum: 30. März 2011 um 9:45 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft
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Die neueste Studie des bertelsmannschen CHE über das „strategische Management“ an den Hochschulen [PDF – 1.7 MB] kommt hinsichtlich der Hochschulräte zum Ergebnis, dass diese zwar kaum „fachlichen Impulse“ geben, aber dafür die Macht hätten, Strategien einzufordern. Die fehlende Kompetenz vor allem der externen Hochschulratsmitglieder über hochschulinterne Fragen ein fachliches Urteil zu fällen, ist für jeden einigermaßen Kundigen eigentlich nichts Neues.
Man fragt sich deshalb, warum die Landesgesetzgeber ihre Hochschulgesetze nicht längst novelliert haben, die den Hochschulräten immer noch die Kompetenz einräumen, über die strategische Ausrichtung einer Hochschule zu entscheiden und eine „Fachaufsicht“ wahrzunehmen, obwohl sie fachlich damit völlig überfordert sind. Wolfgang Lieb

Das informelle Bundesbildungsministerium Bertelsmann hat mal wieder eine Studie vorgelegt. Das bertelsmannsche Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) hat den Wert und die Notwendigkeit von „Strategien“ bei der Hochschulsteuerung untersucht. Dazu haben die Autor(inn)en der Studie 12 (auch ehemalige) Mitglieder von Hochschulleitungen, 2 Hochschulratsmitglieder und 2 Kanzler als Experten gehört. Hochschullehrer/innen, Mitarbeiter/innen, Studierende oder auch nur die Fachbereichsdekane, die Betroffenen also, wurden nicht interviewt. Wieder einmal ein Beispiel für das Denken in Top-Down-Management-Kategorien der Bertelsmänner.

Immerhin muss man den Autor(inn)en wissenschaftliche Bescheidenheit zugestehen. Sie kommen nämlich zu dem Ergebnis, dass zwar „ohne Strategie auf der Darstellungsebene (!) nichts mehr (gehe)…aber de facto Strategie genauso offensichtlich gar nicht so einfach“ sei: „Ganz im Gegenteil könnte man provokativ behaupten, dass das Scheitern von Strategien weit eher der Normalfall ist als ihr Erfolg.“

Ich will hier nicht die gesamte Studie kritisch durchleuchten, sondern mich ausschließlich auf die Ausführungen über die strategische Relevanz von Hochschulräten beschränken. Immerhin sind inzwischen in den meisten Hochschulgesetzen die Hochschulräte als Aufsichtsorgane an die Stelle des Staates und des demokratischen Gesetzgebers gesetzt worden und sie sollen ja maßgeblich gerade über die strategische Ausrichtung der Hochschule entscheiden und die „Fachaufsicht“ wahrnehmen. So jedenfalls lautet der Auftrag im sog. Hochschul“freiheits“gesetz von Nordrhein-Westfalen, das das „New Public Management“-Modell des Gütersloher Think-Tanks am konsequentesten umgesetzt hat.

Die Autor(inn)en interessierte die Erfahrung ihrer Gesprächspartner(innen) vor allem in zweierlei Hinsichten, nämlich inwieweit die Hochschulräte die Strategie mit fachlichen Impulsen anreichern können und wieweit sie bei der internen Durchsetzung der Strategie machtpolitisch eine Rolle spielen.

Im Blick auf die fachlichen Impulse ergab sich „ein klares negatives Urteil“ (S.90):

„Die große Mehrheit der Interviewten berichtete, dass die Hochschulräte (hier vor allem die externen Mitglieder) fachlich wenig zur Strategie der Hochschule beitragen (teils wollen, teils) können…Gleichzeitig herrschte weitgehende Einigkeit dahingehend, dass es gar nicht wünschenswert sei, dass die Hochschulräte sich inhaltlich in die Strategieentwicklung einschalten würden. Bei den Vertreter(inne)n aus anderen gesellschaftlichen Feldern bestehe ohnehin nur die Gefahr, dass sie Erfahrungen aus ihrem eigenen Umfeld oder ihrer eigenen Branche überbewerteten… Die hochschulinternen Mitglieder des Hochschulrats wiederum verfügen über den fachlichen Hintergrund, repräsentieren aber ebenfalls nur eine kleine Auswahl von Disziplinen und Bereichen. Daher sollte man auch von ihnen eher erwarten, dass sie sich mit inhaltlichen Beiträgen zur Strategie eher zurückhalten.“

