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Titel: Propagandastudie des IZA für die INSM

Datum: 18. Dezember 2007 um 9:31 Uhr
Rubrik: INSM, Rente, Strategien der Meinungsmache
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Im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) hat das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) erstmalig ausgerechnet [PDF – 272] , was die bis dato praktizierte 58er-Regelung die Steuer- und Abgabenzahler kostet und welche Folgen sie am Arbeitsmarkt hat. Die fiskalischen Kosten beziffert das IZA auf mindestens 850 Millionen Euro pro Jahr, im Extremfall sogar bis zu 9,5 Milliarden Euro. Dieses Geld wird im Wesentlichen aus den Sozialkassen aufgebracht und treibt damit die Lohnzusatzkosten in die Höhe – das wiederum führt zum Verlust von Arbeitsplätzen. Die neue “63er-Regelung” verspricht nach Analyse der Ökonomen Entlastung in der Größenordnung von einer halben Milliarde Euro.
Eine Studie, die zeigt, wie der Wahnsinn zur Propagandamethode gemacht wird. Wolfgang Lieb

Dass das Bonner „Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit“ (IZA) kein unabhängiges und eher ein wissenschaftlich fragwürdiges sog. Forschungsinstitut ist, haben wir auf den NachDenkSeiten schon öfters belegt.

Auf der IZA-Homepage heißt es jedoch:

Als unabhängiges, privates Wirtschaftsforschungsinstitut konzentriert sich das IZA auf die ökonomische Analyse der nationalen und internationalen Arbeitsmärkte. Unter Leitung seines Direktors, Prof. Dr. Klaus F. Zimmermann, betreibt das IZA intensive Grundlagenforschung auf allen relevanten Gebieten der Arbeitsökonomie. Darüber hinaus berät das IZA die Politik zu aktuellen Arbeitsmarktfragen. Gefördert durch die Deutsche Post World Net, kooperiert das IZA eng mit der Universität Bonn und anderen universitären Forschungseinrichtungen.

Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post World Net, dem Hauptsponsor des IZA, ist Klaus Zumwinkel, er ist zugleich dessen Präsident.

Direktor des IZA ist Professor Klaus Zimmermann, der nebenher auch noch Präsident des „Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung“ in Berlin (DIW) ist, und – seit er das ist – dieses Institut, das früher auch schon mal nachfrageorientierte Theorieansätze vertreten hat, auf einen strammen angebotsorientierten, neoliberalen Wirtschaftskurs gezwungen hat. Professor Zimmermann war mir im Herbst des Jahres 2000 schon aufgefallen, als er über das Bonner Institut (IZA) dramatisierende Daten über die demographische Entwicklung lieferte, die damals vom “Spiegel” breit ausgewälzt wurden. Zimmermann unterzeichnete etwa auch den Aufruf der von den Elektro- und Metallarbeitgebern finanzierten – sich selbst als „neoliberal“ bekennenden – „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) unter dem Titel „Nein zum Reformrückschritt“.

Überhaupt klappt das politische Zusammenspiel zwischen INSM und IZA hervorragend. Das IZA findet es nicht im geringsten anrüchig, dass es regelmäßig Forschungsaufträge von einer Arbeitgeber-PR-Agentur annimmt, die diese dann wieder zu zum Zwecke ihrer politischen Propaganda nutzt.
Das IZA ist neben dem arbeitgebernahen Instutitut der deutschen Wirtschaft (IW) Dauerauftragnehmer der INSM und dessen pseudowissenschaftliches Aushängeschild. So z.B. wenn es etwa um Jubelmeldungen über die Arbeitsmarktreformen, die „Arbeitspflicht für alle Hilfeempfänger“ oder die Anhebung der Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld ging.

Das Netzwerk zwischen INSM und IZA ist eng. Im Beirat (Policy-Fellows) des IZA finden wir viele Köpfe, die sich auch für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hergeben. Unter anderen etwa den als Chef der Bundesagentur wegen dubioser Berateraufträge geschassten Florian Gerster, neuerdings als Präsidenten des Arbeitgeberverbandes Postdienste im Einsatz gegen den Mindestlohn bei den Briefzustellern, Martin Kannegiesser, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall (Geldgeber der INSM), Prof. Dr. Dietern Lenzen, den „unternehmerischen“ Präsidenten der Freien Universität Berlin, Friedrich Merz, CDU-MdB und Multi-Berater oder einmal mehr Prof. Dr. Thomas Straubhaar, Direktor des gleichfalls von der Wirtschaft ausgehaltenen Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI).

