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Titel: Statt griechische Inseln nun Goldbarren als Pfand

Datum: 24. August 2011 um 8:52 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Euro und Eurokrise, Europäische Union
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„Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen“ forderte die Bild-Zeitung als Gegenleistung für die Rettung vor dem griechischen Staatsbankrott. Sozialministerin von der Leyen ist da handfester, sie will für deutsche Gelder aus dem Rettungsfonds Gold als Sicherheit. Sie gibt damit einen Startschuss für einen Wettlauf der Kreditgeber, sich die Filetstücke Griechenlands unter den Nagel zu reißen. An allem was Griechenland bisher noch als Ausweis seiner Kreditwürdigkeit anbieten konnte, könnte bald der „Kuckuck“ kleben. Es wäre alles weggepfändet, die „Märkte“ reagierten noch panischer und die Griechen müssten gegenüber dem Rest der Gläubiger dann endgültig Konkurs anmelden. Und die „Gerichtsvollzieher“ der Gläubigerländer dürften danach gleich in die anderen Mittelmeerländer weiterziehen. Von Orlando Pascheit und Wolfgang Lieb

Was die „Wahren Finnen“ können, kann Sozialministerin von der Leyen schon längst: Sie wollen Sicherheiten für die staatlichen Griechenland-Hilfen. Anders als die Bild-Zeitung, die als Gegenleistung den Verkauf griechischer Inseln oder wenigstens der Akropolis forderte, will von der Leyen handfestes Gold als Sicherheit. Gelder aus dem Rettungsfonds sollten künftig nur noch gegen Sicherheiten wie Goldreserven und Industriebeteiligungen vergeben werden.

Die „Finanzexpertin“ aus dem Sozialministerium will also als Pfand für Deutschland, was für die übrigen europäischen Kreditgeber bisher noch als Ausweis für die Kreditwürdigkeit der Griechen gilt. Wenn nun alle europäischen Kreditgeber ihre „Gerichtsvollzieher“ nach Griechenland schicken, um dort alles zu pfänden was nicht niet- und nagelfest ist, dann „gute Nacht“ nicht nur für Griechenland sondern für ganz Europa.

Die Diskussion um die Rettungspläne zur Bekämpfung der Euro-Krise wird immer irrationaler.

Sollte nicht mit dem europäischen Rettungsfonds EFSF die Entschlossenheit der Länder der Europäischen Währungsunion zum Ausdruck gebracht werden, dass die Gemeinschaft der Länder alles tun werde, um den Euro als Gemeinschaftswährung zu stabilisieren? Wollte man nicht mit einem „Gipfel“ nach dem anderen Signale an die Finanz-„Märkte“ setzen, damit die Zinsen der ohnehin überschuldeten europäischen Südländer nicht weiter zur Decke schießen sollten? Wollte man mit dem Aufkauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank nicht den Zinsdruck bändigen?

Von einer solchen Entschlossenheit kann kaum noch die Rede sein. Die Regierungen geraten zunehmend unter Druck national, ja sogar chauvinistisch gesinnter Parlamentarier. Ob das Rettungspaket von den Parlamenten rechtzeitig Zustimmung erfährt, wird zunehmen unsicher.

Die Finnen sind aus der Solidargemeinschaft schon ausgeschert und haben sich unter der Hand mit den Griechen bilateral auf Garantien verständigt. Die absurde Lösung ist, dass Griechenland Geld aus dem EFSF erst ausborgen und dieses Geld dann an Finnland überweisen soll, damit die Finnen damit wieder griechische Staatsanleihen kaufen.

Prompt werden nun auch in anderen Staaten, in Österreich, in der Slowakei und in den Niederlanden aus dem politisch rechts stehenden Lager gleichfalls Forderungen nach Garantien laut.

Die Geier kreisen schon wieder. Die Ratingagentur Moody`s heizt die Gerüchteküche an, indem sie darüber spekuliert, dass bilaterale Garantien und die Verzögerungen bei der Verabschiedung des Rettungspakets sich negativ auf die Kreditwürdigkeit Griechenlands auswirken werden.

Da können Merkel und Sarkozy lang und breit über eine europäische Wirtschaftsregierung bzw. eine koordinierte Wirtschaftspolitik daher reden, beim Geld hört die Gemeinsamkeit auf.

Wir übersehen allerdings angesichts des innerdeutschen Streites, dass die Ablehnung der Hilfe für Griechenland in anderen Ländern noch weitaus stärker ausgeprägt ist. Die von Moody’s konstatierte Zerrissenheit des Euroraums ist in diesem Fall keine Erfindung der Ratingagentur.

Die Slowakei hat sich bereits im vorigen Jahr nicht an der Griechenlandhilfe beteiligt. Die Slowakei habe sich ohne fremde Hilfe selbst saniert, wovon  vor allem die ärmeren Slowaken hart getroffen wurden. Warum sollten die armen Slowaken den reicheren Griechen helfen, war die vorherrschende Meinung. Die Slowenen befürchten, selbst zum nächsten Krisenstaat in der Euro-Zone zu werden. Und in den Niederlanden ist laut Umfragen eine Mehrheit gegen eine weitere Griechenlandhilfe und Geert Wilders treibt die Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Mark Rutte in dieser Frage vor sich her.

Leider ist das Problem aber viel grundsätzlicher: Die heutige Währungsunion ist eine Sonntagsveranstaltung. Stress verträgt sie nicht, da dieser sich ganz unterschiedlich auf sehr unterschiedliche Volkswirtschaften überträgt. Für einen optimalen Währungsraum ist das Entwicklungsgefälle z.B. im Verhältnis zum Währungsraum USA viel zu groß. Und wir sind dabei immer mehr noch ärmere Länder an der Eurozone teilhaben zu lassen – Lettland z.B. plant dies für 2013. Dies ist möglich, ja sogar vorgeschrieben, wenn einige nominale Kriterien erfüllt sind, die mit der realen Wirtschaftskraft der Länder kaum etwas zu tun haben.

