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Titel: Was die Frankfurter Rundschau tatsächlich in die Insolvenz getrieben hat

Datum: 14. November 2012 um 8:59 Uhr
Rubrik: Medien und Medienanalyse, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien
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Mit personellen Kahlschlägen allein lässt sich ein Zeitungsverlag nicht retten und ohne eine eigenständige Redaktion lässt sich keine profilierte Tageszeitung halten.
Die Umsatzverluste im Anzeigengeschäft bei den Printmedien sind nicht bestreitbar, aber der Verlust der verkauften Auflage war die entscheidende Ursache für den Niedergang dieser Tageszeitung. Zuerst sinkt die verkaufte Auflage einer Zeitung und dann sinken auch die erzielbaren Anzeigenpreise.
Eine Zeitung, die im Wesentlichen nur noch aus einem geborgten „Mantel“ besteht, kann auf Dauer nicht mehr verhüllen, dass unter dem Mantel kaum noch eigenständige Inhalte stecken. Die Frankfurter Rundschau hat neben den anderen überregionalen Zeitungen weitgehend ihre eigene Stimme verloren. Dieser Verlust war ein sich seit Jahren hinziehendes Trauerspiel, das nun durch die Insolvenz sein Ende gefunden hat.
Mit dem Aus der FR, die am 1. August 1945 die zweite Lizenz einer deutschen Tageszeitung nach dem Krieg erhalten hat, hat der Meinungs-Mainstream in der Presselandschaft hat einen weiteren Sieg errungen. Der Niedergang der FR ist exemplarisch für den Niedergang des Journalismus insgesamt. Von Wolfgang Lieb.

Die Geschäftsführung der Druck- und Verlagshaus Frankfurt am Main GmbH (Frankfurter Rundschau) hat gestern beim Amtsgericht Frankfurt am Main Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. Die Hauptgesellschafter M. DuMont Schauberg (MDS) (51%-Anteil) und die SPD-Medienholding Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (ddvg) (40%-Anteil) erklärten, eine sich nunmehr abzeichnende dauerhafte Finanzierung hoher Verluste sei sowohl für MDS als auch die ddvg nicht länger darstellbar.

Seit Jahren gab es in der FR eine Sparrunde nach der anderen. Im Jahr 2000 waren noch 1.650 Mitarbeiter beschäftigt, nach der „Rettung“ durch die SPD-Medienholding im Jahr 2004 waren es noch 1.110 und als der „Retter“ DuMont Schauberg 2006 als neuer Mehrheitsgesellschafter einstieg, blieben noch 730 Mitarbeiter. Derzeit sind es noch 487, die von dem Insolvenzantrag geschockt wurden.

Auch die Redaktion der FR erlitt einen personellen Kahlschlag nach dem anderen oder die Redaktionsmitglieder gingen in einer „DuMont Redaktionsgemeinschaft“ auf.
Seit zwei Jahren kommen die meisten überregionalen Inhalte von einer gemeinsamen Redaktion mit der „Berliner Zeitung“, seit dem vergangenen Jahr wird auch der überregionale Teil in Berlin produziert, die ebenfalls zur Verlagsgruppe M. DuMont Schauberg gehört. Die dort ansässige “DuMont Redaktionsgemeinschaft” beliefert das Blatt – wie den Kölner Stadtanzeiger und die Mitteldeutsche Zeitung – mit politischen Berichten von bundespolitischer Bedeutung. Auch die verbliebenen Redaktionsmitarbeiter aus den Ressorts Wirtschaft, Feuilleton und Sport wurden mehr und mehr nach Berlin abgezogen oder schieden aus. In Frankfurt verblieb letztlich nur noch die Lokalredaktion, die Berichterstatter über die Frankfurter Eintracht und einzelne Autoren aus der Stammmannschaft. Der Rest wurde in einen nicht tarifgebundenen Pressedienst und in ein „FR Publishing“ ausgelagert. Die FR war über ein Jahr sogar ohne eigenen Chefredakteur. Man glaubte, dass mit immer weniger Menschen, die an der Erstellung einer Zeitung beteiligt sind, wieder schwarze Zahlen geschrieben werden könnten.

Wenn man aus diesem Niedergang einer Tageszeitung eine Lehre ziehen kann, dann diese:
Mit personellen Kahlschlägen allein lässt sich ein Zeitungsverlag nicht retten und ohne eine eigenständige Redaktion lässt sich keine profilierte Tageszeitung halten.

Die Erwartungen, dass sich die „Umstrukturierungen“ die Verluste des Druck- und Verlagshauses der FR verringern würden erwiesen sich als Illusion. Der Gürtel wurde enger geschnallt, ohne dass bemerkt wurde, dass die Luft zum Atmen ausging.

