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Titel: Fortsetzung des Disputs Flassbeck vs. Hickel

Datum: 25. Mai 2010 um 10:07 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich:

Rudolf Hickel hat auf den Offenen Brief von Heiner Flassbeck geantwortet. Siehe unten. Wir setzen damit den Disput zwischen den beiden Ökonomen fort. Vielleicht wird dabei z.B. klar, ob eine Umschuldung in einem Fall wie Griechenland möglich und sinnvoll ist, oder ob Staatsbankrotte im Euroraum möglich sind, oder was kurzfristig zu tun wäre. Wir würden uns wünschen, die verbale Schärfe unterbliebe … Albrecht Müller

… und auch Unterstellungen wie jene im ersten Absatz der Antwort Rudolf Hickels, dass Heiner Flassbeck die zeitgleiche Antwort nicht gewollt hätte, sollten besser unterbleiben. Dieser Vorwurf trifft nämlich nicht Flassbeck sondern die NachDenkSeiten, genauer: mich. Ich habe versäumt, Hickel um eine gleichzeitige Antwort zu bitten. Ich hatte das unterlassen, weil Flassbecks Offener Brief eine Antwort auf Kritik an Flassbeck im von uns wiedergegebenen Beitrag von Hickel war.

Hier nun der Brief Hickels an Flassbeck:

Prof. Dr. Rudolf Hickel
Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW)
Bremen, Pfingsten 2010

Griechenland- und Eurokrise: Rettungspakete, Schuldenschnitt, Wirtschaftsunion

Antwort auf den offenen Brief von Heiner Flassbeck an Rudolf Hickel

Sehr geehrter Herr Flassbeck,

mit Datum vom 17.5. 2010 haben Sie unter Berücksichtigung meines Beitrags „Drakonische Diszipli­nierung und Hilfspakete: Keine nachhaltige Lösung für Griechenland – Eine Umschuldung wird un­vermeidbar“ einen offenen Brief an mich geschickt. Dieses Schreiben haben Sie ebenfalls an die „Nachdenkseiten“ versandt. Die „Nachdenkseiten“ haben Ihre Belehrung gedruckt. Dass Sie offensichtlich mir keine Zeit geben wollten, mich zu Ihren massiven Vorwürfen erst einmal zu äußern, kann ich nach diesem Brief verstehen. Offensichtlich wollten Sie den zeitgleich publizierten Dialog nicht.

Nicht nur, dass Sie einen in vielen Punkten nicht nachvollziehbaren Verriss meiner begründeten Ausführungen zur Rettung Griechen­lands wie überhaupt des Eurolandes präsentieren, Sie fordern mich auf, mich „besser der Stimme in einer Frage zu enthalten, die nicht nur wissenschaftlich anspruchsvoll ist, sondern auch eine lange Geschichte hat und zudem politisch äußerst delikat ist.“ Seien Sie gewiss, Ihre Aufforderung zum selbst verhängten Schreibverbot mangels unterstellter Kompetenz wird mich nicht vom weiteren Analysieren abhalten, auch weil ich Ihren saldenmechanischen makroökonomischen Reduktionismus nicht teile. Übrigens sollen die Interessierten an dieser Kontroverse diesen Streit bewerten.

Zu den Inhalten

1. Ihre Belehrungen zu dem was eine Staatsinsolvenz ist bzw. nicht sein kann, fallen eigentümlich ja widersprüchlich aus. Übrigens weise ich auf die Definitionsprobleme und auf die Unvergleichbarkeit mit einer unternehmerischen Insolvenz hin. Sie liefern eine für Griechenland untaugliche allgemeine Definition der Zahlungsunfähigkeit eines Staates. Ihre zentrale Aussage lautet: Staaten können nicht insolvent werden, solange sie Schulden in ihrer eigenen Währung haben. Diese Definition eignet sich für die Beschreibung der fiskalischen Krise Griechenlands nicht. Mir ist völlig neu, dass Griechenland „Schulden in eigener Währung“ hat. Vielmehr verfügt Griechenland als Mitgliedsland der EZB nicht über eine eigene Währungssouveränität. Oder sind sie ernsthaft der Meinung, in Athen könne die Notenpresse – eventuell auch durch subversive Kräfte bei der EZB in Frankfurt – angeworfen werden? Es ist mir fast peinlich, Sie darauf hinzuweisen zu müssen, dass die EZB zuständig ist und damit auch auf die Bedingungen der Geldpolitik – insbesondere über den Preis und die Menge der Liquiditätsbe­sorgung in Griechenland Einfluss nimmt. Hätten Sie diese schlichte Tatsache berücksichtigt, dann wären Sie darauf gekommen, bei Ihren Anmerkungen die Rolle Griechenlands innerhalb der institutionellen Verfassung des Eurolandes und der Politik der EU zu verorten. Davon können Ihre an sich klugen Hinweise zu Fi­nanzkrisen in Argentinien, Brasilien und viele andere Ländern nicht ablenken.