Da war man zu Beginn der Diskussion um die Währungsunion in den 90ern schon einmal weiter und war etwa gegenüber der südlichen Peripherie sehr viel skeptischer. Da wurde z.B. darüber diskutiert, dass ein einheitlicher Zinssatz gleichermaßen für hoch entwickelte Industriestaaten und weniger entwickelte Volkswirtschaften kontraproduktiv wäre. Länder mit einem größeren Aufholbedarf hätten einen größeren Investitionsbedarf, d.h. sie benötigten niedrige Zinsen und die Möglichkeit sich stärker zu verschulden. Dass dann Spanien, als die Realzinsen mit dem Eurobeitritt deutlich niedriger als vorher lagen, vor allem in überschüssige Immobilien investierte, steht auf einem anderen Blatt.

Dass wir heute aufgrund der ökonomischen und politischen Unsicherheiten  an der jetzigen Währungsunion festhalten müssen, kann man mit guten Gründen vertreten, aber wir sollten die Finger von der osteuropäischen Peripherie lassen – auch zum (derzeitigen) Nutzen dieser Länder. Das wachsende Außenhandelsdefizit des neuesten Mitglieds, Estland, ist bereits vorprogrammiert. Der Export beruht größtenteils auf arbeits- und rohstoffintensive Waren – mit zunehmender Tendenz. Modernisierung einer Volkswirtschaft sieht anders aus. Verglichen mit der Entwicklung in den bisherigen 16 Euroländern weist Estland die höchste Lohnstückkostenentwicklung in der Eurozone auf. Die vielgerühmte Stabilitätskultur mit einem Haushaltsdefizit von 1,7 Prozent im vergangenen Jahr kommt nur deshalb zustande, weil über die europäischen Strukturfonds viel Geld in das Land fließt. Fielen diese Transfers aus, läge das Haushaltsdefizit bei sage und schreibe 9 Prozent. Im Juli 2011 betrug die Inflation 5,3 Prozent. – Es ist kein Wunder, dass in dieser Währungsunion keine einheitliche Krisenstrategie verfolgt wird, die wirtschaftlichen Ausgangslagen sind viel zu unterschiedlich.

Die Eurozone leidet an einer riesigen Diskrepanz bei der Wettbewerbsfähigkeit zwischen ihren Mitgliedsländern an den Rändern. Das ist der Kern der Verschuldung gerade auch der alteingesessenen Mittelmeerländer. Diese Verschuldung ist nur partiell durch unsolides Haushalten der jetzt überschuldeten Regierungen entstanden (Spanien hat z.B. sparsamer gewirtschaftet als Deutschland) sondern vor allem durch die Unterschiede in der Lohnentwicklung im Verhältnis zur nationalen Produktivität.

Durch das jahrzentelange Lohn- und Sozialdumping und durch den Unternehmensteuersenkungswahn ist es in Deutschland zu riesigen Leistungsbilanzüberschüssen und zu entsprechenden Defiziten innerhalb einer einheitlichen Währungszone gekommen. Der Anstieg der Lohnstückkosten lag weit unter denjenigen der Südeuropäer oder auch Frankreichs. Erschwerend hinzukommt, dass vor allem durch die dadurch erzwungene innerdeutsche Stagnation der Binnennachfrage die Inflationsraten hierzulande deutlich niedriger lagen als in allen anderen Euro-Ländern [PDF – 77.5 KB]. Dementsprechend zogen um uns herum die Preise stärker an und in der Folge wiederum meist die Löhne.

Wer den Euro oder genauer die Europäische Währungsunion retten will, müsste dieses Krebsgeschwür der Leistungsungleichgewichte für eine einheitliche Währung behandeln und nicht eindimensional Sparprogramme für alle verschreiben, die die ohnehin stagnierenden Volkswirtschaften nur noch mehr in eine Depression treiben. Nach Angaben griechischer Gewerkschaften schrumpft z.B. die griechische Wirtschaft um bis zu 5,3 Prozent und damit deutlich mehr als erwartet und schon kursieren Meldungen, wonach das griechische Staatsdefizit 2011 noch stärker ansteigen dürfte als gedacht.

Statt sich Gedanken über die Lösung der fundamentalen Probleme der Europäischen Währungsunion zu machen, denken offenbar immer mehr national und rechtspopulistisch gesinnte Politiker und – davon getrieben – immer mehr Länder nur noch an sich selbst. Die Solidargemeinschaft innerhalb der Europäischen Union wird aufgekündigt. Es beginnt ein Wettlauf der Gläubigerländer, sich die besten Filetstücke des Schuldnerstaates Griechenlands unter den Nagel zu reißen. An allem was Griechenland noch als Ausweis seiner Kreditwürdigkeit anbieten konnte, könnte bald der „Kuckuck“ kleben. Griechenland wäre ausgeplündert, man hätte diesem Land die noch vorhandenen Sicherheiten unter dem Hintern weggepfändet. Die „Märkte“ reagierten noch panischer und die Griechen müssten gegenüber dem Rest der Gläubiger dann endgültig Konkurs anmelden. Sie hätten nichts mehr an Bonität zu bieten.

Und von Griechenland würden die „Gerichtsvollzieher“ der Gläubigerstaaten gleich nach Portugal, Spanien, Belgien oder Italien weiter geschickt, um auch dort als Pfand zu sichern, was noch zu sichern ist.


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