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Titel: Nachtrag zur Kritik der Wachstumskritik: eine irrationale Debatte und attac auf einem unverständlichen Weg

Datum: 13. Mai 2011 um 15:49 Uhr
Rubrik: Generationenkonflikt, Postwachstumskritik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Aus Anlass meines Beitrags vom 21.4.2011 über Wachstumswahn etc. bin ich auf weitere Texte von so genannten Wachstumskritikern aufmerksam gemacht worden. Außerdem habe ich mir die Beilage von Attac in der TAZ zum Attac-Kongress „Jenseits des Wachstums?!“ angesehen. Die meisten Texte sind eine Zumutung und nur zu lesen, wenn man sich – wie schon im Beitrag vom 21. April vermerkt – von Sprachsignal zu Sprachsignal tragen lässt. Man muss glauben, um die Texte zu genießen, verstehen kann man viele Passagen ohnehin nicht. Albrecht Müller.

Vorweg noch zu dem letzten Beitrag vom 21. April: Er war recht ausführlich, deshalb der Tipp, falls Sie nach-lesen wollen: Sie können dort die Kapitel I (Ein Meer von Problemen, die unsere konzentrierte Aufmerksamkeit verlangen würden), Kapitel II (Eine kleine Auswahl einschlägiger wachstumskritischer Text) und Kapitel III (Zentrale und wiederkehrende Botschaften der Wachstumskritiker) überfliegen und direkt zu Kapitel IV, der „Kritischen Würdigung der Wachstumsdebatte“ kommen.

I. Ein gutes Beispiel für die Irrationalität der Texte ist der Beitrag von Harald Welzer im Deutschlandfunk/Hintergrund vom 1. Januar 2010 an.
Dieser ist schon etwas älter, aber darauf hat mich ein NachDenkSeiten-Nutzer mit Recht aufmerksam gemacht, weil er typisch ist für die Art der Argumentation. (Ein nahezu identischer Text erschien übrigens einige Monate später in den „Blättern“)

Hier der Einstieg zum Beitrag im Deutschlandfunk:

DLF 1.1.2010
Wegmarken 2010: Wohlstand ohne Wachstum (Teil 1)
Perspektiven der Überflussgesellschaft
Von Harald Welzer

Die politischen und ökonomischen Eliten sehen ihr Heil nach wie vor in der Erzeugung von Wachstum – dabei ist keineswegs sicher, ob die Fortschritte der letzten 50 Jahre auf Wachstum oder nicht eher auf Bildung, Gesundheit und Kommunikation zurückgehen.
“Unsere Kinder sollen es einmal schlechter haben” – Der Generationenvertrag ist aufgekündigt
Unendliches Wachstum ist in einer endlichen Welt nicht möglich.
(…)

Schon die ersten Sätze sind typisch für die Texte der Wachstumskritiker: Den politischen und ökonomischen Eliten wird pauschal ein Ziel unterstellt, das pauschal nicht gilt. Außerdem: Selbst die kritisierten „Eliten“ werden nicht bestreiten, dass die Fortschritte der letzten 50 Jahre etwas mit Bildung zu tun haben. – Die Feststellung, der Generationenvertrag sei aufgekündigt, ist schlicht Unsinn. – Und die immer wiederkehrende Behauptung, unendliches Wachstum sei in einer endlichen Welt nicht möglich, ist falsch. (Siehe Ziffer IV 9. im Beitrag vom 21. April.) Außerdem: Wer will schon unendliches Wachstum. In meinem Beitrag vom 21. April ist darauf hingewiesen, dass nur wenige Politiker und Ökonomen Wachstum zum Ziel erklären, unendliches, sowieso nicht. Nicht einmal Angela Merkel, nehme ich an.

Der Text von Welzer ist typisch und unerträglich. Ein Freund, Hans Bleibinhaus (hier ein früherer Beitrag von ihm in den NachDenkSeiten) hat den Text kommentiert. Er bedient sich einer drastischen Sprache, die etwas abzumildern ich mir erlaubt habe:

Der Welzer-Beitrag ist ein religiöser Schwachsinn, dem mit  Vernunft so wenig beizukommen ist wie den Kreationisten mit Darwin. Super, wie sich sein Satz: “die religiöse Qualität des Wachstums…[gemeint natürlich nur bei den ‘doofen’ Ökonomen]” gegen ihn selbst richtet. Dass er das nicht merkt, ist ein Zeichen seiner Unbelehrbarkeit. Die neoliberalen Götzendiener und die ökologistischen Teufelsanbeter huldigen doch der gleichen Religion: Dem Wachstumsfetischismus. Den einen ist wichtig, dass wächst, was ihre Taschen füllt (und wenn die halbe Welt verhungert) und den andern ist wichtig, dass nichts mehr wächst (und wenn die halbe Welt verhungert).
Dann die Stelle, wo er meint, der Fortschritt sei nicht am Wachstum, sondern vielleicht eher an Bildung, Gesundheit, Kommunikation gelegen. Wer so blockiert ist, dass er nicht erkennt, dass Wachstum das Messergebnis von Beschäftigung in B, G und K (usw.) ist, also eine ganz andere Begriffskategorie ist, mit dem kann man nicht diskutieren: Er spricht keine rationale Sprache…
Vielleicht kommt man solchen Leuten mit einfachen Beispielen für den Unsinn bei, den sie reden. Hier: Dass unser Junge wieder ein Stück größer geworden ist, ist ein falscher und gefährlicher Weg, dem Einhalt zu bieten ist. Wichtig ist vielmehr, dass er an Gehirn, Muskeln und Knochenbau zunimmt…
Leute wie Welzer müssten noch einmal in die Schule gehen. Und dort tausendmal an die Tafel schreiben: “Es kommt darauf an, was wächst. Und nicht, dass gar nichts wächst”.