2. Ihre Widerlegung der These von der Zahlungsunfähigkeit zeigt, dass Sie kaum Kenntnisse über die griechische Wirtschaft, die Politik wie überhaupt die Gesellschaft haben. Sie sagen, Staaten, die „ihre Zinsen vor allem an die eigenen Bürger zahlen, können sich, wenn Sie nicht Geld drucken wol­len, selbst die Zinsen über Steuern wiederholen und sind noch lange nicht zahlungsunfähig“. Würden Sie sich bitte die Mühe machen, diese Aussage aus dem Lehrbuch für Finanzwissenschaft für Grie­chenland zu übersetzen. Dann werden Sie schnell merken, dass Sie voll daneben liegen: Einerseits fließt der Löwenanteil der Zinsen im Inland nicht an die Bürger, sondern an die dortigen Banken sowie privatwirtschaftlichen Clanführer. Die sind verständlicherweise bittere Gegner eines Schulden­schnitts. Andererseits zahlen genau diese Oberschichten auch durch massive Hinterziehung und kor­rupte Deals mit der Politik kaum Steuern, die Sie jedoch zur Finanzierung Ihres Modells benötigen (vgl. die Zahlen der OECD-Zahlen, mit über 4% wird gegenüber Deutschland nur die Hälfte der Einkommen bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt versteuert). Wer das „griechische System“ nicht berücksichtigt, der kann zu keinen brauchbaren Erkenntnissen kommen. Die Methode erinnert mich an die vorherrschende Ökonomik, die nach dem hegelianischen Motto verfährt: Schade um die Realität, wenn diese nicht mit dem konstruierten Modell übereinstimmt. Dabei lohnt sich auch für den Makroökonomen der Blick auf die Entstehungsgeschichte der griechischen Demokratie. Das osmanische Reich hat bis heute seine Spuren hinterlassen. Noch dominiert ein Klientelsystem auf der Basis von Favoritismus, Nepotismus und Korruption, das Politiker als Clanführer missbraucht. Sagen Sie doch etwas zur Klassenspaltung im „System Griechenland“, das eine Lösung schwer macht.

Bei der Ursachenanalyse und den Lösungen der drohenden Zahlungsunfähigkeit Griechenlands wäre es nützlich, wenn Sie sich über die historisch erklärbare Herausbildung einer scharfen Klassengesellschaft, die von korrupten Clans gesteuert wird, wenigstens informieren würden. Sollten Sie bei einem der kommenden Massen­streiks in Athen anwesend sein, dann befragen sie doch mal Streikende, deren Proteste sich auch gegen die korrupten Clans richten. Ohne Berücksichtigung der sozial-ökonomisch gewachsenen Strukturen, die die Pfadabhängigkeit bestimmen, bleibt die Makroökonomik im schlechten Sinne abstrakt. Sie taugt genau so wenig wie eine Mikroökonomik, die den seelenlosen „homo oeconomicus“ stilisiert.

3. Nach diesen Aussagen, die zeigen, dass Sie die innenpolitischen Verhältnisse Griechenlands für nicht erhaben genug halten, in Ihrer makroökonomischen Analyse berücksichtigt zu werden, kon­zentrieren Sie die Ursache der Krise monokausal auf das Lohndumping und die damit die Exportag­gressivität Deutschlands. Wenn Sie meine vielen Beiträge ernsthaft zur Kenntnis genommen hätten, dann müssten Sie wissen, dass ich diese Ursache ebenfalls immer wieder, wie es auch Gustav Horn tut, benannt habe. Warum anerkennen Sie nicht diese meine Kritik? Ihnen fehlt offensichtlich die Größe, zu sagen, dass hier der Kritisierte aus Ihrer Sicht mal nicht irrt. In dem Zusammen­hang habe ich auch die sog. „moderate Lohnpolitik“ der Gewerkschaften in Deutschland wegen ihrer doppelte negativen Wirkung kritisiert: Einerseits hat das Lohndumping zusammen mit der Produkti­vitätsentwicklung über rückläufige Lohnstückkosten auch Griechenland belastet. Andererseits stagniert deshalb seit 2003 der private Konsum in Deutschland, ja dieser in einigen Jahren absolut gesunken ist. Allerdings wäre es auch für Sie wichtig, gegenüber der Forderung an die deutsche Exportwirtschaft die Exportstruktur und die binnenwirtschaftliche Struktur Griechenlands zu berücksichtigen. Dazu gehört auch die Invasion deutscher Mega-Discounter in Griechenland. Ebenfalls sollte die starke Konzentration auf die Nachfrage nach Rüstungsgütern bedacht werden – nach dem Motto sechs U-Boote Türkei, also auch sechs U-Boote für Griechenland (zwei U-Boote auf der Basis der Brennstoffzellentechnik von der HDW in Kiel liegen unbezahlt in einer Werft in der Nähe von Athen).

