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Titel: Hinweise des Tages II

Datum: 13. Mai 2011 um 16:25 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Absatzvolumen im Einzelhandel im Euroraum um 1,0% gefallen; Behörde für Lobbyisten – Weg mit dem Gesundheitsministerium; Schuldenkrise; Fiskalische Effekte eines gesetzlichen Mindestlohns; Ulrike Herrmann: Der Arme ist der Dumme; Berlin schmälert Chancen für Arbeitslose; Zahl der Aufstocker wieder gestiegen; Heilsamer Befund; Abgeordnetenwatch: Neuer Antwortboykott – diesmal: Die Hessen-CDU; Nach Fukushima; Ethik-Kommission Atomstrom: Eine absehbare Blamage; Winfried Wolf: Papier und Wirklichkeit; Die Freie Demokratische Pestilenz; NRW: Weg für Direktabwahl von Bürgermeistern ist frei; Forscher kritisieren Marketing im Klassenzimmer; Wir wollen keine Kaiser-Wilhelm-Schule!; Wikileaks-Enthüllungen: Wie die USA einen Staatsfeind produzieren (JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Absatzvolumen im Einzelhandel im Euroraum um 1,0% gefallen
  2. Behörde für Lobbyisten – Weg mit dem Gesundheitsministerium
  3. Schuldenkrise
  4. Fiskalische Effekte eines gesetzlichen Mindestlohns
  5. Ulrike Herrmann: Der Arme ist der Dumme
  6. Berlin schmälert Chancen für Arbeitslose
  7. Zahl der Aufstocker wieder gestiegen
  8. Heilsamer Befund
  9. Abgeordnetenwatch: Neuer Antwortboykott – diesmal: Die Hessen-CDU
  10. Nach Fukushima
  11. Ethik-Kommission Atomstrom: Eine absehbare Blamage
  12. Winfried Wolf: Papier und Wirklichkeit
  13. Die Freie Demokratische Pestilenz
  14. NRW: Weg für Direktabwahl von Bürgermeistern ist frei
  15. Forscher kritisieren Marketing im Klassenzimmer
  16. Wir wollen keine Kaiser-Wilhelm-Schule!
  17. Wikileaks-Enthüllungen: Wie die USA einen Staatsfeind produzieren

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Absatzvolumen im Einzelhandel im Euroraum um 1,0% gefallen
    Im März 2011 fiel das Absatzvolumen des Einzelhandels gegenüber Februar 2011 im Euroraum (ER17) um 1,0% und in der EU27 um 0,8%. Im Februar nahm der Einzelhandelsindex um 0,3% bzw. 0,1% zu. Gegenüber demselben Monat des Vorjahres nahm der Einzelhandelsindex im März 2011 im Euroraum um 1,7% und in der EU27 um 1,0% ab.
    Monatliche Veränderungen
    Der Absatz von Nahrungsmitteln, Getränken und Tabakwaren fiel im März 2011 gegenüber Februar 2011 im Euroraum um 0,6% und in der EU27 um 0,5%. Der Nicht-Nahrungsmittelsektor nahm in beiden Gebieten um 1,1% ab.
    Von den Mitgliedstaaten, für die Daten vorliegen, war das gesamte Einzelhandelsvolumen in dreizehn Mitgliedstaaten rückläufig und erhöhte sich in acht. Die stärksten Rückgänge verzeichneten Portugal (-4,7%), Slowenien (-3,0%), Deutschland (-2,1%) und Polen (-1,9%) und die höchsten Zuwächse Estland (+2,1%), Rumänien (+0,8%), Irland und Lettland (je +0,6%).
    Quelle: Eurostat [PDF – 310 KB]

    Anmerkung Jens Berger: Dass Deutschland mit -2,1% den drittstärksten Rückgang des Einzelhandelsvolumens hat, passt natürlich nicht in die „Wachstumspropaganda“ der Medien und wird daher auch konsequent unter den Tisch gekehrt. Wessen Aufschwung bejubelt man? Den Aufschwung, der dazu führt, dass deutsche Aktiengesellschaften Rekorddividenden in Höhe von 32 Milliarden Euro an ihre Aktionäre auszahlen? Oder den „Aufschwung“, der ganz offensichtlich beim Bürger nicht ankommt und dazu führt, dass die Bürger noch weniger Geld ausgeben können?

