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Titel: Buchtipp: Gustav A. Horn sieht Deutschland vor allem in einer Krise des ökonomischen Denkens

Datum: 28. April 2005 um 16:26 Uhr
Rubrik: Arbeitslosigkeit, Rezensionen, Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Der Konjunkturforscher Gustav A. Horn widerspricht in seinem neuen Buch den gängigen Begründungen der angebotstheoretischen Ökonomie für unsere Wachstumsschwäche. Er stellt der „erschreckend“ einseitigen Wahrnehmung unserer Probleme verengt auf die Angebotsseite des Güter- und des Arbeitsmarktes eine gesamtwirtschaftliche Sichtweise gegenüber. Er sieht die Wurzel des schwachen Wachstums und der hohen Arbeitslosigkeit im Kern in einem Nachfragemangel und entwickelt ein Gegenprogramm gegen Sparen und Sozialabbau. Er fordert eine Neuausrichtung der Geld-, Finanz- und Lohnpolitik, die mehr Expansion möglich macht als bisher. Horn hat den NachDenkSeiten eine Zusammenfassung seines Buches zur Verfügung gestellt.

Deutschland ist in der Krise. Wie viele ökonomisch orientierte Bücher mögen derzeit mit diesem oder einem ähnlichen Satz beginnen. Es folgen ein Lamento und radikale Vorschläge für eine grundlegende Reform, ohne die Deutschland unrettbar verloren sei. Bestandteil der üblichen Reformvorschläge sind spürbare Sparmaßnahmen des Staates sowie massive Einschnitte in das System der sozialen Sicherung, das sich Deutschland angeblich nicht mehr leisten kann, und schließlich zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit die Aufforderung zu einer spürbaren Lohnzurückhaltung, verbunden mit einer deutlichen Kritik an den Gewerkschaften. Vier Schreckensbilder beherrschen dabei die Debatte: die allzu mächtigen Gewerkschaften, der verschwenderische Staat, die maroden, gelegentlich sogar als korrupt bezeichneten Sozialsysteme und vor allem anderen die unwilligen Arbeitlosen.

Dieses Buch will keine neuen Schreckensbilder produzieren. Es will etwas anderes. Es will aufzeigen, dass Deutschland nicht nur in einer wirtschaftlichen Krise ist, sondern vor allem in einer Krise des ökonomischen Denkens. Mehr noch, die Krise des ökonomischen Denkens hat teilweise zu einer wirtschaftspolitischen Praxis geführt, welche die wirtschaftlichen Probleme verschärft und nicht gelöst hat. Erschreckend ist vor allem die Einseitigkeit, mit der die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands betrachtet werden. Fast alle Vorschläge gehen davon aus, dass es Angebotsprobleme sind, die Deutschlands Wirtschaft belasten. Das bezieht sich zum einen auf die Angebotsseite des Gütermarktes. Es wird behauptet, dass unter den gegenwärtigen Umständen Unternehmen in Deutschland nicht hinreichend in der Lage seien, ihre Produkte rentabel zu produzieren und auf den Märkten anzubieten. Vor allem auf den internationalen Märkten seien die deutschen Unternehmen nicht konkurrenzfähig. Dies sei eine wesentliche Hürde für ein höheres Wachstum. Die zweite Hürde steht demnach auf der Angebotsseite des Arbeitsmarktes, also bei den abhängig Beschäftigten und den Arbeitslosen. Aufgrund massiven gewerkschaftlichen Einflusses zu hohe Löhne und zu großzügig bemessene soziale Sicherung trieben die Kosten der Unternehmen hoch und verminderten zugleich den Anreiz zur Arbeitsaufnahme bei denen, die derzeit keine Arbeit haben. Soweit die gängigen Begründungen für die Wachstumsschwäche.

Ob hinter den wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht vielleicht auch Nachfrageprobleme stecken könnten, wird nicht einmal mehr diskutiert. Der Verweis auf die lange Dauer der Schwäche muss meist genügen. Denn – so die mehrheitliche Meinung – Nachfragekrisen können nicht so lange dauern. Dies ist jedoch ein vom gewünschten Ergebnis inspirierter Kurzschluss. Nachfrageprobleme entstehen auf der Nachfrageseite der Gütermärkte, wo die Einkommen insbesondere der privaten Haushalte nicht ausreichen, um die von den Unternehmen angebotenen Güter zu kaufen. Dies spielt über auf die Nachfrageseite des Arbeitsmarktes, wo die Unternehmen wegen ihrer Absatzschwierigkeiten nicht genügend Beschäftigung nachfragen, um alle, die Arbeit suchen, auch zu beschäftigen.