Leider spielen die Probleme der griechischen Wirtschaftsstruktur im Rahmen Ihrer Makroöko­nomik keine Rolle. Auch ihnen würde das Studium der modernen, historisch ausgerichteten Institutionenökonomik, die ja zu Recht mit dem jüngsten Nobelpreis für Ökonom ausgezeichnet worden ist, weiterhelfen (Elinor Ostrom / Oliver Williamson).

4. Unbestritten, Deutschland muss mit einer Rückführung der Exportaggressivität und der Stärkung seiner Binnenwirtschaft einen Beitrag zur Stabilisierung des gesamten Euroraums leisten. Allerdings braucht dieser Strategiewechsel Zeit. Es lässt sich nicht einfach ab Morgen früh eine Lohnexpansion am besten mit 30% ernsthaft durchsetzen. Gehandelt werden muss mit Ad hoc-Maßnahmen, die allerdings dem Sieg des Prinzips dienen sollten. Hierzu schweigen Sie peinlich laut. Es muss jetzt gehandelt werden, um Ihr richtiges Ziel zu erreichen. Weil Sie so stark für die Erfolge einer Währungsabwertung im internationalen Vergleich plädieren, gehe ich davon aus, dass Sie die Wiedereinführung der griechischen Drachme für sinnvoll halten. Erklären Sie bitte die Auswirkungen einer massiven Abwertung dieser Währung auf die strukturell extrem schwache Export- und Binnenwirtschaft Griechenlands. Vergessen Sie dabei bitte nicht die durch eine Abwertung ausgelöste massive Verteuerung der in Euro fakturierten Importe – vor allem zu Lasten der einkommensschwachen Privathaushalte in Griechenland. Wenn Sie gegen Inflationsgefahren einen geldpolitischen Restriktionskurs durch die griechische Notenbank fordern, dann übersehen Sie bitte nicht die Belastung der Produktionswirtschaft.

Gegenüber Ihrem Defizit an kurzfristig wirksamen Vorschlägen habe ich eine Doppelstrategie vorgeschla­gen: eine zeitlich befristete Abkoppelung Griechenlands im Zuge der Anschlussfinanzierung durch das beschlossene Hilfsprogramm der EU und des IWF zusammen mit einer Umschuldung durch Forderungsverluste der bisherigen Gläubiger.

Mit dem soeben beschlossenen Hilfsprogramm (Gesamtvolumen von 750 Mrd. €) wird zu Recht notwendige Zeit gekauft. Dazu ein Beispiel: Griechische Staatsanleihen werden in den nächsten Wochen fällig. Am Kapitalmarkt lässt sich, wenn überhaupt nur eine Anschlussfinanzierung bei extrem hohen Zinssät­zen und dem Einfluss der Spekulanten realisieren. Hier setzt das Hilfsprogramm an. Es be­zweckt eine Umschuldung. Die bisherigen Gläubiger – die Banken, Fonds, Privatvermögende im In- und Ausland – werden ausbezahlt. Die Anschlussfinanzierung übernehmen die helfenden Staaten am Ende mit ihren Steuerzahlern. Diese Umschichtung nützt nur den bisher profitwirtschaftlichen Anle­ger zusammen mit den aggressiven Spekulanten.

Bleibt es jedoch nur bei dieser Umschuldung, dann ändert sich am Grund­problem Griechenlands nichts. Die Staatsschulden und die Zinsbelastungen bleiben nach Beendigung der Hilfsprogramme unverändert hoch. Das Land kann die finanzpolitische Souveränität nicht zurückgewinnen. Wie lässt sich eine Lösung finden, mit der einerseits die Wirtschaft gestärkt und andererseits der strangulierend wirkende Schulden­berg abgeschmolzen werden kann? Die Frage werfen Sie nicht auf, damit wird auch die wohl wichtigste Antwort verweigert.

Aus dieser ökonomisch-fiskalischen Falle kann sich Griechenland allein nicht befreien. Dies gilt auch für die Hilfspakte, mit denen allerdings Zeit zur Anpassung gekauft wird. Alle Kritiker, die diese Perspektivlosigkeit beschreiben, haben Recht. Wird diese Umschuldung auch noch mit einem staatlichen Einsparprogramm und Steuererhöhungen der öffentlichen Haushalte verknüpft, dann ver­schlechtert dieses Kaputtsparen die Chance, nach Auslaufen der Hilfsprogramme die Ökonomie Griechenlands zu stärken. Das ist jedoch die Voraussetzung für die nachhaltige Bewältigung der Finanzkrise.