  2. Behörde für Lobbyisten – Weg mit dem Gesundheitsministerium
    Die jüngste Rochade im Kabinett zeigt: Das Gesundheitsministerium dient nur noch der Lobbyarbeit. Oder als Rangierbahnhof für Politiker. Brauchen tut die Behörde in dieser Form keiner mehr. Vor allem nicht die Kranken.
    Abschaffen – und zwar sofort. Oder umbenennen in Ministerium für Lobbyismus und Interessenpolitik. Brauchen tut das Gesundheitsministerium in dieser Form keiner mehr. Wie überflüssig die Bundesbehörde ist, zeigte sich in diesen Tagen deutlich. Für die FDP ist dieser Posten lediglich ein Rangierbahnhof, in dem Nachwuchskräfte zwischengeparkt werden. In keiner anderen Position können Politiker so hitzige Debatten mit Standesvertretern führen, die Macht der Lobbygruppen wie auch eigene Ohnmacht spüren. […]
    Es muss kein Naturgesetz sein, dass ein Gesundheitsministerium kaum die Gesundheit der Menschen, dafür umso mehr die Gesundung der Medizinwirtschaft im Blick hat. Solange die Minister vor allem Kaufleute sind, wird sich das so schnell nicht ändern. Philipp Rösler ist zwar Arzt, doch er kam aus dem Wirtschaftsministerium, und es treibt ihn in die Wirtschaft zurück. Sein Nachfolger Daniel Bahr hat Banklehre und Volkswirtschaftsstudium hinter sich. […]
    Doch Reformen, die den Menschen zugutekommen und Kosten senken, werden verzögert und vertagt. Seit Jahrzehnten sind sich unabhängige Experten einig, dass eine Positivliste mit maximal 1500 sicheren Medikamenten zur Versorgung ausreicht. Stattdessen gibt es fast 60.000 Arzneimittel in Deutschland und das Gesundheitsministerium setzt ein Gesetz durch, mit dem noch mehr Mittel ohne ausreichenden Nutzennachweis auf den Markt kommen. Seit langem ist unbegreiflich, warum Ärzte eher nach Quantität denn nach Qualität honoriert werden und ihnen zu wenig Anreize geboten werden, bessere Medizin zu machen.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung
  3. Schuldenkrise
    1. Sind die Griechen wirklich selbst Schuld?
      Ein Jahr nach den Hilfskrediten von EU und IWF und den damit verbundenen Sparmaßnahmen haben sich die Schulden Griechenlands weiter erhöht, das Land ist in eine tiefe soziale Krise gerutscht. Sind die Griechen an dieser Lage selbst Schuld? Ökonomen und Aktivisten aus Griechenland zeichnen ein anderes Bild: Die aggressive deutsche Exportpolitik, überhöhte Zinsen für Notkredite und die milliardenschwere Korruption griechischer Politiker durch deutsche Unternehmen wie Siemens hätten wesentlich zur Krise beigetragen. Um die Legitimität der Schulden zu prüfen, fordern sie eine unabhängige Kommission nach dem Vorbild Ecuadors.
      Gäste:
      Leonidas Vatikiotis: Ökonom, wissenschaftlicher Berater für den Film „Debtocracy“ und Mitinitiator des griechischen Schulden-Audits, Athen
      Eric Toussaint: Kommitte für die Annullierung der Schulden der Dritten Welt, Brüssel
      Quelle: Kontext-TV

      Anmerkung Jens Berger: Auch die anderen Berichte der aktuellen Kontext-TV-Sendung sind sehr interessant:

    2. Irland will mit Umschuldung ernst machen
      Das Land will private Anleger an der Bankenrettung mit einem Haircut von bis zu 90% beteiligen
      Während über die nötige Umschuldung Griechenlands debattiert wird, die mit neuen 60 Milliarden wohl auf 2013 oder später verschoben werden soll, will Irland ernst machen. Dublin will nun auch die Anleger an den Kosten der Bankenrettung beteiligen. Der Abschlag, den Gläubiger auf ihre Forderungen hinnehmen sollen, soll bis zu 90% betragen. Wer das großzügige Angebot ablehnt, soll noch deutlich weniger erhalten: 1 Cent für je 1000 Euro.
      Angesichts der unnachgiebigen Haltung in Europa, verlieren die Iren offenbar langsam die Geduld. Sie machen Druck vor dem Treffen der EU-Finanzminister am kommenden Montag und Dienstag, denn auch Irland möchte eine Reduzierung der hohen Zinssätze, die das Land für die Nothilfe aufgedrückt bekam.
      Quelle: Telepolis
    3. Thomas Fricke – Im Klub der hässlichen Deutschen
      Berlins Euro-Zeterer haben es salonfähig gemacht, andere Länder mal eben für marode zu erklären. Solch irrer Hochmut ist nicht nur unbeliebt, er wird auch ökonomisch teuer. […]
      So poltern die Geister, spätestens seit Griechenland wieder unter Finanzmarktbeschuss steht, ohne dass es dafür einen erkennbaren Anlass gab – vom ewigen Hans-Olaf Henkel über Ober-Familienunternehmer Patrick Adenauer bis hin zu Ifo-Chef Hans-Werner Sinn. Und das Bemerkenswerte ist, dass selbst nüchternere Gemüter den neuen deutschen Hochmut mittlerweile vor sich hin reden.
      Klar stecken andere in akuteren Problemen als wir. Gefährlich ist dennoch, deshalb ganze Ländergruppen samt Mensch und Wirtschaft für marode zu erklären. Das ist faktisch kaum haltbar, zertrümmert mit jeder neuen Woche unnütz Deutschlands Sympathien – und macht die Krise nur umso teurer. Auch darüber stimmen unsere Abgeordneten de facto bald ab. Ein Desaster in spe.
      Quelle: FTD
    4. Portugal unter Kuratel
      Das Datum deutet auf Kontinuität: Am 3. Mai unterzeichneten EU-Kommission, Europäische Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfonds (IWF) die »Absichtserklärung für eine spezifische wirtschaftspolitische Konditionalität« mit Portugal. Auf den Tag genau vor einem Jahr war ein gleichlautendes Memorandum mit Griechenland vereinbart worden. Darin waren dem Land von EU, EZB und IWF die Bedingungen diktiert worden, die es für die Gewährung von Kredithilfen zu erfüllen hat. So soll garantiert werden, daß die Darlehen der Banken regelmäßig bedient werden. Im Fall Griechenlands läßt sich heute eine erste Bilanz ziehen. Sie fällt vernichtend aus. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) hatte ihren Kommentar zu diesem Jahrestag mit »Das Scheitern« überschrieben. Das heißt noch lange nicht, daß man in Brüssel, Frankfurt/Main und Washington daraus gelernt hätte. Offensichtlich gilt für die drei »Helfer«-Organisationen nicht die alte Volksweisheit, daß man aus Schaden klug werde.
      Quelle: Junge Welt

      Anmerkung Orlando Pascheit: Wer meint, dass hier die junge Welt einen allzu alarmistischen Ton anschlägt, täuscht sich. Unter dem Titel “Portugal wird entmündigt” schreibt die SZ bereits am 9. April: “Portugals Regierung steht kurz davor, einen großen Teil der politischen und wirtschaftlichen Kontrolle an die Europäische Union und den Internationalen Währungsfonds (IWF) abzugeben. Das sei der Preis, den das Euro-Land für dringend benötigte Finanzhilfen zahlen müsse, hieß es nach einer dramatischen Sitzung der Finanzminister der 17 Euro-Länder in Gödöllö bei Budapest.” Die Hoffnung, die Andreas Wehr auf die “Wut der Straße” setzt, dürfte allerdings enttäuscht werden, denn alle großen Parteien haben inzwischen den vorgesehenen Maßnahmen ihren Segen gegeben. Das europäische Kapital darf auf Schnäppchenjagd gehen. Dass mit dem Verscherbeln des Tafelsilbers nur der nächste Tag gesichert ist, wird dem europäischen Publikum (Bürger) erst klar werden, wenn die europäischen Volkswirtschaften endgültig an Wand gefahren worden sind.