Außer dem scheinheiligen Dank der Hauptgesellschafter für Gehaltsverzichte, Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und Flexibilität ist den Mitarbeitern nichts geblieben. Die Verluste wurden nicht geringer und beliefen sich angeblich in den vergangenen Jahren auf jeweils um die 20 Millionen Euro. Allein in diesem Jahr seien 16 Millionen Verluste aufgelaufen und gegenüber dem Vorjahr rund 15 Prozent weniger Vermarktungserlöse zu verzeichnen gewesen.
Der Zwitter zwischen Lokalzeitung mit überregional produziertem Mantel war nicht überlebensfähig.

Als Grund für die Zahlungsunfähigkeit werden die massiven Umsatzverluste im Anzeigen- und Druckgeschäft in der ersten Hälfte des laufenden Jahres genannt.

Viel weniger als über die wirtschaftlichen Verluste im Werbegeschäft wird allerdings darüber gesprochen, dass über die gesamte Phase dieser Kahlschlagpolitik die Auflage der FR sich von 190.000 auf 118.000 nahezu halbierte und der Einzelverkauf drastisch einbrach (nach Angaben des Mediendienstes meedia lag er im 3. Quartal 2010 nur noch bei etwas über 17.000 Exemplaren)

Nun ist es kein Geheimnis, dass Umsatzverluste im Anzeigengeschäft bei einer Zeitung unmittelbar mit deren Auflage zusammenhängen. Je kleiner die Auflage, desto geringer der Preis für eine Anzeige. Zuerst sinkt die verkaufte Auflage einer Zeitung und dann sinken auch die erzielbaren Anzeigenpreise. Unbestreitbar haben alle gedruckten Medien durch die Wirtschaftskrise, aber auch durch die zunehmende Konkurrenz mit den elektronischen Medien und ein Stück weit auch durch die Internet-Angebote Umsatzverluste im Anzeigengeschäft hinnehmen müssen, doch zumindest die auflagenstarken überregionalen Zeitungen (zu denen einst die FR auch gehörte) schreiben keineswegs schlechte Zahlen. Der Axel Springer Verlag vermeldet gerade dieser Tage Umsatz- und Gewinnsteigerungen auch die mit Informationen zurückhaltende SWMH Südwestdeutsche Medien Holding, der Hauptanteilseigner der Süddeutschen Zeitung, schreibt schwarze Zahlen. Selbst der Mehrheitseigner der FR, die Mediengruppe M. DuMont Schauberg, konnte im letzten Jahr den Jahresumsatz auf 711 Mio. Euro steigern und erzielte 2010 einen Gewinn von über 20 Millionen [PDF – 1.5 MB].

Die Umsatzverluste im Anzeigengeschäft bei den Printmedien sind nicht bestreitbar, aber das Aus für die FR ist der Beweis dafür, dass der Verlust der verkauften Auflage die entscheidende Ursache für den Niedergang einer Zeitung ist.

Eine Zeitung, die im Wesentlichen nur noch aus einem geborgten „Mantel“ besteht, kann auf Dauer nicht mehr verhüllen, dass hinter dem Mantel kaum noch eigenständige Inhalte stecken.

Die Frankfurter Rundschau, war seit 1964 mein nahezu täglicher Begleiter, bis heute bin ich Abonnent. Aber das bin ich seit geraumer Zeit nur noch aus geradezu biografischer Verbundenheit. Als gleichzeitiger Bezieher des Kölner Stadt-Anzeigers, hatte mir die FR – seit M. DuMont Schauberg die Mehrheit übernommen hat – in der überregionalen Berichterstattung kaum noch etwas Zusätzliches zu bieten. Genauso wird es den Lesern der Berliner Zeitung gegangen sein.