Deshalb ist ein „hair cut“ im Sinne eines Teilverzichts der bisherigen Gläubiger griechischer Anleihen – wie bei allen großen Finanzkrisen von Staaten in den letzten Jahrzehnten – unvermeidbar. Ihre Sorge um daraus folgende Belastungen des „gesamten Bankensystems“ überrascht mich. Meinen Sie damit auch die einzelnen betroffenen Ban­ken und Versicherungsunternehmen – wie die Commerzbank und die RealHypoEstate sowie den Allianz-Konzern – die geschont werden sollen?

Nach den jüngsten Angaben der „Bank für Internationale Zusammenarbeit“ betrug Ende 2009 der Bestand an griechischen Auslandsschulden 236, 2 Mrd. US $. Die Gläubiger konzentrieren sich mit 79% auf Europa. Die deutschen Banken waren Ende 2009 Gläubiger mit insgesamt 31,4 Mrd. €. Auf Frankreich entfielen 52,6 Mrd. €. Auch die Schweiz gehört zu den namhaften Gläubigerländern. Von einem Teilforderungsverzicht wären vor allem in Deutschland die HypoRealEstate, die Commerz­bank, die Postbank, einige Landesbanken aber auch einige Versicherungsunternehmen (die gesamte Gruppe der ALLIANZ SE) betroffen. Wenn Sie sich schon um diese Anleger so sorgen, dann wäre es ja möglich, im begründeten Fall diesen Hilfen zur Bewältigung ihrer Forderungsverzichte zur Verfügung zu stellen. Die mit diesem Schuldenschnitt bezweckten Forderungsverluste treffen auch Gläubiger in Griechenland. Ein Großgläubiger ist auf­grund seines Besitzes von griechischen Bonds der Chef eines Finanzimperiums, der Grieche Spiros Latsis. Er müsste mit einem Verzicht auf Forderungen gegenüber dem griechischen Staat, mit denen er bisher hohe Renditen erzielen konnte, zu seinem Beitrag zur Rettung Griechenlands verpflichtet werden.

Diese Umschuldung, die auf einer Versammlung der Gläubiger zu verabreden ist, muss durch das Verbot bzw. die Einschränkung der ökonomisch selbstzerstörerisch wirkenden Spekulationsinstru­mente ergänzt werden. Dazu gehören das Verbot von Leerverkäufen sowie der Einsatz von Kredit­ausfallversicherungen ohne Vorliegen eines echten Kredits. Mich wundert, dass dazu der sonst so selbstsicher daher kommende Makroökonom schweigt.

Schließlich fällt auf, dass Sie sich zu den Geburtsfehlern der Euro-Währung nicht äußern. Damit lassen Sie es zu, dass die Eurolüge von Kohl/Waigel nicht entlarvt und überwunden wird. Es war einfach unverantwortlich, im Widerspruch zu den tragfähigen Theorien mit der Währungsunion auf die Dynamik einer Angleichung der unterschiedlichen nationalen Makroökono­mien zu setzen. Das Gegenteil ist eingetreten. Unter dem massiven Exportdruck aus Deutschland durch Lohndumping haben sich die Divergenzen zwischen den Mitgliedsländern vertieft. Deshalb muss die griechische Krise, die die tiefe Euro-Tragödie zum Ausdruck bringt, zur Geburtsstunde einer fiskalisch und wirtschaftspolitisch koordinierten Wirt­schafts- und Währungsunion führen. In meinem Buch „Standortwahn und Euroangst“ von 1998 (erschienen im Rowohlt-Verlag) lassen sich die absehbaren katastrophalen Folgen der einseitigen Architektur des Maastrichter Vertrags nachlesen: Binnenmarkt + Monetarismus sowie einer Reduktion der fiskalische Koordination auf die unsinnige Deckelung der
Staatsverschuldung.

Zum Schluss: Ich fände es für die kritische Ökonomik wichtig, dass wir die Befähigung zum Diskurs stärken. Mit saldenmechanischer Makroökonomik allein ist die Krise einiger Länder und am Ende der gesamten Eurozone nicht vermessbar. Holen Sie das nach, was Sie in Ihrem öffentlichen Brief an mich nicht aufgegriffen haben: suchen Sie eine adäquate Antwort auf die Frage, was ist aktuell zu tun, um die Krise zu bewältigen.

Mit freundlichen Grüßen
Rudolf Hickel


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