  4. Fiskalische Effekte eines gesetzlichen Mindestlohns
    Die Prognos AG hat im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung die fiskalischen Effekte eines gesetzlichen Mindestlohns berechnet. Ziel des vorliegenden Berichts ist die Quantifizierung der finanziellen Auswirkungen eines gesetzlichen Mindestlohns auf den Staatshaushalt, einschließlich der Auswirkungen auf die sozialen Transfer- und Sicherungssysteme. Potenzielle Beschäftigungseffekte sind nicht Gegenstand der Studie. Eine seriöse Simulation derartiger Wirkungen wäre innerhalb des kurzen Bearbeitungszeitraums weder möglich noch sinnvoll gewesen. Die Berechnungen auf Basis des Sozioökonomischen Panels (SOEP 2009) liegen für Mindestlohnsätze in Höhe von 5, 7,50, 8,50, 10 und 12 Euro vor.
    Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass z.B. ein Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro zu erheblichen Mehreinnahmen bei den Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen führt. Gleichzeitig kommt es zu einer deutlichen Verringerung von Staatsausgaben, u.a. durch Einsparungen bei sogenannten Aufstockern.
    Grundlage der Berechnungen sind knapp 32 Mio. Arbeitnehme- rinnen und Arbeitnehmer, die bezüglich ihrer soziodemografischen Charakteristika aus dem SOEP hochgerechnet wurden. Ausgeschlossen wurden Personen, für die ein gesetzlicher Mindestlohn keine direkte Gültigkeit besitzt. Dazu gehören Selbstständige, aber auch Auszubildende, Praktikanten, Ein-Euro-Jobber, Personen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Wehrpflichtige.
    Anhand der sozio-demografischen Eigenschaften lässt sich zunächst zeigen, welche Personengruppen insbesondere von der Einführung eines Mindestlohns profitieren würden. Insgesamt erzielen ca. 36 Prozent der Beschäftigten (11,4 Mio.) Bruttostundenlöhne von weniger als 12 Euro. Unterhalb von 8,50 Euro liegen fast 16 Prozent oder 5 Mio. Erwerbstätige. 1,2 Mio. Menschen erhalten rechnerisch Stundenlöhne von weniger als 5 Euro. In der Logik der hier gewählten Vorgehensweise werden die Löhne dieser Personen auf die jeweils gewählte Mindestlohnstufe angehoben. Diese Anhebung der Erwerbseinkommen induziert fiskalische Effekte.
    Neben dem Lohnsatz an sich macht die Studie sichtbar, dass vor allem Frauen, Berufsanfänger, ältere Arbeitnehmer und gering qualifizierte Erwerbstätige von einem Mindestlohn profitieren würden. Gleiches gilt für Arbeiterinnen und Arbeiter, die durchschnittliche geringere Stundenlöhne erreichen als Angestellte. Grundsätzlich hat auch der Arbeitsumfang einen deutlichen Einfluss auf die Entlohnung, so dass etwa Teilzeitbeschäftigte weniger pro Stunde verdienen als Vollzeitbeschäftigte.
    Quelle: Prognos [PDF – 45 KB]
  5. Ulrike Herrmann: Der Arme ist der Dumme
    Die Steuereinnahmen steigen, hat die neueste Schätzung ergeben – aber wer zahlt eigentlich für den Staat? Auch darauf findet sich eine Antwort in den Daten, und sie lautet kurz zusammengefasst: Es sind vor allem die Verbraucher und abhängig Beschäftigten, die den Staat finanzieren. Die Kapitalbesitzer hingegen kommen billig davon. Die Steuerreformen von Rot-Grün und Schwarz-Rot waren eben nicht folgenlos. Es macht sich bemerkbar, wenn der Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent sinkt – oder wenn Kapitalbesitzer plötzlich nur noch 25 Prozent Abgeltungsteuer auf ihre Zinsen und Dividenden zahlen müssen. Deutschland ist ungerechter geworden, wie sich bei jeder Steuerschätzung wieder zeigt. Die Lösung: Es würde schon reichen, einige der Steuerreformen zurückzunehmen.