Anders sehe es jedoch bei der machtpolitischen Dimension aus:

„Hier gaben die meisten Gesprächspartner(innen), die über einschlägige Erfahrungen mit einem Hochschulrat verfügen, an, dass der Hochschulrat eine wichtige Rolle spielen könne. Dabei geht es darum, dass er die Bedeutung der Strategie für die Hochschule überhaupt unterstreichen kann, indem er eine Strategie einfordert und indem er regelmäßig die Berichte der Hochschulleitung an der Strategie misst und so die Hochschule insgesamt stärker auf die Notwendigkeit eines strategischen Hochschulmanagements einstimmt. Daneben könne der Hochschulrat mitunter auch bei der Durchsetzung der Strategie gegenüber dem Ministerium hilfreich mitwirken.“

Im Übrigen hätten die Hochschulräte in allen Interviews der befragten „Experten“ eine recht untergeordnete Rolle gespielt. Man habe den Eindruck gewinnen können, dass viele Hochschulräte ihre Rolle noch nicht gefunden hätten.

Diese Befunde kann ich nur bestätigen:
Ich bin selbst Mitglied in einem Hochschulrat einer Hochschule und habe so seit über 6 Jahren Erfahrungen mit einem solchen „Aufsichtsrat“ sammeln können:
Dabei bin ich zur festen Überzeugung gelangt: Ein ehrenamtlicher Hochschulrat ist mit den ihm per Gesetz übertragenen Kompetenzen in aller Regel schlicht überfordert.
Die jeweiligen Entscheidungen leiten sich allenfalls aus dem jeweils persönlichen Vorurteil oder der „Erfahrung aus ihrem eigenen Umfeld“ ab oder: man folgt lieber gleich dem Vorschlag des Präsidiums der Hochschule.

In der ganz überwiegenden Zahl der zu treffenden Entscheidungen hat das hauptamtliche Präsidium einen nicht einholbaren Informationsvorsprung und kennt die möglichen Handlungsoptionen erheblich besser als zumindest jedes externe Mitglied des Hochschulrates.
Viele Präsidenten entwickeln sich dadurch zu Alleinherrschern bzw. zu patriarchalischen Unternehmerpersönlichkeiten.

Im wirklichen Leben sieht das nämlich so aus, dass vor entscheidenden Sitzungen des Hochschulrats der Präsident versucht, dessen externen Vorsitzenden in Vorgesprächen auf seine Seite zu ziehen und der Vorschlag des Präsidenten wird dann in der Hochschulratssitzung selbst meistens ohne große Diskussion „durchgewinkt“. Zur Erarbeitung eigener Vorschläge fehlt in aller Regel schon der notwendige Unterbau an Mitarbeitern, vor allem aber auch die konkrete Anschauung vor Ort. So kann der Präsident jeden Widerstand oder jeden seiner Position entgegenstehenden Beschluss der hochschulinternen Gremien aushebeln.

Letzteres ist auch der Grund, warum die Hochschulleitungen zur Absicherung ihrer ohnehin per Gesetz massiv gestärkten Durchgriffsmacht gegenüber den Hochschulangehörigen ganz gut mit den Hochschulräten leben können und sich nur allzu gerne an diese Aufsichtsrats-Struktur klammern. Deshalb ist es auch nur logisch, dass sich die befragten Hochschulleiter/innen von den Hochschulräten auch keineswegs „gegängelt oder unverhältnismäßig kontrolliert“ fühlen. (S.91)

Wenn man also nur die Hochschulleiter/innen befragt, wird man kaum ein negatives Echo auf die Hochschulräte hören.

Aber wenn selbst der „Erfinder“ der Hochschulräte“, das CHE, zu dem Befund kommt, dass die Hochschulräte zwar viel Macht haben, aber fachlich wenig zu einer Hochschulstrategie beitragen (können), dann stellt sich um so mehr die Frage, warum ihnen in den Hochschulgesetzen nach wie vor die Kompetenz eingeräumt bleibt, über die strategische Ausrichtung einer Hochschule zu entscheiden und die „Fachaufsicht“ wahrzunehmen.


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