Gravierend ist, dass sich im in den vergangenen Jahrzehnten sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik ein völlig neues und teilweise irregeleitetes Verständnis von Arbeitslosigkeit durchgesetzt hat. Galt früher Arbeitslosigkeit als gesamtwirtschaftliches Schicksal, das der einzelne in allenfalls begrenztem Rahmen beeinflussen kann, herrscht heute eine fast genau umgekehrte Sichtweise vor. Arbeitslosigkeit ist primär einzelwirtschaftliches Schicksal, das der einzelne unter den gegebenen institutionellen Rahmenbedingungen – wie etwa der Höhe des Arbeitslosengeldes – Arbeitslosigkeit einer Beschäftigung bewusst vorzieht. Aus dieser Perspektive muss die hohe Arbeitslosigkeit dadurch angegangen werden, dass die Anreize zur Arbeitsaufnahme z.B. durch eine verminderte soziale Absicherung verstärkt werden. An dieser Stelle zeigt sich Dominanz des einzelwirtschaftlichen Denkens in der heutigen makroökonomischen Theorie besonders drastisch. Dass die Ursache der Arbeitslosigkeit in gesamtwirtschaftlichen Nachfrageproblemen bestehen könnte, wird ausgeblendet. Folglich hat eine gesamtwirtschaftlich orientierte Politik in diesem ökonomischen Leitbild keine Funktion.

Die gängigen theoretischen Vorstellungen stehen allerdings vor einem Phänomen, das sie nicht überzeugend zu erklären vermögen. Das ist die tiefe Spaltung der Konjunktur in Deutschland in eine lahmende Binnenwirtschaft und eine dynamische Exportkonjunktur. Sie widerspricht der These von der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit aufgrund zu hoher Löhne eklatant. Wie können die Löhne zu hoch sein, wenn sich die Produkte aus Deutschland mit steigenden Gewinnen so gut auf den Weltmärkten verkaufen lassen und auf der andere Seite die Einkommen im Inland sich so schwach entwickeln, dass keine finanzielle Basis für einen höheren Konsum vorhanden ist ?

In diesem soll Buch soll über diese fundamentalen Schwächen und Fehler der weitverbreiteten Argumente der Angebotstheoretiker aufgeklärt werden. Gleichzeitig soll eine wirtschaftspolitische Alternative aufgezeigt werden, die auf einem anderen Ansatz fußt. Ihr liegt im Gegensatz zu den gängigen Vorstellungen eine gesamtwirtschaftliche Sichtweise zugrunde. Diese geht davon aus, dass die Wurzel der schwachen Wachstums und der hohen Arbeitslosigkeit im Kern in einem Nachfragemangel liegt, der nicht zuletzt durch falsche gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen erzeugt wurde. Mit anderen Worten, es ist in erster Linie eine Frage der richtigen Geld-, Finanz – und Lohnpolitik, ob die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und Beschäftigung gegeben sind. Damit ist gemeint, dass die Geldpolitik die Zinsen nicht niedrig genug gehalten hat, um Investitionen und Konsum in ganz Europa hinreichend zu stimulieren. Damit ist ferner gemeint, dass die Finanzpolitik vom Sparzwang beherrscht wurde, und dabei die Aufgabe einer gesamtwirtschaftlichen Stabilisierung aus den Augen verlor. Und damit ist schließlich gemeint, dass die Lohnentwicklung in Deutschland den Tarifparteien weitgehend entglitten ist, und die Löhne deutlich hinter der Produktivitätsentwicklung zurückbleiben und damit die Nachfrage unter Druck gerät. Es sind also gesamtwirtschaftliche Gründe, die Deutschland wirtschaftlich lahmen lassen. Nur wenn eine Wirtschaft gesamtwirtschaftliche Impulse erhält, besteht Spielraum für Unternehmen und Haushalte, zu investieren und zu konsumieren. Nur so können letztlich Wachstum und Beschäftigung entstehen.

Aus diesen Gedanken ergibt sich ein Gegenprogramm gegen Sparen und Sozialabbau, die heute von der Mehrheit der Ökonomen als notwendige Voraussetzung für mehr Wachstum angesehen werden. Dieses Programm enthält Vorschläge auf mehreren Ebenen. Zum einen muss die Ausrichtung der Geld,- Finanz- und Lohnpolitik so geändert werden, dass mehr Expansion möglich ist als bisher. Daneben sind aber auch strukturelle Veränderungen unumgänglich. Nur brauchen sie eben nicht zwangsläufig mit Sozialabbau einhergehen. Entscheidend ist vielmehr nach Möglichkeiten zu suchen, die vorhandenen Mittel effizienter einzusetzen, die gesamtwirtschaftlichen Folgen solcher Reformen zu berücksichtigen und gegebenenfalls zu kompensieren. Nur so sind strukturelle Reformen sinnvoll.

Gustav A. Horn, Die Deutsche Krankheit: Sparwut und Sozialabbau, Thesen gegen eine verfehlte Wirtschatspolitik, 2005, Carl Hanser Verlag, München/Wien, 197 Seiten, 19.90 Euro


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