    Quelle: taz
  6. Berlin schmälert Chancen für Arbeitslose
    Fordern ja, fördern nein: Der Bund hat die Mittel für die Qualifizierung von Hartz-IV-Beziehern drastisch gekürzt. Arbeitsagentur und Wissenschaftler schlagen Alarm: Hunderttausende müssten auf eine Jobperspektive verzichten. SPD-Arbeitsmarktexpertin Anette Kramme greift Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen an: Die Zahlen der Bundesagentur zeigten, “wie gravierend sich die Kürzungspolitik von der Leyens zu Lasten der Langzeitarbeitslosen auswirkt”. Rechne man die Ergebnisse der ersten vier Monate hoch, ergäben sich knapp 800.000 weniger Förderungen binnen eines Jahres. Von der Leyen hatte dagegen argumentiert, dass es bei einer sinkenden Arbeitslosigkeit möglich sein müsse, Geld zu sparen. Außerdem ließen sich die Förderinstrumente der Jobcenter noch effizienter einsetzen. Nach der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente will sie deshalb von 2012 bis 2015 nochmals insgesamt 7,5 Milliarden Euro fürs Fördern und Qualifizieren von Jobsuchern weniger ausgeben. Auch aus der Bundesagentur selbst ist inzwischen vorsichtige Kritik zu hören. Es sei klar, “dass bei guter Arbeitsmarktentwicklung und rückläufiger Arbeitslosigkeit auch weniger Geld für Arbeitsmarktpolitik gebraucht wird. Der Rückgang sollte aber möglichst proportional sein”, sagt BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt. Genau dies ist allerdings nicht der Fall. DGB-Frau Buntenbach leuchtet das Argument “weniger Arbeitslose, weniger Förderung” sowieso nicht ein: “Bei den Jobsuchenden, die übrig bleiben, handelt es sich oft um besonders schwierige Fälle. Und gerade die benötigen eine besondere Betreuung.”
    Quelle: Süddeutsche Zeitung
  7. Zahl der Aufstocker wieder gestiegen
    Die Zahl der Berufstätigen, die zusätzlich Hartz IV bekommen, ist erneut gestiegen. Im vergangenen Jahr lag die Gesamtzahl der so genannten Aufstocker im Schnitt bei 1,383 Millionen. Das geht aus Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervor. Das waren 4,4 Prozent mehr als 2009, 4,7 Prozent mehr als 2008 und 13,5 Prozent mehr als 2007.
    Quelle: Tagesschau
  8. Heilsamer Befund
    In Deutschland kamen im vergangenen Jahr auf 100 000 Einwohner 397 Ärzte. Nach AOK-Angaben ist das nicht nur die bisher größte Arztdichte aller Zeiten. Über alle Arztgruppen hinweg werde die Zahl der benötigten Praxismediziner inzwischen bereits um 26 Prozent übertroffen. Und selbst von den Hausärzten, nach denen am häufigsten gerufen und mancherorts bereits händeringend gesucht wird, gebe es insgesamt zu viele. Unberücksichtigt bleibt bei den Steigerungszahlen des AOK-Instituts freilich dreierlei: die Alterung der Bevölkerung, die Zunahme von Teilzeitarbeit vor allem bei Ärztinnen sowie die weitere Verbreitung aufwendig zu versorgender Krankheiten. All das sei aber „nicht so dramatisch“, dass es die Steigerung der Ärztezahl komplett relativieren könne, sagte WidO-Chef Klaus Jacobs. Insgesamt gesehen gebe es weder zu wenige Mediziner in Deutschland noch ein Nachwuchsproblem, wie schon der Blick auf die große Zahl der abgelehnten Studienbewerber zeige. Selbstkritisch sei zu sagen, dass die Krankenkassen die Probleme auf dem Land „lange verniedlicht“ hätten. Man dürfe nun aber auch „nicht das Kind mit dem Bade ausschütten“.
    Quelle 1: Tagesspiegel
    Quelle 2: Ärzteatlas 2011 [PDF – 3.4 MB]