Der Autor der Studie „Die fiskalischen Kosten der so genannten 58er-Regelung“, Hilmar Schneider, wird schon seit längerer Zeit als Hartz-IV Hardliner durch die Medien gereicht (z.B. ZDF Frontal 21 v. 9.10.07)

Soviel zur „Unabhängigkeit“ dieser Auftragsarbeit, veröffentlicht von der INSM unter dem bezeichnenden Titel: „Auch Nachfolgegesetz der 58er-Regelung kommt Steuer- und Abgabenzahler teuer zu stehen“. Der jetzt gefundene angebliche Kompromiss zum Auslaufen der 58er-Regelung geht also der INSM immer noch zu weit.

Zur Erinnerung: Die 58er-Regelung wurde in den 80er Jahren vor dem Hintergrund der Massenentlassungen in der Montanindustrie vor allem im Ruhrgebiet im Zusammenwirken von Arbeitgebern, Politik und Bundesagentur für Arbeit eingeführt, um die damals eskalierenden Massenproteste der zu zig-tausenden entlassenen Stahlarbeiter und Bergleute aufzufangen. Angesichts der Aussichtslosigkeit, wieder Arbeitsplätze in so großer Zahl zu finden, konnten die Entlassenen, die mindestens 58 Jahre alt waren, „auf Arbeitslosengeld“ gehen, ohne sich sinnloserweise auf dem Arbeitsmarkt anbieten zu müssen; die Arbeitnehmer verpflichteten sich im Gegenzug, zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Rente zu gehen, zu dem dies ohne Rentenabschläge möglich war bzw. ist.
Die Arbeitgeber konnten sich durch diese Regelung von für sie erheblich teureren Abfindungszahlungen „befreien“.
Dies Regelung wäre Ende des Jahres ausgelaufen, und den von der 58er-Regelung „Begünstigten“ hätte die „Zwangsrente“ mit Rentenabschlägen von bis zu über 14 Prozent gedroht.
Dieses Täuschungsmanöver drückte dann doch zu sehr auf das Gewissen vor allem der SPD. Anfang Dezember kam es in der Großen Koalition zu einem der bekannten komplizierten Kompromisse, über den Kritiker urteilen, dass die „Zwangsverrentung“ keineswegs vom Tisch sei [PDF – 448].
Soviel ist jedenfalls klar: Die Bezieher von Arbeitslosengeld II müssen nun in jedem Falle nach dem vollendeten 63. Lebensjahr in Rente gehen und Abschläge bis zu 7,2 Prozent ihrer (auch wegen der langen Arbeitslosigkiet) ohnehin im Regelfall niedrigen Rente hinnehmen.

Es versteht sich aus der beschriebenen Grundhaltung des IZA von selbst, dass die Studie nur am Rande auf das Schicksal oder die Finanzeinbußen einging, die die von den Massenentlassungen Betroffenen „58er“ hinnehmen mussten und das nach dem angeblichen Kompromiss auch künftig noch hinnehmen müssen. Auf solche Fragen hat ein Forschungsinstitut für „Arbeitsökonomie“ wie das IZA einfache Antworten:

Selbst wenn für die betroffenen Arbeitnehmer …ein Einkommensverlust gegenüber der Erwerbstätigkeit resultiert, entsteht für sie ein Wohlfahrtsgewinn durch den früheren Ausstieg aus dem Erwerbsleben.

Klar doch: der Arbeitnehmer kann immer frei wählen zwischen Erwerbsarbeit und Freizeit, entweder er erzielt seinen Wohlfahrtsgewinn durch den Lohn, den er erhält, oder durch die Freizeit, die er wählt – seinen Lebensunterhalt bestreitet er im Falle der Wahl der Freizeit eben lieber durch den Verzehr des Erbes oder von seinen Aktiengewinnen oder er fällt eben in die Sozialhilfe. So schlicht ist die Welt der herrschenden „Arbeitsökonomie“.

Die INSM als Fragestellerin der Studie interessierte selbstverständlich das Schicksal der Entlassenen genau so wenig, sondern umgekehrt vor allem die Frage, welche „fiskalischen Kosten“ die 58er Regelung angeblich verursacht hat. (Als „fiskalische Kosten“ werden in der Studie verstanden: die durch die Arbeitslosigkeit entgangenen Sozialversicherungsbeiträge und die Steuern, die ein Durchschnittserwerbstätiger hätte bezahlen müssen.)

Gleich am Anfang heißt es:

Nach den hier vorgelegten Berechnungen könnte der Staat durch eine Abschaffung der 58er-Regelung selbst dann 850 Millionen einsparen, wenn die Regelung keine Auswirkung auf die Arbeitslosigkeit der Betroffenen hat.

D.h. im Umkehrschluss: die Abschaffung der 58er-Regelung könnte den Betroffenen ruhig so eben mal 850 Millionen wegnehmen.