II. Der unverständliche Weg von Attac

Damit wären wir bei den Attac-Texten der taz-Beilage zum Kongress vom nächsten Wochenende „Jenseits des Wachstums!?“ [PDF – 630 KB]

In dem einführenden Artikel auf der ersten Seite über „Sozial-ökologische Rechte jenseits des Wachstums“ von Alexis J. Passadakis, Mitglied im Koordinierungskreis von Attac und Oliver Powalla, aktiv bei der Vorbereitung des Kongresses
„Jenseits des Wachstums?!“ wird so ziemlich alles an Sprachsymbolen zusammengemixt, das für das Verstehen innerhalb der Glaubensgemeinschaft der Wachstumskritiker hilfreich ist. Aber nach der Logik des Zusammenhangs der verknüpften einzelnen Aussagen darf man nicht fragen.

Besonders interessant fand ich, dass den Autoren „jene Strömung, die auf ökologische Modernisierung setzt und einen Kurs ‚nachhaltigen Wachstums’ anstrebt“, auch nicht passt. Sie wollen eine „solidarische Postwachstumsökonomie“ statt „eines anderen Wachstums“.
Viel Vergnügen, kann man da nur noch wünschen. Man muss sich allerdings noch fragen, warum eine Organisation wie Attac sich gegen jene in Stellung bringen lässt, die dafür arbeiten, dass in unserer Wirtschaft und Gesellschaft das Richtige geschieht und das Richtige wächst, wenn man den Begriff Wachstum überhaupt gebrauchen will. Die konkreten Überlegungen, welche Rahmen man Wirtschaft und Gesellschaft setzen muss, damit mit den Ressourcen schonend und gerecht umgegangen wird, werden mit Verweis auf ein im Nebel liegendes Projekt, die „solidarische Postwachstumsökonomie“, als nicht zeitgemäß beiseite geschoben.

Ich habe mir noch einen anderen Text des Autors eines Basistextes für den Attac-Kongress, Alexis Passadakis, angesehen. Hier der Beitrag vom 29.04.2011 in Sozialistische Zeitung: “Notausgang Postwachstumsökonomie – Gleiche soziale und ökologische Rechte – eine Alternative zum Wachstumswahn”, von Alexis Passadakis [PDF – 60 KB]. Und ich begreife nichts mehr. Deshalb möchte ich Ihnen einfach nur empfehlen, wenn Sie an dieser Debatte von Attac interessiert sind, diese Texte zu lesen. Was der Autor zusammen mit M. Schmelzer als Basistexte für den Kongress in Berlin geschrieben und zusammengetragen hat, wird schließlich in der TAZ-Beilage so empfohlen: „Eine hervorragende Einführung in die Wachstumskritik und die zukunftsweisenden Konzepte der Degrowth-Bewegung“.

Über solche Texte kann man meines Erachtens nicht diskutieren, weil man ständig fragen muss, was gemeint ist. Und weil man die Logik nicht versteht, sondern glauben muss. Mich erinnern diese Texte wie auch die Mehrheit der in meinem Beitrag vom 21. April genannten Texte zur Wachstumskritik an manche Debatten unter den 68ern und den Jusos jener Zeit. Wenn man zur Glaubensgemeinschaft gehörte, dann konnte man sehr schön zum Beispiel über Selbstverwirklichung und Vergesellschaftung der Produktionsmittel austauschen. Jeder im inneren Zirkel hörte und würdigte die Sprachsignale. Verstanden hat’s keiner. Aber die Gemeinschaft war eng und heimelig.

Auch mit anderen Beiträgen in der TAZ-Beilage von Attac kann ich nichts anfangen. Das gilt zum Beispiel für “Wohlstand ohne Wachstum” von Tim Jackson oder für “Der Preis des Wachstums“ von Max Bank und Kathrin Henneberger.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass auf der Basis solcher Texte mit ihrer Inflation von schwülstigen Fremdwörtern und unbelegten Behauptungen eine zielführende und sinnvolle Diskussion möglich ist.

Die Debatte ist durchsetzt von Glaubenssätzen, die man erstmal aufgenommen haben muss und akzeptieren muss, bevor man durch die Texte durchkommt. Zum Beispiel:

  • Das Rezept der so genannten Realpolitik gegen alle Probleme der Gegenwart besteht im wiederholten Sprechen eines magischen Wort: Wachstum. (Welzer)
  • In einer endlichen Welt kann es kein unendliches Wachstum geben. (Welzer usw.)
  • Ohne die Nutzung von Naturressourcen ist keine Produktion möglich. (Bank/Henneberger)
  • Es gab in der Menschheitsgeschichte gerade mal 250 Jahre Wachstum. (Welzer, Bank etc)
  • Auf die Steigerung der Ressourceneffizienz zu setzen ist zweifelhaft. (Jackson)
  • Privatwirtschaftliche Marktwirtschaft erzwingt Wachstum. Deshalb müssen wir die Institutionen verändern, das System verändern.
  • In den siebziger Jahren sind die Wachstumsbefürworter gescheitert.
  • Eine schrumpfende Wirtschaft führt zu Verteilungskämpfen.

Attac war mal auf einem besseren Weg als mit dem Kongress vom nächsten Wochenende. Angesichts des religiösen Charakters der Texte macht es leider auch keinen Sinn, sich in Berlin in die Diskussion einzubringen.


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