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Titel: Zensur: Berliner Zeitung schützt Strack-Zimmermann und Pistorius

Datum: 4. Mai 2023 um 15:09 Uhr
Rubrik: Lobbyismus und politische Korruption, Medienkritik
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Landgericht Köln erlässt daraufhin eine Einstweilige Verfügung: Die Zeitung muss den Originaltext des Autors Werner Rügemer veröffentlichen.

Werner Rügemer:

Am 10.4.2023 veröffentlichte die Berliner Zeitung den Artikel

„Rheinmetall: Wie der Ukraine-Krieg den Rüstungskonzern auf Erfolgskurs bringt“

Untertitel: „Der Rüstungskonzern hat seinen Sitz in Deutschland. Doch viele Gewinne gehen in die USA. Agnes Strack-Zimmermann hat Verbindungen zum Konzern“

Aber seit dem 11.4. erscheint der Artikel auf der website der Berliner Zeitung um vier Stellen gekürzt:

  • Erstens um den Satz im Untertitel „Agnes Strack-Zimmermann hat Verbindungen zum Konzern“,
  • zweitens um den ganzen Absatz zur Rüstungslobbyistin Strack-Zimmermann (FDP),
  • drittens um den Satz: „2022 wurde Otte der Stellvertreter Strack-Zimmermanns im Verteidigungsausschuss“ – das bezieht sich auf Henning Otte (CDU), Abgeordneter des Wahlkreises Celle, in dem der größte Produktionsstandort von Rheinmetall liegt, in Unterlüß.
  • viertens um den Satz: „Wendehälse mit schlechtem Gewissen sind für Richtungswechsel besonders geeignet“ – bezogen auf den neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).

Den Artikel hatte Chefredakteur Dr. Tomasz Kurianowicz bei mir bestellt. Ich hatte noch nie in der Berliner Zeitung veröffentlicht und hatte mich auch nicht darum bemüht. Ich hatte dann den Artikel abgeliefert mit dem Zusatz: „Alle Textänderungen sind nur in Absprache mit mir möglich.“ So wurde der Artikel in der von mir verfassten Form zunächst abgedruckt. Aber seit dem Folgetag erscheint er gekürzt, ohne jegliche Absprache mit mir, und mit der redaktionellen Anmerkung: Die Ausführungen zu den „losen Verbindungen zwischen Marie-Agnes Strack-Zimmermann und dem Rheinmetall-Konzern“ wurden gelöscht, denn sie seien „irreführend“.

Landgericht Köln: Die Berliner Zeitung muss den Originaltext wiederherstellen

Nachdem ich das einige Tage danach von dritter Seite erfahren hatte, stellte ich gegen den Berliner Verlag Antrag auf Einstweilige Verfügung. Das Landgericht Köln gab mir mit Beschluss vom 28.4.2023 recht: Der geänderte Artikel darf nicht mehr veröffentlicht werden, die Zeitung muss den Originaltext wiederherstellen. Bei Nichterfüllung wird ein Ordnungsgeld bis 250.000 Euro fällig, notfalls Ordnungshaft bis zu sechs Monaten. (Landgericht Köln 14 O 144/23)

Zur Begründung heißt es im Gerichtsbeschluss: Es handelt sich um eine „rechtswidrige und erhebliche Änderung“ und eine „schwerwiegende Beeinträchtigung der Urheberinteressen“.

Zudem, so das Gericht, kann die veränderte Fassung das Ansehen des Autors schädigen, denn das „setzt ihn somit der Kritik aus, etwa weil zu einer bestimmten in diesem Themenbereich profilierten Politikerin einer bestimmten Partei keine Informationen enthalten sind. Damit könnte der vom Autor nicht gewünschte Eindruck entstehen, er sei parteiisch oder er wolle bestimmte Personen schützen.“

Die Zeitung lässt im Unklaren: Wer hat die Zensur veranlasst?