    Anmerkung Orlando Pascheit: In dem Artikel werden regionale Unterschiede nicht genügend skandalisiert. Der Überversorgung in attraktiven Regionen steht eine beträchtliche Unterversorgung im ländlichen Raum gegenüber. Etwa zwölf Millionen Menschen sind von einer medizinischen Unterversorgung bedroht. Neben der Attraktion, die von Städten wie München, Freiburg, Berlin oder Hamburg ausgeht, müssen Landärzte durchschnittlich 50 Prozent mehr Patienten betreuen als Ärzte in der Stadt mit entsprechend längeren Arbeitszeiten. Auch die geringere Zahl an einträglichen Privatpatienten spielt eine Rolle für die Entscheidung gegen den ländlichen Raum.

  9. Abgeordnetenwatch: Neuer Antwortboykott – diesmal: Die Hessen-CDU
    Man darf sich schon wundern über einige Politiker. Das Ansehen ihres Berufsstandes ist seit Jahren im Keller, nur Talkmaster und Banker sind noch unbeliebter (mehr… ). Eigentlich müsste sich ein Politiker jetzt hinstellen und den Menschen zurufen: Ich möchte euer Vertrauen zurückgewinnen!
    Doch statt dessen dies: Nach der baden-württembergischen CDU vor gut einem Jahr hat am Montag dieser Woche auch die Hessen-CDU einen Boykott verkündet. Man werde auf abgeordnetenwatch.de keine Bürgerfragen beantworten, denn als “demokratisch gewählte Abgeordnete stellen wir an uns den Anspruch, auch ohne einen Vermittler für die Bürger ansprechbar zu sein.” Das ist seit Jahren übrigens – wortgleich – die Standardbegründung mehrerer Bundestagsabgeordneter, z.B. von Kristina Schröder, Gitta Connemann, Hartwig Fischer oder Andreas Mattfeld – die hessische CDU hat sie sich nun kurzerhand ausgeliehen.
    Das Argument ist natürlich absurd, zumal im Zusammenhang mit dem Wort „demokratisch“, denn übersetzt lautet es: „Als vom Volk gewählte Abgeordnete stellen wir an uns den Anspruch, selbst darüber zu entscheiden, auf welchem Wege uns das Volk anzusprechen hat.“ Noch deutlicher lässt sich eigentlich nicht ausdrücken, welches Rollenverständnis in einem demokratischen System jemand hat.
    Quelle: Abgeordnetenwatch
  10. Nach Fukushima
    Liebe Ana, lieber Andreas,
    wie Ihr wisst, beschäftigt mich die Atomkraft, seid ihr geboren wurdet. Du, Ana, bittest mich jetzt um eine Einschätzung der Katastrophe von Fukushima.
    Fukushima hat die Achtlosigkeit, mit der wir die alten Sorgen haben schläfrig werden lassen, hinweggefegt, und ich frage mich mit erneuter Intensität, auch als Arzt: Was haben wir zugelassen mit dieser Atomtechnologie in den letzten 50, 60 Jahren? Was ist das für eine Technik, die so auf unseren Körper wirken und unser Leben so destabilisieren kann? Mein Brief ist ein Versuch, die Situation diagnostisch besser zu verstehen, der Prozess der Heilung scheint noch ziemlich ungeklärt.
    Quelle: Kontext

    Anmerkung unseres Lesers P.S.: Ein sehr lesenswerter Artikel zur Atomlobby.