Dann folgt eine aberwitzige Annahme: Würden 20% dieser über 58-jährigen Arbeitslosen „in Erwerbstätigkeit wechseln“, dann beliefen sich die fiskalischen Einsparungen schon auf 2,6 Milliarden pro Jahr und, wenn gar alle von der 58er-Regelung Betroffenen „in Erwerbstätigkeit wechseln“ würden, gar auf 9,5 Milliarden pro Jahr.

Schon hat man Horrorzahlen über Kosten, die sich politisch wunderbar für die Agitation missbrauchen lassen, dass die 58er-Regelung unbezahlbar sei.

Da man selbst beim IZA weiß, dass 420.000 Betroffene über 58-Jähre nicht mal gerade so von heute auf morgen „in Erwerbstätigkeit“ wechseln können, macht man noch eine Gegenrechnung auf, die den Wahnsinn zur Methode macht. Diese Rechnung lautet:

Die Finanzierung dieser Kosten erfolgt weitgehend über Sozialversicherungsbeiträge. In dem Maße, wie diese infolge der 58er-Regelung überhöht sind, verursacht die Regelung indirekt einen Verlust von Arbeitsplätzen, der sich im angenommenen Extremfall (also alle wechseln in Erwerbstätigkeit) auf bis zu 310.000 Jobs belaufen kann.

In dieser Logik finden also von den 420.000 Betroffenen bis zu 310.000 wieder einen Job, wenn man die Sozialversicherungsbeiträge (das kann logischerweise nur für die Arbeitgeberseite gelten, denn wer sollte sonst die Jobs schaffen) um den entsprechenden Betrag senkt.
Wie man diese Bilanz errechnet, bleibt allerdings das Geheimnis der Autoren.

Eines der entscheidenden Ergebnisse der Studie lautet:

Positive Auswirkungen in der Erwerbsbeteiligung werden sich ergeben, wenn das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben für die Betroffenen ohne die bisherige 58er-Regelung finanziell größere Auswirkungen hat und damit Erwerbsarbeit relativ attraktiver wird.

So schlicht funktioniert also „Arbeitsökonomie“: Man schafft die 58er-Regelung einfach ab, zwingt die Betroffenen ins Arbeitslosengeld I, macht richtig Druck, dass sie wieder Arbeit annehmen („bei der sie weniger verdienen als vorher“) und schon löst sich alles in Wohlgefallen auf: man spart Kosten und senkt die Arbeitgeberanteile für die Sozialversicherungen, und wie durch ein Wunder entstehen die notwendigen Jobs.

Konjunktur, Wirtschaftswachstum und dadurch ausgelöste Nachfrage nach Arbeitskräften auf dem Arbeitmarkt interessiert diese „Arbeitsökonomie“ nicht. Ja sie kann diese Zusammenhänge noch nicht einmal verstehen, denn für sie ist Arbeitslosigkeit ausschließlich eine Frage der Senkung der Löhne und der Verringerung der (Lohnneben-)Kosten für die Arbeitgeber. Wenn die Löhne nur tief genug sind und die Gewinne der Arbeitgeberseite hoch genug, dann gibt es keine Arbeitslosigkeit mehr – und insoweit ist es am Besten, die 58er-Regelung gleich ganz abzuschaffen. Und wenn es dann immer noch nicht zur „Räumung“ des Arbeitsmarktes kommt, dann muss man halt das Arbeitslosengeld I oder die Sozialhilfe noch weiter senken, bis die Arbeitslosen dann endlich keine Alternative zum Überleben mehr haben, als jeden Job zu jedem Preis anzunehmen.
Eine Ökonomie, die zurück in die Steinzeit führt.

Eine interessante Erkenntnis enthält aber selbst diese Studie: Wenn nämlich die arbeitslosen 58-Jährigen nicht einfach bis zum 65. Lebensjahr „in Erwerbstätigkeit wechseln“ können, spare „der Staat selbst bei einer rigorosen Zwangsverrentung gegenüber der bestehenden 58er-Regelung pro Arbeitslosem kaum Geld …, weil die Kosten einer bis zu siebenjährigen Alimentierung durch die verringerten Rentenansprüche kaum aufgefangen werden. Die Kosten eines Wegfalls der 58-Regelung sind im Extremfall (sieben Jahre ohne Erwerbstätigkeit) nur um 11.000 Euro geringer als die Kosten der 58-Regelung selbst.“

Aus diesem Befund ließ sich natürlich für die INSM keine ins Konzept passende Schlagzeile machen.

Man könnte das Ergebnis also auch so zusammenfassen: Wenn es keine Arbeitslosigkeit gäbe, dann verursachte die 58er Regelung keine Kosten und man brauchte sie nicht. Die 58er-Regelung ist aber kaum teurer, wenn es Arbeitslosigkeit gibt.


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