Die Berliner Zeitung teilte meinem Anwalt mit: Die Streichungen sind durch eine „Unterlassungsforderung“ bewirkt worden. Die Zeitung teilt allerdings nicht mit, wer die Unterlassungsforderung gestellt hat. Die geforderten Streichungen (oder mehr als die geforderten?) hat die Redaktion folgsam sofort vollzogen, auch ohne Rücksprache mit mir.

Nächstliegend kommen als Initiatoren Frau Strack-Zimmermann, der Rheinmetall-Konzern und Herr Pistorius infrage, direkt oder indirekt. Die Genannten haben heutzutage aber auch zahlreiche Mitarbeiter, Mittäter, Sympathisanten, Verteidiger, PR-Agenten, die auch ohne Anweisung oder Hinweis „von oben“ tätig werden (können, wollen, sollen).

Das Gericht weist auch darauf hin, dass die Berliner Zeitung keine Begründung für die Textveränderung geliefert hat, die ihre eigenen Interessen als Medium betreffen: Die Zeitung hat „trotz mehrfacher Gelegenheit, sowohl außergerichtlich nach Abmahnung als auch durch Anhörung in diesem Verfahren keinen Sachverhalt dargetan, der eine Interessenabwägung ermöglicht.“

Erfindung der Redaktion: „enge Verbindungen“ mit Rheinmetall

Im Original-Artikel hatte ich dargestellt: Rheinmetall ist Mitglied in den drei Rüstungsverbänden

  • Förderkreis Deutsches Heer FKH,
  • Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik DWT und
  • Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie BDSV; in Letzterem ist Rheinmetall-Chef Papperger Vorsitzender.

Und Rheinmetall bespendet alle jeweiligen Regierungsparteien. Zur Lobby von Rheinmetall gehört auch Dirk Niebel, Ex-Generalsekretär der FDP und Ex-Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – Rheinmetall holte ihn sich 2014 für die Geschäftsausweitung in Entwicklungsländern Afrikas, des Vorderen Orients und Asiens.

Dann hieß es wie in meiner Textvorlage in der Erstveröffentlichung des Artikels am 10.4.: „Während Niebel diskret vorgeht, wurde die Journalistin Agnes Strack-Zimmermann (FDP) zur bekanntesten Rüstungs- und Kriegslobbyistin. Sie ist im Präsidium von FKH und DWT. Von 2008 bis 2014 war sie FDP-Fraktionsvorsitzende und Erste Bürgermeisterin in Düsseldorf, dem Rheinmetall-Konzernsitz. Seit 2014 ist sie Vorsitzende des FDP-Kreisverbands in Düsseldorf. So wurde sie Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag.“ Die Redaktion hatte diese Passage in der Erstveröffentlichung mit einem Foto der Abgeordneten Strack-Zimmermann illustriert, wie sie im Bundestag eine Rede hält. Und die Redaktion hatte dazu die Bildunterschrift hinzugefügt: „Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat enge Beziehungen zu Rheinmetall.“

BZ nimmt ihre Behauptungen sofort zurück

In meinem Text steht dagegen weder etwas von „Verbindungen“ noch von „engen Verbindungen“ noch von „losen Verbindungen“. All diese Formulierungen stammen von der Redaktion. Aber diese Darstellung ist ja nicht unbedingt falsch.

Dass Rheinmetall auch die FDP wiederholt bespendet, wie ich geschrieben habe, das schafft ja Verbindungen, soll sie schaffen, oder? Und wenn Rheinmetall und Strack-Zimmermann in denselben Lobbyorganisationen Mitglied sind, dann schafft das ja auch Verbindungen, soll sie ja gerade schaffen, um möglichst viele Interessen durchzusetzen – gerade wenn Rheinmetall der aufstrebende, auftragsgierige größte Rüstungskonzern in Deutschland ist und Strack-Zimmermann in zwei der Lobbyorganisationen sogar im Präsidium agiert und auch noch Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag ist. Ob solche Verbindungen allgemein als „Verbindungen“ oder als „lose“ oder „enge Verbindungen“ bezeichnet werden – das ist doch gleichgültig, oder?