  11. Ethik-Kommission Atomstrom: Eine absehbare Blamage
    Das noch inoffizielle Ergebnis war absehbar, im Vorfeld gab es sehr viel Kritik, überhaupt eine solche Kommission einzurichten. 10 Jahre solle es noch Atomstrom geben, geht es nach der Ethik-Kommission wie ein Berichtsentwurf zeigt. Was hat das mit Ethik noch zu tun? Es dürfte pure Interessens- und Gewinnpolitik werden.
    „Wer nach Fukushima noch für ein volles Jahrzehnt auf Atomkraft in Deutschland setzt, zeigt ein eigenwilliges Verständnis von Ethik“, kommentiert NABU-Präsident Olaf Tschimpke den Berichtsentwurf der Ethikkommission der Bundesregierung zur Atomenergie.
    Quelle: Glocalist
  12. Winfried Wolf: Papier und Wirklichkeit
    Von vielen Betrachtern werden die Weiß- und Grünbücher der EU zum Verkehr als eine Art Gegenpol zum Maastrichter und Lissabonner Vertrag beziehungsweise zur allgemeinen neoliberalen Grundorientierung der EU (mit Liberalisierung und Privatisierung usw.) gesehen. Tatsächlich können sich Leute, die das »Greenwashing« der offiziellen Politik betreiben, in solchen Büchern, die im Gegensatz zu EU-Verordnungen unverbindliche Willensäußerungen sind, ohne Rücksicht darauf, später beim Wort genommen zu werden, ausbreiten. Als am 28. März 2011 das neue Weißbuch Verkehr der EU-Kommission in seiner endgültigen Fassung vorgestellt wurde, gab es dann auch ein weiteres Mal Reaktionen, die vieles in dem Text übersahen und zu vieles darin für bare Münze nahmen. Die Eisenbahn und Verkehrsgewerkschaft (EVG), der Zusammenschluß der Eisenbahngewerkschaften Transnet und GdBA, findet in dem Weißbuch »eine Reihe von guten Ansätzen, die die Schiene im intermodalen Wettbewerb stärken könnte«. Michael Cramer, grüner Europaparlamentarier, urteilt deutlich kritischer, glaubt aber doch, daß »die Kommission die Herausforderungen richtig benennt«. Der Deutsche Naturschutzring (DNR) erkennt in dem EU-Dokument »Anstrengungen, Marktoptionen mit Nachhaltigkeitsanforderungen in Einklang zu bringen«. – Um nicht immer erneut Momentaufnahmen des jeweils aktuellen Weiß- und Grünbuchs vorzunehmen – und durch diese Art Momentaufnahmen den Blick für das Ganze zu verlieren – macht die Einordnung des jüngsten EU-Dokuments in vorausgegangene Sinn.
    Quelle: Junge Welt
  13. Die Freie Demokratische Pestilenz
    Prominente FDP-Unterstützer? Abgetaucht! Will man dennoch Menschen treffen, welche nach wie vor die Partei unterstützen, muss man weit fahren. Zum Beispiel zu den Liberalen Senioren nach Rostock.
    Dr. Langenscheidt, sagt seine Sekretärin, habe leider bis tief in den Sommer keinen Termin mehr frei. Das ist schade. Man hätte ihn doch gerne mal gesprochen. Der Verleger, Buchautor („100 x Mut“) und Tausendsassa könnte sicher einiges sagen über die FDP, über die er ja früher schon nur gut gesprochen hat. Er hat Wahlkampf für sie gemacht im Jahr 2009, er ist Promi-Gesicht der neoliberalen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, er hat kürzlich ein Fundraising-Dinner für die Partei organisiert, das dann doch abgesagt wurde, weil ganz plötzlich ganz viele keine Zeit mehr hatten. Genug Gesprächsstoff also. Aber leider, nein, da ist nichts zu machen. Später vielleicht. […] Prinzessin Gabriele Inaara Begum Aga Khan hat auch eine Sekretärin. Mit putzigem Schweizer Akzent sagt sie zweimal, sie werde sich melden. Zweimal tut sie es nicht. Die Kanutin Birgit Fischer teilt schriftlich mit, sie habe „im Moment kein Interesse“ an einem Gespräch. Regine Sixt geht es ähnlich. Bernhard Brink ist nicht aufzufinden. Jean Pütz antwortet nicht. Dieter Hallervorden schweigt.
    Es ist ein bisschen wie verhext in diesen Tagen. Sechsmillionendreihundertsechzehntausendundachtzig Menschen haben im September 2009 die FDP gewählt, Prominente und Nicht-Prominente. Irgendwo müssten sie eigentlich sein. Aber wer sie sucht, der findet sie nicht. Es ist, als sei aus der FDP über Nacht die Freie Demokratische Pestilenz geworden. Niemand will sich anstecken. Keiner über die Nebenwirkungen sprechen.
    Quelle: Frankfurter Rundschau

    Anmerkung Jens Berger: Da kann man nur hoffen, dass die „Pestilenz“ noch lange anhält.