Was aber noch entscheidender ist, die FR hat neben den anderen überregionalen Zeitungen weitgehend ihre vernehmbar eigene Stimme verloren. Der Auslandsteil der Zeitung hat sein früheres Profil einer engagierten und kritischen Berichterstattung aus den Krisengebieten und aus den sich entwickelnden, armen Ländern abgeschliffen. Die FR war eine Plattform für wichtige gesellschaftliche Debatten. Die Dokumentationsseiten stapelten sich vor Jahren noch auf meinem Schreibtisch, in den letzten Jahren habe ich nur noch ganz selten eine Seite herausgerissen. Die FR bot Foren für zentrale politische Themen, heute ist alles auf Tabloid-Format heruntergebrochen (in England wird dieses Format zurecht den Boulevard-Zeitungen zugeordnet). Die FR war in studentischen und in Lehrerkreisen weitverbreitet, weil sie auf der wöchentlichen Seite „Aus Schule und Hochschule“ wie keine andere Zeitung Bildungsthemen behandelte. Die Debatten innerhalb der Gewerkschaften kamen immer weniger vor. Und die Emanzipationsbewegung der Frauen verlor ein Sprachrohr. Fundierte kritische Analysen waren immer seltener zu finden. In der Sozialpolitik machte die FR die Agenda-Politik bis auf rare kritische Einwände mit. Sie verstand sich – anders als zu Zeiten von Rolf Dietrich (Blacky) Schwartz – schon lange nicht mehr als plurales wirtschaftspolitisches Gegengewicht zum „gelben“ Wirtschaftsteil der FAZ oder zur neoliberalen Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung. Ja, es gab sie noch vereinzelt die kritischen Stimmen, wie die von Robert von Heusinger, von Markus Sievers, Stephan Hebel und einiger anderen, aber nahezu alles andere konnte man auch ausführlicher in der FAZ oder in der SZ nachlesen. Die FR suchte keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Kampfblatt des chauvinistischen Konservativismus der „Welt“ mehr. Die ökologisch und grün Engagierten landeten bei der flapsigen taz. Statt sich engagiert den konkreten Problemen der jüngeren Leser/innen anzunehmen, baute man auf ein Boulevard-Format und auf Apps, gerade so als könnten äußerer Schein und moderner Medien-Schnick-Schnack Inhalte ersetzen. Man nahm linksliberalen Leserinnen und Lesern ihre publizistische Heimat, gerade so, als gäbe es diese Leserschaft nicht mehr.

Ich könnte viele weitere Verluste aufzählen, die mich enttäuscht haben. Es war eine schleichendes Trauerspiel, das mit dem anstehenden Aus der FR nun seinen Endpunkt findet.

Diese publizistischen Verluste sind am wenigsten den Journalisten der FR anzulasten. Viele sind ausgeschieden und man hat ihre Kompetenz nicht mehr ersetzt. Klar ist auch, dass je weniger Personal umso breiter (und weniger tiefschürfend) die Berichterstattung.

Wenn man heute in der FAZ die vielen hämischen Kommentare über die Insolvenz der Konkurrenzzeitung liest, dann erkennt man mit Schrecken, wie gering bei uns noch die Meinungsvielfalt in der öffentlichen Debatte geschätzt wird. Mit dem Niedergang der Frankfurter Rundschau, die am 1. August 1945 die zweite Lizenz einer deutschen Tageszeitung nach dem Krieg erhalten hat, hat der Meinungs-Mainstream in der Presselandschaft hat einen weiteren Sieg errungen.

Wenn sich die anderen Verleger der Tageszeitungen nun die Hände reiben mögen, dass ein Konkurrent abgewürgt worden ist, dann sollten sie sich nicht zu früh freuen. Der Niedergang der FR ist exemplarisch für den Niedergang des Journalismus insgesamt. Es wird – auch aufgrund von Arbeitsverdichtung – nur noch nachgeschrieben, was die anderen schreiben.
Der Kampagnen-Journalismus greift so immer mehr um sich. Es wird immer weniger eigenständig recherchiert. Die Überzahl der Lobbyisten, sog. „Think-Tanks“ und der Public Relation-Agenturen bestimmt immer mehr die Themen und Inhalte der Medien. Die von den elektronischen Medien ausgehende Personalisierung von Politik und das dort gepflegte „Kurz und Klein“ der Berichterstattung greift immer mehr um sich. Das Aktuelle gewinnt immer mehr Überhand vor dem Wichtigen. Die Betrachtungsweisen werden damit immer oberflächlicher. Es gibt immer mehr Einheitsbrei und damit für die Leser/innen immer weniger Grund sich überhaupt eine Zeitung zu kaufen.

Die Presse verliert ihre Wächterrolle und damit ihre gesellschaftliche und demokratische Bedeutung. Die SPD-Medienholding sieht diesem Verlust tatenlos zu. Wenn Verleger diesem Niedergang mit Sparrunden und personellem Kahlschlag begegnen wollen, dann sollte ihnen die tatsächlichen Hintergründe der Insolvenz der FR ein warnendes Beispiel sein.

Die Belegschaft der FR will alles dafür tun, dass die Geschichte dieser traditionsreichen Zeitung weitergeht. Ich werde mein Abonnement nicht kündigen, denn die Hoffnung stirbt zuletzt.
Doch groß ist meine Hoffnung nicht.


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