Aber wohl gerade durch ihre selbst hinzugefügten Formulierungen provozierte die Redaktion die Unterlassungsforderung von bisher geheimgehaltener Seite. Und so strich die Berliner Zeitung wendig und eilfertig nicht nur ihren selbst erfundenen Untertitel, sondern sofort auch die ganze Passage zu Strack-Zimmermann und das Foto mitsamt Bildunterschrift – und diffamiert die Darstellung des Autors als „irreführend“, der gar nichts von „Verbindungen“ geschrieben hatte.

Und der reumütige SPD-Verteidigungsminister Pistorius

Im Original-Artikel habe ich den neuen bundesdeutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius erwähnt, und dass er bis zu seinem neuen Amt langjähriger Innenminister in Niedersachsen war – und dass der größte Produktionsstandort des Rheinmetall-Konzerns und dessen riesiges privates Test- und Übungsgelände in Niedersachsen liegt, und dass der weitaus größte Bundeswehr-Standort, nämlich der Marinestützpunkt Wilhelmshaven, und die großen militärischen Übungsplätze Munster und Bergen-Hohne, welch Letzterer auch von der NATO genutzt wird, ebenfalls in Niedersachsen liegen.

Und dass der brave Sozialdemokrat Pistorius die längste Zeit sich im Sinne Willy Brandts für eine Friedens- und Energiepolitik mit Russland eingesetzt hat. Und dass er das alles mit dem Ukraine-Krieg plötzlich und eilfertig als „trügerische Hoffnung“ bereut hat. Deshalb hatte ich bilanzierend angefügt: „Wendehälse mit schlechtem Gewissen sind für Richtungswechsel besonders geeignet.“ Diesen Satz hat die Zeitung ebenfalls gestrichen, auch wieder ohne Absprache mit mir.

Dazu heißt es im Beschluss des Landgerichts: Dieses „abschließende Fazit“ des Autors zu Pistorius stellt ein „urheberrechtlich besonders maßgebliches individuelles Gestaltungsmittel“ dar, also, mit anderen Worten, eine grundgesetzlich geschützte Meinungsäußerung, also ein wesentliches Merkmal einer freien Presse.

Wenn die Berliner Zeitung die Pressefreiheit verteidigen würde…

Da sind wir jetzt mal gespannt, wie nicht nur die Berliner Zeitung, sondern unsere freie deutsche Presse mit diesem nun mal bekannt gewordenen Zensur-Fall und dem klaren rechtsstaatlichen Beschluss eines deutschen Gerichts umgeht, nicht wahr?

Wenn die Berliner Zeitung die Pressefreiheit verteidigen würde, dann hätte sie Folgendes tun können: Sie hätte zu ihrer eigenen Behauptung der „losen“, „engen“ und sonstigen „Verbindungen“ zwischen Rheinmetall und Strack-Zimmermann gestanden und hätte der Unterlassungsforderung nicht nachgegeben, sondern hätte es auf eine gerichtliche und in Deutschland öffentliche Auseinandersetzung ankommen lassen. Dann hätten ja Rheinmetall und Strack-Zimmermann beweisen können, dass sie weder „lose“ noch „enge“ noch überhaupt keine wie auch immer geartete „Verbindungen“ haben, auch nicht durch gemeinsame Mitgliedschaften in den genannten Lobbyorganisationen der Rüstungsindustrie.

Und weitere Journalisten und Wissenschaftler und Politiker und Redaktionen hätten sich hinter diese Fragen klemmen können, und ein friedens- und industrie- und steuer- und technologie- und gewerkschafts- und umweltpolitisches Thema hätte zu einem öffentlichen Diskurs geführt – wäre nicht schlecht, oder? (Ich hatte auch dargestellt, dass Rheinmetall weitestgehend im Eigentum von US-Aktionären ist, dass die Kapitalgeber mithilfe von Briefkastenfirmen anonymisiert werden, dass die IG Metall im Aufsichtsrat brav mitbestimmt, dass Rheinmetall mit grünen Panzern die Umwelt schont usw.)


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