    dazu: An der Basis ist eine Revolte im Gange
    Die Krise ist passé, es lebe die Krise! FDP-Chef Rösler will seine Partei erneuern, doch an der Basis regt sich Widerstand gegen seine Personalpolitik. Vor allem der liberale Nachwuchs will “denen da oben” auf dem Rostocker Parteitag einen Denkzettel verpassen. Ein Stimmungsbild von der Münchner Basis.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung

  14. NRW: Weg für Direktabwahl von Bürgermeistern ist frei
    Bürgermeister und Landräte sollen künftig von den Bürgern direkt abgewählt werden können. SPD, Grüne und Linke einigten sich auf einen entsprechenden Gesetzesentwurf, wie die Linksfraktion im Düsseldorfer Landtag am Donnerstag mitteilte.
    Das Parlament soll in der kommenden Woche über den Entwurf abstimmen. Die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen verfügen gemeinsam mit der Linksfraktion über eine Mehrheit im Landtag.
    Quelle: Der Westen
  15. Forscher kritisieren Marketing im Klassenzimmer
    Wenn der Staat es nicht schafft, hilft die Wirtschaft aus – auch bei der Bildung. Unternehmen und Lobby-Gruppen verteilen schon länger kostenloses Unterrichtsmaterial mit PR-Charakter. Jetzt rechnet eine Studie mit den Marketingtricks ab. […]
    Wie die “Financial Times Deutschland” berichtet, werden die Broschüren unter anderem von der Stiftung Lesen herausgegeben, die größtenteils von Firmen finanziert wird. In Materialien für Grundschüler erklärt zum Beispiel die Post, dass ihre Mitarbeiter freundlich, humorvoll und immer ansprechbar seien. Die Deutsche Bahn wirbt in ihrer Broschüre damit, wie umweltfreundlich ihre Züge sind, und weist nebenbei noch auf ihre Angebote für Klassenfahrten und Jugendreisen hin. […] Nicht nur für Grundschüler, sondern auch für höhere Klassen werden Unterrichtsmaterialien entwickelt – vor allem für das Fach Wirtschaft. Unter den Anbietern sind bekannte Lobby-Gruppen: So erklärt die von der Metall- und Elektroindustrie finanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) in ihrem Material, dass Deutschlands Grundgesetz nicht ihren Vorstellungen entspricht: Das Prinzip “Eigentum verpflichtet” sei “ohne Zweifel gut gemeint”, schreibt die Initiative, “doch von einer freiheitlichen Wirtschaftsverfassung zeugt es nun wirklich nicht.” Für die INSM ist ganz klar, wie es laufen muss: “Man kippt oben Eigeninteresse hinein – und schwups, kommt unten Gemeinwohl heraus.”
    Quelle: SPIEGEL Online
  16. Wir wollen keine Kaiser-Wilhelm-Schule!
    Dem Landtag liegt der Entwurf der hessischen Landesregierung für ein neues Schulgesetz zur Beratung vor. Wenn das Gesetz, wie beabsichtigt, in den nächsten Wochen beschlossen wird, hätte das weitreichende negative Konsequenzen für Hessens Schülerinnen und Schüler, Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrer.
    Quelle: GEW Hessen [PDF – 2.2 MB]
  17. Wikileaks-Enthüllungen: Wie die USA einen Staatsfeind produzieren
    Fast ein Jahr sass der US-Obergefreite Bradley Manning in Isolationshaft. Er wird beschuldigt, geheime Dokumente über die US-Kriege in Afghanistan und im Irak an Wikileaks weitergegeben zu haben. David House hat Manning als einer der wenigen im Gefängnis besuchen dürfen. Porträt eines Skandals.
    Quelle: WOZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Es ist nicht die Tötung Bin Ladens, sondern die sinnlose, von Rachegelüsten geleitete Brutalität eines Regierungsapparates, der diese selbstverschuldete Niederlage in Sachen Geheimhaltung nicht verkraftet, die mich an Barak Obamas Amtsführung zweifeln lasst. Geheimnisverrat, wie lächerlich! Auf diese Daten hatten mehrere hunderttausend Leute zugriff. Die Geheimdienste Welt hatten schon längst zugegriffen. Wie bezeichnend, dass Regierungen immer dann so empört sind, wenn sie in Unterhosen präsentiert werden.


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